Am Mittwoch, den 19. April, jährte sich zum 80. Mal der Beginn des Warschauer Ghettoaufstands von 1943. Es war der erste groß angelegte bewaffnete Aufstand gegen die Naziherrschaft in einer europäischen Stadt.
Ein paar hundert schlecht bewaffnete Kämpfer, viele von ihnen noch Teenager oder Anfang zwanzig, konnten den brutalen SS-Einheiten mehrere Wochen lang Widerstand leisten. Der Aufstand wurde von einer Koalition kommunistischer Jugendlicher und jüdisch-sozialistischer Parteien angeführt, darunter die sozialistische zionistische Hashomer Hatzair, die Linke Poalei Zion (LPZ) und der Jüdische Arbeiterbund. Sie alle waren leidenschaftlich prosowjetisch eingestellt und davon überzeugt, dass der Kampf gegen Antisemitismus und Faschismus nicht vom Kampf gegen Kapitalismus zu trennen sei. Die Nazis konnten den Aufstand nur unterdrücken, indem sie das Ghetto in Brand steckten und etwa 13.000 Menschen töteten, von denen etwa die Hälfte lebendig verbrannte oder erstickte.
Auch wenn der Aufstand nicht in der Lage war, den Verlauf des Holocaust zu ändern oder aufzuhalten, erschütterte er die nationalsozialistische Herrschaft im Innersten. Er begann nur gut zwei Monate nach der Niederlage Nazi-Deutschlands gegen die Rote Armee in Stalingrad, wo eine ganze deutsche Armee vernichtet wurde. Der Aufstand trug dem Warschauer Ghetto unter Zeitgenossen die Bezeichnung „kleines Stalingrad“ ein. Zusammen mit dem einsetzenden Vormarsch der Roten Armee läutete er den Ausbruch sozialer und revolutionärer Kämpfe gegen das Nazi-Regime und seine Verbündeten in ganz Europa ein. Seither ist der Aufstand als herausragende Episode aus der Geschichte des Genozids an sechs Millionen europäischer Juden nicht mehr wegzudenken. Er ist zum Symbol für mutigen Widerstand gegen den scheinbar übermächtigen bewaffneten Faschismus geworden.
Trotz seiner enormen historischen und politischen Bedeutung – oder gerade deswegen – fielen die Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag äußerst bescheiden aus. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab einige Plattitüden von sich und bat in Warschau um „Vergebung“, während die deutsche Regierung erneut Panzer in den Krieg gegen Russland schickt. Auch die polnische Regierung spielt eine zentrale Rolle bei der Geschichtsfälschung, fördert den Antisemitismus und treibt den Nato-Krieg in der Ukraine voran.
In Deutschland selbst gab es nur sehr wenige Gedenkveranstaltungen, und fast alle waren von jüdischen Gemeinden organisiert. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete eine dreitägige wissenschaftliche Konferenz des Simon-Dubnow-Instituts in Leipzig, an der sich viele führende Historiker auf dem Gebiet der polnisch-jüdischen Geschichte beteiligten. An der Konferenz wurden die neuesten historischen Erkenntnisse über den Aufstand und die verschiedenen daran beteiligten politischen Strömungen erörtert.
Im Rahmen der Konferenz organisierten Studierende der Universität Leipzig ein bewegendes Konzert mit Werken von Komponisten, die vom Nationalsozialismus verfolgt, getötet oder ins Exil getrieben worden waren. Die Studierenden hatten die Stücke selbst ausgewählt. Sie konnten nicht nur die große Vielfalt und den Reichtum der von den Nationalsozialisten zerstörten Musikkultur vermitteln, sondern gaben auch einen Eindruck vom Leben dieser Komponisten vor ihrer Verfolgung. Besonders beeindruckend waren die ersten drei Sätze des Streichquartetts in D-Dur, einem Frühwerk Ignatz Waghalters, eines polnisch-jüdischen Komponisten. Waghalter wurde in Warschau geboren und spielte in den 1920er Jahren eine wichtige Rolle im Berliner Musikleben, musste dann aber in die USA emigrieren. Daneben wurden unter anderem drei kurze, aber innovative Klavierstücke zu vier Händen aus den „Ironien“ von Erwin Schulhoff aufgeführt, einem tschechisch–jüdischen Komponisten, den die Nazis ermordet hatten.
Die Schüler spielten die Stücke mit großem Enthusiasmus. Einer von ihnen gab jeweils eine durchdachte Einführung zu jedem Komponisten und jedem gespielten Stück. Das Konzert, das im Leipziger Museum für Musikinstrumente stattfand, stieß auf so großes Interesse, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten.
Es besteht ein deutlicher Kontrast zwischen dem offensichtlichen Drang junger Menschen und von Arbeitern, sich mit den anhaltenden geistigen und kulturellen Auswirkungen des Holocaust auseinanderzusetzen, und dem Bemühen der Regierungen, die historische Wahrheit zu unterdrücken, zu verzerren und jegliches Gedenken an das Geschehene herunterzuspielen. Gerade wegen der aktuellen politischen Relevanz der historischen Lehren aus dem Aufstand im Warschauer Ghetto haben die kapitalistischen Regierungen kein Interesse daran, dieses Ereignis hoch zu hängen.
Ganz anders die Arbeiter. Vor dem Abgrund einer imperialistischen Neuaufteilung der Welt sind sie mit dem Anwachsen faschistischer Kräfte, einer sozialen Konterrevolution und der anhaltenden Pandemie- und Klimakatastrophe konfrontiert. Sie können aus der heroischen, aber auch tragischen Erfahrung des Aufstands im Warschauer Ghetto und des Holocaust enorm viel lernen.
Die Ursprünge des Aufstands im Warschauer Ghetto
Der unmittelbare Ursprung der Pläne für den bewaffneten Widerstand im Ghetto war die verheerende Erfahrung mit der „Großen Aktion“ vom 22. Juli bis 8. September 1942. Dabei wurden in nur sechs Wochen schätzungsweise 265.000 Juden aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und unmittelbar nach ihrer Ankunft dort ins Gas geschickt. Ukrainische Söldner, die so genannten „Trawniki“, die die Nazis für die Bewachung von Ghettos und Konzentrationslagern in ganz Osteuropa ausgebildet hatten, spielten eine wichtige Rolle dabei, die Juden systematisch zusammenzutreiben und auf den Transport nach Treblinka zu schicken.
Die „Große Deportation“ war Teil der so genannten „Aktion Reinhard“. Das war der Codenamen für die systematische Ermordung der gesamten jüdischen Bevölkerung von 2 Millionen, die im besetzten Generalgouvernement Polen in Ghettos lebte. Die Aktion Reinhard wurde im März 1942 eingeleitet, wenige Wochen nach der berüchtigten Wannseekonferenz vom Januar 1942, auf der sich führende Vertreter der NSdAP und des deutschen Staates auf die gezielte Vernichtung aller europäischen Juden einigten. In dem einen Jahr zwischen März 1942 und März 1943 wurde mehr als die Hälfte der 6 Millionen Holocaust-Opfer ermordet. Die industrialisierte Tötung erreichte ihren Höhepunkt in den drei Monaten zwischen August und November 1942. In dieser Zeit wurden 1,47 Millionen Juden vergast – ein Viertel der Gesamtzahl der Opfer des Holocaust und die höchste jemals in der Geschichte aufgezeichnete Pro-Kopf-Tötungsrate.
Unter den Opfern befand sich die Mehrheit der jüdischen Gemeinde Warschaus. Vor dem Krieg war Warschau die Heimat der größten jüdischen Gemeinde der Welt gewesen, die 400.000 Menschen oder ein Drittel der Gesamtbevölkerung der Stadt umfasste. Das im November 1940 errichtete Ghetto war das größte seiner Art im besetzten Europa und fungierte praktisch als riesiges Konzentrationslager. Eine Mauer trennte das Ghetto von der so genannten „arischen“ Seite Warschaus, doch während seines gesamten Bestehens wurden Handel und Schmuggel zwischen beiden Seiten betrieben. Die Bewohner des Ghettos mussten mit einer Hungerration von etwa 184 Kalorien pro Tag auskommen. Von Hunger und Typhus und anderen Krankheiten geplagt, starb etwa ein Viertel der Ghettobewohner schon vor der Großen Deportation.
Trotz der schrecklichen Lebensbedingungen und des ständigen Nazi-Terrors wurde das Ghetto zum Schauplatz bemerkenswerter kultureller und politischer Arbeit, in der die reiche kulturelle Tradition des polnischen Judentums zum Ausdruck kam.
Von größter politischer und kultureller Bedeutung war die Arbeit von Emanuel Ringelblum, einem sozialistischen zionistischen Historiker, der das Oyneg Shabbes [Fröhlicher Sabbat] Archiv gründete und leitete. Von 1940 bis zur Auflösung des Ghettos sammelte das Oyneg Schabbes Archiv eine Vielzahl von Informationen über die fortschreitende Vernichtung des polnischen Judentums durch den Nationalsozialismus, aber auch über das Alltagsleben und Kultur und Politik im Ghetto.
Das Archiv zeigt insbesondere den immensen Einfluss von Marxismus und Sozialismus auf das polnische Judentum und das Leben im Ghetto. Ohne dies kann der politische Ursprung des Aufstands nicht verstanden werden. Zu den aktivsten politischen Strömungen im Ghetto gehörten die sozialistische zionistische Pfadfinderbewegung Hashomer Hatzair und die Linke Poalei Zion, der Ringelblum angehörte, sowie die Kommunisten. Der sozialdemokratische jüdische Arbeiterbund spielte ebenfalls eine wichtige Rolle. Er hatte schon unter der überwiegend handwerklich tätigen jüdischen Bevölkerung im Polen der Zwischenkriegszeit großen Einfluss und leitete jahrzehntelang den Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten gegen Pogrome in den jüdischen Gemeinden. Diese Tendenzen sollten den Aufstand mit anführen.
Aus dem Ringelblum-Archiv geht auch hervor, dass die trotzkistische Bewegung im Warschauer Ghetto fast bis zur Großen Deportation politisch aktiv blieb. Und aus einigen Quellen geht hervor, dass Trotzkisten am Aufstand beteiligt waren.[1]
Zwischen 1940 und 1941 gaben die Trotzkisten im Warschauer Ghetto zwei polnisch-sprachige Zeitschriften heraus, Czerwony Sztandar (Rote Fahne) und die theoretische Pregłąd Marksistowski (Marxistische Zeitschrift). Sie wurden auf beiden Seiten der Ghettomauer verbreitet. Sie enthielten Aufsätze von Leo Trotzki – es gab sogar eine Broschüre zum ersten Jahrestag seiner Ermordung im August 1941 – sowie theoretische und politische Analysen zeitgenössischer und historischer Ereignisse. Zum Beispiel behandelten sie die Lehren aus der Oktoberrevolution und der Pariser Kommune sowie den Unterschied zwischen Stalinismus und revolutionärem Marxismus. Der Führer und „Vater des polnischen Trotzkismus“, Salomon Ehrlich (1907–1942), wurde im Sommer 1942 deportiert und in Treblinka vergast.[2]
Die letzte erhaltene Publikation der polnischen Trotzkisten ist ein Flugblatt zum 1. Mai 1942. Es wurde als Appell an die Arbeiter aller Nationalitäten in Polen geschrieben und war ein kraftvoller Aufruf zum organisierten, bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer, zur internationalen Einheit der Arbeiterklasse im Kampf gegen den Kapitalismus und zum Aufbau der Vierten Internationale in ganz Europa. Die Trotzkisten betonten insbesondere die Notwendigkeit der Einheit polnischer, jüdischer und deutscher Arbeiter:
Die deutsche Arbeiterklasse ist im innersten Herzen den Idealen des Sozialismus treu geblieben und strebt mit uns nach der Beseitigung des Hitlerismus und des Kapitalismus. Am Ersten Mai reichen wir unseren deutschen Klassengenossen die brüderliche Hand, wir reichen den Arbeitern auf der ganzen Welt die Hand. Mit ihnen zusammen werden wir uns gnadenlos an unserem gemeinsamen Feind rächen.[3]
Selbst unter den sozialistischen Strömungen, in denen der jüdische Kulturnationalismus eine wichtige Rolle spielte, herrschte Einigkeit darüber, dass das Schicksal der Juden vor allem von der Hilfe der europäischen Völker und der Entwicklung der sozialen Revolution abhing. Vor allem im Frühjahr 1942 waren die Hoffnungen groß, dass eine Revolution in Europa unmittelbar bevorstehen könnte. Abraham Lewin, wie Ringelblum Mitglied der Linken Poalei Zion und des Oyneg Shabbes Archives, notierte am 16. Mai 1942 in seinem Tagebuch:
Der Abgrund kommt jedem von uns immer näher, das bestialische Antlitz der Nazi-Apokalypse, auf dessen Stirn die Worte Tod, Zerstörung, Untergang, Todesangst geschrieben stehen. Eine ständige Unsicherheit, eine nicht enden wollende Angst ist der schrecklichste Aspekt all unserer tragischen und bitteren Erfahrungen ... Die Wahrheit ist, dass unsere Herzen heute im Takt der Ereignisse schlagen, die sich auf russischem Territorium abspielen, wo ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Mensch und Bestie ausgetragen wird, zwischen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für eine geplagte und blutige Menschheit und der Angst vor dem Sieg des blutrünstigsten Neros, den die Welt je gesehen hat.[4]
Lewin und andere verfolgten eifrig die Nachrichten über den Widerstand im faschistisch beherrschten Italien und die Berichte neu ankommender Deportierter, vor allem aus Deutschland, über Anzeichen einer Wirtschaftskrise und politischer Unruhe im Reich. Am 3. Juni 1942, sechs Wochen vor Beginn der Großen Deportation, notierte Lewin:
Die Briefe, die aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei eintreffen, zeugen von einer gewissen revolutionären Gärung im ganzen Reich. Aus Berlin hören wir zum Beispiel, dass auf den Straßen Proklamationen mit folgendem Inhalt angeschlagen werden: „Wir fordern Frieden, wir fordern die Rückkehr unserer Männer und Söhne.“ Auch die Briefe aus der Tschechoslowakei haben diesen stark revolutionären Charakter ... In all diesen Briefen pulsiert der Glaube an ein schnelles Ende dieses weltweiten Gemetzels. Ist es möglich, dass das ganze unterdrückte Europa sich irren könnte? Das Herz sehnt sich so sehr nach Erlösung. Mit diesem Traum gehen wir zu Bett, mit diesem Traum wachen wir auf. Ist es möglich, dass die leidenschaftlichste Sehnsucht von 95 Prozent aller Erdbewohner unerfüllt bleibt und die böse Macht einer Bande von Degenerierten und grausamen Mördern triumphiert? Die Vernunft und das Herz sagen uns, dass die Menschheit, verkörpert in den Völkern Sowjetrusslands, Englands und Amerikas, siegen wird und nicht die wilden Tiere des Hitler- und des Mussolini-Landes.[5]
Bei der Großen Deportation verlor Lewin seine Frau und seine Tochter. Er selbst wurde Anfang 1943 ermordet. Praktisch jeder, der die Große Deportation im Ghetto überlebte, hatte den größten Teil seiner Familie verloren. Diejenigen, die überlebten, waren im Durchschnitt jung und galten als „nützliche“ Arbeiter; deshalb waren sie vorläufig von den Deportationen ausgenommen.
Der Aufstand
Die Große Deportation ließ keinen Zweifel daran, dass die Nationalsozialisten das gesamte Judentum vernichten wollten. Außerdem verstärkte sie bei den wenigen im Ghetto verbliebenen Juden das Gefühl, von der Außenwelt isoliert und verlassen zu sein. Die Aufstandspläne entsprangen einer Kombination von politischem Heldentum und Verzweiflung über die Unausweichlichkeit des Todes. Nach den Berichten der wenigen Überlebenden des Aufstands, Marek Edelman, Yitzhak Zuckerman und Tzivia Lubetkins, waren sie entschlossen, kämpfend zu sterben – „ehrenvoll zu leben und ehrenvoll zu sterben“ – und der Außenwelt zu zeigen, was dem jüdischen Volk angetan wurde. Niemand rechnete damit, den Aufstand zu überleben, geschweige denn die Deutschen zu besiegen, aber man hoffte, dass der symbolischer Widerstandsakt dazu beitragen würde, eine breitere Bewegung auszulösen.
Marek Edelman, ein Bundist und einer der wenigen überlebenden Anführer des Aufstandes, erklärte später: „... man durfte erst sterben, wenn man andere Menschen zum Kampf aufgerufen hatte. Wir waren überzeugt, dass es notwendig sei, öffentlich, vor den Augen der Welt, zu sterben.“[6]
Am 23. Juli 1942, dem zweiten Tag der Großen Deportation, trafen sich zum ersten Mal Vertreter aller politischen Parteien, um über den bewaffneten Widerstand zu beraten. Unter dem Einfluss der neu entstandenen Polnischen Arbeiterpartei, die mit Billigung der Kreml-Bürokratie gegründet worden war, hatten die sozialistische zionistische Hashomer Hatzair und die linkszionistische Jugendbewegung Dor sowie eine Reihe anderer Organisationen bereits früher im Jahr einen antifaschistischen Block im Warschauer Ghetto gebildet und mit den Vorbereitungen zum bewaffneten Widerstand begonnen.
Einige Tage später, am 28. Juli, wurde die Żydowska Organizacja Bojowa (ŻOB, Jüdische Kampforganisation) gegründet. Ungeachtet ihrer politischen Differenzen war die überwältigende Mehrheit der linken politischen Parteien in der ŻOB sowohl sozialistisch als auch pro-sowjetisch eingestellt.
Eine weitere Kampforganisation wurde von Anhängern des rechtsextremen Zionisten Vladimir Jabotinsky, einem Bewunderer Benito Mussolinis, gegründet. Der Jüdische Militärverband (Żydowski Związek Wojskowy, ŻZW) nahm zwar am Aufstand und an den schweren Kämpfen gegen die nationalsozialistischen Truppen teil, agierte aber aufgrund seiner überwältigenden politischen Differenzen unabhängig von der ŻOB. Aufgrund ihrer antikommunistischen Ausrichtung erhielt die ŻZW viel mehr Unterstützung von der polnisch-nationalistischen Armija Krajowa, die nur ungern einen Aufstand unterstützte, von dem die Rote Armee profitieren konnte.
Für die ŻOB war es äußerst schwierig, an Waffen und Ausbildung zu kommen. Eine der ersten, die – wenn auch in begrenztem Umfang – Hilfe anboten, war die Armia Ludowa, eine Guerillabewegung, die der Polnischen Volkspartei angehörte, der Nachfolgerin der 1938 von Stalin zerschlagenen Polnischen Kommunistischen Partei. Monatelang übten sich die Mitglieder der 22 ŻOB- Einheiten (die nur etwa 600 Personen umfasste) im Gebrauch der wenigen verfügbaren Waffen.
Im Januar 1943 kam es anlässlich einer Razzia gegen mehrere tausend Ghettobewohner zu einem ersten Aufstand.
Eine Einheit des ŻOB eröffnete das Feuer auf die Deutschen und Ukrainer, die versuchten, die Menschen zum berüchtigten Umschlagplatz zu bringen, von dem aus die Züge nach Treblinka abfuhren. Der ŻOB gehörte auch der legendäre Mordechai Anielewicz (Mitglied der Hashomer Hatzair) an. Fast alle Mitglieder der ŻOB-Einheit wurden getötet. Anielewicz entkam nur knapp.
Obwohl der Aufstand einen hohen Preis forderte, machte er großen Eindruck, sowohl auf die Nazis als auch auf die Bewohner des Ghettos und ganz Warschaus. Nach diesem ersten Aufstand stimmte der polnische nationalistische Untergrund unter Führung der Armia Krajowa einer begrenzten Lieferung von Waffen und Sprengstoff zu. Dies stärkte die Moral der Ghetto-Kämpfer. Diejenigen, die mit der ŻOB sympathisierten oder sich an ihr beteiligten, gingen in den Untergrund; viele gruben Keller aus und bereiteten Bunker für den bevorstehenden Aufstand vor.
Der Dichter Władysław Szlengel beschrieb die Nachwirkungen des Januaraufstands und die Vorbereitung auf den großen Aufstand wie folgt:
Zement und Ziegelsteine werden herbeigeschafft, die Nächte sind erfüllt vom Hämmern der Hacken und Äxte. Wasser wird gepumpt, Brunnen werden in Kellern gegraben. Die Schutzräume. Ein Wahn, ein Rausch, eine Herzneurose des Warschauer Ghettos. Beleuchtung, unterirdische Kabel, Bohren der Gänge, wieder Ziegelsteine, Seile, Sand ... viel Sand. Sand. Kojen, Pritschen. Vorräte, die für Monate reichen. Elektrizität, Wasserleitungen ... Die Peitsche des SS-Mannes hat 2.000 Jahre vernichtet. Die Höhlenepoche kehrt zurück, Öllampen, Dorfbrunnen. Die lange Nacht hat begonnen. Die Menschen gehen wieder unter die Erde. Um den Tieren zu entkommen.[7]
Am 18. April trat der Führungsstab der ŻOB zusammen. Ihm gehörte Marek Edelman, damals 22 Jahre alt, und Mordechai Anielewicz an, damals 21 Jahre alt, der als wichtigster Anführer des Aufstands in die Geschichte eingehen sollte.
Am nächsten Tag begann der Aufstand. Als SS- und Polizeieinheiten für eine weitere Massendeportation in das Ghetto eindrangen, wurden sie von der ŻOB mit Molotowcocktails und Handgranaten empfangen. Aus der Kanalisation, aus Fenstern und Seitengassen wurden die verblüfften SS-Einheiten angegriffen. Die SS war dem unerwarteten Angriff nicht gewachsen, erlitt schwere Verluste und musste sich zurückziehen. Am 22. April stellte der mit der Niederschlagung des Aufstands beauftragte SS-Offizier Jürgen Stroop den Kämpfern ein Ultimatum, sich zu ergeben. Als dieses abgelehnt wurde, befahl er seinen Truppen, alle Häuser, Block für Block, mit Flammenwerfern und Brandflaschen niederzubrennen und Keller und Abwasserkanäle zu sprengen. Tausende von Ghettobewohnern verbrannten bei lebendigem Leibe oder erstickten am Rauch der Flammen.
Edelman sagte später in einem Interview: „Das Flammenmeer überflutete Häuser und Höfe ... Es gab keine Luft mehr, nur schwarzen, erstickenden Rauch und schwere, brennende Hitze, die von den rotglühenden Wänden und den glühenden Steintreppen ausstrahlte.“
Am 8. Mai entdeckte die SS den Unterschlupf des Kommandos ŻOB. Anielewicz und die meisten noch anwesenden ŻOB-Angehörigen, vielleicht etwa 80 Personen, begingen Selbstmord. Edelman und einigen anderen gelang es, sich in die Kanalisation zu retten und dem brennenden Ghetto zu entkommen. Als offizielles Datum für die endgültige Niederschlagung des Aufstands wird der 16. Mai genannt, als SS-Kommandant Jürgen Stroop persönlich die historische Große Synagoge in die Luft sprengte.
Obwohl es während des Aufstands auch zu Kämpfen außerhalb der Ghettomauern kam (vor allem durch die kommunistische Armia Ludowa und die nationalistische Armia Krajowa) blieb der Aufstand im Ghetto letztlich isoliert. Am 19. April 1943, dem gleichen Tag, an dem der Aufstand begann, trafen sich Vertreter des Vereinigten Königreichs und der USA in einem Luxushotel auf den Bermudas, um zu beraten, wie sie auf die europäische Flüchtlingskrise reagieren sollten. In einer offenen Demonstration von Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der europäischen Juden weigerten sich beide Regierungen, ihre Quoten für Flüchtlinge anzuheben. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere Berichte über die sich anbahnende Vernichtung des polnischen Judentums das Weiße Haus erreicht. Was die polnische bürgerliche Exilregierung betrifft, so stellte Emanuel Ringelblum nüchtern fest: „... in einer Zeit, in der die Vernichtung des jüdischen Volkes droht, hat die Regierung nichts getan, um wenigstens einen Rest des polnischen Judentums zu retten.“[8]
In der polnischen Bevölkerung, die die Zerstörung des Ghettos miterlebte, reichte die Stimmung von Gleichgültigkeit und stiller oder offener Zustimmung der Antisemiten bis hin zu Entsetzen und Mitgefühl mit den Opfern. Der polnische Dichter Czesław Miłosz, der an der antinazistischen Widerstandsbewegung beteiligt war, sah das brennende Ghetto in Warschau von der arischen Seite aus. In seinem berühmten Gedicht „Campo dei Fiori“ verglich er den Brand des Ghettos und seiner Kämpfer mit der Verbrennung des großen Philosophen und Wissenschaftlers Giordano Bruno im Jahr 1600 durch die katholische Inquisition auf dem Campo dei Fiori in Rom:
Ich dachte an Campo dei Fiori
In Warschau an einem Abend
Im Frühling vor Karussellen
Bei Klängen munterer Weisen.
Der Schlager dämpfte die Salven
Hinter der Mauer des Ghettos
und Paare flogen nach oben
Hinauf in den heiteren Himmel.Der Wind trieb zuweilen schwarze
Drachen von brennenden Häusern,
Die Schaukelnden fingen die Flocken
Im Fluge aus ihren Gondeln.
Der Wind von den brennenden Häusern
Blies in die Kleider der Mädchen,
Die fröhliche Menge lachte
Am schönen Warschauer Sonntag....
Ich aber dachte damals
An das Alleinsein der Opfer,
Daran, dass, als Giordano
Den Scheiterhaufen bestiegen,
Er keine einzige Silbe,
Menschliche Silbe gefunden,
Von jener Menschheit, die weiter
Lebte, Abschied zu nehmen....
Auch diese Opfer sind einsam,
Bereits von der Welt vergessen,
Für sie klingt fremd unsre Sprache,
Als käm sie vom fernen Planeten.
Bis alles dann zur Legende
Erkaltet und später, nach Jahren,
Auf neuem Campo dei Fiori
Ein Dichterwort aufruft zum Aufruhr.[9]
Bis zum heutigen Tag ist die Frage, warum der Holocaust nicht verhindert wurde, und warum es keine Massenbewegung gab, die den Nationalsozialismus rechtzeitig gestürzt hätte, um Millionen Juden und andere Opfer des Faschismus zu retten, eine der zentralen Fragen des 20. Jahrhunderts.
Das Schicksal der Oktoberrevolution, die Linke Opposition und der Holocaust
Die politischen Ursprünge des Holocausts lassen sich nur verstehen, wenn man sich mit dem Schicksal der Oktoberrevolution auseinandersetzt. Während die Emanzipation der Juden Westeuropas mit der Französischen Revolution verbunden war, die die Grundlage für ihre weitgehende Assimilation im 19. Jahrhundert bildete, blieb die weitaus größere jüdische Bevölkerung im Russischen Reich eine unterdrückte und verfolgte Minderheit, die ihre eigene Sprache (Jiddisch) bewahrte. Erst die Revolutionen von 1917 brachten für die große Mehrheit des europäischen Judentums die Emanzipation.
Das Schicksal der Juden war also aus historischen Gründen untrennbar mit dem Voranschreiten der sozialen Revolution verbunden. Für die Kräfte der politischen Reaktion war die Feindseligkeit gegenüber der revolutionären Bewegung wiederum eng mit dem Antisemitismus verknüpft. Im Russischen Reich verschmolz der mittelalterliche Antisemitismus mit dem Hass auf die junge Arbeiterbewegung. Ab 1881 förderte der zaristische Staat regelmäßig Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung, denn sie waren Teil seiner Bemühungen, die revolutionäre Bewegung zu unterdrücken und die multiethnische und multireligiöse Arbeiterklasse der Region zu spalten.
Besonders für die deutsche und russische sozialistische Bewegung wurde der Kampf gegen den Antisemitismus zu einer prinzipiellen Frage und zum wesentlichen Prüfstein im Kampf für den Internationalismus.[10] In den Jahren 1918–1921 griffen die russischen, ukrainischen und polnischen Nationalisten, die gegen die Rote Armee und den jungen Sowjetstaat kämpften, im Rahmen ihres Kampfs gegen die sozialistische Revolution systematisch zu Pogromen. Man schätzt, dass etwa 200.000 Juden, die meisten davon in der heutigen Ukraine, brutal abgeschlachtet wurden.
Die Rote Armee und die Bolschewiki kämpften systematisch und erfolgreich für die Beendigung dieser Pogrome – der größten antijüdischen Massaker in Europa vor dem Holocaust – und gegen den Antisemitismus im Allgemeinen. In den 1920er Jahren war der Sowjetstaat das einzige Land der Welt, das jiddisch-sprachige Publikationen und Jiddisch-Unterricht an den Schulen staatlich finanzierte. Diese historischen Erfahrungen haben das Bewusstsein und die Politik der jüdischen Arbeiterklasse und der sozialistischen Intelligenz Osteuropas und insbesondere Polens tiefgreifend geprägt. Die zionistische Bewegung und der sozialdemokratische Arbeiterbund, die sich seit 1903 gegen den Bolschewismus gestellt hatten, spalteten sich nach der Oktoberrevolution, und der große Teile beider Strömungen trat nun entweder direkt in die bolschewistische Partei in der neu gegründeten Sowjetunion ein oder nahm im Polen der Zwischenkriegszeit eine leidenschaftlich prosowjetische Haltung ein.
Die Überzeugung der Sozialisten im Warschauer Ghetto, dass ihre Rettung von einer revolutionären Bewegung gegen die faschistische Herrschaft kommen werde, war also weder „utopisch“ noch irrig. Sie wurzelte in der historischen Erfahrung der Oktoberrevolution, die den Ersten Weltkrieg beendet hatte, und dem erfolgreichen Kampf der Roten Armee gegen den Antisemitismus im darauf folgenden Bürgerkrieg. Beides lag nur etwas mehr als 20 Jahre zurück.
Die gleiche Dynamik entwickelte sich auch im Zweiten Weltkrieg. Eine revolutionäre Bewegung breitete sich 1943 zunächst in Italien und Jugoslawien aus. Im Jahr 1944 herrschten in weiten Teilen des Kontinents, darunter auch in Polen, bürgerkriegsähnliche Zustände, die der Vormarsch der Roten Armee befeuerte. Tragischerweise kam diese Bewegung jedoch zu spät, um die 6 Millionen europäische Juden und viele weitere Opfer des Faschismus zu retten. Und im Gegensatz zur revolutionären Bewegung der Arbeiter in Russland 1917 und der Roten Armee im Bürgerkrieg fehlte dieser Bewegung die notwendige marxistische und internationalistische Führung, und sie wurde schließlich vom Stalinismus erstickt.
Eine historische Erklärung dafür ist nur im Aufkommen des Stalinismus in der Sowjetunion zu finden, sowie auch in der zunehmenden Isolierung und dann systematischen Vernichtung der trotzkistischen Opposition in den 1920er und 1930er Jahren. In den Jahren 1917–1920 wurden weite Teile Ost- und Mitteleuropas von revolutionären Kämpfen erschüttert, und die Bolschewiki konnten die Errungenschaften der Oktoberrevolution auf große Teile des ehemaligen Russischen Reichs ausdehnen. Außerhalb Russlands endeten die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse jedoch in Niederlagen und Verrat durch ihre eigene Führung, die im Wesentlichen aus Sozialdemokraten bestand. Bis im Jahr 1923 hatte die Verzögerung der internationalen Revolution die Weltlage auf dramatische Weise verändert.
In der bolschewistischen Parteiführung war inzwischen die internationalistische Tendenz, der Trotzki und der bereits todkranke Lenin angehörten, in die Minderheit geraten. Die gesellschaftliche Basis für das Erstarken des nationalistisch-opportunistischen Parteiflügels lag in der wachsenden Bürokratisierung des Staats und der Partei, die durch die Isolation des immer noch sehr armen und wirtschaftlich rückständigen Arbeiterstaats wesentlich begünstigt wurde. Inmitten der Niederlage der deutschen Revolution im Herbst 1923 entstand unter Trotzkis Führung die Linke Opposition, die das Ziel hatte, die wachsenden nationalopportunistischen Tendenzen in der Parteiführung zu bekämpfen.
Im Herbst 1924 formulierte die Stalin-Fraktion, die die Interessen dieser bürokratischen Schicht vertrat, ihr Programm des Aufbaus des „Sozialismus in einem Land“. Das war die politische Grundlage für eine nationalistische Reaktion gegen die Oktoberrevolution. In den folgenden Jahren führte die Linke Opposition einen systematischen Kampf gegen den Verrat der sozialistischen Weltrevolution durch die Sowjetbürokratie, unter anderem im britischen Generalstreik von 1926 und in der chinesischen Revolution von 1926–1927. Die Niederlagen der internationalen Revolution stärkten jedoch die Position der Sowjetbürokratie und der Stalinfraktion. Im Dezember 1927 wurde die Linke Opposition aus der Partei ausgeschlossen, und die meisten ihrer Führer und Mitglieder wurden entweder verhaftet oder ins Exil geschickt. 1929 wurde Trotzki aus der UdSSR ausgewiesen.
Der Aufstieg des Stalinismus und die Vorherrschaft des nationalen Opportunismus in der Kommunistischen Internationale hatten besonders für die polnische Arbeiterbewegung verheerende Folgen. In ihr hatten die internationalistischen und revolutionären Traditionen von Rosa Luxemburg jahrzehntelang eine zentrale Rolle gespielt. Die polnische KP-Führung sympathisierte im innerparteilichen Kampf zunächst mit Trotzki. Sie war dann besonders aggressiven Interventionen der Stalin-Fraktion ausgesetzt, was zu einem verwirrenden Zickzackkurs in ihrer politischen Linie führte. Dieser Kurs gipfelte darin, dass die polnische KP den Staatsstreich des rechtsextremen Generals Józef Piłsudski von 1926 unterstützte, unter dessen Diktatur anschließend die polnischen Kommunisten massenhaft inhaftiert und verfolgt wurden.[11]
Zu Beginn der 1930er Jahre war die polnische KP politisch gelähmt und taumelte von einer Krise in die nächste. In Deutschland verhinderte die verhängnisvoll fehlgeleitete Theorie des „Sozialfaschismus“, die die stalinisierte Kommunistische Internationale vertrat, einen gemeinsamen Kampf der 6 Millionen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter gegen Hitlers Aufstieg. Im Januar 1933 kamen die Nazis an die Macht, ohne dass ein einziger Schuss gefallen wäre. Diese historische Niederlage der deutschen Arbeiterklasse bildete die Grundlage für Trotzkis Aufruf zur Gründung einer Vierten Internationale. Sie war auch die prägende Erfahrung und der Hauptbeschleuniger für das Entstehen einer organisierten trotzkistischen Linken Opposition in Polen.
In den Jahren 1937–1938 gipfelte die konterrevolutionäre Politik des Stalinismus im Großen Terror, bei dem Generationen von Revolutionären, darunter Tausende von sowjetischen Trotzkisten und ein Großteil der Führung der Oktoberrevolution, ermordet wurden. Der Terror löschte auch einen Großteil der Kader der Kommunistischen Internationale aus.
Die Polnische Kommunistische Partei, gegen die Stalin seit ihrer Unterstützungserklärung für Trotzki von 1924 einen besonderen Hass hegte, wurde 1938 vom Kreml aufgelöst. Nahezu ihr gesamter Führungskader und Tausende von polnischen Kommunisten, die in der UdSSR lebten, wurden ermordet. Die politische Verwirrung und Verzweiflung, die diese Entwicklung auslöste, sind kaum zu überschätzen. Sie beraubte insbesondere die junge Generation sozialistischer Jugendlicher, die sich zur kommunistischen Bewegung hingezogen fühlten, jeglicher politischer und physischer Führung.
Im August 1939 schloss Stalin einen Pakt mit Hitler. Aus Angst vor einer sozialen Revolution in Europa, die die Position der sowjetischen Bürokratie bedroht hätte, griff Stalin zu diesem bankrotten Manöver im verzweifelten Versuch, einem Einmarsch des deutschen Imperialismus in die Sowjetunion zuvorzukommen oder ihn zumindest zu verzögern. Der Pakt erleichterte Hitlers Angriff auf Polen, das vorübergehend zwischen Nazi-Deutschland und den östlichen Landesteilen aufgeteilt wurde. Der Nationalsozialismus übernahm das von ihm so genannte Generalgouvernement einschließlich Warschaus, und die Sowjetunion regierte den östlichen Teil. Politisch gesehen, lähmte der Pakt die Rote Armee in der Sowjetunion, was beim Einmarsch der Nazis im Juni 1941 zu verheerenden Verlusten führen sollte. Und in den Ländern der Nazi-Besatzung betäubte und verwirrte der Pakt die europäische kommunistische Bewegung.
Die trotzkistische Bewegung in Polen wurde in den Jahren 1939–1941 zwischen dem Terror der Nazis, besonders dem Holocaust, und dem stalinistischem Terror in Ostpolen aufgerieben. Die Polnische Arbeiterpartei, die eine wichtige Rolle beim Aufstand im Warschauer Ghetto spielen sollte, wurde Anfang 1942 unter der Kontrolle der Kreml-Bürokratie gegründet. Sie entwickelte sich ganz im Schatten der Zerstörung der polnischen kommunistischen Kader und der trotzkistischen Bewegung durch den Stalinismus.
Der Holocaust kann letztlich nur als tragisches Ergebnis des systematischen Verrats der europäischen sozialistischen Bewegung durch den Stalinismus und der daraus resultierenden Lähmung erklärt werden. Die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse gegen Faschismus und Kapitalismus wurde dadurch verzögert und auch enthauptet.
In seinen Schriften über die Oktoberrevolution und die gescheiterte deutsche Revolution betonte Leo Trotzki die immense Bedeutung der Zeit in der Politik, vor allem in Zeiten revolutionärer Umwälzungen. Das 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass es unmöglich ist, mitten in einer Revolution eine revolutionäre Partei aufzubauen. Die notwendigen Vorbereitungen und die politische Ausbildung der Kader müssen im Vorfeld erfolgen. Darüber hinaus zeigen die tragischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, dass die Konterrevolution, zu der sowohl der stalinistische Große Terror als auch die Ermordung des europäischen Judentums gehörten, sich mit atemberaubender Geschwindigkeit ausbreiten kann. Dies untergräbt die Arbeit von Generationen und gestaltet den Kampf um eine revolutionäre Führung außerordentlich schwierig.
Unter den Bedingungen eines herannahenden neuen Weltenbrandes und des Aufbaus faschistischer Kräfte durch die herrschenden Klassen auf allen Kontinenten müssen die Arbeiter und die sozialistische Jugend weitreichende Lehren aus dem Aufstand im Warschauer Ghetto ziehen. Die Geschichte zeigt, dass die gegenwärtige Krise des Weltkapitalismus unweigerlich zum Entstehen einer revolutionären Bewegung der internationalen Arbeiterklasse führen wird. Sie zeigt aber auch, dass im Kampf um den Aufbau einer revolutionären, trotzkistischen Führung, die diese Kämpfe zum Sieg führen kann, keine Zeit zu verlieren ist.
Ludwik Hass, Trotskyism in Poland up to 1945. URL: https://www.marxists.org/archive/hass/1992/xx/tinpoland.html (aus dem Englischen).
Die Publikationen der Trotzkisten im Warschauer Ghetto sind hier erschienen: Archiwum Ringelbluma, Tom 21, Prasa Getta Warszawskiego: Radykalna lewica niesyjonistyczna, opracowali: Piotr Laskowski, Sebastian Matuszewski, Warschau 2016. Hier online einzusehen: https://cbj.jhi.pl/documents/940239/19/
Ulotka „1 Maja 1942” in: Ibid., S. 279 (aus dem Englischen; Übersetzung der Autorin ins Englische).
Abraham Lewin, A Cup of Tears: A Diary of the Warsaw Ghetto, redigiert und übersetzt von Antony Polonsky, Blackwell Publishers 1988, S. 73, 74 (aus dem Englischen).
Ibid., S. 115.
Hanna Krall, Shielding the Flame. An Intimate Conversation With Dr. Marek Edelman, the Last Surviving Leader of the Warsaw Ghetto Uprising, Henry Holt & Company 1986, S. 10 (aus dem Englischen).
Zitiert in: Samuel Kassow, Who Will Write Our History? Emanuel Ringelblum, the Warsaw Ghetto, and the Oyneg Shabes Archive, Indiana University Press 2018, S. 323 (aus dem Englischen).
Emanuel Ringelblum, Polish-Jewish Relations during the Second World War, Northwestern University Press 1992, S. 223 (aus dem Englischen).
Czesław Miłosz, Il Campo dei Fiori, Warschau, Ostern 1943. Deutsche Übersetzung: Karl Dedecius, aus: Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Poesie 1, S.636–639.
Siehe dazu: David North, Der Mythos vom „ganz gewöhnlichen Deutschen“: Eine Kritik von Daniel Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“, in: David North, Die Russische Revolution und das unvollendete Zwanzigste Jahrhundert, Essen 2015, S.357–383. Auf WSWS: David North, Antisemitismus, Faschismus und Holocaust, 1. Mai 1997.
Die Einschätzung Piłsudskis und seines Staatsstreichs war wichtiger Gegenstand in den damaligen Kämpfen der Linken Opposition. Von besonderer Bedeutung ist Trotzkis Rede Piłsudskism, Fascism, and the Character of Our Epoch, die er nach dem Putsch, im Juli 1926, auf einer Sitzung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) hielt. Siehe hier (auf Englisch): https://wikirouge.net/texts/en/Piłsudskism,_Fascism,_and_the_Character_of_Our_Epoch.