Berlin: Tausende demonstrieren gegen den Genozid in Gaza

Weltweit nehmen die Massenproteste gegen den Genozid der Netanjahu-Regierung am palästinensischen Volk zu. Auch in Deutschland kam es am Wochenende trotz Verboten und massiver Polizeipräsenz in zahlreichen Städten zu Demonstrationen, an denen Tausende teilnahmen.

Pro-Palästinensische Demonstrationen in Berlin, 28.10.2023

Das israelische Militär hat innerhalb von drei Wochen tausende Bomben auf die schutzlose palästinensische Bevölkerung abgeworfen, die Hälfte der Wohnfläche in Gaza in Schutt und Asche gelegt, Krankenhäuser und Schulen zerstört, die Strom-, Wasser- und Nahrungszufuhr unterbrochen und fast 8.000 Palästinenser – darunter 3.600 Kinder – getötet. 1.800 Kinder werden vermisst. Mehr als 1,4 Millionen Palästinenser (62 Prozent) sind auf der Flucht aus dem Norden Gazas in den Süden.

Die Verstärkung der israelischen Bombardements auf den Gazastreifen, die Netanjahu als „zweite Kriegsphase“ bezeichnet, und das Ignorieren der UN-Resolution, die eine Waffenruhe verlangt, haben allein in Berlin Tausende auf die Straßen gebracht. Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan hatte die Resolution mit den Worten attackiert: „Diese lächerliche Resolution hat die Dreistigkeit, zu einer Waffenruhe aufzurufen.“

Die größte Kundgebung in Berlin fand am Samstag in Kreuzberg auf dem Oranienplatz statt. Mehr als 10.000 Teilnehmer versammelten sich auf dem Platz, bekundeten mit palästinensischen Fahnen ihre Solidarität und verurteilten mit Plakaten und Transparenten scharf die Angriffe Israels.

Demonstration gegen den Genozid in Gaza auf dem Oranienplatz in Berlin, 28.10.2023

WSWS-Reporter und Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) sprachen mit mehreren Teilnehmern, die alle den Völkermord an den Palästinensern und die Haltung der Bundesregierung verurteilten.

„Was jetzt in Gaza los ist – das geht gar nicht!“, so eine Demonstrantin. „Das ist kein Krieg, das ist ein Genozid, die Zerstörung einer Bevölkerung!“ Sie betonte: „Anti-Israel bedeutet nicht, Antisemit zu sein.“ Judentum sei „etwas ganz anderes“ als das, was gerade der Staat Israel mache. Die Demonstrationsverbote in Deutschland gegen den Genozid bezeichnete sie als „sehr anti-demokratisch“: „Hier sollte eigentlich Meinungsfreiheit gelten, das sieht man nicht mehr.“

Ein anderer Demonstrant sagte, er komme trotz des Polizeiaufgebots zur Kundgebung, weil „die Kinder keinen mehr haben, wenn keiner was macht“. Die Palästinenser würden „als Terroristen“ beschimpft, „obwohl alle wissen, wer die Terroristen sind – die Zionisten. Es stehen heute hier viele Juden mit uns, aber man sieht, die deutsche Politik ist falsch. Die ganze Welt, auch die islamischen Länder sehen dem Genozid zu.“

Er ergänzte: „Meine Familie kommt dort gerade um, aber man kann nichts machen. Wir Palästinenser sind deshalb hier, weil wir aus unserer Heimat verjagt wurden.“

Die Politik der Bundesregierung verurteilte er als scheinheilig, denn die Flüchtlinge aus der Ukraine würden aufgenommen, aber: „Was ist mit den Syrern? Die dürfen nicht einmal arbeiten!“ Aus dem Gaza habe man „seit 75 Jahren einen offenen Knast gemacht. Und jetzt kriegen sie nicht einmal Wasser. Ist das menschlich? Wie kann denn Deutschland da noch zusehen?“

Demonstration auf dem Oranienplatz Berlin gegen den Genozid in Gaza, 28.10.2023

Metin klagte Bundeskanzler Scholz und die Bundestagsparteien an. Es könne nicht sein, „dass man aus politischen Gründen einen Völkermord gutheißt und eine Stellung bezieht, die eindeutig menschenverachtend und menschenfeindlich ist.“ Die deutsche Regierung lasse es zu, „dass unschuldige Menschen vor ihren Augen getötet werden, und verharmlose das Ganze noch nach dem Motto: Israel hat das Recht sich selber zu verteidigen.“

Hussein wies die Verantwortung für den Genozid in Gaza den USA und den Nato-Mächten zu: Was in Palästina passiert, hätten „die großen Imperialisten, die Großmächte“ verursacht. „Sie sind alle ohne Wenn und Aber für die Regierung in Israel, und wir wissen alle, was das für eine Regierung ist!“ In Nahost gehe es ebenso um geopolitische Interessen und die Vormachtstellung der USA wie im Ukraine-Krieg: „Ich bin 70 Jahre alt, ich weiß genau, dass es in diesem Konflikt, wie in der Ukraine, um Hegemonialmacht geht. Ich bin Palästinenser aus Syrien, ich habe das selbst erlebt.“

Das Verbrechen am palästinensischen Volk, das einen neuen mörderischen Höhepunkt in der seit 75 Jahren anhaltenden Unterdrückung der Palästinenser durch den israelischen Staat darstellt, stößt auf wachsenden Protest in der Weltbevölkerung und stellt immer drängender die Frage nach einer politischen Perspektive.

Mehrere Kundgebungsteilnehmer zeigten sich ratlos in Bezug auf eine mögliche Lösung des Konflikts. „Eine vernünftige Zwei-Staaten-Lösung wird ja immer unrealistischer“, erklärte eine Teilnehmerin. Durch die aggressive israelische „Siedlungspolitik wurde ja schon so viel Gebiet besetzt. Ich habe sowohl palästinensische als auch jüdische Freunde, und alle wissen im Endeffekt nicht, wie es weitergehen soll.“

Der Perspektive der WSWS und SGP gegenüber, die für einen gemeinsamen Kampf der palästinensischen und israelischen Arbeiter, eine Massenbewegung gegen Krieg und eine internationalistische sozialistische Perspektive eintritt, zeigten sich viele Teilnehmer aufgeschlossen.

Demonstration gegen den Genozid in Gaza auf dem Washingtonplatz, Berlin, 28.10.2023

Auch auf einer weiteren, kleineren Kundgebung griff das WSWS-Reporterteam ein. Diese fand auf dem Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof statt, nachdem sie von der Polizei zweimal – zuletzt vom genehmigten Platz vor dem Brandenburger Tor – verlegt worden war. Hier versammelten sich etwa 300 Teilnehmer unter der Forderung „Für Frieden im Nahen Osten“.

Auf die Situation in Gaza und die Reaktion der Bundesregierung angesprochen, erklärte Nefri, die als Palästinenserin schon lange in Deutschland lebt, betroffen und nach Worten ringend: „Der Krieg in Gaza ist extrem und für die Menschen dort das geht gar nicht, besonders die Lage der Kinder ist heftig.“

Man solle „sich ein Herz fassen“ und sich dafür einsetzen, „dass man den Kindern hilft, dass man dem palästinensischen Volk vor allem hilft“. Es sei „ein Armutszeugnis“, dass sich Außenministerin Baerbock und die Bundesregierung gegen eine Waffenruhe aussprächen. „Der Bombenhagel muss erstmal aufhören“, und dann müsse „man miteinander reden“.

Als der Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei Christoph Vandreier erklärte, dass die SGP für einen gemeinsamen Kampf der israelischen und palästinensischen Arbeiterklasse, für einen Generalstreik und eine weltweite Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Genozid und für die Rechte der Palästinenser kämpft, stimmte sie entschieden zu.

Im weiteren Gespräch brachte Nefri ihre Besorgnis über die immer offener rechte und flüchtlingsfeindliche Politik der Bundesregierung zum Ausdruck. „Meine Eltern waren selbst Geflüchtete und die Flüchtlingspolitik – also ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Es wird immer schlimmer hier!“ Sie frage sich, „wie es in zwanzig oder in zehn Jahren hier aussehen wird. Wen soll man noch wählen?!“

„Wir sind heute hier, weil wir gegen den Krieg sind“, sagte Bilal. „Wir wollen in Frieden leben. Wir wollen unsere Rechte haben als Palästinenser, in Palästina und in Deutschland, deswegen sind wir heute hier. Unter uns sind auch Juden, die wie wir für Frieden sind.“

Auf Baerbocks Ablehnung einer humanitären Waffenruhe hat er eine klare Antwort: „Wer sich gegen Waffenruhe ausspricht, soll für eine Woche in den Gaza gehen und mal ausprobieren, wie das ist, und am besten auch seine Familie mitnehmen, und dann kann er entscheiden, ob er gegen oder für Waffenruhe ist. Ich bin Palästinenser und im Flüchtlingslager in Südlibanon geboren. Und ich habe selber Krieg erlebt. Ich weiß, wie es ist, wenn die Flugzeuge kommen und schießen und die ganze Erde bebt.“

Bilal fuhr fort: „Als die israelischen Flugzeuge 16 bis 17 Kilometer von unserem Zuhause im Libanon entfernt bombardierten, haben die Wände getanzt. Es ist sehr schrecklich. Ich sag’s mal so: Es geht hier nicht nur um das Töten von Zivilisten, es geht auch um die Angst, die in die Menschen eingepflanzt wird, in die nächste Generation. Wie soll das vergessen werden? Ich habe das Glück, dass ich nach Deutschland gekommen bin, um in Frieden zu leben. Aber sie werden nie in Frieden leben, so lange dieses Regime hartnäckig ist.“

„Ich finde es schade,“, so Bilal, „dass die Großmächte nur eine Sprache kennen, und das ist leider nur die Sprache des Krieges. Ich hoffe, die reagieren darauf, dass die meisten Menschen keinen Krieg wollen.“ Illusionen mache er sich jedoch nicht, denn hinter dem Krieg „liegen andere Interessen“.

Angesprochen auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes der israelischen und palästinensischen Bevölkerung gegen die Netanjahu-Regierung, meinte er: „Es wäre sehr schön, wenn die israelische Bevölkerung auch auf die Straße geht und gegen den Krieg demonstriert. Das würde helfen und auch Druck ausüben auf ihre Regierung.“

Bilal setzt seine Hoffnungen in eine Zwei-Staaten-Lösung: „Palästinenser und Israelis“ sollten friedlich „in Nachbarländern“ nebeneinander leben. Er wisse, dass viele Israelis in Frieden mit den Palästinensern leben wollen, „aber die werden auch von der Regierung unterdrückt“.

Bilal meinte, es brauche eine internationale Bewegung. „Aber eine solche internationale Bewegung wird ständig von den USA gestoppt. Zum Beispiel ist der UN-Rat von zwei, drei Ländern gesteuert. Das ist unfair. Die deutschen Arbeiter sollten auch streiken gegen den Krieg. Ich weiß, dass die meisten hier auch gegen die Politiker sind, aber dann sollen sie das auch zeigen und auf die Straße gehen.“

Bilal befürchtet, dass sich diese Kriege in Europa und Nahost ausweiten, und „irgendwann haben wir hier auch Krieg, wenn das so weiter geht. Wir müssen das unbedingt stoppen. Keine Waffen liefern, am besten keine Waffen produzieren, einfach gegen Krieg sein.“

Mit tiefer Abscheu und großem Zorn reagierten auch H., ein älterer Teilnehmer auf der Kundgebung, und seine Begleiterin Petra auf die uneingeschränkte Unterstützung der Bundesregierung für Netanjahus Kriegsverbrechen und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Inneren.

„Die israelische Regierung ist nicht mit den Juden gleichzusetzen!“, erklärt H.. Er sei selbst Jude und habe seine Eltern im Holocaust verloren. Für ihn ist es ungeheuerlich, dass die Bundesregierung jede Kritik an der israelischen Regierung als „antisemitisch“ verunglimpft. Außenministerin „Baerbock hat sich mit den Bandera-Verbrechern gemein gemacht“, erklärte er und bezog sich dabei auf die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der von Faschisten durchsetzten Selenskij-Regierung und den auch von Deutschland finanzierten und mit Waffensystemen unterstützten Krieg in der Ukraine.

„Es gibt so viele Brennpunkte. Die Anzahl der Konflikte kann man gar nicht mehr zählen“, erklärte er und seine Begleiterin fügte hinzu: „Ich war nie Unterstützerin der Grünen, aber es ist unfassbar, wie sich die Grünen von einer Antikriegspartei zur Kriegspartei gewandelt haben.“ „Baerbock ist Kriegsministerin!“, stellte Petra kategorisch fest.

Auch andere Teilnehmer zogen Parallelen zu verschiedenen Kriegsgebieten. So trug ein Palästinenser ein selbst gefertigtes Plakat, das die Bomben verschiedener Kriege verglich.

H. und Petra stehen, so wie manch anderer Kundgebungsteilnehmer, dem Appell an die Bundesregierung, der von den Organisatoren ausging, kritisch gegenüber. Die Forderung der Veranstalter nach einer Zwei-Staaten-Lösung lehnen sie vehement ab. „Nationalismus ist eine der größten Geißeln der Menschheit, die immer zu Krieg führt“, betont Petra.

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