Bei den hochrangigen Treffen der Vereinten Nationen planen die Nato-Staats- und Regierungschefs und die ukrainischen Politiker, Kiew den Einsatz von Nato-Waffen gegen russische Städte zu erlauben. Der russische Präsident Wladimir Putin hat seinerseits am Mittwoch eine Aktualisierung der russischen Atomdoktrin bekanntgegeben: Demnach sollen die Bedingungen, unter denen Moskau Nuklearwaffen einsetzen darf, erweitert werden.
Vor einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates sagte Putin: „Die aktualisierte Version des Dokuments schlägt vor, dass eine Aggression gegen Russland durch einen Nichtatomwaffenstaat, aber unter Beteiligung oder Unterstützung eines Atomwaffenstaates, als gemeinsamer Angriff auf die Russische Föderation betrachtet werden sollte.“
Putin sagte, dass zu den Bedingungen für einen Atomschlag „zuverlässige Informationen über einen massiven Luft- und Raumfahrt-Angriff und ihr Überqueren unserer Staatsgrenze“ gehören würden.
Er fügte hinzu: „Wir behalten uns das Recht vor, im Falle einer Aggression gegen Russland und Weißrussland Atomwaffen einzusetzen.“
Der Vorschlag ist die bisher unverblümteste und konkreteste Drohung Putins, das russische Atomwaffenarsenal – eins der beiden größten der Welt – einzusetzen. Es ist eine Reaktion auf die weit fortgeschrittenen Pläne der Nato-Mächte, der Ukraine den Einsatz von Nato-Waffen für Angriffe tief im Innern Russlands zu erlauben.
Putins Vorschlag folgt einer Reihe von Forderungen hochrangiger Persönlichkeiten des russischen politischen Establishments, wonach der Präsident auf die immer häufigeren Übergriffe der Nato mit Raketen, Bomben, Panzern und gepanzerten Fahrzeugen auf russisches Gebiet reagieren müsse.
Der ehemalige Kreml-Berater Sergej Karaganow erklärte: „Wir haben zugelassen, dass sich die Situation so weit verschlechtert, dass unsere Gegner glauben, wir würden unter keinen Umständen Atomwaffen einsetzen. (...) Es ist höchste Zeit, dass wir klarstellen, dass jeder massive Angriff auf unser Territorium uns das Recht gibt, mit einem Atomschlag zu reagieren.“
Anfang dieses Monats besuchte US-Außenminister Antony Blinken zusammen mit dem britischen Außenminister David Lammy Kiew, wo er der Ukraine die Möglichkeit eröffnete, Nato-Waffen einzusetzen, um tief im Innern Russlands anzugreifen. „Vom ersten Tag an haben wir, wie Sie mich sagen hörten, uns an die veränderten Bedürfnisse und an das veränderte Schlachtfeld angepasst. Und wenn es so weitergeht, habe ich keinen Zweifel daran, dass wir dies auch weiterhin tun werden“, sagte Blinken.
Über diese Gespräche schrieb der Guardian vor zwei Wochen: „Quellen aus der britischen Regierung gaben an, dass bereits eine Entscheidung getroffen wurde, der Ukraine den Einsatz von Storm-Shadow-Marschflugkörpern auf Ziele in Russland zu erlauben.“
Letztendlich wurde dies damals noch nicht öffentlich angekündigt, und US-Vertreter beschlossen, bis zu mehreren Treffen im Rahmen der UN-Generalversammlung zu warten. Diese Treffen sind nun in New York im Gange.
Aktuell geht es um den sogenannten „Siegesplan“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Laut den US-amerikanischen und europäischen Nachrichtenberichten handelt es sich dabei um die Aufforderung an die Ukraine, Russland mit Langstreckenwaffen der Nato anzugreifen. Auch erwartet Selenskyj, dass die Ukraine aufgefordert wird, der Nato beizutreten. Die Financial Times schrieb: „Im Mittelpunkt des Plans dürfte die Forderung stehen, dass die Biden-Regierung die Beschränkungen für den Einsatz von Army Tactical Missile Systems (ATACMS) durch die Ukraine aufhebt, um tief in Russland einzudringen.“
Selenskyjs Vorschlag wurde durch eine umfassende Pressekampagne in den US-amerikanischen und europäischen Medien und im politischen Establishment begleitet und unterstützt. „Biden sollte Langstreckenraketen für die Ukraine genehmigen“, schreib die Washington Post. Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson erklärte dem Spectator: „Es ist an der Zeit, die Ukraine in die Nato aufzunehmen.“
Johnson sagte: „Wir könnten die Ukraine einladen, sich uns anzuschließen, noch ehe der Krieg überhaupt vorbei ist.“ Er forderte eine „Sicherheitsgarantie nach Artikel 5“ und „das absolute Recht der Ukrainer auf ihr gesamtes Staatsgebiet von 1991“. Ein solcher Schritt käme in der Tat einer Kriegserklärung der Nato an Russland gleich und würde den ersten umfassenden Konflikt zwischen zwei Atommächten in der Geschichte auslösen.
In den Chor stimmte auch der Kongressabgeordnete der Demokraten Steve Cohen ein, der ranghöchste Abgeordnete der Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Repräsentantenhaus. Cohen erklärte: „Ich denke, sie müssen mit Offensivwaffen vorrücken und in Russland einmarschieren und den russischen Menschen den Krieg näherbringen. (...) Dieser Krieg wäre viel eher zu Ende gewesen – zu den Bedingungen der Ukraine, aber immerhin zu Ende –, wenn wir ihnen diese Waffen schon früher gegeben hätten.“
US-Präsident Joe Biden erklärte in seiner Rede am Mittwoch: „Wir stehen jetzt und in Zukunft an der Seite der Ukraine, und das beginnt auf dem Schlachtfeld. Ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, dass die Ukraine über alles verfügt, was sie braucht, um in ihrem Überlebenskampf zu bestehen. Morgen werde ich eine Reihe von Maßnahmen ankündigen, um die Unterstützung für das ukrainische Militär zu beschleunigen.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Dazu gehören zusätzliche Waffenlieferungen im Wert von 8 Milliarden US-Dollar an die Ukraine, darunter „Munition, Waffen (...) Kampfdrohnen und Material zur Unterstützung der Munitionsproduktion in der Ukraine“, wie Reuters berichtet. Bislang haben die Vereinigten Staaten seit Anfang 2022 mehr als 175 Milliarden US-Dollar für den Krieg in der Ukraine bereitgestellt.
Auf der laufenden UN-Generalversammlung haben die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Nato-Mächte bisher eine Reihe von wirren und kriegshetzerischen Reden gehalten, vergleichbar mit der Rede von US-Präsident Joe Biden am Dienstag.
„Wladimir Putin, wenn Sie Raketen auf ukrainische Krankenhäuser abfeuern, wissen wir, wer Sie sind!“ schrie der britische Außenminister David Lammy am Dienstag. „Imperialismus, ich erkenne ihn, wenn ich ihn sehe.“
Außenministerin Annalena Baerbock warf Putin vor, sich zu „verstecken“, und rief, an den russischen UN-Botschafter gewandt: „Der stärkste Mann Ihres Landes kann sich hinter Teenagerinnen verstecken, die er entführt hat. Aber die Welt können Sie nicht täuschen.“
Bei all den kriegerischen Reden an der UN-Generalversammlung schlug die New York Times bezüglich der Reaktion der Entwicklungsländer einen besorgten Ton an:
Doch der klaffende Abgrund zwischen den westlichen Hauptstädten und dem Rest der Welt in Bezug auf die Kriege in der Ukraine und anderswo war während der jährlichen Versammlung der Vereinten Nationen deutlich zu spüren. Die Staats- und Regierungschefs des globalen Südens nahmen von der Ukraine kaum Notiz, während sie den humanitären Krisen im Gazastreifen und im Sudan weitaus mehr Beachtung schenkten.
Viele von ihnen wiesen darauf hin, dass die Zahl der Todesopfer unter den Palästinensern im seit fast einem Jahr andauernden Krieg im Gazastreifen laut Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums auf über 41.000 gestiegen ist. Vor diesem Hintergrund wurden die Vereinigten Staaten und andere westliche Mächte der Heuchelei bezichtigt, weil sie eine umfassende Verurteilung Russlands wegen der Tötung von Zivilisten in der Ukraine forderten, während sie Israel weiterhin mit Waffen beliefern.
Dessen ungeachtet ist die Biden-Regierung fest entschlossen, den Krieg auf der ganzen Welt zu eskalieren. In seinen Ausführungen am Mittwoch erklärte Biden, dass Militäraktionen der einzige Weg seien, um die Krise in der Ukraine zu lösen, und den Völkermord Israels in Gaza unterstützte er voll und ganz.