Der tschechische Gewerkschaftsdachverband ČMKOS hat in der vergangenen Woche Streiks angekündigt. Es ist die Reaktion auf ein drastisches Sparpaket der rechten Regierung, das unter anderem die Senkung der Löhne im Öffentlichen Dienst, Rentenkürzungen und die Beschneidung von Sozialleistungen vorsieht.
Die Fünf-Parteien-Koalition, die in Prag die Regierung stellt, hatte nur wenige Tage zuvor ihr Sparpaket unter dem Titel „Tschechien in Form bringen“ vorgestellt. Mit den Kürzungen sollen im kommenden Jahr 94 Milliarden Kronen (rund vier Milliarden Euro) und 2025 150 Milliarden Kronen eingespart werden. Die 55 Einzelmaßnahmen beschneiden vor allem die Ausgaben, darüber hinaus werden Steuern angehoben.
Die größten Einsparungen sollen durch die Kürzungen von Subventionen in einem Umfang von 46 Milliarden Kronen erreicht werden. Dies betrifft vor allem die Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie von sozialen Projekten. Damit wird die ohnehin katastrophale soziale Infrastruktur im Land weiter ausgedünnt.
20 Milliarden Kronen sollen direkt zu Lasten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingespart werden. Dies soll durch Senkung der Löhne und Stellenstreichungen erreicht werden. Davon sind die Beschäftigten in Kliniken, Schulen, Kindergärten und dem öffentlichen Verkehr betroffen, die während der Corona-Pandemie Übermenschliches geleistet und sich großen Gefahren ausgesetzt haben.
Neben dem „Konsolidierungspaket“ hat die tschechische Regierung auch eine Reform des Rentensystems vorgeschlagen. Premierminister Minister Petr Fiala von der rechtsliberalen Bürgerpartei (ODS) brüstete sich damit, seit zehn Jahren als erster Regierungschef eine „Reform“ der Renten umzusetzen. Vorgängerregierungen hatten dies ebenfalls geplant, aufgrund von massiven Protesten aber entweder fallen gelassen oder stark abgeschwächt.
Die Reform sieht unter anderem eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von derzeit 65 auf bis zu 68 Jahren sowie eine Verschärfung der Regeln für die Frühverrentung vor. Letzteres bedeutet erhebliche Einbußen für jene, die aufgrund körperlich anstrengender Arbeit früher in Rente gehen müssen. Darüber hinaus werden Renten endgültig von der Inflation entkoppelt und sollen auf absehbare Zeit nicht mehr bzw. nur noch gering steigen.
Bereits im März hebelte die Regierung die bislang gesetzlich festgelegte Rentenanpassung aus, mit der Folge, dass Rentner anstatt 75 Euro monatlich nur 32 Euro mehr erhielten.
Während die Unternehmenssteuern nur um 2 Prozent steigen, was dank der Senkungen der letzten Jahre von Unternehmen leicht zu verschmerzen ist, geht die Anhebung der Grundsteuer- und der Mehrwertsteuer voll zu Lasten von kleineren und mittleren Einkommen. Die Erhöhung der Grundsteuer trifft vor allem Besitzer von Häusern in ländlichen Gebieten, die oft nicht mehr besitzen als ihr Eigenheim. Gleichzeitig führt sie zu einem weiteren Anstieg der Mieten, die in Großstädten wie Prag bereits astronomisch sind.
Außerdem sollen nach dem Willen der Regierung zahlreiche weitere Maßnahmen zu Lasten der Bevölkerung gehen. Darunter beispielsweise die Erhöhung der Autobahnmaut und zusätzliche Kosten für die verpflichtende Krankenversicherung. Die Mehrwertsteuer auf gedruckte Zeitungen wird auf 21 Prozent mehr als verdoppelt. Kommentatoren gehen davon aus, dass dies ein Zeitungssterben nach sich zieht, dem tausende Arbeitsplätze zum Opfer fallen.
Berücksichtigt man die Inflation, so hat nach Berechnungen der Gewerkschaften eine Familie mit einem Kind und zwei durchschnittlichen Einkommen künftig umgerechnet im Jahr zwischen 6500 und 7500 Euro weniger zur Verfügung. Die durchschnittliche Inflation liegt in Tschechien aktuell bei 15 Prozent, für viele Güter wie Lebensmittel und Energie sogar noch weit darüber.
Gleichzeitig erklärte Vizepremier und Arbeitsminister Marian Jurečka (KDU-CSL), es gebe in diesem Jahr keinen Raum für das Anwachsen des Mindestlohns. Selbst die völlig ungenügende Forderung der Gewerkschaften, den Mindestlohn auf umgerechnet 779 Euro pro Monat zu erhöhen, lehnte er ab.
Vor diesem Hintergrund sah sich der tschechisch-mährische Gewerkschaftsbund gezwungen, den „Streikalarm“ als letzte Stufe vor Arbeitsniederlegungen auszurufen. Der ČMKOS-Vorsitzende Josef Středula erklärte, dass das Sparpaket „alle Grenzen überschritten hat, die wir uns vorstellen können“.
Tatsächlich geht es den Gewerkschaften nicht darum, den Lebensstandard der Bevölkerung zu verteidigen. Seit 30 Jahren arbeiten sie eng mit Regierungen und Unternehmen zusammen und haben einen beispiellosen sozialen Kahlschlag mitorganisiert. So wurde auch das Sparpaket zunächst in einer nicht-öffentlichen Sitzung von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern diskutiert.
Wenn die Gewerkschaften nun Streiks ankündigen, dann tun sie dies, um in dieser höchst angespannten Situation die Kontrolle über die Arbeiter zu behalten. Die Ereignisse in Frankreich, wo Arbeiter seit vielen Wochen gegen die Rentenreform der Macron-Regierung auf die Straße gehen, beunruhigt die Gewerkschaften zutiefst.
In den letzten Monaten kam es in Tschechien immer wieder zu Protesten, an denen sich Tausende beteiligten, um gegen den Ukrainekrieg und seine verheerenden Folgen zu demonstrieren. Die Proteste werden zwar wegen des Fehlens einer fortschrittlichen politischen Kraft hauptsächlich von rechten, nationalistischen Kräften dominiert, dennoch fürchten Gewerkschaften und Regierung angesichts massiver Opposition gegen den Krieg ein Ausweiten der Proteste.
Mit dem Sparpaket werden die Kosten für die militärische Aufrüstung direkt auf die Bevölkerung abgewälzt. Die Gewerkschaften selbst unterstützen den Kurs der Regierung. Středula und andere Gewerkschaftsvertreter fordern offen ein härteres Vorgehen der EU gegen Russland und unterstützen die Lieferung schwerer Waffen an Kiew.
Tschechiens Regierung aus mehreren mitte-rechts Parteien unterstützt den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland ausdrücklich. Tschechien war eines der ersten Länder, die der Ukraine schwere Waffen zur Verfügung gestellt haben. Bisher wurden laut Fiala 89 Panzer, 226 gepanzerte Fahrzeuge, 38 Haubitzen sowie Raketenwerfer und Munition der Ukraine übergeben. Der Gesamtwert der staatlichen Hilfe an die Ukraine habe bislang ein Volumen von rund zehn Milliarden Kronen (420 Millionen Euro), so der Premierminister. Darüber hinaus wurden Unternehmen Lizenzen für den Export von Waffen in die Ukraine im Wert von 68 Milliarden Kronen erteilt.
Trotz der hohen Staatsverschuldung, die den höchsten Wert seit 1993 erreicht hat, und der Gefahr eines Defizitverfahrens der EU einigte sich die Regierung darauf, die militärische Hilfen für die Ukraine weiter zu erhöhen und gleichzeitig die Aufrüstung des eigenen Militärs drastisch zu steigern. Erst kürzlich beschloss das Parlament, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP zu steigern. Gegenwärtig liegen sie bei 1,52 Prozent.
Hinzu kommen negative Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung im Land. Die europäische Entwicklungsbank EBRD hat die Wachstumsaussichten der Tschechischen Republik erneut gesenkt. Das BIP fällt demnach 2023 um 2,2 Prozent. Im Februar ging man noch von einem Wachstum von 0,2 Prozent aus.
Die rücksichtslose Militarisierung um jeden Preis wurde seit der Wahl von Petr Pavel zum Staatspräsidenten verstärkt. Der frühere NATO-General gilt als eifriger Kriegstreiber gegen Russland. Wie die Fiala-Regierung tritt auch er für eine Verschärfung des Konflikts mit Russland im Ukraine-Krieg ein. Die bisherigen Waffenlieferungen an die Ukraine gehen ihm nicht weit genug. Er sehe „wirklich keinen Grund, Grenzen zu setzen“, erklärte er. Jüngst forderte er beim Kopenhagener Demokratiegipfel eine weitere Eskalation des Krieges und erklärte, das Ziel müsse sein, die Ukraine so weit wie möglich in Nato und EU zu integrieren.
Die angekündigten Streiks in Tschechien sind Teil einer internationalen Entwicklung. Millionen von Arbeiter in Deutschland, Großbritannien, den USA und anderen Ländern befinden sich in Arbeitskämpfen und geraten in direkten Konflikt zu den Regierungen. Wie in Tschechien und zuvor bereits in Frankreich ist die herrschende Klasse entschlossen, die Kosten des Krieges der Bevölkerung aufzuzwingen.
Auch die Regierungen der Slowakei und Estlands arbeiten derzeit ähnliche Sparpakete aus. Die neue estnische Regierung unter Kaja Kallas stellte unmittelbar nach Amtsantritt Sozialkürzungen und Aufrüstung ins Zentrum ihrer Politik. Während der kleine baltische Staat alleine im letzten Jahr durch zusätzliche Ausgaben für das Militär 1,2 Milliarden Euro Schulden machte, soll der Haushalt in diesem Jahr durch Steuererhöhungen und Kürzungen ausgeglichen werden. Gleichzeitig ist geplant, die Verteidigungsausgaben auf 3 Prozent des BIP zu erhöhen.