Tausende Schriftsteller und Verlagsmitarbeiter auf der ganzen Welt haben eine Erklärung unterzeichnet, in der sie zusichern, nicht mit israelischen Kultureinrichtungen zusammenzuarbeiten, die mitschuldig sind an den mörderischen Angriffen auf die palästinensische Bevölkerung. Dem zionistischen Staat wird darin „Apartheid“, „ethnische Säuberung“ und „Völkermord“ vorgeworfen.
Der offene Brief, der vom Palestine Festival of Literature (PalFest) mit Sitz in London und im Westjordanland in Umlauf gebracht wurde, erhält weiterhin viele Unterschriften. PalFest erklärte am 29. Oktober: „Seit der Veröffentlichung vor 24 Stunden wurde er von insgesamt 4.500 Schriftstellern und Verlagsmitarbeitern unterzeichnet, die zugesagt haben, alle israelischen Einrichtungen zu boykottieren, die sich mitschuldig gemacht haben. Die Namen kommen schneller herein, als wir sie verarbeiten können.“ Mittlerweile sind es mehr als 5.500, wobei „alle paar Minuten weitere Namen von Schriftstellern, Verlegern und Beschäftigten aus der Buchbranche hinzukommen“.
Der Brief mit dem Titel „Verweigerung der Komplizenschaft mit Israels literarischen Einrichtungen“ beginnt mit den Worten:
Wir als Schriftsteller, Verleger, Mitarbeiter von Literaturfestivals und andere Beschäftigte der Buchbranche veröffentlichen diesen Brief angesichts der schwersten moralischen, politischen und kulturellen Krise des 21. Jahrhunderts. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Palästinenser einer überwältigenden Ungerechtigkeit ausgesetzt sind. Der gegenwärtige Krieg ist in unsere Häuser gedrungen und hat unsere Herzen durchbohrt.
Die Erklärung fährt fort:
Wie führende Experten und Institutionen seit Monaten feststellen, handelt es sich um einen Völkermord. Israelische Regierungsvertreter sprechen offen über ihre Beweggründe, die Bevölkerung des Gazastreifens zu eliminieren, um einen palästinensischen Staat unmöglich zu machen und palästinensisches Land zu besetzen. Diese Entwicklung folgt auf 75 Jahre Vertreibung, ethnische Säuberungen und Apartheid.
Die derzeitige Lage wird als „Notsituation“ bezeichnet, die „den Gazastreifen unbewohnbar gemacht hat“.
In der Erklärung heißt es weiter: „Wir werden nicht mit israelischen Institutionen kooperieren, einschließlich Verlagen, Festivals, Literaturagenturen und Publikationen, die:
1. Mitschuldig an der Verletzung der Rechte der Palästinenser sind, u.a. durch diskriminierende Richtlinien und Praktiken, oder die Israels Besetzung, Apartheid und Völkermord beschönigen und rechtfertigen, oder
2. nie öffentlich die unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volks, wie sie im Völkerrecht festgeschrieben sind, anerkannt haben.“
Zu den Unterzeichnern gehören die Nobelpreisträger Annie Ernaux und Abdulrazak Gurnah, bekannte Persönlichkeiten wie die irische Bestsellerautorin Sally Rooney, die bekannten britischen Autoren Hari Kunzru, Isabella Hammad und Hisham Matar, der Science-Fantasy-Autor China Miéville, die preisgekrönten US-Schriftsteller Mary Gaitskill, Percival Everett, Viet Thanh Nguyen, Rachel Kushner, Jhumpa Lahiri, Jonathan Lethem, Valeria Luiselli, Jia Tolentino, Justin Torres, Junot Díaz, Kaveh Akbar, Téa Obreht, Susan Abulhawa und Raven Leilani sowie der bekannte australische Romanautor Peter Carey.
Diese beispiellose Beteiligung geht nicht nur auf die Reaktion einer Schicht von Schriftstellern und Fachleuten zurück. Der offene Brief gibt der Wut und dem Entsetzen von Millionen Menschen Ausdruck, während der israelische Vernichtungskrieg vor einem globalen Publikum live übertragen wird. Diese mörderische Raserei ist keine Verirrung, obwohl sie eindeutig mit der Unterdrückung der Palästinenser im letzten Dreivierteljahrhundert zusammenhängt. Die Reaktion von Netanjahu, Biden, Harris, Scholz, Macron, Starmer und dem Rest der Verbrecherbande zeigt, wie der Imperialismus gegen jeden Ausdruck von Widerstand der Bevölkerung vorgehen will.
Ihr „Erfolg“ beim Abschlachten überwiegend unschuldiger Zivilisten, darunter zehntausender Frauen und Kinder, hat jedoch seinen Preis. Die willkürlichen, verwerflichen Massaker haben ernsthafte Auswirkungen auf das Bewusstsein der Weltbevölkerung, vor allem junger Menschen. Dies ist Teil einer allgemeinen Radikalisierung der Bevölkerung. Die breite Masse der Menschheit wird diese erschütternden, traumatischen Ereignisse weder vergessen noch vergeben.
Es sollte klar sein, dass nicht nur Israel und seine Institutionen auf die Anklagebank gehören. Die politisch-militärischen Apparate in den USA, im Vereinigten Königreich, in Frankreich, Deutschland, Kanada und allen imperialistischen Mächten, die vollwertige Partner bei der Vernichtung des Gazastreifens sind, verdienen das gleiche Schicksal. Trotzdem ist es ein wichtiger erster Schritt, der nicht auf den Ausschluss einzelner israelischer Akademiker abzielt, was die WSWS in der Vergangenheit immer abgelehnt hat, sondern gegen das zionistische politische und kulturelle Establishment als Ganzes mitten im anhaltenden Völkermord.
Die Boykottankündigung wegen des Gazastreifens und andere ähnliche Proteste stellen in ihrer Gesamtheit einen Wendepunkt dar. Jahrzehntelang war es für Künstler schwer, sich gegen den starken Druck zu behaupten, der echte kritische, oppositionelle kreative Bemühungen verhinderte. Dieser Druck ging aus von der Bereicherung von Schichten des oberen Kleinbürgertums durch parasitäre Operationen (den Aktienmarkt, den Medienboom, etc.) zu Lasten der Arbeiterklasse, von den Überresten der rechten postsowjetischen Behauptungen über den „Untergang des Kommunismus“ und das „Ende der Geschichte“ und von der zynischen, subjektiven Rolle der Postmoderne sowie ihrer Varianten, die darauf abzielten, zusammenhängendes rationales Denken zu zersetzen.
Ein Wandel liegt in der Luft. Dem Kapitalismus gebührt ein Großteil des Verdienstes dafür, denn – wie Lenin einst erklärte – leistet er „den Löwenanteil“ der Arbeit. Ein System, für das es keine „roten Linien“ mehr gibt, das zig Millionen an einer vermeidbaren Pandemie sterben lässt, das erklärt, dass es sich von der Aussicht auf einen Atomkrieg, der die Zivilisation vernichten könnte, nicht mehr „abschrecken“ lässt, das einen Vernichtungskrieg in Gaza und einen blutigen, brutalen Konflikt in der Ukraine mit Waffen versorgt und überwacht, das in jeder Ecke de „freien Welt“ faschistische Demagogen hervorbringt – ein solches System muss in der Masse der Bevölkerung Ablehnung und Widerstand hervorrufen. Genau das entwickelt sich jetzt.
Der Vorsitzende der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site David North schrieb letzten Dezember über den Massenmord in Gaza:
Er hat der Welt die Augen geöffnet. Er hat das zionistische Regime und seine imperialistischen Komplizen als die Verbrecher entlarvt, die sie sind. Er hat eine Flutwelle der Empörung in Bewegung gesetzt, die sich weltweit ausbreitet. Sie wird auch die Verantwortlichen für diesen Völkermord überschwemmen.
Im offenen Brief der Schriftsteller gegen den Völkermord heißt es zu Recht:
Die Kultur hat eine wichtige Rolle bei der Normalisierung dieses Unrechts gespielt. Israelische Kultureinrichtungen, die oft mit dem Staat zusammengearbeitet haben, haben jahrzehntelang entscheidend dazu beigetragen, die Enteignung und Unterdrückung von Millionen von Palästinensern zu vertuschen, zu verheimlichen und mit Kunst zu beschönigen.
Dies lässt sich auf viele intellektuelle Tätigkeiten in Israel ausweiten, vom Journalismus über Archäologie und andere Wissenschaftsdisziplinen bis hin zur Geschichte. Es gibt zwar in allen diesen Feldern bekannte Israelis, die sich gegen diesen Trend gestellt haben, allerdings ist es nach wie vor so, dass der Zionismus Kunst und Kultur weitgehend dafür eingespannt hat, ethnische Säuberungen und Massenmord zu verteidigen oder zu rechtfertigen.
Allerdings ist das auch bei vielen amerikanischen, britischen, französischen und deutschen Kulturinstitutionen weitgehend der Fall. Man muss nur an die zahlreichen feigen und reaktionären Zensurmaßnahmen erinnern, die letzten Oktober begannen. Nur wenige Tage zuvor hatte das bekannte Kulturzentrum 92nd Street Y in Manhattan die Auftritte von mehreren Schriftstellern, darunter der Pulitzer-Preisträger Viet Thanh Nguyen, wegen deren Widerstand gegen Israels Vorgehen abgesagt.
Wie der offene Brief feststellt, ist die Liste der westlichen Kulturinstitutionen sehr lang, die sich ebenso wie ihre israelischen Pendants „an der überwältigenden Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig gemacht haben oder schweigende Beobachter geblieben sind“.
Dazu gehören, um nur einige der bekannteren Episoden zu nennen:
- Die Ausladung der palästinensischen Autorin Adania Shibli von der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2023.
- Die McCarthy-ähnliche Hetzkampagne in der Filmbranche gegen die Schauspielerin Melissa Barrera.
- Das Schweigen des Brooklyn Museum, dessen Kuratorium mit pro-zionistischen Mitgliedern besetzt ist, zum Völkermord.
- Die Entlassung von Mitarbeitern des Noguchi Museum in New York City, weil sie aus Solidarität mit den Palästinensern Keffiyehs trugen.
- Der Versuch von „Hollywood-Angestellten“, die Nominierung der Journalistin Bisan Owda aus dem Gazastreifen für einen Emmy zu verhindern.
- Die offene Zensur eines pro-palästinensischen Vortrags im Barbican Centre in London.
- Die Stornierung einer Künstlerresidenz für die Malerin Danielle SeeWalker in Vail (Colorado) wegen eines Werks, das den Völkermord an den Palästinensern mit dem Völkermord an den amerikanischen Indigenen verglich.
- Kriegspropaganda von Kultureinrichtungen wie die Ausstellung im Seattle Museum, die Antizionismus mit Antisemitismus gleichsetzt.
- Das Schweigen der Gewerkschaften in der Unterhaltungsbranche über den Völkermord und die McCarthy-ähnliche Hexenjagd gegen ihre eigenen Mitglieder.
- Die schändliche Forderung der Deutschen Gesellschaft für Photographie, die Preisträgerin Shirin Abedi solle sich dafür entschuldigen, während der Preisverleihung „Free Palestine“ gesagt zu haben.
- Am wohl berüchtigtsten war die Weigerung von PEN America, der bekanntesten Schriftstellervereinigung in den USA, die gezielte Tötung palästinensischer Journalisten durch die israelische Mordmaschine und den kulturellen Völkermord im Gazastreifen zu verurteilen.
Das sind nur einige der empörenden Aktionen, die Kultureinrichtungen außerhalb von Israel unternommen haben, um die Kenntnis und die Darstellung oder den Widerstand gegen den Völkermord zu unterdrücken. Redakteure wurden von Magazinen entlassen oder sind zurückgetreten, weil ihre Publikationen üble Lügen verbreiten, die die Ermordung von tausenden Kindern, die Folterung palästinensischer Gefangener und das systematische Aushungern der Zivilbevölkerung durch die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) begünstigen.
Hinzu kommt die besonders heimtückische Rolle der Hochschuleinrichtungen. Pro-palästinensische Stimmungen an Hochschulen wurden praktisch für illegal erklärt. Studierende werden von der Polizei verprügelt und verhaftet, Lehrkräfte werden entlassen oder zum Schweigen verurteilt, wenn sie gegen den Völkermord Stellung beziehen. Im Schulwesen werden Lehrkräfte in den rechten Medien schikaniert, ihre Namen im Internet preisgegeben und bedroht.
Alle diese Repressionen stießen auf den Widerstand von Künstlern, Schriftstellern, Studierenden und Lehrkräften. Künstler haben Petitionen eingereicht, in denen sie den Rücktritt von besonders reaktionären „kulturellen Führungskräften“ forderten, oder sogar ihre eigenen Werke beschädigt.
Durch Massendemonstrationen wurden Museen zur Schließung gezwungen. In einigen Fällen wurde die Zensur zurückgenommen. PEN America musste seine Preisverleihungen und das World Voices Festival dieses Jahr absagen, weil massenhaft Autoren ausgetreten sind.
Doch viele Künstler trauen sich noch nicht, die Frage aller Fragen anzusprechen: Die eigentliche Ursache des Völkermords und die Vertuschung durch die Medien ist ein- und dasselbe – der Weltkapitalismus.
Der offizielle Kulturbetrieb wird direkt oder indirekt von der gleichen Klasse kontrolliert, die auch die Banken, die Konzerne, das Militär und die großen Parteien kontrolliert, die Demokraten und Republikaner in den USA, die Tories und Labour in Großbritannien, die CDU und SPD in Deutschland, etc. Sie liefern dem israelischen Staat die Waffen und bereiten eine enorme Ausweitung des Kriegs im gesamten Nahen Osten und der Welt vor. Dieses Problem, die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu beseitigen, wird die ernsthaftesten Künstler zunehmend beschäftigen.