Trotz Erdoğans Kritik an Nato-Verbündeten: Türkei unterstützt weiter die israelische Kriegsmaschinerie

Nachdem israelische Truppen bei ihrem Einmarsch in den Libanon die Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon (UNIFIL) angegriffen hatten, übte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Kritik am UN-Sicherheitsrat und seinen Nato-Verbündeten.

Erdoğan erklärte am Montag auf X: „Das Bild der UN, die nicht einmal ihr eigenes Personal schützen kann, ist beschämend und besorgniserregend für das internationale System. ... Können Sie das glauben? Israelische Panzer dringen in die UNIFIL-Zone ein, greifen Friedenstruppen an und verwunden sogar einige von ihnen, aber der UN-Sicherheitsrat beschließt, bei diesen ganzen Verbrechen von seiner Tribüne aus untätig zuzusehen. Das nennt man Ohnmacht, Kapitulation vor der israelischen Aggression.“

Erdoğan hält während einer Parlamentsrede in Ankara am 5. Februar 2020 ein Bild hoch, das eine Reihe von Karten zeigt: das historische Palästina, den Plan der Vereinten Nationen zur Teilung Palästinas von 1947, die Grenzen zwischen den palästinensischen Territorien und Israel 1948–1967 und eine aktuelle Karte der palästinensischen Gebiete ohne die von Israel annektierten Gebiete und Siedlungen [AP Photo/Burhan Ozbilici]

Trotz Erdoğans rhetorischer Kritik an Israel und den imperialistischen Mächten sind in den letzten Wochen neue Daten über den Handel zwischen der Türkei und Israel aufgetaucht. Offiziell wurden die Handelsbeziehungen zwar für abgebrochen erklärt, allerdings indirekt fortgesetzt. Diese Situation entlarvt nicht nur die Heuchelei der Erdoğan-Regierung, sondern auch die Tatsache, dass die türkische Bourgeoisie vom Imperialismus abhängig und dessen Komplize ist.

Trotz der weit verbreiteten Opposition der Bevölkerung hat die Erdoğan-Regierung bis letzten Mai weiterhin hartnäckig am Handel mit Israel festgehalten. Nach ihrer Niederlage bei den Kommunalwahlen am 31. März erkannte die Regierung, dass sie ihre gesellschaftliche Basis verloren hat, und erklärte, sie habe offiziell die Handelsbeziehungen mit Israel eingestellt. Gleichzeitig verstärkte sie die Kritik an Israel und dessen imperialistischen Verbündeten.

Laut den Außenhandelszahlen für August 2024, die vom Statistikamt der Türkei (TurkStat) Ende September veröffentlicht wurden, scheint der Handel mit Israel, wie von der Regierung angekündigt, im Mai eingestellt worden zu sein. Allerdings deutet der dramatische Anstieg des Handels mit Palästina im gleichen Zeitraum darauf hin, das der Handel mit Israel indirekt weitergeht.

Laut Daten von TurkStat hat sich der Handel mit Palästina inmitten von Völkermord und Zerstörung im Juli und August mehr als verzehnfacht. Zu den Gütern, bei denen der Anstieg am größten war, gehören Stahlexporte, die für die israelische Waffen- und Rüstungsindustrie lebenswichtig sind. Im August stiegen die Stahlexporte nach Palästina um 119.695 Prozent von 17.000 auf 20,5 Millionen Dollar.

[Photo: TÜİK (TurkStat)]

Laut der israelischen Nachrichtenseite ynet werden palästinensische Unternehmen als Tarnung für den Handel benutzt. In dem Bericht heißt es: „Bisher wurden trotz des türkischen Embargos für den Export von Waren nach Israel die Exporte an die palästinensische Autonomiebehörde fortgesetzt. Ein Großteil davon hat die israelische Wirtschaft auf indirektem Weg erreicht. Diese Methode funktioniert folgendermaßen: Die Güter verlassen die Türkei per Schiff mit einem Frachtbrief, der an die Palästinensische Autonomiebehörde adressiert ist. An Bord der Schiffe werden dann alle Frachtbriefe an Händler im Gebiet der PA durch Frachtbriefe an Unternehmen in Israel umgeändert... Dadurch erreichen die Importe aus der Türkei nicht das Gebiet der PA, sondern gehen direkt zu den israelischen Häfen Ashdod und Haifa.“

Der Journalist Metin Cihan, der die Fortsetzung des israelisch-türkischen Handel enthüllt hat, bestätigte diese Vorgehensweise in einer Stellungnahme vom 6. Oktober. Er zitierte Daten von der Website Marine Traffic, laut denen im letzten Monat 88 Schiffe israelische Häfen angelaufen haben.

Laut Cihan hat die Reederei von Erdoğans Sohn Burak Erdoğan während der Luftangriffe auf Gaza Fracht aus Israel verschifft, was die türkische Regierung wenig überzeugend bestritt. Am Montag postete Cihan auf X ein neues Dokument zu dem Thema und schrieb:

„Der Handel von Manta Denizcilik mit Israel wurde akzeptiert, allerdings wurde behauptet, es gäbe keine Verbindung zwischen Manta Denizcilik und Burak Erdoğans Unternehmen MB Denizcilik. Nicht viele Leute haben das geglaubt, aber ich denke, das Dokument, das ich gerade erhalten habe, wird diese Debatte ein für allemal beenden.“

Cihan zufolge konnten die Schiffe der Reederei ZIM, einer der größten in Israel, ihren Betrieb in der Türkei ohne Unterbrechung fortsetzen, während im Rest der Welt gegen sie protestiert wird. In seinem Video erklärte Cihan, die Häfen von Istanbul, Izmir, Kocaeli, Bursa und Mersin würden weiterhin Schiffe von ZIM bedienen.

Doch Ankara unterstützt nicht nur durch den indirekten Handel die Kriegspolitik Israels, das Gaza in Schutt und Asche gelegt hat, den Genozid auf den Libanon ausdehnt und gemeinsam mit den USA einen offenen Angriff auf den Iran vorbereitet. Auch die US-Nato-Basen in der Türkei unterstützen Israel, und die Türkei vermittelt weiterhin die für Israel lebenswichtigen Öllieferungen aus Aserbaidschan.

Andererseits hat Erdoğan auch seine Besorgnis über die Ausweitung des Kriegs im Nahen Osten geäußert, weil er befürchtet, dass sie die Interessen der türkischen Bourgeoisie gefährden könnte. Anfang Oktober warnte er vor einem Krieg zwischen Israel und der Türkei und erklärte, das zionistische israelische Regime „wird nach Palästina und dem Libanon unser Heimatland ins Visier nehmen“. Letzten Juli hatte er erklärt, die Türkei könne militärisch gegen Israel intervenieren.

Die heuchlerische Palästina- und Nahostpolitik der Erdoğan-Regierung und ihre Komplizenschaft sind im Grunde ein Ausdruck der Abhängigkeit der türkischen Bourgeoisie vom Imperialismus. Die türkische Bourgeoisie unterstützt die Nato-Kriege im Nahen Osten seit langer Zeit. Der jetzige Krieg, den die USA gemeinsam mit Israel eskalieren, um den Nahen Osten vollständig zu dominieren, birgt nun die Gefahr, dass die Türkei hineingezogen wird.

Als einer der wichtigsten Unterstützer des US-Stellvertreterkriegs in Syrien zum Sturz des Assad-Regimes hat die Türkei zu der Dynamik beigetragen, die zur Schaffung eines kurdischen Staats an seiner Südgrenze führte.

Die Erdoğan-Regierung rechnet jetzt damit, dass ein offener Krieg der USA und Israels gegen den Iran noch größere Probleme verursachen könnte, und kritisiert ihre imperialistischen Verbündeten wegen der Gefahr einer Ausweitung des Kriegs.

Doch die türkische Bourgeoisie ist unfähig, sich Imperialismus und Krieg zu widersetzen. Wie Leo Trotzki in seiner Theorie der Permanenten Revolution erklärte, ist die Bourgeoisie in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung im Zeitalter des Imperialismus nicht in der Lage, Unabhängigkeit vom Imperialismus zu erlangen oder ein demokratisches Regime einzuführen. Mehr als den Imperialismus fürchtet sie, dass eine revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus ihre eigene Macht gefährden könnte.

Wie die World Socialist Web Site in einer Erklärung zum ersten Jahrestag des Völkermords in Gaza schrieb, ist der Versuch, die imperialistischen Mächte durch Druck zu einer humaneren Politik zu zwingen, bankrott. Die Antikriegsbewegung benötige daher eine neue Strategie: „Der Kampf gegen den Völkermord in Gaza und den Krieg gegen den Iran kann nur als Kampf gegen den Imperialismus entwickelt werden, den Lenin als ,höchstes Stadium des Kapitalismus‘ bezeichnete.“

Für die Arbeiter in der Türkei und dem Nahen Osten bedeutet das, sowohl den Imperialismus der USA und der Nato als auch den Zionismus und ihre eigenen reaktionären bürgerlichen Regime auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms zu bekämpfen.

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