Sächsische Regierung verschärft Versammlungsgesetz

Die sächsische Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen hat im vergangenen Jahr einen Entwurf für eine Änderung des Sächsisches Versammlungsgesetzes (SächsVersG) vorgelegt. Im vergangenen Monat wurde er nun unter Protesten im Innenausschuss des Landesparlaments debattiert.

Demonstration gegen das sächsische Versammlunggsesetz [Photo by #NoVersgSAX]

Nach dem Polizeigesetz (SächsPolG) von 2019, das im Januar teilweise für verfassungswidrig erklärt wurde, unternimmt die Landeregierung einen erneuten Vorstoß, demokratische Grundrechte einzuschränken und einen autoritären Polizeistaat zu errichten.

Der sächsische Gesetzesentwurf ist kein isoliertes Phänomen. Bereits unter Kanzlerin Angela Merkel hatte die Bundesregierung den Polizei- und Überwachungsstaat massiv ausgebaut. Seit Beginn des Gazakriegs knüpfen nun Bundes- und Landesregierungen an braune Traditionen an und unterdrücken Anti-Kriegs-Proteste und Veranstaltungen. Dabei werden auch jüdische Menschen verhaftet.

Der Entwurf weitet in zahlreichen Bereichen die Vollmachten der Polizei aus, Versammlungen einzuschränken und zu verbieten. Dabei arbeitet er mit vagen Formulierungen, deren Interpretation staatlicher Willkür Tür und Tor öffnet. Vor allem jedoch verdreht er das demokratische Rechtsprinzip in sein Gegenteil: Statt ein Schutzrecht gegen den Staat, will die sächsische Regierung ein Schutzrecht des Staates gegen die Bevölkerung erlassen.

Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ (KGD) wirft dem Entwurf ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Grundrecht und Staatsmacht vor. Statt als „Abwehrrecht“ gegen den Staat sei es „aus einer polizeilichen und damit störungszentrierten Sicht verfasst“ und schränke „das Grundrecht der Versammlungsfreiheit vielfältig und umfassend ein“. Dass die Staatsbürger die Grundrechtsträger sind, werde noch nicht einmal in Worten anerkannt.

„Zudem“, so der Verein weiter, „wird ein verdeckter Zwang zur Kooperation eingeführt, der das Prinzip der Staatsfreiheit von Versammlungen unterläuft“.

Laut Gesetzentwurf darf die Polizei bei „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ die Namen und Geburtsdaten der Ordner verlangen und bis zu zwei Jahre speichern. Sie bekommt so eine Liste wichtiger Demonstrationsteilnehmer frei Haus geliefert, die sie bei einer Verschärfung der Repression als Verhaftungsliste nutzen kann.

Das Grundrechte-Komitee sieht darin nicht nur eine massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit, „sondern auch tiefe Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen“.

Dass sich dies vor allem gegen linke Proteste richtet, ist offenkundig. Die Weitergabe persönlicher Daten an die Polizei und vielleicht noch an andere Behörden wird Ordner rechtsradikaler Demos kaum abschrecken. Der sächsische Staatsapparat ist von rechtsextremen Strukturen durchsetzt. Die Maßnahme dient dazu, linke oder pro-palästinensische Demos einzuschüchtern und zu überwachen.

Das Grundrechte-Komitee kritisiert auch, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „öffentlichen Ordnung“ gezielt benutzt wird, um „willkürlichem Handeln des Staates Tür und Tor“ zu öffnen.

Ein weiterer Punkt betrifft die Anwesenheit von Polizisten. Deren bisherige, bereits ungenügende Pflicht, sich gegenüber der Versammlungsleitung zu erkennen zu geben, wird ersatzlos gestrichen. Damit sind dem massiven Einsatz ziviler Polizisten bzw. staatlicher Agent Provocateurs keine Grenzen mehr gesetzt.

Weitere Punkte sind:

  • Das Versammlungsrecht gilt nicht für Personen, die es „gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes“ verwirkt haben. Laut diesem Artikel verliert „die Freiheit der Meinungsäußerung“, wer sie „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“ – ein Gummiparagraph, mit dem linke und sozialistische Proteste unterdrückt werden können. So hatte der Verfassungsschutz seine Einstufung der Sozialistischen Gleichheitspartei als „verfassungsfeindlich“ damit begründet, dass sie „für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ streite, „gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ agitiere und „in Klassenkategorien“ denke.
  • Ein pauschales „Uniformierungs- und Militanzverbot“, das sich auf einen vage definierten „Eindruck der Gewaltbereitschaft“ oder eine „einschüchternde Wirkung“ beruft. Damit können einheitlich gekleidete Demonstrationen oder Proteste ganzer Berufsgruppen untersagt werden, wenn diese z.B. in Berufskleidung auftreten.
  • Ein Zwang zur Kooperation mit den Behörden, der laut KGD „die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auf den Kopf“ stellt und die „behördliche Pflicht zur Kooperation“ in „ein Regelwerk zur Disziplinierung von Veranstalter*innen“ verwandelt. Die Behörden erhalten die Möglichkeit, „massiv Druck auf die Versammlungsgestaltung wie etwa die Wahl von Zeit, Ort, Gestaltung und Inhalt auszuüben“.
  • Eine laut KGD „komplett absurde und verfassungsrechtlich unhaltbare“ Umdeutung der Versammlungsleitung. Bei nicht feststellbarer Versammlungsleitung soll qua Gesetz faktisch die Behörde deren Aufgabe übernehmen.
  • Eine Ausweitung des sogenannten Störungsverbots, das auf das Verbot von Gegendemonstrationen zielt. Statt das „Verhindern“ genügt dafür nun schon das „erhebliche Behindern” einer Versammlung. Darunter kann laut Gesetzesbegründung bereits eine „akustische“[!] Störung fallen. Ein lautstarker Protest gegen eine AfD-Versammlung kann so von der Polizei willkürlich verboten werden.

Trotz der eindeutig diktatorischen Stoßrichtung des neuen Versammlungsgesetzes spricht der innenpolitische Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann, in orwellschem Neusprech von einem „großem Schritt auf dem Weg zu einem modernen und liberalen Versammlungsgesetz“ und einer großen „Chance für mehr bürgerschaftliche Freiheit“.

Die World Socialist Web Site hatte die Kenia-Koalition in Sachsen bei ihrer Vereidigung Ende 2019 als reaktionäre Regierung bezeichnet, die ihre „rechte Agenda hinter sozialen und grünen Phrasen“ verbirgt, aber „eine massive Aufrüstung des staatlichen Repressionsapparats“ plant. Nun wird dieses Programm in die Tat umgesetzt.

Die Herrschenden regieren damit auf die wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit und ihre Kriegspolitik – sowohl in der Ukraine gegen Russland als auch im Nahen Osten, wo Israel mit der vollen Unterstützung der deutschen Regierung einen Völkermord an den Palästinensern begeht und die Konfrontation mit dem Iran anheizt.

Die Grünen haben sich aus einstigen Pazifisten in aggressive Einpeitscher für Krieg und Diktatur verwandelt. Sie stehen für massive Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine und das rechtsextreme Netanjahu-Regime, sie denunzieren Kriegsgegner als „Antisemiten“ und setzen die rassistische Abschiebepolitik der AfD in die Tat um.

Gegen die drohende Abschiebung von Pham Phi Son aus Sachsen haben in einer Petition Hunderttausende protestiert. Pham war 1987 als DDR-Vertragsarbeiter nach Deutschland gekommen, lebt inzwischen über 35 Jahre in Sachsen und soll mit Frau und Kind abgeschoben werden.

Das neue Versammlungsgesetz soll zur Landtagswahl am 1. September 2024 in Kraft treten. Offensichtlich fürchtet die herrschende Klasse angesichts eines drohenden Wahlerfolgs der AfD spontane Massenproteste. Bereits 2020 war es zu deutschlandweiten Protesten gekommen, als Thomas Kemmerich (FDP) mit den Stimmen der AfD zum kurzzeitigen Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt wurde. In diesem Jahr gingen Millionen auf die Straße, um gegen die AfD und den Rechtsruck aller Parteien zu demonstrieren.

Was für SPD und Grüne gilt, gilt ohne Einschränkungen auch für die Linkspartei. Mit Wagenknechts rechtem BSW hat sich zwar der Flügel, der offen für eine Verschärfung der Abschiebepolitik eintritt, abgespalten. Das macht den Rest der Linkspartei jedoch nicht weniger rechts. Das zeigt sich gerade auch in Sachsen.

Einer der Spitzenkandidaten der Linkspartei bei den anstehenden Europawahlen ist der Leipziger Sören Pellmann, der Wagenknecht noch im vergangenen Jahr als „unverzichtbar“ bezeichnet hatte. Andere bekannte sächsische Linkspartei-Vertreter wie Juliane Nagel sind aggressive Unterstützer der Kriegsagenda der Bundesregierung in der Ukraine und im Nahen Osten.

Wir appellieren an alle ernsthaften Arbeiter und Jugendlichen, eine schonungslose Bilanz rot-rot-grüner Politik zu ziehen. Diese Parteien sind weder Gegner diktatorischer und faschistischer Tendenzen noch ein kleineres Übel im Vergleich zu ihnen. Sie ebnen ihnen den Weg, setzen ihr Programm in die Tat um und versuchen, jeden Protest dagegen zu unterdrücken. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse kann Faschismus, Krieg und Diktatur stoppen.

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