Nato will Truppen an der russischen Grenze aufstocken

Nato-Soldaten während der Übung BALTOPS 2019 in Estland (Quelle: Nato via Flickr)

Die Nato plant, Truppen an die russische Grenze zu verlegen und ein „Kriegsbündnis“ einzugehen. Darüber berichtete die New York Times am Montag.

In dem Times-Artikel heißt es: „Die Nato hat jetzt ein Bataillon multinationaler Truppen in acht Länder entlang der Ostgrenze zu Russland entsandt. Die Nato prüft derzeit, wie sie die Einheiten in diesen Frontstaaten auf Brigadestärke erweitert kann.“

Ein Bataillon kann bis zu 1.000 Soldaten umfassen, während eine Brigade bis zu 5.000 Soldaten zählt. Das bedeutet, dass die Nato möglicherweise plant, die Zahl der Truppen an Russlands Grenzen um das Fünffache auf bis zu 40.000 Soldaten zu erhöhen.

Die Times berichtet, dass die Nato „auch Tausende von Streitkräften im Kriegsfall schnell zur Unterstützung herbeiziehen will. Hierfür gibt es neue detaillierte Pläne für Mobilität und Logistik und strengere Anforderungen an die Bereitschaft.“

Die Tageszeitung Politico nennt unterdessen noch größere Zahlen. Am 18. März berichtete Politico: „In den kommenden Monaten wird das Bündnis seine Bemühungen um die Lagerung von Ausrüstung entlang seiner Ostgrenze beschleunigen und Zehntausende von Streitkräften benennen, die den Verbündeten kurzfristig zu Hilfe eilen können ... Die Zahl wird hoch sein, wobei Offizielle die Idee von bis zu 300.000 Nato-Streitkräften ins Spiel bringen.“

„Die NATO“, schreibt die Times, unternehme „eine umfassende Anstrengung“, um sich auf Militäroperationen entlang ihrer gesamten Ostflanke vorzubereiten.

Wie sie schreibt, bedeutet dies „in praktischer Hinsicht eine Revolution: mehr Truppen, die ständig an der russischen Grenze stationiert sind“. Es bedeute auch „eine stärkere Integration der amerikanischen Kriegspläne mit denen der Verbündeten, höhere Militärausgaben und detailliertere Anforderungen an die Verbündeten, bestimmte Arten von Streitkräften und Ausrüstung vorzuhalten, um im Bedarfsfall an vorher zugewiesenen Orten zu kämpfen“.

Die Allianz hat „die letzten Hemmungen gegenüber einer erhöhten Anzahl westlicher Truppen entlang der Nato-Grenze zu Russland abgelegt“, so die Times.  Ziel sei es, „die Nato-Streitkräfte nicht nur robuster und leistungsfähiger, sondern auch für Russland sichtbarer zu machen“.

Die zusätzlichen Truppen werden direkt General Christopher G. Cavoli unterstellt, dem Obersten Alliierten Befehlshaber der Nato in Europa, der auch die amerikanischen Streitkräfte in Europa befehligt.

Die Times berichtet, dass General Cavoli zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg amerikanische und verbündete Kriegsführungspläne zusammenführe. Unter Berufung auf einen Nato-Sprecher schreibt die Zeitung: „Die Amerikaner sind zurück im Zentrum der europäischen Verteidigung ... und entscheiden zusammen mit der Nato, wie genau Amerika Europa verteidigen wird.“

Dies wird eine massive militärische Aufrüstung zur Folge haben, die eine enorme Erhöhung der Militärausgaben mit sich bringt. „Jetzt werden die Anforderungen härter und rigoroser, um das Bündnis wieder in die Lage zu versetzen, einen Krieg in Europa zu führen und die Abschreckung glaubwürdig zu machen.“ Die Nato werde sicherstellen, dass sie „vom ersten Tag des Konflikts an einen Krieg mit hoher Intensität gegen einen Rivalen – Russland - führen kann“, schreibt die Times.

Anstelle des bisherigen Ziels, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär aufzuwenden, wird von den Nato-Mitgliedern erwartet, dass sie zwischen 2,5 und 3 Prozent dafür ausgeben, berichtet die Times.

In der wohl unheilvollsten Passage des Artikels heißt es: „Früher wurden die jährlichen Übungen der Nato-Atomstreitkräfte, die als Steadfast Noon bekannt sind, geheim gehalten. Letztes Jahr jedoch, nach dem Einmarsch Russlands, wurde die Übung öffentlich abgehalten. Ein Nato-Vertreter sagte, es sei wichtig, Moskau zu zeigen, dass die Allianz sich von nuklearen Drohungen nicht abschrecken lasse.“

Das Nato-Hauptquartier wird ebenfalls „in ein großes strategisches und kriegswirtschaftliches Kommando umgewandelt, das mit der Ausarbeitung der Pläne des Bündnisses zur Integration und Stationierung verbündeter Truppen betraut ist“.

Der Beitritt Finnlands zur Nato, durch den sich die Länge ihrer Landgrenze zu Russland verdoppelt hat, wird eine Schlüsselkomponente dieser Pläne sein, wobei die gesamte Grenze Russlands zur Nato zu einer militarisierten Zone wird.

Nur wenige Wochen nach seinem Nato-Beitritt hat Finnland mit dem Bau eines Zauns an der russischen Grenze begonnen, und der erste Abschnitt soll schon im Juni fertig gestellt werden.

Im Juni letzten Jahres veröffentlichte die Nato ein Strategiedokument, in dem erklärt wird, dass sich das Bündnis „auf eine hochintensive, bereichsübergreifende Kriegsführung gegen atomar bewaffnete Konkurrenten“ vorbereiten müsse. In dem Dokument heißt es: „Der euro-atlantische Raum lebt nicht in Frieden“ – womit das Bündnis quasi den Kriegszustand ausruft.

Im Januar erklärte Rob Bauer, der oberste Militärsprecher der Nato, dass das von den USA geführte Nato-Bündnis auf einen „direkten Zusammenstoß mit Russland“ vorbereitet sei. Auf die Frage des portugiesischen Nachrichtensenders RTP News: „Sie glauben nicht, dass es nur um die Ukraine geht?“ antwortete Bauer: „Nein, es geht darum, zur alten Sowjetunion zurückzukehren.“

Der Interviewer weiter: „Die gesamte Ostflanke ist also irgendwie in Gefahr?“ Bauer: „Ja.“ Der Interviewer: „Sind wir zu einer direkten Konfrontation mit Russland bereit?“ Darauf Bauer: „Das sind wir.“

Vor diesem Hintergrund wird die Nato am 22. April mit Defender 23 beginnen, dem jährlichen Kriegsspiel der Allianz.

An der Übung werden 9.000 US-Soldaten und 17.000 Soldaten anderer Nato-Mitglieder teilnehmen. Die fast zweimonatige Übung „konzentriert sich auf den strategischen Einsatz von US-Streitkräften, den Einsatz von vorbereiteten Heeresvorräten und die Interoperabilität mit europäischen Verbündeten und Partnern“, so ein Sprecher des Pentagon am 5. April.

Ein Hauptziel der Übung ist nach Angaben der Europe und Africa Commands der US-Armee die „Erhöhung der Durchschlagskraft der Nato-Allianz durch Langstreckenfeuer“.

Im Anschluss daran findet Air Defender 2023 statt, die größte Nato-Luftübung seit ihrer Gründung. Ein Beamter der US Air National Guard erklärte gegenüber dem Online-Magazin War Zone, dass die russischen Offiziellen aus der Übung „jede beliebige Botschaft mitnehmen können“.

Vor diesem Hintergrund hat eine Gruppe ehemaliger hochrangiger Diplomaten sowie Politik- und Militärberater aus Frankreich, Deutschland, den Vereinigten Staaten und Spanien einen Kommentar verfasst (auf Deutsch wurde er im Tagesspiegel veröffentlicht), in dem sie ein direkteres militärisches Eingreifen der Nato gegen Russland befürworten. Der Westen müsse mit seiner Hilfe für die Ukraine „aufs Ganze“ gehen, heißt es dort. Und weiter: „Die Ukraine braucht die kombinierte Kraft von Panzern, Raketen mit größerer Reichweite und Flugzeugen, um einen erfolgreichen Gegenangriff durchzuführen und den Weg zum ukrainischen Sieg zu ebnen.“

Die Presse ist voll von solchen Erklärungen. David Ignatius schreibt in der Washington Post: „Präsident Biden will keinen Dritten Weltkrieg anzetteln, aber er wird mit Bedauern zurückblicken, wenn die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten irgendwelche Waffen oder Munition an der Seitenlinie zurücklassen, die in diesem Konflikt verantwortungsvoll eingesetzt werden könnten. Was auch immer Biden später wünscht, er hätte es getan, wenn die Dinge schlecht laufen - er sollte es jetzt tun.“

Da sich die militärische Lage der ukrainischen Streitkräfte immer mehr verschlechtert, plant die Nato demnach offen eine massive Verschärfung ihres Konflikts mit Russland.

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