Die rechten Wurzeln des BSW in Sachsen

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat am vergangenen Samstag im sächsischen Chemnitz seinen ersten Landesverband gegründet. Das BSW hatte sich erst im Januar als Partei konstituiert und kurz darauf ein Programm für die Europawahlen beschlossen, dessen kapitalistische und nationalistische Ausrichtung im Namen kleiner Unternehmen und Selbständiger – oder in der Sprache des BSW, des „leistungsbereiten Mittelstands“ – die Interessen der deutschen Konzerne vertritt.

Sabine Zimmermann [Photo by Marc Rudnick / Wikipedia / CC BY 4.0]

Dass der erste Landesverband in Sachsen, einem ostdeutschen Bundesland, gegründet wird, ist kein Zufall. Zum einen finden nach der Europawahl vom 9. Juni in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September dieses Jahres Landtagswahlen statt. Zum anderen kann das BSW in den ostdeutschen Bundesländern auf einen sofortigen Parlamentseinzug hoffen. Laut den stark schwankenden Umfragewerten landet er irgendwo zwischen 6 und 20 Prozent. Bereits am 15. März soll deshalb auch in Thüringen ein Landesverband gegründet werden. Für Brandenburg ist von einer Gründung noch nichts bekannt.

Dass die Organisation eines Landesverbands in Sachsen als erstes gelang, hängt auch mit der Tradition der dortigen Linkspartei zusammen. Diese hatte in Sachsen ihren mitgliederstärksten und rechtesten Landesverband. Das handverlesene Führungspersonal des BSW steht in dieser Tradition. Die 60 Mitglieder, die in Chemnitz zum Gründungsparteitag zusammenkamen, wählten die langjährige Partei- und Gewerkschafts-Funktionärin Sabine Zimmermann und den politisch eher unbefleckten Unternehmer Jörg Scheibe zum Führungsduo.

Die 63-jährige Zimmermann, die in der DDR-Baustoff- und Abfallwirtschaft tätig war, wechselte nach der Wende als Gewerkschaftssekretärin zum DGB. Nach zehn Jahren in der SPD, für die sie wenige Monate im Sächsischen Landtag saß, zog sie 2005 über die Landesliste der Linkspartei in den Bundestag ein. 2021 verlor sie ihr Mandat.

Scheibe leitet in Chemnitz ein eigenes Architektur-Büro. Wie der Unternehmer und Millionär Ralph Suikat, der Bundeschatzmeister des BSW, steht er symbolisch für die illusorische Kernbotschaft der Partei: die Versöhnung der Klassen.

Andere Gründungsmitglieder ergänzen dieses Bild. So saßen Alexander Schultz und Silke Heßberg beide im Zwickauer Kreistag, Schultz für die SPD und Heßberg als Parteilose für die Linkspartei. Heßberg war fünf Jahre lang geschäftsführende Gesellschafterin der InSenTec – Innovative Sensortechnik, bevor sie 2001 als Professorin an die Westsächsische Hochschule Zwickau wechselte.

Die soziale Orientierung und Programmatik des BSW steht in der politischen Kontinuität des Unternehmerverbands OWUS, den die Linken-Vorgängerin PDS 1994 gegründet hatte und der in Sachsen über einen seiner Schwerpunkte verfügte. Er vertrat laut eigenem Selbstverständnis mit „wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Verantwortung“ die Interessen von „kleinen und mittelständischen Unternehmen, Freiberuflern und Selbständigen“. Ähnlich definiert sich auch das BSW.

Im OWUS organisierten sich vor allem ehemalige DDR-Funktionäre, die nach der Wende Kapitalisten geworden waren. In einer Broschüre, die der Wirtschaftsverband anlässlich seines zwanzigjährigen Bestehens gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichte, wird diese soziale Basis ganz offen beschrieben:

In der Mehrzahl ehemalige SED-Mitglieder, darunter frühere aktive FunktionsträgerInnen in Partei, in Wirtschaft oder staatlicher Verwaltung, ehemalige Betriebs- oder AbteilungsleiterInnen volkseigener Betriebe, Funktionäre der Massenorganisationen wie FDJ und FDGB, LehrerInnen, Kulturschaffende, Angehörige der bewaffneten Organe und WissenschaftlerInnen.

KleinunternehmerInnen und Linke – Plädoyer für eine gemeinsame Suche nach Alternativen, S. 5

In anderen Worten, es handelte sich um Mitglieder der stalinistischen Bürokratie, die jahrzehntelang die Arbeiterklasse unterdrückt und 1990 die Einführung des Kapitalismus in die Wege geleitet hatte.

Erste Vorsitzende des OWUS war Christa Luft, die im März 1990 im Auftrag der letzten SED-Regierung unter Hans Modrow die Treuhandanstalt gegründet und mit der Privatisierung der Volkseigenen Betriebe begonnen hatte. Luft hielt ihre Erfahrungen aus dieser Zeit in ihrem Buch „Lust am Eigentum“ fest.

Aus den gewendeten stalinistischen Apparatschicks rekrutierten sich nicht nur das neue Unternehmertum im Osten, das auf seinen „gerechten“ Anteil an der Beute hoffte, sondern auch rechte politische Elemente wie Christine Ostrowski. Als Gründungsmitglied des OWUS, Stadträtin in Dresden und Spitzenpolitikern der PDS, für die sie bis 2002 im Bundestag saß, stand sie auf dem äußerten rechten Flügel der Partei. Nachdem sie bereits in den 1990er Jahren Kontakte zu regionalen Neonazis gepflegt hatte, unterstützte sie nach ihrem Parteiaustritt 2007 die PEGIDA-Bewegung. 2016 rief sie offen zur Wahl der rechtsextremen AfD auf.

Ostrowski war kein Einzelfall, sondern verkörperte eine ganze Tendenz in der PDS, die danach strebte, eine ostdeutsche „Volkspartei“ nach dem Vorbild der bayrischen CSU zu werden. Offen zutage trat diese „realpolitische“ Fraktion 2006 in Dresden mit dem Verkauf der städtischen Immobiliengesellschaft WoBa, der nur mit Zustimmung von Teilen der PDS möglich war.

Der „Erfolg“ der kurzsichtigen Begründung, Dresden werde damit schuldenfrei, währte nicht lange. Mittlerweile ist Dresden erneut verschuldet, die Mieten sind explodiert und die Stadt begann 2023 die ersten 1213 Wohnungen von Vonovia zurückkaufen, für insgesamt 87,8 Millionen Euro. Angesichts der Tatsache, dass die Stadt für rund 48.000 eigene Wohnungen damals 982 Millionen Euro erlöste, profitieren die Investoren also von einer Vervierfachung des Preises.

Damals verlies diese offen rechte Tendenz schließlich die Linkspartei. Ronald Weckesser, ein enger Vertrauter von Ostrowski, erklärte 2009 gegenüber dem Tagesspiegel seinen Austritt mit „willkürlichen“ und „verantwortungslosen“ Forderungen der Partei, wie der nach 10 Euro Mindestlohn, die er als „Populismus“ denunzierte. „Es werden Dinge versprochen, die nicht einmal dann eingehalten werden könnten, wenn wir die Wahl gewännen,“ sagte er. „Doch die Parteikonzeption lautet, das ist gar nicht wichtig, ob das realisierbar ist. Wichtig ist, dass wir die Forderung haben.“

Auch nach dem Austritt von Weckesser und Ostrowskis existierte diese offen rechte, auf „Realpolitik“ drängende Tendenz fort. 2013 stimmte die sächsische Linkspartei um ihren langjährigen Vorsitzenden Rico Gebhardt einer Grundsatzerklärung zur Schuldenbremse zu. Mit dieser sächsischen Offensive für eine „radikale linke Realpolitik“ begann auch der Aufstieg von Katja Kipping an die Spitze der Bundespartei. Zuletzt setzte Kipping als Berliner Senatorin für Arbeit und Soziales das rechte Programm der Giffey-Regierung um.

Zu den „Populisten“, die Weckesser angriff, gehörte damals auch Wagenknechts heutiger Ehemann Oskar Lafontaine. Dieser hatte zuvor 40 Jahre lang führende Partei- und Regierungsämter in der SPD ausgeübt und unter anderem als saarländischer Ministerpräsident den Kohlebergbau und die Stahlindustrie im Saarland abgewickelt. Um die Unzufriedenheit aufzufangen, die die SPD mit der Agenda 2010 und den Kriegseinsätzen der Bundeswehr hervorrief, trat Lafontaine schließlich aus der SPD aus und beteiligte sich 2007 an der Gründung der Linkspartei, die unter dem Deckmantel linker Phrasen dieselbe Sparpolitik verfolgte wie die SPD.

Angesichts einer noch größeren Wut über die Kriegspolitik und die damit einhergehenden sozialen Angriffe versucht Wagenknecht nun erneut, die Unzufriedenheit zu kanalisieren. Während der Rest der Linkspartei offen an der Seite der Ampelregierung steht und auf Grundlage von Identitätspolitik mit den Grünen um Einfluss in städtischen Mittelschichten buhlt, setzt das BSW auf eine rechte, nationalistische Agenda.

Der soziale „Populismus“, den Weckesser und Ostrowski damals beklagten, wird ersetzt durch „wirtschaftliche Vernunft“, fremdenfeindliche Hetze und nationale Parolen nach Deutschlands außenpolitischer „Unabhängigkeit“. Äußerungen Wagenknechts, dass eine Regierungszusammenarbeit mit Michael Kretschmer von der sächsischen CDU denkbar sei, schließen den Kreis. Das BSW könnte in Sachsen bald das sein, was Ostrowski und Co. schon vor 20 Jahren wollten: eine offen rechte Regierungspartei, die auf jegliche linke Maskerade verzichtet.

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