Mehr als 2.800 Tote bei verheerendem Erdbeben in Marokko

Am Freitagabend kam es in Marokko in den gebirgigen Regionen nahe der Stadt Marrakesch zu einem Erdbeben, bei dem über 2.800 Menschen getötet und mehr als 2.500 weitere verletzt wurden. Am Montagabend meldete das Staatsfernsehen, dass die Zahl der Todesopfer auf 2.862 gestiegen ist und 2.562 Menschen verletzt wurden. Von den Verletzten befinden sich laut dem marokkanischen Innenministerium mehr als 1.400 in Lebensgefahr.

Bewohner des Dorfs Moulay Brahim nahe dem Epizentrum des Erdbebens außerhalb von Marrakesch fliehen am Samstag, dem 9. September 2023, aus ihren Häusern. Am Freitagabend wurden in Marokko bei einem seltenen, aber starken Erdbeben mehr als 2.000 Menschen getötet und zahlreiche Gebäude von Dörfern im Atlasgebirge bis zur historischen Stadt Marrakesch beschädigt [AP Photo/Mosa'ab Elshamy]

Die tragische Zahl der Todesopfer wird noch weiter steigen, da zu den am stärksten betroffenen Gebieten abgelegene Bergdörfer gehören, welche die Rettungsteams wegen der schlechten Infrastruktur und fehlender Notfallplanung nur sehr schwer erreichen können. Es ist weiterhin unklar, wie viele tausende Menschen noch immer unter Trümmern verschüttet sein könnten.

Das Epizentrum des Erdbebens von Freitag lag in der Nähe von Ighil in der Provinz Al-Haouz, etwa 70 Kilometer südlich von Marrakesch, der viertgrößten Stadt des Landes. Das Beben der Stärke 6,8 erschütterte laut der United States Geological Survey (USGS) den Hohen Atlas in einer relativ geringen Tiefe von 18,5 Kilometern. Es war das tödlichste Beben in Marokko seit 1960, als bei einem Erdbeben der Stärke 5,8 nahe Agadir mindestens 12.000 Menschen ums Leben kamen.

Laut Schätzungen von Vertretern der Vereinten Nationen sind 300.000 Menschen von dem Erdbeben betroffen. Es war in ganz Marokko zu spüren, u.a. in den Küstenstädten Imsouane und Essaouira, 180 bzw. 200 Kilometer westlich von Marrakesch, in der Hauptstadt Rabat, 350 Kilometer nördlich des Epizentrums, sowie in Portugal und Algerien.

Die meisten Todesopfer wurden aus den gebirgigen Provinzen Al-Haouz und Taroudant gemeldet. Das Dorf Tafeghaghte, 64 Kilometer südwestlich von Marrakesch, wurde fast völlig zerstört. Die Krankenhäuser in Marrakesch verzeichnen einen enormen Zustrom an Verletzten, und die Behörden rufen die Einwohner zum Blutspenden auf.

Die Region befindet sich in einer bekannten Erdbebenzone, in der auch die marokkanische Berber-Bevölkerung lebt. Das Regime von König Mohamed VI. hat die Region systematisch isoliert, um sich auf Entwicklungsprojekte in Großstädten wie Marrakesch zu konzentrieren, und die Proteste der Bewohner der Region dagegen unterdrückt.

Samia Errazzouki, Forschungsstipendiatin für Marokko an der Stanford University, erklärte: „Diese Region ist, auch ohne Naturkatastrophen und an einem normalen Tag, eine der am schwersten zugänglichen, weil die Infrastruktur so schlecht ist. Die Straßen und der Zugang zu dieser Region sind ohnehin schon schwierig, und dann kommen noch Schwierigkeiten mit Trümmern oder Straßenschäden hinzu. Man bräuchte ein Wunder, um dort Soforthilfe zu leisten.“

Sie fügte hinzu: „In diesen Regionen gab es in der Vergangenheit immer wieder Erdbeben, aber sie wurden auch marginalisiert. Wenn Leute Hilfe, Infrastruktur und Entwicklung forderten, wie während der Hirak-Bewegung 2016, werden sie ins Gefängnis geworfen... Selbst an guten Tagen ist die Region schwer zugänglich und es fehlt an grundlegender Infrastruktur. Das Krankenhaussystem dort ist katastrophal.“

In der Bevölkerung wächst die Wut über die langsame Reaktion der Monarchie auf die Katastrophe und die Untätigkeit von König Mohamed VI., der sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in einem seiner Anwesen in Frankreich aufhielt. Der Guardian schrieb dazu: „Obwohl er erschien, um die Krisensitzung zu leiten, sagten einige, dass wichtige Stunden verlorengegangen sind, weil die Erlaubnis und die Kontrolle des Palasts benötigt wurde.“

Angesichts der verzögerten Rettungseinsätze graben viele Dorfbewohner mit selbst hergestellten Werkzeugen oder bloßen Händen, um die Toten aus den Trümmern zu bergen. Durch die Zerstörungen in Folge des Erdbebens sind viele Überlebende obdachlos. Wasser, Nahrungsmittel und andere notwendige Hilfsgüter sind knapp, und viele haben bereits seit drei Nächten keine Unterkunft.

Ayman Al Zubair von Al Jazeera berichtete aus dem Dorf Ait Yahya in der Provinz Taroudant: „Es herrscht eine traurige Stimmung in der Bevölkerung, und sie haben Angst, wann die Hilfe für sie eintreffen wird... Sie haben etwas Hilfe in Form von Nahrungsmitteln erhalten, aber ihre wichtigste Forderung ist Unterkunft. In dem Gebiet herrscht auch Wassermangel, und weil es tote Tiere gibt, die nicht eingeäschert wurden, wird der Ausbruch von Krankheiten befürchtet.“

Ein Einwohner von Amizmiz, 55 Kilometer südlich von Marrakesch, erklärte gegenüber Al Jazeera, alle Einwohner hätten ihre Häuser verloren, und jede Familie trauere um Angehörige, die bei dem Erdbeben ums Leben gekommen sind.

Ein anderer Einwohner von Amizmiz erklärte gegenüber Al Jazeera: „Wir befinden uns in einer Krise. Wir fordern König Mohamed VI. auf, uns Hilfe zu schicken, weil wir eine traumatische Situation durchmachen.“ Er fügte hinzu, im Dorf gebe es keinen Strom, keine Nahrungsmittel und keine sonstigen notwendigen Hilfsgüter.

Der 36-jährige Yassin Noumghar aus dem Dorf Moulay Brahim erklärte: „Wir haben unsere Häuser verloren, wir haben Angehörige verloren, und wir schlafen seit zwei Tagen im Freien. Ohne Nahrung und Wasser. Es gibt auch keinen Strom. Wir wollen nur, dass unsere Regierung uns hilft.“

Genau wie bei dem schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Februar 2023 ist auch die schreckliche Zahl an Todesopfern bei dem Beben in Marokko nicht in erster Linie eine Naturkatastrophe, sondern vor allem eine soziale Katastrophe, die in der grotesken sozialen Ungleichheit des kapitalistischen Systems ihre Ursache hat. Mit einer angemessenen und sicheren Gebäudeinfrastruktur können Städte auch stärkere Erdbeben überleben als das, dass Marokko am Freitag erschütterte. Bei einem Erdbeben der Stärke 7,4 im japanischen Fukushima im Jahr 2022 starben nur vier Menschen an Erdbebenschäden.

In der Türkei und Syrien starben mehr als 50.000 Menschen, und jetzt sind tausende weitere in Marokko gestorben, weil die staatlichen Behörden grundlegende Sicherheitsrichtlinien ignorieren und keine sicheren Häuser und Infrastrukturen gebaut werden.

Trotz der jüngsten Erdbeben sind in Marokko viele Gebäude, vor allem im ländlichen Bereich der Erdbebengebiete, nicht darauf ausgelegt, solchen Erschütterungen standzuhalten. Dies zeigte sich noch deutlicher, als Hotelmanager in Marrakesch bei dem verzweifelten Versuch, die Touristen in der Stadt zu beschwichtigen, von dem riesigen Unterschied zwischen den relativ begrenzten Erdbebenschäden in Marrakesch selbst im Vergleich zu den Verwüstungen in den nahe gelegenen Dörfern sprachen.

Samuel Roure, der Präsident des Gaststättenverbands von Marrakesch, erklärte gegenüber Le Monde: „Wenn ich die Bilder vom Erdbeben sehe und in den Medien über Marrakesch lese, habe ich nicht das Gefühl, im gleichen Land zu leben... Ich bin seit 7:30 Uhr in Medina unterwegs, und von den 10.000 Riads (Häusern und Gästezimmern) in der Stadt sind kaum 50 eingestürzt.“ Er fügte hinzu, in Marrakesch sei die Infrastruktur, im Gegensatz zu den umliegenden Dörfern „intakt, der Flughafen ist in Betrieb, ebenso die Telekommunikation, die Wasser- und Stromnetze.“

Durch massive öffentliche Arbeitsprogramme zum Aufbau wichtiger sozialer Infrastrukturen und zur Verstärkung von Häusern könnte die Menschheit weltweit erdbebensichere Städte bauen. Das kapitalistische System ist jedoch unfähig, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Stattdessen werden Billionen Dollar für imperialistische Kriege und Bankenrettungen zugunsten der Superreichen ausgegeben. Um vermeidbare Todesfälle durch Erdbeben zu verhindern, muss die internationale Arbeiterklasse den Kampf gegen den Kapitalismus und für die Unterordnung des privaten Profitstrebens unter wichtige soziale Bedürfnisse aufnehmen.

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