Angesichts der französischen Staatskrise: Macrons Vertreter führen geheime Gespräche mit Neofaschisten

Am Mittwoch enthüllte die ehemals maoistische französische Tageszeitung Libération, dass hochrangige Vertreter der Regierung von Präsident Emmanuel Macron wiederholt geheime Gespräche mit der Führung des rechtsextremen Rassemblement National (RN, Nationale Sammelbewegung), Marine Le Pen und Jordan Bardella, geführt haben. Diese Treffen fanden im Privathaus von Thierry Solère statt, einem Lobbyisten mit Beziehungen zu den beiden größten Banken Frankreichs, der BNP Paribas und der Société Générale.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) empfängt die Führerin der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, am 21. Juni 2022 im Pariser Élysée-Palast. (AP Photo/Ludovic Marin) [AP Photo/Ludovic Marin]

Diese Enthüllung kommt inmitten einer beispiellosen politischen Krise in Frankreich nach den vorgezogenen Parlamentswahlen am letzten Sonntag, die ohne klare Mehrheiten endeten. Jean-Luc Mélenchons Nouveau Front populaire (NFP, Neue Volksfront) wurde stärkste Kraft vor Macrons Koalition Ensemble, die eine vernichtende Niederlage erlitt. Von der RN hatte man – seit Macron am 9. Juni Neuwahlen angesetzt hatte – zwar erwartet, dass sie die Wahlen gewinnt, sie wurde aber nur drittstärkste Kraft in der Nationalversammlung. Bisher konnte noch keine von ihnen eine Regierung bilden.

Der Bericht der Libération über die Gespräche zwischen Macron und dem RN zeigt, dass die Wahlen und Macrons gesamte Präsidentschaft auf Betrug basieren. Macron führt keinen entschlossenen Kampf gegen die Neofaschisten, die ihrerseits keine entschlossenen Verteidiger der kleinen Leute Frankreichs gegen den arroganten Banker Macron sind. Ensemble und der RN sind politische Vertreter der gleichen herrschenden Klasse, deren Vertreter wie Solère sie zu freundschaftlichen Gesprächen in luxuriösem Ambiente einladen.

Gleichzeitig entlarvt er auch den Bankrott von Mélenchons Neuer Volksfront und ihrer Perspektive, die extreme Rechte durch ein Wahlbündnis mit Ensemble zu bekämpfen. Macron hat bisher Mélenchons Drängen zurückgewiesen, die NFP eine Regierung bilden zu lassen. Ganz allgemein zeigt sich, dass die Bourgeoisie, genau wie während ihrer Kollaboration mit der Nazi-Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg, die Polizeistaatsherrschaft unterstützt und immer offenere Sympathien für rechtsextreme Kräfte hegt.

Libération hat enthüllt, wie führende Persönlichkeiten der Macron-Regierung, darunter ein amtierender Verteidigungsminister und ein ehemaliger Premierminister, sich in Solères Wohnung in der Rue Aumale im Zentrum von Paris mit Le Pen und Bardella getroffen haben. In dem Artikel mit dem Titel „Die geheimen Abendessen von Macrons Leuten mit dem RN“ wird berichtet:

Laut unseren Quellen wurden die beiden wichtigsten Führer des Rassemblement National, Marine Le Pen und Jordan Bardella, in den letzten Monaten mehrfach in die Rue Aumale eingeladen. Sie kamen nicht zur gleichen Zeit, manchmal jedoch zusammen mit führenden Mitgliedern des Präsidentenlagers, wie dem ehemaligen Premierminister Edouard Philippe und dem derzeitigen Verteidigungsminister Sébastian Lecornu, die Solère beide sehr nahestehen. Die Normalisierung des RN erfordert auch solche geheimen Treffen, um voranzukommen.

Ein solches Treffen, an dem auch Bardella teilnahm, fand am 12. Juni statt, nur drei Tage nachdem Macron als Reaktion auf den Stimmengewinn der Neofaschisten in den Europawahlen die vorgezogenen Neuwahlen angekündigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurde allgemein erwartet, dass der RN die Wahlen gewinnt, möglicherweise sogar mit einer absoluten Mehrheit. Das hätte ihr ermöglicht, die erste rechtsextreme Regierung in Frankreich seit dem Zusammenbruch des mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regimes von Philippe Pétain im Jahr 1944 zu bilden.

Libération nennt als Quellen anonyme Bewohner der Rue Aumale und des Stadtvierteils, die mitten in der Nacht von zahlreichen Dienstfahrzeugen und Leibwächtern aus den Sicherheitsabteilungen von Politikern überrascht und teilweise aufgeweckt wurden. Sie berichteten, sie hätten Le Pen, Bardella, Philippe, Lecornu und Innenminister Gérald Darmanin beim Verlassen dieser Treffen aus Solères Wohnung kommen sehen.

Solère und Lecornu reagierten auf diese Geschichte zunächst mit gleich lautenden Dementis gegenüber Libération: „Wer erzählt Ihnen diese Lügen?“ Die Zeitung kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Dementis wahrscheinlich um Lügen handelte, die im Voraus abgesprochen wurden. Libération fragte in dem Artikel: „Handelt es sich um ein Thema, das in direktem Zusammenhang mit einer Anfrage des Staatschefs [Macron] steht und deshalb geheim bleiben musste, wie es sich für einen Lobbyisten [Solère] gehört, der seine Arbeit als ,Agenda des Präsidenten‘ bezeichnet?“

Doch als Le Pen von BFM-TV zu diesen Berichten befragt wurde, bestätigte sie rundheraus, sich mit Philippe getroffen zu haben: „Wissen Sie, ich treffe alle möglichen Leute, und das ist völlig normal.“

Offenbar ist Edouard Philippe zu dem Schluss gekommen, dass seine Strategie der verlogenen Dementis nicht haltbar war. In einem Interview mit dem Nachrichtensender TF1, bei dem es um die „Unregierbarkeit“ Frankreichs ging, erklärte er gegenüber dem Nachrichtensprecher Gilles Bouleau, er habe sich tatsächlich in Solères Apartment mit Marine Le Pen getroffen: „Ja, es stimmt. Wir haben zusammen zu Abend gegessen, weil wir uns nicht gut kennen. Wir haben zu Abend gegessen und dabei in freundschaftlicher Atmosphäre festgestellt, dass wir in vielen Themen sehr große Differenzen haben.“

Als Bouleau Philippe fragte, ob es wirklich ein freundschaftliches Abendessen mit Le Pen brauche, um zu entscheiden, ob er Differenzen mit einer Neofaschistin habe, konnte Philippe nur antworten: „Ich liebe, liebe es einfach, Menschen zu treffen.“ Danach wechselte er das Thema, und Bouleau, der wusste, welche Fragen er stellen durfte und welche nicht, beendete das Interview.

Am Donnerstag gab Macron auf X/Twitter in einer Erklärung an das französische Volk bekannt, er werde den verschiedenen politischen Fraktionen in der Nationalversammlung „etwas Zeit lassen“, um zu entscheiden, welche Koalitionen für Frankreich am besten sind. Doch hinter verschlossenen Türen konspirieren alle Fraktionen des kapitalistischen Establishments – offen faschistische wie angeblich „demokratische“ – hinter dem Rücken der Arbeiter. Sobald eine Einigung erzielt ist und Macron einen Premierminister ernennt, um zu versuchen, eine Regierung zu bilden, wird diese Entscheidung eindeutig das Ergebnis ausführlicher Diskussionen mit dem RN sein.

Welche Regierung diese Kräfte auch immer zusammenstellen, und ob ihr einige Personen aus Mélenchons Umfeld angehören, sie wird eine Diktatur sein, die gegen die Bevölkerung regiert. Sie wird nicht nur von den Banken geprägt sein, die von Macron letztes Jahr trotz überwältigenden Widerstands der Bevölkerung und Massenstreiks verlangt haben, seine Rentenkürzung durchzusetzen. Sie wird auch die militärische Eskalation der Nato gegen Russland fortsetzen, die von fast neunzig Prozent der Bevölkerung in Westeuropa und den USA abgelehnt wird.

Es muss betont werden, dass die Neue Volksfront weder imperialistische Kriege noch Polizeistaatsherrschaft ablehnt. Ihr eigenes Programm enthält die Forderung nach Entsendung französischer Truppen in die Ukraine für den Krieg gegen Russland und den Aufbau der französischen Militärpolizei und Geheimdienste. Indem Mélenchon weiter an Macron appelliert, ihn zum Premierminister zu ernennen, und nichts unternimmt, um die Millionen von Arbeitern und Jugendlichen zu mobilisieren, die ihn gewählt haben, deckt er lediglich die faschistischen Manöver der herrschenden Klasse.

Die Rolle Solères in den Gesprächen zwischen der Macron-Regierung und dem RN verdeutlicht vor allem, dass die mächtigsten Teile der kapitalistischen Aristokratie eine entscheidende Rolle dabei gespielt haben, Macron und die Neofaschisten in den Mittelpunkt der französischen Politik zu stellen.

Solère ist außerdem Mitglied des einflussreichen Diskussionsclubs Le Siècle (Das Jahrhundert), in dem Spitzenvertreter der französischen Finanzwelt, Wirtschaft, Politik und Medien versammelt sind. Dazu gehören Vorstände der Banken BNP Paribas und der Société Générale, Delphine Arnault, die Tochter des Multimilliardärs Bernard Arnault, und der milliardenschwere Rüstungsmagnat Serge Dassault. Zu den politischen Persönlichkeiten gehören neben Solère auch Macron und der ehemalige PS-Premierminister Lionel Jospin. Von den zahlreichen Medienschaffenden ist im Le Siècle der ehemalige Vorstandschef von Libération, Serge July, und der aktuelle Herausgeber, Laurent Joffrin, vertreten.

Solère hat Macron mit vielen der rechten Politiker bekannt gemacht, die später in seiner Regierung hochrangige Minister werden sollten. Zu dieser so genannten „Bellota Bellota Gang“, benannt nach einem Pariser Restaurant, in dem sie sich zu spanischem Schinken getroffen haben, gehörten Edouard Philippe, Sébastien Lecornu und Gérald Darmanin. Solère distanzierte sich zwar eine Zeitlang von Macron, erklärte aber letztes Jahr gegenüber Libération: „Ich verbinde den Präsidenten mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Marine Le Pen und [dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Parti Socialiste, PS] Arnaud Montebourg.“

Diese Ereignisse verdeutlichen, dass im 21. Jahrhundert wie im 20. Jahrhundert die einzige tragfähige Perspektive für einen Kampf gegen die extreme Rechte und Krieg der Kampf für den Sozialismus gegen den Kapitalismus ist, angeführt von der Arbeiterklasse.

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