Russische Behörden verschärfen migrantenfeindliche Maßnahmen und Propaganda

Russische Politiker und Staatsvertreter fordern eine stärkere Einschränkung der Rechte von Immigranten. Der Vorsitzende der Staatsduma, des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin schlug am 4. September vor, gering qualifizierten Arbeitsmigranten zu verbieten, ihre Familien nach Russland zu holen. Einen Tag später forderte der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew (ehemaliger Premierminister und Präsident Russlands), etwas Ähnliches: Die Familien von Saisonarbeitern sollen nicht mehr nach Russland einreisen dürfen. Medwedew erklärte: „Wir werden hier natürlich nicht in der Lage sein, einzelne Trends zu überwinden, aber was kann getan werden: Wenn jemand als Saisonarbeiter zu uns kommt – warum zum Teufel schleppt er dann seine Familie mit?“

Der russische Präsident Wladimir Putin (rechts) und der Sprecher der Staatsduma Wjatscheslaw Wolodin während einer Zeremonie im Katharinensaal des Kreml am 30. Mai 2024 [AP Photo/Alexander Kazakov]

Die kremlnahe Online-Zeitung Komsomolskaja Prawda berichtet, dass die Staatsduma die Verabschiedung eines Gesetzentwurfs der rechtsextremen Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR) plant, der Einschränkungen für die Einreise und den Aufenthalt der Familien von gering qualifizierten Arbeitern vorsieht.

Zudem haben Abgeordnete der LDPR vorgeschlagen, die kostenlose Schulbildung für Kinder von Immigranten abzuschaffen und Gebühren einzuführen. Sie begründeten dies mit dem gravierenden Mangel an Schulplätzen wegen ausländischer Kinder sowie mit schlechten schulischen Leistungen, weil ausländische Kinder die russische Sprache kaum beherrschen würden.

Auch mehrere Abgeordnete der Partei „Neue Leute“ haben eine Reihe von Maßnahmen gegen Einwanderer in Russland vorgeschlagen. Wladislaw Dawankow, einer der Parteiführer der „Neuen Leute“, Duma-Abgeordneter und Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im März, schlug vor, die Gebühr für eine Arbeitserlaubnis um das 2,5-Fache auf 250.000 Rubel pro Jahr (etwa 2400 Euro) zu erhöhen – eine extrem hohe Summe für jeden Arbeiter in der ehemaligen Sowjetunion. Derzeit kostet eine Arbeitserlaubnis 8000 Rubel (etwa 80 Euro) im Monat. Migranten, die sich ohne Visum in Russland aufhalten, brauchen diese Erlaubnis, um im Land arbeiten zu können.

Eine weitere Abgeordnete der Partei „Neue Leute“, Sardana Awksentjewa, hat eine Anfrage mit zwei Vorschlägen an das Innenministerium geschickt. Einer davon betrifft die verbindliche Erfassung biometrischer Daten von allen ausländischen Staatsbürgern. Bisher mussten nur diejenigen, die für mindestens 90 Tage eingereist sind, biometrische Daten vorlegen. Ein weiterer Vorschlag sieht vor, von allen Migranten, die länger als 90 Tage bleiben, einen schriftlichen Nachweis ihrer Kenntnisse der russischen Sprache, Geschichte und der Grundlagen des russischen Rechts zu fordern. Bisher müssen nur diejenigen, die eine Arbeitserlaubnis erhalten wollen, einen schriftlichen Nachweis ihrer Russischkenntnisse erlangen. Dies gilt nicht nur für alle, die bereits in Russland sind, sondern auch für diejenigen, die eine Einreise planen. Wenn sie den Sprachtest nicht schaffen, folgt die Ausweisung ohne die Möglichkeit der Wiedereinreise. In vielen Regionen Russlands wären davon Tausende eingewanderte Arbeiter bedroht, die eine wichtige Rolle in der Wirtschaft spielen.

Es sei hier angemerkt, dass Awksentjewa in ihrem Vorschlag an das Ministerium für eine Verschärfung der russischen Sprachtests für Immigranten selbst neun Interpunktions-, Stil- und semantische Fehler gemacht hat.

In Russland gibt es schätzungsweise zwölf Millionen Einwanderer, die fast acht Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die meisten kommen aus den zentralasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion, die heute extrem arme Länder sind. Infolge der Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie haben sie eine noch größere soziale Katastrophe erlebt als andere Regionen der ehemaligen UdSSR. In Tadschikistan, der ärmsten ehemaligen Sowjetrepublik, fand in den 1990er Jahren ein Bürgerkrieg statt. Die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts des Landes stammt aus den Überweisungen von Arbeitern aus dem Ausland. Die meisten von ihnen arbeiten in Russland, wo sie brutalen Ausbeutungsbedingungen ausgesetzt sind. Dies wiederum dient dazu, die Angriffe auf die gesamte Arbeiterklasse zu verschärfen. 

Genau wie in anderen Ländern verbinden russische Politiker diese Angriffe auf die demokratischen Rechte von Migranten mit fremdenfeindlicher Rhetorik. Sie verweisen auf die angeblich steigende Zahl von Verbrechen durch Immigranten, ihre geringe Qualifikation und ihre schlechten Russischkenntnisse.

Mit ihren Angriffen auf die Rechte von Arbeitsmigranten attackiert die Oligarchie die demokratischen Rechte der gesamten Arbeiterklasse. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Kriegs stellt jede Bewegung der Arbeiterklasse, sei sie wirtschaftlicher oder vor allem politischer Natur, eine riesige Gefahr für Putins Regime dar.

Die Oligarchie fördert Chauvinismus gegen Migranten, um eine solche Bewegung der Arbeiterklasse, die sie am meisten fürchtet, zu verhindern. Deshalb versucht sie, die Arbeiter nach nationalen, rassischen, sprachlichen, religiösen und anderen Kriterien zu spalten und die Verantwortung für den sozialen Niedergang wie Arbeitslosigkeit oder niedrige Löhne auf die Migranten abzuwälzen und so das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu schwächen.  

Die russische Bourgeoisie hat ihre Hetzkampagne gegen Einwanderer nach dem Terroranschlag auf die Moskauer Crocus City Hall im März deutlich verschärft. Der Terroranschlag trug ganz und gar die Handschrift Washingtons und der Ukraine. Die imperialistischen Mächte und von der Nato unterstützte Teile der russischen Elite haben im Oktober 2023 außerdem antisemitische Proteste am Flughafen Machatschkala und Ende Juni dieses Jahres Terroranschläge in Machatschkala und Derbent organisiert.

Mit solchen Terroranschlägen und Provokationen versuchen die imperialistischen Mächte, die Differenzen innerhalb der russischen Elite zu nutzen und zu verstärken, die zwischen nationalistischen und Nato-freundlichen Lagern existieren. Auch zwischen den regionalen Eliten und den dominanten Oligarchen in Moskau gibt es beträchtliche Spannungen. Gleichzeitig versucht der US-Imperialismus, das Land zu destabilisieren, indem er ethnische und religiöse Spannungen schürt. In Russland leben mehr als einhundert verschiedene Nationalitäten und 26 Millionen Muslime, die etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Das Putin-Regime hat die weitreichendsten fremdenfeindlichen Vorschläge der rechtsextremen Fraktion der Oligarchie nicht vollständig übernommen, weil es sich bewusst ist, welche destabilisierende Wirkung sie hätten. Als bonapartistisches Regime manövriert es zwischen den verschiedenen Schichten der Kapitalisten – zwischen dem Teil der russischen Elite, der offen die Nato unterstützt, und der extremen Rechten, zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie und zwischen den nationalen Interessen der russischen Kapitalisten und den Interessen des westlichen Imperialismus.

Doch vor allem nach dem Terroranschlag in Moskau hat das Putin-Regime die ausländerfeindliche Rhetorik zunehmend legitimiert und übernommen, um russischen Chauvinismus zu schüren und die Arbeiterklasse zu spalten. Das Regime ist aus dem nationalistischen Verrat der stalinistischen Bürokratie hervorgegangen, die mit der internationalen Perspektive der Oktoberrevolution von 1917 gebrochen hatte. Deshalb ist es sich der Gefahr vollkommen bewusst, die von einer geeinten Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Krieg ausgeht.  

Die zunehmenden Angriffe auf Immigranten sind ein internationales Phänomen. In den USA organisieren die Republikaner faschistische Angriffe auf Einwanderer, während die Demokraten nichts dagegen tun und damit ihren Bankrott angesichts der Gefahr des Faschismus in den USA offenbaren. In Deutschland unterstützen alle kapitalistischen Parteien die migrantenfeindliche Politik, wobei sich die SPD, die Grünen und die CDU immer offener an die Rhetorik und Politik der faschistischen AfD anpassen.

Die Arbeiterklasse kann diese Bedrohungen nur durch einen vereinten Kampf abwehren. Die Oligarchie verfügt über korrupte Medien und Propagandaorgane. Die herrschende Klasse hat alle möglichen Waffen, die sie gegen ihre eigene Bevölkerung einzusetzen bereit ist, um einen regelrechten Krieg gegen die Arbeiterklasse zu führen. Die Arbeiterklasse hat nur eine Möglichkeit, sich dem gesamten bürgerlichen Unterdrückungs- und Ausbeutungsapparat zu widersetzen: die internationale Einheit ihrer Klasse und die Einheit ihrer Vorhut, verkörpert in ihrer eigenen Partei und internationalen Bewegung. Die Verteidigung der Migranten und Flüchtlinge ist eine der wichtigsten Pflichten des proletarischen Internationalismus. Wie die Geschichte der Oktoberrevolution bewiesen hat, kann die Arbeiterklasse die Bourgeoisie nur erfolgreich bekämpfen, wenn sie international vereint ist.

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