Wenn es nach den Fachschaftsvertretern der Ruhr-Universität Bochum (RUB) geht, sollen sozialistische und antimilitaristische Studierendengruppen zensiert und vom Campus verbannt werden. Am Montag stimmte die FachschaftsvertreterInnenkonferenz (FSVK) mehrheitlich für einen Antrag, der die Universitätsleitung aufruft, entsprechende Veranstaltungen zu verbieten und „diesen Gruppen“ „keine Ressourcen“ bereitzustellen und „keine Plattform“ zu geben, da ihre Standpunkte „nichts auf dem Campus der RUB zu suchen haben“.
Der Beschluss bezieht sich auf eine gut besuchte öffentliche Veranstaltung der International Youth and Students for Social Equality am 11. Mai, in deren Rahmen die trotzkistische Jugendorganisation die historischen und politischen Hintergründe des Ukrainekrieges analysierte. Die Veranstaltung rief zum Aufbau einer Massenbewegung gegen Krieg auf und appellierte an die ukrainischen und russischen Soldaten, sich gegen die Kriegstreiber zu verbrüdern.
Der Beschluss beschimpft die antimilitaristischen Standpunkte der IYSSE als „prorussische Narrative“ und geht so weit, den Aufruf zur internationalen Verbrüderung zu einem „Aufruf zu Gewalt“ umzudeuten. Er wendet sich im Namen der „liberalen Demokratie“ gegen jede sozialistische oder antimilitaristische Position.
Im Vorfeld der Abstimmung hatten die IYSSE an der RUB ein Statement veröffentlicht und auf dem Campus verteilt, das die Verleumdungen und Unterstellungen des Antrags ausführlich zurückweist. Die IYSSE erklärten, dass der Ruf nach einem Verbot von Antikriegsveranstaltungen darauf abziele, „jede Kritik an der deutschen Kriegspolitik zu unterdrücken“. Dies sei „Teil einer breiten Offensive, die Universitäten wieder in Zentren des Militarismus zu verwandeln“, und dürfe von Studierenden nicht akzeptiert werden.
Zahlreiche Studierende und Leser der World Socialist Web Site verfassten daraufhin Protestmails an die FSVK, in denen sie das antidemokratische Vorgehen des Gremiums scharf kritisierten und die studentische Meinungsfreiheit verteidigten.
Dabei wurde der Antrag mit völlig undemokratischen Methoden durchgedrückt. Obwohl das Statement und die Protestbriefe von den Antragstellern und der Sitzungsleitung auf dem Treffen der FSVK explizit thematisiert wurden, wurde IYSSE-Mitgliedern verweigert, zu den geäußerten Vorwürfen Stellung zu nehmen. Auf die Wortmeldung eines IYSSE-Vertreters entgegnete ein Sprecher der FSVK, dass in der Sitzung „keine Diskussionsmöglichkeit“ vorgesehen sei. Die Redebeiträge von Unterstützern des Antrags wurden jedoch zugelassen.
Als der IYSSE-Vertreter daraufhin den Vorschlag machte, wenigstens das Flugblatt im Plenum zu verteilen, um alle Stimmberechtigten über die Positionen der IYSSE zu informieren, verwahrte sich der Sprecher dagegen und erklärte, dass die Sichtweise der IYSSE für die Abstimmung „nicht relevant“ sei.
Schon in der vorherigen Sitzung, in der Steven S. und Robin W. den Antrag eingebracht hatten, hatten die Fachschaftsvertreter die studentische Öffentlichkeit von der Diskussion ausgeschlossen.
Auch die Abstimmung am Montag fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Vertreterinnen und Vertreter des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), der Bochumer Studierendenzeitung BSZ sowie der IYSSE mussten den Sitzungsort verlassen und durften das Gebäude erst nach der Abstimmung wieder betreten.
Während das Ergebnis der Abstimmung sofort verkündet wurde, hat die FSVK das genaue Abstimmungsverhältnis auch auf schriftliche Nachfrage bis Redaktionsschluss nicht mitgeteilt.
Studierende auf dem Campus der RUB reagierten empört auf den Beschluss der FSVK: „Fachschaften gehen gegen Studierende vor?“ Fast alle Studierende, mit denen IYSSE-Mitglieder in den folgenden Tagen sprachen, verteidigten die Demokratie und wiesen den Beschluss zurück: „Ich bin auf jeden Fall auf eurer Seite, ihr solltet eure Veranstaltungen halten dürfen“, war eine weitverbreitete Reaktion. Viele kündigten an, einen Protestbrief an die FSVK zu schreiben und die IYSSE zu unterstützen.
Neben den Diskussionen mit Studierenden auf dem Campus sprachen IYSSE-Mitglieder auch mit der Bochumer Studierendenzeitung und mehreren AStA-Referenten. Sie warnten davor, dass die Universitätsleitung den Beschluss der FSVK nutzen werde, um gegen alle kritischen Studierenden vorzugehen, die die Einbindung der Universitäten in einen dritten Weltkrieg ablehnen. Es sei unbedingt erforderlich, studentische Kritik an der deutschen Kriegspolitik zu verteidigen, anstatt die Universitätsleitung darin zu unterstützen, gegen kritische Studierende vorzugehen.
Schon heute ist die Ruhr-Universität eng in den deutschen Militarismus eingebunden. Im März 2019 gründete die Universität einen Exzellenzcluster „Cyber-Sicherheit im Zeitalter großskaliger Angreifer“, das am Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit (HGI) der Ruhr-Uni beheimatet ist.
Der Cluster, so die offizielle Webseite, „gilt international als eine der führenden Forschungsstätten in dem Feld“, bindet Informatiker, Mathematiker, Ingenieure und Psychologen ein und „verfügt über umfangreiche akademische und industrielle Netzwerke“, darunter mehrere IT-Lieferanten der Bundeswehr.
Professor Jörg Schimmelpfennig, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, ist „Senior Research Fellow“ am German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS), einem militärischen Thinktank der Bundeswehr. Dort hetzt er in Vorträgen und Strategiepapieren gegen „den Traum einer regelbasierten Weltordnung“ und plädiert stattdessen für die massive Aufrüstung der Bundeswehr. Frieden, so der Professor, könne nur militärisch durchgesetzt werden.
Das Bundeswehr-nahe Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) unterhält an der RUB eine Forschungsgruppe, die laut ihrer Webseite als „Brücke zur anwendungsorientierten Forschung“ dient. Mitglieder des FHR-Kuratoriums sind Prof. Dr.-Ing. Ilona Rolfes (RUB-Lehrstuhl für Hochfrequenzsysteme), ein Vertreter des Verteidigungsministeriums sowie Rüstungslobbyisten von Diehl Defence (Munition und Sprengköpfe), MBDA (Lenkraketen und Marschflugkörper) und OHB (Spionagesatelliten).
Während die Universität immer offener in den Dienst des Militarismus gestellt wird, sollen kritische Studierende mundtot gemacht werden. Der Angriff auf die IYSSE richtet sich gegen alle Kriegsgegner und Sozialisten auf dem Campus. Wir rufen deshalb alle Leserinnen und Leser und alle Studierenden auf, gegen das Vorgehen der FSVK zu protestieren. Sendet eine Mail an fsvk@lists.ruhr-uni-bochum.de und eine Kopie an iysse@gleichheit.de