Staatsverschuldung: Dunkle Wolken über den neuen Regierungen in Frankreich und Großbritannien

Jean-Luc Mélenchon (links) und Keir Starmer [AP Photo/Thomas Padilla/Kin Cheung]

Bei den französischen Wahlen hat eine breite antifaschistische Bewegung in einem Linksruck die Ambitionen von Marine Le Pens Rassemblement Nationale (RN), die nächste Regierung zu bilden, zunichte gemacht. Im Parlament gibt es keine klare Mehrheit. Das könnte in den kommenden Wochen erhebliche Auswirkungen auf die Finanz- und Währungsmärkte haben.

Der erste Schock äußerte sich in einer leichten Abwertung des Euro. Er fiel um 0,3 Prozent, konnte sich dann aber stabilisieren. Turbulenzen, wie sie im Vorfeld der Wahlen auftraten, könnten sich jedoch wiederholen.

Einem Bloomberg-Artikel zufolge war die anfängliche Abwärtsbewegung das Ergebnis des unerwartet starken Abschneidens der Neuen Volksfront, „als Händler ein Ergebnis, das sie noch vor wenigen Tagen für beinahe unmöglich hielten, langsam verdauten. Es hat offenbar das Potenzial, die turbulenten letzten Wochen für die Märkte wieder aufleben zu lassen.“

Eine zentrale Frage für die Finanz- und Devisenmärkte ist die Höhe der französischen Staatsverschuldung. Das französische Haushaltsdefizit beträgt 5,5 Prozent des BIP und liegt damit deutlich über den nach EU-Regeln zulässigen 3 Prozent. Der Internationale Währungsfonds hat prognostiziert, dass die französische Gesamtverschuldung in diesem Jahr auf 112 Prozent steigen könnte, wenn es nicht zu Ausgabenkürzungen oder Maßnahmen zur Erhöhung der Einnahmen kommt.

Die Rendite, beziehungsweise der Zinssatz für zehnjährige französische Schuldtitel, so genannte OATs, liegt bei 66 Basispunkten (0,66 Prozent) über dem Niveau deutscher Bundesanleihen, die als die sichersten gelten. Im vergangenen Monat hatte der Abstand sogar 80 Basispunkte erreicht und war damit so hoch wie zuletzt während der Staatsschuldenkrise in der Eurozone im Jahr 2012.

Der Finanzexperte James Rossiter, Leiter der globalen Makrostrategie bei TD Securities, sprach von einem „schockierenden Ergebnis“ und schrieb in einem Kommentar, dass der Spread wieder steigen könnte. „Die Zinsmärkte gingen in die Wahlen mit dem Spread von OATs gegenüber dem Bund, der ein Szenario mit einem ungeliebten Parlament einpreiste - aber ein ungeliebtes Parlament, das vom RN und nicht von der NFP [der Neuen Volksfront] geführt wird.“

Anstatt als stärkste Partei in das neue Parlament einzuziehen, wurde die RN drittstärkste Kraft hinter der Partei des französischen Präsidenten Macron und dem Bündnis NFP, das die meisten Sitze gewann.

Bereits im Mai, noch bevor Macron die vorgezogenen Neuwahlen ausgerufen hatte, senkte die Ratingagentur Standard and Poor's ihr Rating für französische Staatsanleihen auf AA-.

Im Vorfeld der Wahlen befürchteten die Märkte, dass eine Regierung, die auf die Unterstützung der RN angewiesen ist, höhere Ausgaben tätigen würde. Diese Befürchtung hat sich nun auf die Neue Volksfront übertragen.

Nach Ansicht von Vincent Juvyns von J.P. Morgan Asset Management könnte der Wert französischer Anleihen im Vergleich zu ihren Konkurrenten sinken.

„Die Märkte könnten einen höheren Spread [d.h. einen höheren Zinssatz] verlangen, da die neue Regierung die Haushaltslage nicht geklärt hat. Die Europäische Kommission und die Rating-Agenturen erwarten Kürzungen von 20 bis 30 Milliarden, aber die Regierung wird es mit einer Partei zu tun haben, die die Ausgaben um 120 Milliarden erhöhen will.“

Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sprach die Befürchtungen der Finanzmärkte und der EU-Institutionen an: Wenn das Programm des NFP umgesetzt werde, könne das Land in eine Finanzkrise geraten.

Das Problem der Staatsverschuldung ist keineswegs auf Frankreich beschränkt. Im Vereinigten Königreich ist die Staatsverschuldung in diesem Jahr auf 104 Prozent des BIP gestiegen, verglichen mit 86 Prozent im Jahr 2019 und 43 Prozent im Jahr 2007. In Frankreich liegen die entsprechenden Zahlen nach Angaben des Internationalen Währungsfonds bei 112 Prozent, resp. 97 Prozent und 65 Prozent.

Vor den britischen Wahlen, aus denen Keir Starmers Labour Party als Sieger hervorging, erklärte der Londoner Think Tank Institute for Fiscal Studies (IFS), alle großen Parteien hätten in ihren Wahlprogrammen harte Entscheidungen vermieden.

Isabel Stockton, leitende Forschungsökonomin des Instituts, sagte: „Das Wachstum wird eher enttäuschend ausfallen und die Schuldzinsen werden hoch bleiben. Und diese Kombination von Faktoren sieht schlechter aus als bei jedem anderen Parlament in der britischen Nachkriegsgeschichte.“

Diese Einschätzung ist bezeichnend, wenn man bedenkt, dass die Attlee-Labour-Regierung, die 1945 an die Macht kam, mit einer durch die Kriegsanstrengungen stark geschwächten britischen Wirtschaft konfrontiert war.

Die Analyse des IFS wurde von der neuen Schatzkanzlerin Rachel Reeves aufgegriffen, die in ihrer ersten großen Rede erklärte, die Labour-Regierung habe „die schlimmsten Umstände seit dem Zweiten Weltkrieg“ geerbt.

Die Schuldenwolke reicht über Frankreich und Großbritannien hinaus. Nach Berechnungen von Capital Economics sind die Defizite in allen großen Volkswirtschaften um drei Prozentpunkte höher als vor der Pandemie.

Die Verschuldung stand ganz oben auf der Tagesordnung der jährlichen Sommertagung der Europäischen Zentralbank, die Anfang des Monats im portugiesischen Sintra stattfand.

In einer Rede vor den Delegierten sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass „die Haushaltspolitik von enormer Bedeutung“ sei. Die politischen Entscheidungsträger seien „sehr besorgt“, ob die Regierungen ihre Defizite wirklich im Einklang mit der EU-Obergrenze von 3 Prozent reduzierten.

Sie wies auch darauf hin, dass das Hauptziel der EZB im „Kampf gegen die Inflation“ die Löhne der Arbeiter seien. Sie argumentierte, dass Lohnerhöhungen von 5 Prozent, welche die durch die Inflation verursachten Reallohnverluste nicht ausgleichen, die Preise für Dienstleistungen in die Höhe treiben, die dann an die Verbraucher weitergereicht werden.

„Wir müssen sehen, was dahintersteht, nämlich die Lohnkosten“, sagte Lagarde.

Auch die Verschuldungssituation der USA rückt immer stärker in den Fokus. Bei einer Podiumsdiskussion während des Treffens in Sintra wurde der Vorsitzende der Federal Reserve, Jerome Powell, zu den Auswirkungen der Ausgaben- und Steuerpläne der Demokraten und Republikaner im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen befragt.

Er lehnte es ab, sich zu Details zu äußern, sagte er, bemerkte jedoch, dass die Wirtschaft zu stark für so hohe Defizite sei, und dass dieses Problem „eher früher als später“ angegangen werden müsse.

Das Congressional Budget Office (CBO) hat im vergangenen Monat seine Schätzung für das Defizit in diesem Jahr auf 1,9 Billionen Dollar oder 7 Prozent des BIP nach oben korrigiert, nachdem es im Februar noch von 1,5 Billionen Dollar ausgegangen war.

Der aktuelle Schuldenstand von rund 35 Billionen Dollar in den USA ist laut Powell „durchaus tragbar. Aber der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist in keiner Weise tragbar“.

Die wachsende Verschuldung, die zu einem großen Teil durch die von den Zentralbanken aufgezwungenen höheren Zinssätze und die eskalierenden Militärausgaben in allen großen Ländern angeheizt wird, treibt die Regierungen in eine direkte Konfrontation mit den Arbeitern. Die Finanzmärkte diktieren Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben für Sozialleistungen und fordern die Unterdrückung von Lohnforderungen.

In einem Artikel über die „erdrückende Verschuldung“ in Europa, der am 8. Juli im Wall Street Journal veröffentlicht wurde, wird eine Analyse von David Miles, einem hohen britischen Finanzbeamten, zitiert: „Geringere öffentliche Ausgaben könnten geringere Erwartungen an die Rolle des Staates erfordern. Diese Erwartungen sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beträchtlich gestiegen und haben sich möglicherweise nicht an die Realität der jüngsten schlechten Wirtschaftsleistung angepasst.“

Wie der Artikel feststellt, eröffnet diese Situation die Aussicht auf eine Wiederholung der Erfahrungen von Liz Truss im Vereinigten Königreich, womöglich in größerem Maßstab. Als die Premierministerin der britischen Konservativen kurzzeitig versuchte, die Steuern für Unternehmen und Wohlhabende zu senken, ohne die Ausgaben zu kürzen, löste sie im September 2022 eine Krise an den Anleihemärkten aus.

Diese Gefahr ist nicht auf das Vereinigte Königreich beschränkt, sondern stellt eine Bedrohung für jede Regierung dar, einschließlich der Regierung der Vereinigten Staaten.

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