Warum schweigt Mélenchon zu Macrons Geheimgesprächen mit den französischen Neofaschisten?

Bei den jüngsten Parlamentswahlen haben Millionen Wähler in Frankreich für die Kandidaten von Jean-Luc Mélenchons Nouveau Front populaire (NFP, Neue Volksfront) gestimmt, um einen neofaschistischen Wahlsieg zu verhindern. Im zweiten Wahlgang haben sie sogar, wie von Mélenchon empfohlen, für viele Kandidaten Macrons gestimmt.

Die Wahlen haben keine klare Mehrheit erbracht, und es ist klar geworden, dass die Neue Volksfront in ihrem Bündnis mit Macron die Erwartungen der Arbeiter und Jugendlichen verraten hat.

Jean-Luc Mélenchon im Palais de la Musique et des Congrès de Strasbourg am 19. Januar 2022 [Photo by Thomas Bresson / CC BY 4.0]

Obwohl die NFP stärkste Kraft wurde, weigert sich Macron, Mélenchon zum Premierminister zu ernennen. Wie die Tageszeitung Libération berichtet, führen stattdessen Vertreter der Macron-Regierung Geheimgespräche mit dem neofaschistischen Rassemblement National (RN). Macron selbst reiste zum Nato-Gipfel in Washington, um die militärische Eskalation gegen Russland und Pläne für Raketenangriffe auf russische Städte zu erörtern, die mit Sparmaßnahmen zu Lasten der Arbeiter, wie die Rentenkürzungen im letzten Jahr, finanziert werden sollen.

Mélenchon wahrt zu Macrons Geheimgesprächen mit dem RN ein ohrenbetäubendes Schweigen. Statt Macrons Zusammenarbeit mit dem RN in der verhassten Kriegs- und Austeritätspolitik zu attackieren, knüpft er sein Bündnis mit Macron noch fester. Er ruft Arbeiter und Jugendliche nicht zu Protesten und Streiks gegen Krieg und Rentenkürzungen auf, sondern blockiert eine Bewegung der Arbeiterklasse sowohl gegen Macron als auch gegen den RN.

Eine Untersuchung von Mélenchons Rede von vergangenen Freitagabend, dem 12. Juli, mit dem Titel „Der politische Moment“ macht deutlich, warum er über Macrons Beziehungen zum RN schweigt. Ein Angriff auf Macrons Verbindungen zu den Faschisten würde Mélenchons Strategie zunichtemachen, sich mit Macron zu verbünden, um angeblich die extreme Rechte zu stoppen – wobei auch Macron die Entsendung von Truppen in die Ukraine für den Krieg gegen Russland und die Errichtung eines Polizeistaatsregimes im Inland betreibt.

An diesem Freitagabend verteidigte Mélenchon die jüngste Umbenennung des Bündnisses, das seine kleinbürgerlich-populistische Partei La France insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich) mit der kapitalistischen Sozialistischen Partei (PS) und der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) unterhält. Das Bündnis, das früher Nouvelle Union populaire écologique et sociale hieß (Neue ökologische und soziale Volksunion, NUPES), wurde in Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) umbenannt. Mélenchon behauptete, sein Vorschlag für die Neue Volksfront habe die PS und die KPF dazu gebracht, endlich gegen die Gefahr der extremen Rechten aktiv zu werden:

Ihre Überraschung, ihre Verblüffung war groß, als sie sahen, dass die NUPES tot war und die Neue Volksfront entstand. (...) Wir sagten uns, dass nichts zu teuer sein würde, denn wir wussten, dass eine Wiederherstellung der Union, egal zu welchem Preis, der schnellste Weg wäre, um das zu vereiteln, was Präsident Macron gerade tat. Er ging das immense Risiko ein, dass sein Schritt mit einem Sieg der extremen Rechten enden würde.

Mélenchons Darstellung der Neuen Volksfront als entschlossener Gegner der Rechtsextremen ist eine politische Lüge. Wenn er gegen die Rechtsextremen kämpfen wollte, müsste er Macrons Geheimgespräche mit dem RN verurteilen und sie nutzen, um den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Macron anzufeuern. Aber er tut das Gegenteil. Durch sein Schweigen macht er sich mitschuldig. Er knüpft sein Bündnis mit Macrons Koalition Ensemble fester und verfolgt damit eine Strategie, die den RN stärkt, indem sie ihm erlaubt, sich als einziger Gegner gegen Macron in Szene zu setzen.

In seiner Rede am Freitagabend lobte Mélenchon seine Strategie, Kandidaten der NFP zurückzuziehen, um bei den Wahlen Ensemble-Kandidaten gegen den RN zu unterstützen. Er prahlte, die NFP hätte sich bei diesem Bündnis „keine Illusionen“ über Macrons arbeiterfeindliche Rolle gemacht, aber dennoch bereitwillig ihre Kandidaten zurückgezogen und Macrons Kandidaten die Stimme gegeben. Mélenchon erklärte:

Da wir keine Illusionen hatten, konnten wir sie nicht verlieren. Das ist der Grund, warum wir für drei Prozent Unterschied 100 Wahlkreise in die Waagschale geworfen haben. Es gibt einige Genossen, die diese Geschichte nicht gut verkraftet haben. Es hat einige Genossen viel Mut gekostet, zu akzeptieren, dass der Wahlkreis, in dem sie beim letzten Mal gewonnen haben, nicht mehr ihnen gehört, sondern jemand anderem, der sozusagen „von der Arbeit profitiert, die sie geleistet haben“. Aber so ist es nun einmal, das ist das Gesetz des Kampfes.

Wenn das, was Mélenchon da beschreibt, ein „Kampf“ gegen Macron und die RN sein soll, wie würde dann eine Kapitulation aussehen?

Mélenchon gab dann ein bemerkenswertes Eingeständnis seines politischen Bankrotts zum Besten, als er erklärte, warum Bündnisse mit Macron angeblich die einzig mögliche Option für LFI und NFP gewesen seien. Als die Wahlen begannen, so behauptete er, hatte die Neue Volksfront „nicht die gleichen Kapazitäten wie der Rassemblement National“.

Die Neue Volksfront, so Mélenchon, sei stark geschwächt gewesen, weil die PS den Genozid im Gaza verteidigt hatte, und weil die Gewerkschaftsbürokratie die Massenstreiks gegen Rentenkürzungen im letzten Jahr verraten hatte. Deshalb habe die NFP keine andere Wahl gehabt, als sich mit Macron zu verbünden. Die bösartigen Angriffe der PS auf die Solidaritätserklärungen der LFI mit Gaza bezeichnete er beschönigend als „Differenzen“ und erklärte:

Wir schleppten auf unserem Rücken 1. die Spaltung, 2. die verlorenen Schlachten. (...) 91 Prozent der Bevölkerung sind gegen die Rente mit 64, und was passiert am Ende? Nichts, es passiert nichts. In keiner der beiden Kammern ist was passiert; die Nationalversammlung hatte keine Zeit, über den Text abzustimmen, weil der Paragraph 49-3 [mit dem Macron eine parlamentarische Abstimmung umging] angewandt wurde. Und so wurde das durchgesetzt.

In allen Sprachen der Welt nennt man das eine Niederlage. Es gibt keine Erklärung von denjenigen, die die Bewegung angeführt haben, d.h. insbesondere von den Gewerkschaften, niemand sagt uns, wie und warum wir verloren haben. (...) Die Menschen empfinden bei diesem Thema Resignation, und sie sagen: „Hört zu, okay, wir verlieren die ganze Zeit, aber wir müssen trotzdem immer wieder von vorne anfangen.“ Das ist sehr schwer.

Ein solches Eingeständnis bestätigt die Warnungen der Parti de l’égalité socialiste (PES, Sozialistische Gleichheitspartei). Wir haben vor Mélenchons opportunistischem Bündnis mit der PS und der stalinistischen CGT-Bürokratie gewarnt. Es ist eine Falle für die Arbeiter. Mélenchons Äußerungen werfen die Frage auf: Wenn Bündnisse mit der PS und der stalinistischen KPF- und CGT-Bürokratie den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Macron und den RN schwächen, warum unterstützt Mélenchon dann solche Bündnisse?

Zunächst einmal muss gesagt werden, dass Mélenchons Argument für sein Bündnis mit Macron (dass nämlich seine Neue Volksfront zu diskreditiert gewesen sei, um etwas anderes zu tun) ein Betrug ist. In Wirklichkeit haben Millionen von Arbeitern und Jugendlichen die NFP gewählt, weil sie keinen anderen Weg sahen, ihren Widerstand gegen Macron und Le Pen zu äußern. Diese linke Stimmung wäre noch stärker gewesen, wenn die LFI die Arbeiter nicht jahrelang Bündnissen mit der PS, der KPF und jetzt auch mit Macron untergeordnet hätte.

Aber zweifellos hat der Verrat der Bürokratien am Kampf gegen die Rentenkürzung zu Verbitterung und Verwirrung geführt. Dies entlarvt jedoch auch die reaktionäre Rolle, die Mélenchon selbst gespielt hat. LFI hat seine Millionen Wähler nicht in einer Streikbewegung mobilisiert, sondern forderte stattdessen, den Widerstand über das Parlament zu leiten. Mélenchon gibt jetzt praktisch zu, dass es keine praktikable parlamentarische Taktik gab, um Macrons Kürzungen zu stoppen – dass diese Strategie bankrott war. Der Grund, warum Mélenchon sie immer noch verfolgt, liegt in der Klassenbasis und dem politischen Programm der NFP.

Die Neue Volksfront ist eine Koalition zwischen der imperialistischen Bourgeoisie hinter der PS und begüterten kleinbürgerlichen Akademikern und Gewerkschaftsbürokraten in der KPF und LFI. Im Wahlprogramm der NFP wurde die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine und die Stärkung der französischen Militärpolizei und der Geheimdienste festgelegt. Die NFP ist bemüht, den massiven Widerstand der Arbeiterklasse gegen Macron, den imperialistischen Krieg, Polizeistaatsherrschaft und den RN abzublocken, denn sie hat mit Macron nur begrenzte taktische Differenzen.

Es ist allgemein bekannt, dass Mélenchons politische Karriere in Pierre Lamberts Organisation communiste internationaliste  (OCI) begann, kurz nachdem diese mit der trotzkistischen Bewegung, dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI), gebrochen hatte. Die OCI unterstützte das Bündnis Union de la Gauche (Linksbündnis) zwischen der KPF und der neu gegründeten pro-kapitalistischen Sozialistischen Partei des ehemaligen Nazi-Kollaborateurs François Mitterand. OCI-Mitglieder wie Lionel Jospin und Mélenchon traten der PS bei und wurden Minister in PS-Regierungen, die Sparmaßnahmen durchsetzten.

Mélenchons Aufrufe zum Aufbau einer „populistischen“ Bewegung erinnern an die Versprechen des Bündnisses aus PS und KPF, gemeinsam eine „Volksregierung“ zu bilden, nachdem sie sich 1972 auf ein gemeinsames Programm geeinigt hatten. Doch seit dieses Bündnis im Jahr 1981 in Frankreich die Macht übernommen und die versprochenen Reformen in der „Wende zu Sparmaßnahmen“ (1982–1983) aufgegeben hatte, und vor allem seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion 1991, ist der Rückhalt für die KPF in der Arbeiterklasse zusammengebrochen. Die Kräfte, die heute noch in der NFP existieren, sind kleinbürgerliche Kräfte, die dem Marxismus bewusst feindlich gegenüberstehen.

Dies wurde in Mélenchons Äußerungen am Freitagabend offensichtlich. Er verhöhnte diejenigen, die ihre Zeit damit verbringen, „die Werke von Karl Marx und Leo Trotzki zu vergleichen“ und betonte, er lehne den Aufbau einer marxistischen Avantgarde in der Arbeiterklasse ab:

Wir glauben, dass der Akteur der Geschichte das Volk selbst ist. Es braucht keine Bewusstseinsinjektion, wie das eine revolutionäre Avantgarde tun würde; es braucht keine Führung. Es muss aufgeklärt werden. Man muss manchmal Ereignisse auslösen, und diese bewirken selbst etwas.

Im Weiteren gab er das Kriegs- und Polizeiprogramm der NFP als Fortsetzung des gemeinsamen Programms von Mitterand und der KPF von 1972 aus:

Alle großen Aktionen, die die Linke zum Sieg geführt haben, waren immer Aktionen auf der Grundlage eines Programms. Alt wie ich bin, erzähle ich Ihnen, dass es das gemeinsame Programm war, das den Sieg 1981 ermöglichte. (...) Wir einigen uns darauf, was wir tun wollen, und so kommt das gemeinsame Programm zustande. Und viele Leute, die völlig unterschiedliche Vorstellungen von jugoslawischem Sozialismus und chinesischem Sozialismus oder überhaupt keinem Sozialismus haben, einigen sich schließlich, weil sie sagen: 'Bah ça, oui, das sieht gut aus.'

Die Krise in Frankreich entlarvt Mélenchons bankrotte Argumente. Der Kampf gegen die Rentenkürzungen letztes Jahr beinhaltet wichtige Lehren. Um „aufgeklärt“ zu sein, muss die Arbeiterklasse ihre eigene revolutionäre Avantgarde aufbauen, um die Bestrebungen konterrevolutionärer Organisationen wie der NFP, ihre Kämpfe zu sabotieren, politisch zu zerschlagen. Dies ist jetzt besonders dringlich, da die NFP den Widerstand gegen Macrons korrupte Manöver mit dem RN sabotiert, während dieser einen Krieg mit Russland vorbereitet.

Angesichts des Linksrucks bei den vorgezogenen Wahlen ist die entscheidende Aufgabe die Vorbereitung und Mobilisierung einer Bewegung der Arbeiterklasse im Kampf gegen Krieg, den Völkermord in Gaza, Sparmaßnahmen und faschistische Polizeistaatsherrschaft im Inland. Die grundlegende Voraussetzung für eine solche Bewegung besteht darin, dass sie mit der NFP bricht und deren Feindschaft gegenüber dem Sozialismus mit Verachtung von sich weist. Die grundlegenden Fragen, vor denen die Arbeiterklasse steht, können nicht im Parlament gelöst werden, sondern nur im Klassenkampf. Der einzige Weg, den Aufstieg des Neofaschismus und den Krieg zu verhindern, ist der Aufbau einer internationalen sozialistischen Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse.

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