Der Tarifabschluss, den die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn AG vereinbart hat, unterstützt die Regierung dabei, die Kosten von Aufrüstung und Krieg auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Was GDL-Chef Claus Weselsky großspurig als Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich bezeichnet, ist in Wirklichkeit das Gegenteil: Reallohnsenkung und ein nach oben offener Arbeitszeitkorridor führen zu längeren Arbeitszeiten und schlechterer Bezahlung.
Die Bundesregierung spricht von einer „sozialpolitischen Zeitenwende“ und meint damit, dass die Kriegskosten durch Lohnsenkung und Sozialabbau der Arbeiterklasse aufgebürdet werden. Das Verhandlungsergebnis der GDL setzt diese Vorgabe um.
Für die ersten neun Monate – vom Vertragsende am 31. Oktober 2023 bis Ende Juli 2024 – hat die Gewerkschaft eine Nullrunde vereinbart. Hätte sie die ursprüngliche Forderung von 555 Euro monatlich durchgesetzt, hätte dies ein Einkommensplus von 4995 Euro bedeutet. Stattdessen wird in zwei Tranchen eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2850 Euro ausbezahlt.
Diese Einmalzahlungen sind nicht tabellenwirksam, wirken sich also auf die zukünftigen tariflichen Entgelte nicht aus. Diese steigen während der Laufzeit von 26 Monaten nur um monatlich 420 Euro, aufs Jahr umgerechnet sind das 194 statt der geforderten 555 Euro. Das kompensiert im besten Fall die laufende Inflationsrate, nicht aber die massiven Reallohnverluste der vergangenen zwei Jahre, die sich auf mindestens 12 Prozent belaufen. Die Entgelte bleiben damit dauerhaft weit unter dem Vor-Corona-Niveau.
Die Einführung eines so genannten Arbeitszeitkorridors in Verbindung mit der schrittweisen Absenkung der Referenzarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden zwischen 2026 und 2029 stehen in direktem Zusammenhang mit dieser Reallohnsenkung. Um über die Runden zu kommen, müssen Lokführer in Zukunft statt weniger länger arbeiten.
Der anhaltende Kaufkraftverlust ihrer Einkommen wird sie zwingen, ihre Arbeitszeit trotz des wachsenden Arbeitsdrucks zu verlängern. Ältere Kollegen, die das nicht mehr schaffen, müssen sich mit einem niedrigeren Einkommen abfinden und stehen der Bahn im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit trotzdem weiter zur Verfügung.
Die konservative Welt jubelt deshalb und schreibt: „Eine Reduzierung der Arbeitszeit wie jetzt bei der Deutschen Bahn erscheint in Zeiten von Arbeitskräftemangel fatal. Doch das greift zu kurz. Ein Blick auf Deutschlands wahre Probleme und nach Frankreich zeigt: Die 35-Stunden-Woche kann unter dem Strich sogar zu mehr Arbeit und Leistung führen.“
Das Springer-Blatt macht darauf aufmerksam, dass in Frankreich seit dem Jahr 2000 zwar offiziell eine 35-Stunde-Woche besteht, „de facto aber arbeiten die Franzosen mehr und effizienter als die Deutschen (1520 Stunden pro Jahr versus 1349).“ Begründung: „Denn die 35-Stunden-Woche ist dort, wie auch nun künftig bei der Bahn, keine Obergrenze.“ Der Arbeitszeitkorridor, der mit der 35-Stunde-Woche eingeführt wird, kann angesichts der sozialpolitischen Zeitenwende jederzeit weiter nach oben geöffnet werden und zu einer drastischen Verlängerung der Wochenarbeitszeit führen.
Die lange Laufzeit des Vertrags von mehr als zwei Jahren steht ebenfalls im Zusammenhang mit der Kriegspolitik. Deutschland entwickelt sich immer mehr zur logistischen Drehscheibe der Nato. Die Regierung will deshalb sicherstellen, dass der Transport von Waffen, Militärausrüstung und Truppen über die Schiene reibungslos funktioniert und nicht durch Streikaktionen der Lokführer gestört wird.
Selbst nach Ablauf des Vertrags Ende 2025 haben sich GDL und Bahn für längere Zeit auf einen Streikverzicht verpflichtet. Sie haben für die folgenden beiden Monate eine Friedenspflicht vereinbart. Kommt es in dieser Zeit zu keiner Einigung, dürfen beide Parteien nicht das Scheitern erklären, sondern müsse eine Schlichtung prüfen. Auch in dieser Zeit herrscht Tariffrieden und damit Streikverbot.
Mit anderen Worten, der Tarifvertrag ist ein Knebelvertrag, der unter Bedingungen rapider Kriegsentwicklung einem strategisch wichtigen Teil der Arbeiterklasse jede Möglichkeit zum Streik nehmen soll.
Krieg und Aufrüstung sind die Antwort der herrschenden Klasse auf die tiefe internationale Krise des Kapitalismus. Es handelt sich deshalb nicht um vorübergehende Erscheinungen. Nach jahrzehntelangen Bereicherungsorgien an den Börsen, der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und wachsender wirtschaftlicher Konflikte steht der Kapitalismus vor einem Gewaltausbruch. Die imperialistischen Mächte verfolgen ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen wieder mit militärischen Mitteln.
Krieg nach außen bedingt zwangsläufig Krieg nach innen – gegen die eigene Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften stehen in diesem Kampf uneingeschränkt auf der Seite der Regierung und der Unternehmer. GDL-Chef Claus Weselsky, Mitglied der CDU, ist sich wie alle anderen Gewerkschaftsführer mit der Regierung einig, die Kosten der militärischen Aufrüstung durch Lohnsenkung, Sozialabbau und verstärkte Ausbeutung zu finanzieren.
Angesichts der Kampfentschlossenheit der Lokführer hat er den Gewerkschaftsapparat eingesetzt, um ihren Widerstand in fruchtlose, befristete Warnstreiks zu zersplittern. 97 Prozent der betroffenen GDL-Mitglieder hatten Mitte Dezember für einen unbefristeten Vollstreik gestimmt. Doch die GDL-Führung weigerte sich, ihn zu organisieren, und hat einem Abschluss zugestimmt, der massive Verschlechterungen bedeutet.
Es ist notwendig, der Realität ins Auge zu sehen, dass es mit der GDL und den anderen Gewerkschaften keinen Weg vorwärts gibt. Die gutbezahlten Funktionäre in den Gewerkschaftshäusern betrachten das wirtschaftliche Geschehen vom selben Standpunkt wie die Manager in den Vorständen und die Spekulanten an den Börsen. Sie ordnen die Bedürfnisse der Arbeiter und der Gesellschaft den Profitinteressen der Konzerne unter.
Eine grundlegende Neuorientierung und Neuorganisation sind notwendig. Der Kampf gegen Reallohnsenkung und ständig steigende Arbeitshetze, die Verteidigung der Arbeitsplätze und der Kampf gegen Krieg erfordern eine sozialistische Perspektive und eine internationale Strategie. Die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung und der Gesellschaft haben Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne und Banken.
Der nationalistischen Politik der Gewerkschaften, die eng mit der Regierung zusammenarbeiten und die Kriegspolitik unterstützen, muss die internationale Zusammenarbeit der Arbeiterklasse, unabhängig von Nationalität, Herkunft und Hautfarbe, entgegengesetzt werden.
Deshalb ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees so wichtig und dringend. Nur so ist es für Arbeiter mit oder ohne Gewerkschaftsbuch möglich, sich der Logik der kapitalistischen Profitwirtschaft und der Diktatur des Gewerkschaftsapparats zu widersetzen. Nur so können Arbeiter die Organisation von Arbeitskämpfen selbst in die Hand nehmen, die internationale Zusammenarbeit entwickeln und in der Diskussion über eine sozialistische Perspektive das notwendige politische Selbstbewusstsein entwickeln.
Die Lokführer und die gesamte Arbeiterklasse müssen der „Zeitenwende“ der Herrschenden ihre eigene „Zeitenwende“ entgegensetzen. Es muss Schluss sein mit den anhaltenden Kürzungen und Verschlechterungen, die als „Kompromisse“ verkauft werden. Arbeiterinnen und Arbeiter müssen für eine antikapitalistische, sozialistische Perspektive kämpfen.
Um das umzusetzen, lädt das Aktionskomitee alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ein, am kommenden Dienstag, dem 2. April, um 19 Uhr am gemeinsamen Online-Treffen teilzunehmen, um den GDL-Abschluss, seine Folgen und das weitere Vorgehen zu diskutieren. Speichert euch die Adresse des Treffens ab: https://meet.wsws.org/Aktionskomitee
Nehmt Kontakt mit dem Aktionskomitee Bahn auf. Meldet euch per Whatsapp unter +49-163-337 8340 und registriert euch über das unten stehende Formular.