Zwei Wochen nachdem der kanadische Premier Justin Trudeau, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die deutsche Botschafterin Sabine Sparwasser sowie das gesamte kanadische Parlament den ukrainischen Waffen-SS-Veteranen Jaroslaw Hunka mit einer stehenden Ovation feierten, wird immer offensichtlicher, dass es sich dabei nicht um ein Missverständnis, sondern um eine gezielte Provokation handelte.
Die Logik des Ukrainekriegs erfordert die Rehabilitierung der schlimmsten Verbrechen des Nazi-Regimes. Nach dem Debakel der ukrainischen Sommeroffensive verschärfen die USA, Deutschland und die Nato den Krieg nicht nur mit Waffenlieferungen in zweistelliger Milliardenhöhe, sondern bereiten auch die Entsendung eigener Truppen vor, um die Atommacht Russland zu besiegen und zu „fragmentieren“, wie es der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates, Oleksij Danilow, kürzlich formulierte.
Das ist nur mit Methoden möglich, wie sie die Nazis in ihrem Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion anwandten, als sie über 25 Millionen Sowjetbürger sowie sechs Millionen Juden umbrachten und in Deutschland eine unbarmherzige Diktatur errichteten, um jede Opposition gegen den Krieg zu ersticken.
Hatten Trudeau und Co. ihre Huldigung Hunkas anfangs noch als Missverständnis dargestellt und angebliches Nichtwissen vorgetäuscht, gehen die Medien nun dazu über, seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS offen zu verteidigen.
Am Montag veröffentlichte die europäische Website der US-Tageszeitung Politico, die sich vollständig im Besitz des deutschen Axel Springer Verlags befindet, einen Kommentar, der Hunkas Mitgliedschaft in der Waffen-SS rechtfertigt und dabei Lügen und Geschichtsfälschungen aneinanderreiht, wie man sie bisher nur von Holocaustleugnern wie David Irving kannte.
Der Autor Keir Giles, der dem britischen Militär nahesteht, bezeichnet die Aussagen, „die Hauptaufgabe der SS war der Völkermord“ und Hunkas Mitgliedschaft in der Waffen-SS mache ihn zum Nazi, als „Propagandanarrative, die von Russland und seinen Agenten erfolgreich verbreitet werden“. “Wer damals gegen die UdSSR kämpfte, war nicht zwangsläufig ein Nazi, sondern nur jemand, der die Qual der Wahl hatte, gegen welches der beiden Terrorregime er Widerstand leisten wollte,” behauptet er.
Giles wirft „Kanadas Feinden” vor, sie hätten sich „auf diese simplen Narrative gestürzt, um die Ukraine, Kanada und die Verbindung der beiden Länder zueinander anzugreifen“. Die Behauptung, Hunkas Einheit der Waffen-SS habe “mehrere Kriegsverbrechen begangen, darunter Massenmord,“ sei „aus dem Nichts erfunden“. „Wiederholte gründliche Untersuchungen“ hätten zu dem Schluss geführt, „dass diese Einheit keine Kriegsverbrechen oder Gräueltaten begangen hat“.
In Wirklichkeit war bereits der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg 1946 zum Urteil gelangt, dass die SS eine verbrecherische Organisation sei und sich alle ihre (freiwilligen) Mitglieder Kriegsverbrechen zuschulden kommen ließen. Seither haben zahlreiche fundierte wissenschaftliche Werke – angefangen mit Eugen Kogons „Der SS-Staat“ und Raul Hilbergs „Die Vernichtung der europäischen Juden“ – unwiderlegbar nachgewiesen, dass „die Hauptaufgabe der SS“ tatsächlich der Völkermord an den Juden war. Die von Heinrich Himmler geführte Organisation trug die Hauptverantwortung für die Planung und Durchführung des Holocaust.
Doch Giles denunziert die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als russische Propagandaveranstaltung: „Russland klammert sich an die Nürnberger Prozesse als Maßstab für die Legitimität, weil es als Siegermacht nie die gleiche Rechenschaft ablegen musste.“ Mit Attacken auf “jüdische Interessenvertreter in Kanada“ und „die Freunde des Simon Wiesenthal Center”, deren Beschuldigungen mehr „durch Missverständnisse und Vermutungen als durch Geschichte und Beweise“ beeinflusst seien, stellt er seinen eigenen Antisemitismus zur Schau.
Tatsächlich ist es Giles, der die Geschichte und die Tatsachen verfälscht. So ist erwiesen, dass die galizische Division der Waffen-SS, der sich Hunka 1943 im Alter von 18 Jahren freiwillig anschloss, direkt an mindestens drei Massakern – in Pidkamin, Huta-Pieniacka und Palikrowy – beteiligt war. In Huta-Pieniacka ermordete das 4. Bataillon der SS-Division „Galizien“ am 28. Februar 1944 sämtliche polnischen Einwohner – die Schätzungen der Opfer reichen von 500 bis 1200 – und brannte das gesamte Dorf nieder.
Die SS-Division „Galizien“ war auch in Jugoslawien und an der Front gegen die Rote Armee im Einsatz, wo die Wehrmacht unzählige Kriegsverbrechen beging.
Hunkas persönliche Biografie lässt keinen Zweifel daran, dass er sich bewusst einer Mörderbande anschloss. Ostgalizien, wo Hunka aufwuchs, war ein Schwerpunkt des nationalsozialistischen Völkermords. Von den 540.000 Juden, die beim Einmarsch der Nazis dort lebten, überlebten nur zwei bis drei Prozent. Etwa jedes elfte Opfer des Holocaust stammte aus dieser Region, die etwa so groß ist wie Niedersachsen.
Ostgalizien gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn und danach zu Polen. Nach dem deutschen Überfall auf Polen wurde es von der Sowjetunion besetzt. Heute ist es Teil der Ukraine. 1941 marschierten die Nazis ein und gliederten Ostgalizien ins „Generalgouvernement“ ein, in dem sie am schlimmsten wüteten. Hier errichteten sie die Massenvernichtungslager. Rund 3 Millionen Juden und 3 Millionen Polen fielen allein im Generalgouvernement dem Nazi-Terror zum Opfer.
In Ostgalizien begannen sofort nach dem deutschen Einmarsch Massenerschießungen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Die Vernichtung der Juden zog sich über zwei Jahre hin. 200.000 wurden nach Belzec deportiert und dort ermordet. 1943 wurden die Ghettos aufgelöst und die verbliebenen Juden erschossen. Die Nazis konnten dabei auf die Unterstützung der Organisation Ukrainischer Nationalisten zählen. Sowohl der von Stepan Bandera wie der von Andrij Melnyk geführte Flügel kollaborierten mit ihnen. Aus dem Melnyk-Flügel rekrutierten sich die meisten Freiwilligen der Waffen-SS-Division „Galizien“, die 1943 gebildet wurde und der sich Hunka anschloss.
Es ist unmöglich, dass Hunka, der von 1939 bis 1943 im Städtchen Bereschany die Schule besuchte, vom Terror der Nazis nichts mitbekam. In Bereschany, wo beim Einmarsch der Nazis noch etwa 4000 Juden lebten, wurden im Herbst 1941 und im September 1942 Hunderte von ihnen auf öffentlichen Plätzen zusammengetrieben und vor den Augen der einheimischen Bevölkerung zur Deportation in Eisenbahnwagen geprügelt. 1943 töteten SS-Wachmannschaften in einer dreitägigen Aktion 1180 Juden auf dem örtlichen Friedhof, etwa zur selben Zeit, in der Hunka in die Waffen-SS eintrat.
Hunka bezeichnete die Jahre 1941 bis 1943, in denen die deutschen Besatzer in Galizien wüteten, später trotzdem als die glücklichsten seines Lebens, in denen er „die Gesellschaft reizender Mädchen, sorglos fröhliche Freunde, duftende Abende im luxuriösen Schlosspark und Spaziergänge durch die Stadt“ genoss. Das allein kennzeichnet ihn als skrupellosen Antisemiten und Kriegsverbrecher.
Seine Rehabilitierung durch Politico, eine etablierte bürgerliche Zeitung, die einem der einflussreichsten Verlagshäuser Deutschlands gehört, ist ein Alarmsignal. Sie unterstreicht, dass die Gefahr von Krieg und Diktatur nicht einfach aus der rechtsextremen Ecke droht, sondern von der gesamten herrschenden Klasse ausgeht. Der Krieg gegen Russland in der Ukraine, der von allen Vertretern der herrschenden Klasse vorangetrieben wird, ist mit der Stärkung der reaktionärsten politischen Kräfte verbunden. Er muss gestoppt werden.