Was tun gegen die AfD?

Die Europawahl vom 9. Juni hat die extreme Rechte gestärkt, die zukünftig rund ein Fünftel der 720 Abgeordneten des Europaparlaments stellt. In Deutschland wurde die Alternative für Deutschland (AfD) mit 15,9 Prozent hinter der Union zweitstärkste Partei.

Besonders ausgeprägt ist der Rechtsruck im Osten Deutschlands, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Hier ging die AfD mit knapp 30 Prozent als mit Abstand stärkste Partei aus der Europawahl hervor. In Sachsen und Thüringen, wo im September der Landtag neu gewählt wird, lag sie deutlich über 30 Prozent, in Brandenburg, wo ebenfalls Wahlen anstehen, etwas darunter.

Was ist der Grund für das Erstarken einer Partei, die an die faschistische Tradition der Nazis anknüpft?

Pseudolinke Zyniker reagieren auf das Wahlergebnis, indem sie die Wählermassen beschimpfen. Arnold Schölzel, ein Stalinist der alten Schule, schrieb in der Jungen Welt: „Das Wahlergebnis ist ein Desaster… Staatlich verordneter Mord an anderen Völkern hat jedenfalls hierzulande eine Massenbasis. Offenbar sieht es in fast allen EU-Ländern ähnlich aus.“

Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, dessen Partei MERA25 in Deutschland, Griechenland und Italien erfolglos zur Wahl antrat, jammerte auf X/Twitter: „Unsere kranken Gesellschaften, die zwischen der radikalen Mitte und dem Neofaschismus gefangen sind, können einem sterbenden Palästina, einer vom Krieg zerrissenen Ukraine und unserem eigenen Volk nicht helfen.“

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Diese Beschimpfung der Wähler soll von der eigenen Verantwortung für das Anwachsen der Rechtsextremen ablenken. Dieses ist kein Ergebnis einer Massenbewegung von unten, sondern eines Rechtsrucks von oben. Die Faschisten werden von den herrschenden Eliten gebraucht und gestärkt, um ihre Politik des imperialistischen Kriegs, des Völkermords, der sozialen Ungleichheit und der Diktatur durchzusetzen. Der gesamte Europawahlkampf war davon geprägt.

Nicht die „Massen“ unterstützen einen „staatlich verordneten Mord an anderen Völkern“, wie Schölzel in der Jungen Welt behauptet, sondern die etablierten Parteien von der Ampel über die Union bis zur AfD und der Linkspartei. Sie stehen alle uneingeschränkt hinter dem Völkermord, den das Netanjahu-Regime in Gaza an den Palästinensern verübt, und denunzieren, unterdrücken und kriminalisieren jede Opposition dagegen.

Die Zensur, das Verbot und die gewaltsame Auflösung pro-palästinensischer Demonstrationen prägten den gesamten Europawahlkampf. Selbst akademische Lehrkräfte, die das Demonstrationsrecht von Studierenden verteidigten, wurden mit Sanktionen und der Streichung von Fördergeldern bedroht. Auf diese Weise wird ein autoritärer Polizeistaat aufgebaut, der jede Form von sozialer und politischer Opposition unterdrückt; damit werden die rechtesten Kräfte gestärkt und das Programm der AfD in die Tat umgesetzt.

Im Zentrum des Wahlkampfs stand die Eskalation des Kriegs gegen Russland in der Ukraine. Die Nato riskiert einen Atomkrieg, um die Ukraine unter ihre Kontrolle zu bringen und Russland militärisch zu unterwerfen. Im Verlauf der Wahlkampagne kündigte Präsident Macron die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine an. Bundeskanzler Scholz gab grünes Licht für Angriffe auf russisches Territorium mit deutschen Waffen. Auch Varoufakis‘ MERA25 und Die Linke unterstützen den Ukrainekrieg.

Die AfD, die für eine Annäherung an Russland gegen die USA eintritt, konnte sich hier sogar als Kriegsgegnerin darstellen, obwohl auch sie für einen aggressiven Militarismus und die Unterstützung der Nato eintritt. Ihr Europawahlprogramm setzt sich für die unverzügliche Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, die Erhöhung des Wehretats, die umfangreiche Beschaffung neuer Waffensysteme, die Wiedereinführung der Wehrpflicht und den Ausbau der deutschen Rüstungsindustrie ein.

In puncto Flüchtlingshetze, dem Kernthema der extremen Rechten, bemühten sich alle anderen Parteien, die AfD rechts zu überholen. Die Abwehr von Asylsuchenden war ein zentrales Thema des gesamten Wahlkampfs. Die Bundesregierung und die Europäische Union setzen praktisch in die Tat um, was die Faschisten fordern: Die hermetische Abschottung der „Festung Europa“, auch wenn dabei Tausende sterben.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierministerin Giorgia Meloni auf dem G7-Gipfel in Italien [Photo by governo.it / CC BY-NC-SA 3.0]

Die immer wieder beschworene „Brandmauer“ gegen die Faschisten ist eine Farce. Giorgia Meloni, die langjährige Bewunderin des „Duce“ Mussolini, wird von allen europäischen Regierungschefs heftig umworben – allen voran von Bundeskanzler Scholz und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Präsident Macron löste nach der Wahlniederlage seiner Partei das Parlament auf und rollte dem rechtsextremen Rassemblement National den roten Teppich in die Regierung aus. In der Ukraine bewaffnet die Nato ein ultrarechtes Regime, das Massenmördern und Nazi-Kollaborateuren aus dem Zweiten Weltkrieg Denkmäler errichtet und politische Opposition brutal unterdrückt.

Auf dieselbe Weise werden die etablierten Parteien Chrupalla, Weidel, Höcke und Co. in den Ministerien und Staatskanzleien von Bund und Ländern willkommen heißen. Einen politischen Grund, der dagegenspricht, gibt es nicht. Schon jetzt unterscheidet sich ihre Politik nur in Nuancen.

Die etablierten Parteien, insbesondere die sogenannten „linken“, haben der AfD nicht nur mit ihrer rechten Politik den Weg geebnet, sie haben auch die Bedingungen dafür geschaffen, dass die rechtsextremen Demagogen die Wut verzweifelter Kleinbürger und selbst von Arbeitern für ihre reaktionären Zwecke ausschlachten können.

Das Ergebnis der Europawahl war vor allem ein Protest gegen die Politik der SPD, der Grünen und der Linken. Die SPD erzielte mit 13,9 Prozent ihr schlechtestes nationales Wahlergebnis seit 137 Jahren. Die Grünen fielen von 20,5 auf 11,9 Prozent. Die Linke verlor über die Hälfte ihres Stimmenanteils und landete bei 2,7 Prozent.

Von den jungen Wählern unter 25 Jahren stimmten über die Hälfte für Parteien, die noch nie in einer Regierung saßen. Vor fünf Jahren hatte noch über ein Drittel von ihnen die Grünen gewählt, jetzt waren es nur noch 11 Prozent. Sie nehmen die Grünen nicht mehr als Umwelt-, sondern als Kriegspartei wahr.

Millionen Arbeiter, Selbständige, Kleingewerbetreibende und Jugendliche erleben SPD, Grüne und Linke und die mit ihnen verbündeten Gewerkschaften seit langem als Vorreiter des Sozialabbaus und der Bereicherung der Reichen. Die Hartz-Gesetze, die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre, die Kürzung von Gesundheits-, Bildungs- und Sozialausgaben, die Steuersenkungen für die Reichen und die Milliardengeschenke an Banken und Konzerne tragen ihre Handschrift.

Die Ampel-Koalition hat den Ukrainekrieg mit Waffenlieferung im Umfang von 23 Milliarden Euro unterstützt und den Militärhaushalt allein seit dem letzten Jahr von 68 auf 91 Milliarden Euro erhöht. Diese Kosten wälzt sie in Form von Sozialkürzungen, Reallohnsenkungen, exorbitanten Energiepreisen und unbezahlbaren Mieten auf die Bevölkerung ab.

Die Opposition dagegen birgt ein enormes revolutionäres Potential. Doch dieses findet im Rahmen der bestehenden Institutionen und Parteien keinen bewussten politischen Ausdruck. Die AfD konnte die soziale Katastrophe teilweise ausschlachten, weil pseudolinke Parteien systematisch verhindern, dass die Wut und Empörung darüber sich gegen die gesamte herrschende Klasse und ihr bankrottes, kapitalistisches System richtet.

Yanis Varoufakis ist der Prototyp dieses pseudolinken Politikers, der unter dem Deckmantel linker Phrasen die Interessen der Reichen und der wohlhabenden Mittelschichten vertritt. Er wurde 2015 Finanzminister in Griechenland, nachdem die Koalition der Radikalen Linken (Syriza) mit dem Versprechen, das Spardiktat der EU zu beenden, überraschend die Wahlen gewonnen hatte.

Syriza bildete eine Koalitionsregierung mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen. Diese beendete das Spardiktat nicht, sondern einigte sie sich mit den Vertretern des internationalen Finanzkapitals auf ein noch schlimmeres Sparprogramm, das den Lebensstandard der griechischen Arbeiterklasse dezimierte. Sie verhinderte, dass der Widerstand gegen das Spardiktat das kapitalistische Eigentum bedrohte, und ebnete mit ihrem Verrat den Rechten den Weg zurück an die Macht.

In der Europawahl versuchte Varoufakis dieses Doppelspiel zu wiederholen. MERA25 trat als Gegnerin des Genozids in Gaza auf, unterstützte aber gleichzeitig die Europäische Union und den Nato-Krieg gegen Russland, obwohl die EU, die Nato und die USA die treibenden Kräfte hinter dem Genozid sind.

In Deutschland spielte Die Linke, die Schwesterpartei von Syriza, lange Zeit eine ähnliche Rolle. Sie entstand 2007 als Reaktion auf den Widerstand gegen die Hartz-Gesetze und begann sofort, diesen zu unterdrücken. In Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow seit zehn Jahren den Ministerpräsidenten stellt, ist die soziale Lage katastrophal. „Die Themen Armut und gesundheitliche Ungleichheit sind allgegenwärtig in Thüringen,“ heißt es in einer Untersuchung des Kooperationsverbunds Gesundheitliche Chancengleichheit.

Arnold Schölzel, ein Mitglied der stalinistischen DKP, war von 2000 bis 2016 Chefredakteur der Jungen Welt, die eine Schlüsselrolle dabei spielte, die Politik der Linkspartei abzudecken. Sie dient als Plattform für verschiedene stalinistische und pseudolinke Tendenzen innerhalb und im Umkreis der Linkspartei, die gelegentlich den einen oder anderen Aspekt ihrer Politik kritisieren, aber unerschütterlich an der Unterstützung der Partei festhalten.

Nun versinkt Die Linke in der Bedeutungslosigkeit. Vorher hatte sie noch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ausgespuckt, das in Sachen Migrantenfeindlichkeit und Nationalismus mit der AfD konkurriert.

Die Tatsache, dass die AfD vor allem aus Protest gegen die Kriegs- und Sozialpolitik der Regierungsparteien gewählt wird, macht sie nicht weniger gefährlich. Die Gefahr rührt heute nicht daher, dass sie eine radikalisierte, gewaltbereite Massenbewegung anführt, wie die Nazis vor Hitlers Machtübernahme. Sie kommt daher, dass die AfD über enge Verbindungen zum Staats- und Sicherheitsapparat verfügt und von den anderen Parteien systematisch gefördert wird.

Hans-Georg Maaßen, der als Verfassungsschutzchef die AfD unterstützte, während er die Sozialistische Gleichheitspartei auf die Liste linksextremistischer Organisationen setzte, ist nur die Spitze des Eisbergs. Der wachsende Einfluss von Rechtsextremen und Faschisten ist das Ergebnis der Rechtsentwicklung der gesamten herrschenden Eliten. Aufrüstung, Krieg und soziale Ungleichheit vertragen sich nicht mit Demokratie. Die Unterdrückung sozialer und politischer Opposition erfordert faschistische Methoden.

Der Kampf dagegen ist keine Frage der parlamentarischen Arithmetik, sondern des Klassenkampfs. Der Aufstieg der AfD kann nicht durch die Wahl angeblich „demokratischer“ Parteien gestoppt werden. Die Politik von SPD, Grünen und Linkspartei hat die AfD gestärkt und wird dies auch weiter tun, wenn ihnen niemand entgegentritt.

In Frankreich, wo die Aussicht auf eine rechtsextreme Regierung auf heftigen Widerstand stößt, haben die pseudolinke La France insoumise, die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und die Grünen eine „Neue Volksfront“ (Nouveau Front populaire - NFP) gebildet. Die NFP ist ein rechtes Manöver. Sie hat sich ausdrücklich bereit erklärt, im Falle eines Wahlsiegs unter Präsident Macron dessen Kriegspolitik fortzuführen – mit allen politischen und sozialen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

Der Kampf gegen die AfD erfordert die bedingungslose Ablehnung der SPD, der Grünen, der Linken, des BSW und der mit ihnen verbündeten Gewerkschaften, die selbst ein extrem rechtes Programm vertreten und den Klassenkampf unterdrücken. Er erfordert die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend, die den Widerstand gegen Krieg, Faschismus und soziale Ungleichheit mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, verbindet.

Die Voraussetzungen für eine solche Bewegung entwickeln sich rasch, das Ausmaß der gesellschaftlichen Krise und der Unzufriedenheit ist enorm. Doch sie braucht eine klare Perspektive und eine politische Führung, die es versteht, die internationale Arbeiterklasse im Kampf für ein sozialistisches Programm zu vereinen. Diese Führung bauen die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationalen Komitee der Vierten Internationale auf.

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