US-Präsident Joe Biden wird am Dienstag Streikposten der streikenden Automobilarbeiter in Michigan besuchen. In den Medien wird Bidens Besuch als „beispiellose“ und „historische“ Unterstützungsbekundung eines amtierenden US-Präsidenten für Arbeiter dargestellt. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Versuch, den zunehmend in Misskredit geratenen Präsidenten der US-Gewerkschaft United Auto Workers, Shawn Fain, zu unterstützen, seinem „Arbeitet weiter“-Streik Glaubwürdigkeit zu verleihen und einen Ausverkauf der Arbeiter zu erleichtern.
Bidens Reise folgt auf Fains Ankündigung am Freitag, den Streik der Autoarbeiter „auszuweiten“. Das jüngste Manöver ist der Gipfel eines Streiks, der von beispiellosen Lügen und Täuschungen seitens des Apparats gekennzeichnet ist. Lediglich 5.600 weitere Beschäftigte wurden in den Teilevertriebszentren von GM und Stellantis, die die Händler und nicht die Produktionsstätten beliefern, zum Streik aufgerufen. Montage-, Motoren- oder andere Komponentenwerke sind nicht betroffen, und die Gewinne der Unternehmen werden praktisch nicht beeinträchtigt. Selbst Finanzanalysten zeigten sich überrascht, wie wirkungslos die Ankündigung von Fain war.
Die Beschäftigten im Teilevertrieb schließen sich den Beschäftigten von nur drei Werken an, die am 22. September die Arbeit niedergelegt haben. Achtundachtzig Prozent der UAW-Beschäftigten bei den Big Three bleiben an ihrem Arbeitsplatz. Sie werden von der UAW aufgefordert, „aufzustehen“ („stand up“) und ohne Vertrag wieder an die Arbeit zu gehen, oft mit erzwungenen Überstunden und ohne Schutz vor Entlassungen und Schikanen durch das Management.
Bidens Reise folgt auch auf die betrügerische Bekanntgabe der Unifor-Gewerkschaft in Kanada, die vor einer Woche erklärte, dass ihr vorläufiger Vertrag für 5.600 Beschäftigte bei Ford mit einer hauchdünnen Mehrheit von 54 Prozent angenommen worden sei.
Der Vertrag wurde auf höchst undemokratische Weise „verabschiedet“, indem die Beschäftigten gezwungen wurden, nach einer streng kontrollierten Zoom-Sitzung abzustimmen, bei der ihnen selbstgefällige Highlights der Vereinbarung präsentiert wurden. Manche Beschäftigten berichteten, dass sie nicht abstimmen konnten oder dass Unifor-Funktionäre gegen ihre eigenen Wahlregeln verstießen, indem sie Zeitarbeitskräfte erst in letzter Minute per E-Mail benachrichtigten. Dies geschah, nachdem der Vertrag um 24 Stunden verlängert worden war, um Streiks zu verhindern, den Ausverkauf zu organisieren und Garantien zu geben, dass die Abstimmung das gewünschte Ergebnis bringen würde.
Das Vorgehen des Unifor-Apparats in Kanada ist eine Warnung für alle Arbeiter in den Vereinigten Staaten. Bidens Reise soll die Voraussetzungen für die Ankündigung eines „historischen“ Abschlusses bei Ford schaffen, der in Wirklichkeit ganz im Sinne der Forderungen der Konzerne sein wird. Fain gab am Freitag bekannt, dass mit Ford, dessen Teilevertriebszentren von Fains „Ausweitung“ des Streiks ausgenommen waren, „echte Fortschritte“ erzielt worden seien.
Es ist eine Verschwörung im Gange, in die der UAW-Apparat, die Konzernleitungen und die Biden-Regierung – zusammen mit ihren Pendants in Kanada – verwickelt sind. Diese Verschwörung richtet sich gegen die Entschlossenheit der Arbeiter an der Basis, die einen echten Kampf führen wollen, um vergangene Zugeständnisse rückgängig zu machen und echte Zugewinne zu erzielen.
Bidens direkte Intervention wird von mehreren Faktoren motiviert.
Erstens ist die Regierung entschlossen, Verträge zugunsten der Konzerne durchzusetzen. Fains Darstellung, wonach sich Biden und andere Politiker des Großkapitals „entscheiden sollen, auf welcher Seite sie stehen“, ist eine Übung aus dem Handbuch der Täuschung. Fain weiß genauso gut wie Biden selbst, auf wessen Seite er steht. Während seiner gesamten politischen Laufbahn hat er die Konzerne vertreten.
Die Rede ist von demselben Präsidenten, der letztes Jahr ein „historisches“ Ausverkaufsabkommen mit den Eisenbahngewerkschaften ausgehandelt hat. Als die Arbeiter es ablehnten, arbeitete Biden mit beiden Parteien im Kongress zusammen, um einen Streik zu verhindern und den Vertrag trotzdem durchzusetzen. Es sei auch daran erinnert, dass die Obama-Regierung 2009 in Zusammenarbeit mit der UAW und mit Biden als damaligem Vizepräsidenten den Konkurs und die Umstrukturierung der Autokonzerne beaufsichtigte und dabei zehntausende Arbeitsplätze vernichtete, die Löhne von Neueingestellten um die Hälfte kürzte, Streiks verbot und die Gesundheitsversorgung für Rentner einschränkte.
Für Biden stehen jedoch noch dringendere Überlegungen im Zentrum. Die Detroit-Reise des Präsidenten findet nur wenige Tage nach einer Rede vor den Vereinten Nationen statt, in der er eine immense Eskalation des Krieges ankündigte, den USA und Nato in der Ukraine gegen Russland führen. Es folgten ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und am Wochenende die Ankündigung, dass die Biden-Regierung die Entsendung von Langstreckenraketen in den Konflikt plant, die tief in russisches Gebiet eindringen können.
Der Kongress berät derzeit über 24 Milliarden Dollar Militärhilfe für das ukrainische Regime, die zu den bisher ausgegebenen 113 Milliarden Dollar hinzukommen. All dies und noch mehr muss durch die verschärfte Ausbeutung der Arbeiterklasse bezahlt werden.
Hinter den Kulissen bereitet die Biden-Regierung eine noch massivere Eskalation des Konflikts vor. Nach dem Debakel der ukrainischen „Frühjahrsoffensive“ bereitet sich die herrschende Klasse darauf vor, von einem von den US- und Nato-Mächten gesteuerten und mit Waffen belieferten Krieg zu einem offenen Krieg unter Teilnahme von US- und Nato-Truppen überzugehen.
Krieg im Ausland erfordert die Unterdrückung des Klassenkampfes und die Entwicklung einer Kriegswirtschaft im eigenen Land. Bidens Bemühungen, Fain und den UAW-Apparat beim Verrat am Kampf der Automobilarbeiter zu unterstützen, fallen zeitlich mit den Versuchen der Writers Guild of America zusammen, den monatelangen Streik von Schauspielern und Schriftstellern zu beenden. Die herrschende Klasse sieht sich mit einer wachsenden Welle sozialer Wut konfrontiert, die massenhafte Streikabstimmungen unter Beschäftigten im Gesundheitswesen und unter akademisch Beschäftigten umfasst.
Während seiner gesamten Amtszeit hat Biden eine Strategie des Korporatismus verfolgt – die Verschmelzung der Regierung mit Unternehmen und Gewerkschaften auf der Grundlage der Verteidigung des kapitalistischen Systems. Dies tritt nun in eine neue Phase ein.
„In Zeiten des Krieges oder der Revolution“, schrieb Leo Trotzki, einer der Anführer der Russischen Revolution, im Gründungsdokument der Vierten Internationale, „wenn die Lage der Bourgeoisie besonders schwierig wird, steigen die Gewerkschaftsführer gewöhnlich zu bürgerlichen Ministern auf“. Trotzki schrieb diese Zeilen zu einer Zeit, in der die Roosevelt-Regierung die Gewerkschaften in den Staat einband, um der Streikbewegung der 1930er Jahre Fesseln anzulegen.
Dies war eine Zeit, in der die herrschende Klasse, gestützt auf die Stärke des amerikanischen Kapitalismus, versuchte, den Klassenkampf durch eine Politik der Sozialreform einzudämmen. Diese Zeit ist seit langem vorbei. Der Gewerkschaftsapparat hat unterdessen jahrzehntelang ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht und sich dabei in einen Arm der Konzernführung verwandelt.
Zwei weitere Punkte sind für Arbeiter wichtig zu verstehen. Erstens: Der Krieg gegen Russland wird von der herrschenden Klasse als Vorbereitung auf einen Krieg gegen China gesehen. Die Biden-Regierung sieht den Übergang zu Elektrofahrzeugen (EVs) im Zusammenhang mit dem eskalierenden wirtschaftlichen und geopolitischen Konflikt mit China und dem Wettlauf um den Zugang zu wichtigen Mineralien. Um die Rentabilität der EV-Produktion zu steigern, bereiten die Autokonzerne ein Arbeitsplatzmassaker vor, wobei Ford-CEO Jim Farley die Streichung von 40 Prozent der derzeitigen Arbeitsplätze prognostiziert. Was auch immer an unzureichenden Lohnerhöhungen in den „historischen“ Verträgen niedergeschrieben ist, denen die UAW zugestimmt hat, ist nur Augenwischerei, um dieser Agenda zuzustimmen.
Zweitens wird auf Bidens Besuch bei den Streikposten eine Kundgebung folgen, die der ehemalige Präsident Donald Trump am Mittwoch in Michigan organisiert. Der faschistoide Trump wird seine Reden nutzen, um nationalistisches Gift zu verbreiten, das sich insbesondere gegen die Arbeiter in China richtet, und gleichzeitig die Abschaffung aller Beschränkungen für unternehmerischen Profit und Ausbeutung fordern.
Beide Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2024 werden von großen Teilen der Bevölkerung verabscheut. Die UAW-Bürokratie wirbt für Biden als falschen Freund der Arbeiter. Trump versucht, aus der Feindseligkeit der Arbeiter gegenüber Biden und dem UAW-Apparat Kapital zu schlagen. Im Moment geben sowohl der Demokrat Biden als auch der Republikaner Trump Lippenbekenntnisse zu den Beschwerden der Arbeiter ab und versuchen, die Opposition in Kanälen zu halten, die den Kapitalismus nicht bedrohen. Aber sie werden nicht zögern, die gesamte Macht des Staates gegen die Arbeiter einzusetzen, wenn sie es für nötig halten.
Unter den Automobilarbeitern wachsen die Wut und der Ruf nach einem branchenweiten Generalstreik. Nach seinem Fototermin an der Streikpostenkette wird Biden Fain zweifellos zur Seite ziehen und ihm die gleiche Frage stellen wie bei ihrem Treffen im Weißen Haus im Juli: „Hast du die Situation unter Kontrolle?“
Die Arbeiterklasse muss darauf reagieren, indem sie die Kontrolle über den Kampf übernimmt und ein Netzwerk von Aktionskomitees aufbaut, um einen umfassenden Kampf in den Werken der drei großen Autokonzerne und über diese hinaus zu fordern und zu organisieren. Nur durch die Entwicklung von Organisationen, die unabhängig vom Gewerkschaftsapparat sind, kann ein wirklicher Kampf geführt werden, der die Unterstützung von Arbeitern in den gesamten Vereinigten Staaten und der ganzen Welt mobilisieren wird.
Gleichzeitig macht das immer direktere Eingreifen des Staates in die Unterdrückung des Klassenkampfes deutlich, dass Arbeiter nicht nur gegen eine Handvoll gieriger Unternehmen und Führungskräfte kämpfen, sondern gegen die herrschende Klasse als Ganzes und ihre beiden politischen Parteien. Die sich entwickelnde Streikbewegung der Arbeiterklasse, die durch Aktionskomitees organisiert wird, muss mit dem Aufbau einer sozialistischen politischen Führung einhergehen, die den Kampf gegen Ungleichheit und Ausbeutung mit dem Kampf gegen den imperialistischen Krieg und das kapitalistische Profitsystem verbindet.
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