Bei den Parlamentswahlen am Sonntag haben die rechte Volkspartei (PP) und die neofaschistische Vox keine absolute Mehrheit errungen. Am Montag zählten PP und Vox zusammen 169 Sitze, das sind sieben zu wenig, um im Parlament die Mehrheit zu bilden. Die Sozialistische Partei (PSOE) und Sumar erreichen zusammen 153 Sitze.
Der PP-Vorsitzende Alberto Nunez Feijoo hat erklärt, er werde versuchen, eine Regierung zu bilden. Allerdings könnte er mit allen Unterstützern maximal einen Block von 170 Sitzen mustern, denen 172 Sitze eines PSOE-geführten Blocks gegenüberstünden. Dies deutet darauf hin, dass eine wochenlange Hängepartie folgen könnte. Denkbar ist auch die Neuauflage einer Minderheitsregierung aus Sozialistischer Partei (PSOE) und Sumar, die mit Unterstützung von nationalistischen und regionalistischen Parteien regieren würden.
Die PP konnte ihre Stimmen und Sitze aus der Wahl 2019 deutlich verbessern: von damals 5 Millionen und 89 Sitzen auf heute 8 Millionen (33 Prozent) und 136 Sitze. Sie hat 47 Sitze hinzugewonnen, weil sie ihren rechten Flügel auf Kosten der regelrecht eingebrochenen Ciudadanos (Bürgerpartei) konsolidieren konnte. Sie hat aber auch Stimmen von Vox hinzugewonnen, deren Stimmenzahl von 3,6 Millionen und 52 Sitzen im Jahr 2019 auf 2,8 Millionen (12 Prozent) und 33 Sitze zurückging.
Im Wesentlichen teilt die PP das neofaschistische Programm von Vox, die aus einer Abspaltung von ihr entstanden ist. Die PP schreckt nur vor der extremen Rhetorik von Vox zurück und ist bemüht, ihrer Agenda des Klassenkampfs von oben und des Militarismus einen Anschein von Seriosität zu verleihen.
Die wichtigste Wahlverschiebung bestand darin, dass die Stimmen von Arbeitern und Jugendlichen stark zugenommen haben: Ihnen ging es darum, Vox an einem Eintritt in die Regierung zu hindern. Diese Partei bekennt sich offen zu Franco-Spanien, und es wäre das erste Mal seit dem Fall der Diktatur und dem „Übergang zur Demokratie“, dass eine solche Partei an die Macht käme. Die Wahlbeteiligung stieg um 4 Prozent, von 66 Prozent im Jahr 2019 auf 70 Prozent am Sonntag. Das war die höchste Beteiligung seit 15 Jahren.
So haben sich die PSOE und ihr noch-amtierender Ministerpräsident Pedro Sánchez trotz ihrer rigorosen Spar- und Kriegsmaßnahmen der letzten vier Jahre als Hauptgewinner der Wahl erwiesen. Die PSOE konnte von 6,8 Millionen Stimmen und 120 Sitzen im Jahr 2019 auf 7,7 Millionen (31 Prozent ) und 122 Sitze zulegen.
Es ist bezeichnend, dass die meisten Stimmen für die PSOE aus Katalonien und dem Baskenland auf Kosten der separatistischen Parteien und des Wahlbündnisses Sumar gingen.
Sumar, eine Wahlplattform von 15 Parteien, gewann 31 Sitze mit 2,9 Millionen Stimmen (12 Prozent der Stimmen). Zu Sumar gehörte auch die massiv diskreditierte pseudolinke Podemos, die heute von der amtierenden stellvertretenden Ministerpräsidentin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz angeführt wird. Verglichen mit den 38 Sitzen und 3,4 Millionen Stimmen von 2019 hat Sumar etwa eine halbe Million Stimmen verloren. Das bestätigt vor allem, dass Podemos auch unter ihrem neuen Namen ihre Abwärtsspirale fortsetzt, nachdem sie vier Jahre lang an der Regierung war und Krieg und Sparmaßnahmen unterstützt hat.
Sumar ist dermaßen unbeliebt, dass ihre Vorsitzende Díaz eine Kundgebung in Cádiz abbrechen musste, als Metallarbeiter dort auftauchten, sie unterbrachen und nicht mehr zu Wort kommen ließen.
Mit zusammen 153 Sitzen benötigen PSOE und Sumar die Unterstützung von Nationalisten und regionalistischen Parteien, um die absolute Mehrheit von 176 Sitzen zu erreichen. Dazu gehören auch die sieben Sitze der Partei „Junts per Catalunya“ (Gemeinsam für Katalonien), die der frühere katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont anführt. Er hat sich bei diesen Wahlen als eine Art Königsmacher erwiesen.
Puigdemont und andere Mitglieder der katalanischen Regierung wurden am 30. Oktober 2017 wegen Rebellion, Aufruhrs und Missbrauchs öffentlicher Gelder angeklagt, weil sie ein Referendum angesetzt und anschließend die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen hatten. Puigdemont floh anschließend nach Belgien. Anfang dieses Monats hat der Gerichtshof der Europäischen Union ihm die Immunität als Mitglied des Europäischen Parlaments entzogen. Nun erwartet er, dass der Oberste Gerichtshof Spaniens einen neuen Europäischen Haftbefehl mit reduzierten Anklagepunkten erlässt.
In den Medien wird darüber spekuliert, was die separatistischen Parteien von der PSOE für eine Neuauflage ihrer Unterstützung verlangen könnten. Im Gespräch ist die Möglichkeit eines rechtlich sicheren Referendums – wobei dies angesichts der sinkenden Unterstützung für die Separatisten eher unwahrscheinlich ist.
Die rechte Presse hat eine heftige Kampagne gegen Sanchez losgetreten: Er könne offenbar nur regieren, indem er „die Einheit Spaniens preisgibt“. Auch Vox-Chef Santiago Abascal lästerte über diese Regierung „mit Unterstützung des Kommunismus“ und abhängig von „putschistischem Separatismus und Terrorismus“.
Eine längere Periode der politischen Lähmung und der zunehmenden Krise könnte bevorstehen. Im Jahr 2019 brauchte es drei Wahlen, bevor sich PSOE und Podemos auf die Bildung der ersten spanischen Koalitionsregierung einigen konnten.
Die Wahlen haben kein einziges wesentliches politisches Problem gelöst, das vor Arbeitern und Jugendlichen steht. Eine PSOE-Sumar-Regierung wird die wachsende Gefahr, die von den politischen Erben des faschistischen Generals Francisco Franco ausgeht, nicht beseitigen. Vielmehr wird das Wahlergebnis dazu genutzt werden, um Arbeiter zu erpressen, damit sie sich hinter Sánchez stellen. Es ist der Versuch, eine Linksbewegung im Keim zu ersticken.
Die Regierung hat zuletzt einen Ausbruch von Kämpfen gegen ihre Kriegs- und Austeritätspolitik erlebt. So bestand das Hauptziel der Wahlstrategie von PSOE und Sumar darin, die Arbeiterklasse daran zu hindern, unabhängig und in ihrem eigenen Interesse zu intervenieren.
Im Wahlkampf kam keins der großen Themen zur Sprache, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist: weder die Beteiligung Spaniens am Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine, noch die Verschlechterung der sozialen Bedingungen durch niedrige Löhne, steigende Preise und Mieten und Hypotheken, noch auch die zunehmenden Angriffe auf die demokratischen Rechte. Stattdessen war der Appell allgegenwärtig, alle frühere Kritik zu vergessen und bloß dafür zu sorgen, dass PP und Vox nicht an die Regierung kämen.
Als Sánchez am Sonntag in der PSOE-Zentrale feierte, erklärte er zynisch, dass die Niederlage des „regressiven Blocks“ verhindert habe, „dass alle Fortschritte, die wir in den letzten vier Jahren erzielt haben, wieder rückgängig gemacht werden“.
Sollte es zur Neuauflage einer PSOE–Sumar–Regierung kommen, dann wird der Appell: „Einheit gegen Faschismus“ weiterhin als Waffe gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden. Diese Regierungspolitiker haben in den letzten vier Jahren auf die Beteiligung Spaniens am Nato-Krieg gegen Russland gesetzt und Renten und Löhne gekürzt, um den Militärhaushalt massiv anzuheben. Während der Corona-Pandemie haben sie mehrere Rettungsaktionen für Großbanken und Unternehmen gestartet und eine Politik des Profits über das Leben durchgesetzt.
Als die Metallarbeiter in Galicien vor kurzem für Löhne über der Inflationsrate streikten, schickte die amtierende Regierung Polizeikräfte zu Hunderten, um den Streik mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas niederzuknüppeln. Gegen das streikende Flugpersonal verhängte sie drakonische, streikfeindliche Dienstpflicht-Gesetze.
Vor allem hat die PSOE-Podemos-Regierung in den vergangenen Monaten ihre Kriegsanstrengungen verstärkt. Sánchez reiste nach Kiew und versprach die Unterstützung der EU für die Ukraine, „egal wieviel es kostet“. Er nahm am Nato-Gipfel in Vilnius teil und versprach, Spanien werde erstmals 700 Soldaten in der Slowakei stationieren und seine Präsenz in Rumänien um 250 Soldaten aufstocken, um die Einkreisung Russlands durch die Nato zu verstärken. Es gab kein einziges Interview, in dem Díaz oder ihre Nummer zwei, Agustín Santos, nicht die Unterstützung von Podemos/Sumar für das „Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung“ gegen „Putins illegalen Krieg“ verkündeten.
Auch hat die Regierung 37 Flüchtlinge vor der Küste der Kanarischen Inseln ertrinken lassen, ganz im Sinne der menschenverachtenden neuen EU-Beschlüsse.
Vor 56 Tagen hat die Regierung auf ein Wahldebakel bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai damit reagiert, dass sie Neuwahlen ansetzte. Und selbst in diesen 56 Tagen, die seither verstrichen sind, hat die Übergangsregierung ein Schreiben an die EU gerichtet, in dem sie sich zu Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 24 Milliarden Euro im nächsten Jahr verpflichtet.
Eine neue PSOE-Sumar-Regierung käme inmitten der größten Streikwelle in Europa seit den 1970er Jahren an die Macht. Gleichzeitig eskalieren Spanien und das ganze Nato-Bündnis ihren Krieg in der Ukraine gegen Russland, sie beteiligen sich an den Provokationen gegen China und lassen es zu, dass die grassierende Inflation die Klassenspannungen zum Siedepunkt bringt. Die PSOE und Sumar, die die Interessen der wohlhabenden Mittelschicht vertreten, rücken weiter nach rechts und werden mehr und mehr mit polizeistaatlichen Maßnahmen reagieren.
Die Lösung der kapitalistischen Krise ist nicht im spanischen Parlament oder in den Manövern von Sumar, Podemos, der Stalinisten und der Gewerkschaftsbürokraten zu finden. Sie erfordert den globalen Klassenkampf. Wie die WSWS in ihrer Perspektive vom Samstag schrieb, besteht der Weg vorwärts darin, klarzumachen, dass in diesem Aufschwung in Spanien und auf der ganzen Welt Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) aufgebaut werden müssen. Sie werden die internationale Arbeiterklasse in einer Bewegung vereinen, die den imperialistischen Krieg beenden und die Staatsmacht auf sozialistische Weise übernehmen wird.