Perspektive

Die Pentagon-Leaks und die US-Medien

Pentagon-Sprecher und Brigadegeneral Patrick Ryder bei einer Pressekonferenz im Pentagon, 13. April 2023

Die Reaktion der US-Medien auf eine Reihe von Dokumenten-Leaks, die die Beteiligung der USA am Krieg in der Ukraine und die Lügen der Regierung darüber enthüllen, wirft weitreichende Fragen im Zusammenhang mit der Verteidigung demokratischer Rechte auf.

Am Donnerstag veröffentlichte die New York Times die Identität der Person, die mutmaßlich für die Leaks der Pentagon-Dokumente verantwortlich ist, was dazu führte, dass die Person verhaftet wurde.

In Zusammenarbeit mit dem staatlich finanzierten Propaganda-Netzwerk Bellingcat hat die Times die Identität von Jack Teixeira, einem 21-jährigen Mitglied der Air National Guard, öffentlich gemacht. Nur wenige Stunden später wurde Teixeira verhaftet.

Es gibt Hinweise darauf, dass Teixeira abstoßende faschistische und antisemitische Ansichten vertritt. Seine Motive ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass die von ihm veröffentlichten Dokumente die US-Regierung dabei zeigen, wie sie die Öffentlichkeit systematisch darüber belügt, dass sie in der Ukraine einen nicht erklärten Krieg gegen Russland führt.

Aus den Dokumenten geht hervor, dass entgegen den falschen Behauptungen der Biden-Regierung Nato-Kräfte in der Ukraine vor Ort sind, dass die Nato direkt in den Krieg verwickelt ist und dass sich das ukrainische Militär in einer weitaus schlechteren Lage befindet, als in den Medienberichten dargestellt wird.

Diese Dokumente haben nicht nur die US-Regierung, sondern auch die New York Times und die Washington Post als Lügner entlarvt.

Die großen US-Medien reagieren ihrerseits, indem sie das Recht der US-Regierung, die Öffentlichkeit zu belügen, grundsätzlich verteidigen.

Am Donnerstag veröffentlichte die Washington Post einen Leitartikel mit der Überschrift „The Discord leaks show our nation's secrets at risk“ („Discord-Leaks zeigen, dass unsere Staatsgeheimnisse in Gefahr sind“).

An keiner Stelle wird die Regierung Biden in dem Leitartikel dafür kritisiert, dass sie die amerikanische Öffentlichkeit belogen hat. Stattdessen verteidigt der Artikel die Geheimhaltung der Regierung und verspricht, die Regierung dabei zu unterstützen, dass die Öffentlichkeit nicht erfährt, was die Regierung geheim halten will.

Der Leitartikel verkündet: „Für eine funktionierende Regierung ist es unerlässlich, dass sie ihre Geheimnisse wahren kann“.

Mit diesem Statement sagt die Post, die dem Oligarchen Jeff Bezos gehört, einem Grundprinzip der Demokratie den Kampf an.

In seiner Antrittsrede von 1801 erklärte der dritte US-Präsident Thomas Jefferson, dass er die „Verbreitung von Kenntnissen und [die] Anklage jeglichen Missbrauchs vor dem Gericht der öffentlichen Vernunft“ für einen der „wesentlichen Grundsätze unserer Regierung“ halte. Denn, wie Jefferson später erklärte: „[Das Volk] mag sich fügen, doch kann es nicht etwas zustimmen, was es nicht versteht.“

Um dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg einen demokratischen Anstrich zu geben, erklärte Präsident Woodrow Wilson im Januar 1918 im ersten Punkt seines Vierzehn-Punkte-Programms, es sollten „keine geheimen internationalen Vereinbarungen irgendwelcher Art mehr getroffen werden, sondern die Diplomatie soll immer offen und vor aller Welt arbeiten.“

Die „Staatsgeheimnisse“, die durch die Pentagon-Leaks enthüllt wurden, waren keine Geheimnisse vor Russland, sondern Geheimnisse vor der amerikanischen Bevölkerung.

Die Dokumente zeigen, dass die Regierung die Öffentlichkeit in Bezug auf eine Außenpolitik, die einen Atomkrieg und die Zerstörung der menschlichen Zivilisation zu verursachen droht, grundlegend in die Irre führt.

Indem die Post das Prinzip der „Staatsgeheimnisse“ in Bezug auf das Verhalten der USA im Ukraine-Krieg unterstützt, verteidigt sie das „Recht“ der Regierung, die Öffentlichkeit ungestraft zu belügen.

Die Komplizenschaft der US-Medien bei den Verbrechen des US-Imperialismus erreicht damit ein völlig neues Niveau: Sie sind zu aktiven Partnern der Regierung geworden, wenn es darum geht, die Herausbildung einer informierten öffentlichen Meinung zu verhindern, die der Vorbereitung, Durchführung und Eskalation von Kriegen Einhalt gebieten könnte.

Anders ausgedrückt: Beim Aufbau eines Polizeistaats in Amerika müsste die Washington Post weder ihre Grundsätze ändern noch ihr Personal wechseln.

Im Leitartikel steht nichts zu dem befremdlichen Missverhältnis zwischen dieser umfassenden Unterstützung staatlicher Macht gegen die Öffentlichkeit und dem offiziellen Leitspruch der Zeitung „Democracy Dies in Darkness“ („Die Demokratie stirbt in der Dunkelheit“).

Ein „nationales Geheimnis“ ist in der Tat ein Geheimnis, das ein Teil der „Nation“ vor einem anderen hat. Ein Teil der „Nation“, nämlich die Regierung und die Finanzoligarchie, deren Angelegenheiten die Regierung verwaltet, ist gänzlich in das Geheimnis eingeweiht. Doch die große Masse der Bevölkerung darf nur Lügen hören.

Die Tatsache, dass ein 21-jähriger Nationalgardist Zugang zu diesen vermeintlich streng geheimen und sensiblen Dokumenten hatte, macht deutlich, wie weit verbreitet das Wissen über das Eingreifen der USA in der Ukraine in Staat, Militär und Medien ist. Die Washington Post hat sogar öffentlich zugegeben, dass sie Hunderte der geleakten Dokumenten eingesehen hat, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang hat.

Mit anderen Worten besteht das eigentlich Verbrechen darin, die breite Öffentlichkeit über die Lügen der US-Regierung zu informieren. Für dieses Verbrechen hat Chelsea Manning sieben Jahre im Gefängnis gesessen; Julian Assange ist bis heute inhaftiert.

Die US-Medien, insbesondere die New York Times, arbeiten seit langem mit der US-Regierung dabei zusammen, die Verbrechen des US-Imperialismus zu fördern und zu rechtfertigen. Doch dass die Times in aller Öffentlichkeit Maßnahmen ergreift, die dazu führen, dass eine Quelle verhaftet wird, die der Öffentlichkeit bedeutsame Informationen geliefert hat, ist ein Meilenstein in der Degeneration der amerikanischen Presse zu einem Anhängsel des Staates.

Wer also Informationen hat, die ein kriminelles Verhalten der Regierung aufzeigen, kann sich nicht an die New York Times, die Washington Post oder andere große US-Medien wenden, weil er befürchten muss, kurzerhand der Polizei oder dem FBI übergeben zu werden. Umgekehrt gefährdet das Vorgehen der New York Times alle Journalisten in den USA, die man nun beschuldigen wird, nichts anderes als Regierungsspione zu sein.

Vor über 50 Jahren veröffentlichten die New York Times und die Washington Post die Pentagon Papers, die enthüllten, dass sich die Regierungen Kennedy, Johnson und Nixon systematisch zur Führung eines Angriffskriegs gegen Vietnam verschworen hatten. Der Vietnamkrieg ging mit einer Vielzahl an Kriegsverbrechen von US-Soldaten einher, während die Öffentlichkeit über die Ziele und das Ausmaß des Krieges getäuscht wurde.

Nach den Maßstäben, die die Times und Post heute vertreten, würde nicht nur Daniel Ellsberg, der die Pentagon Papers veröffentlicht hat, sondern auch die Redakteure, Journalisten und Verleger der Times, die sie abgedruckt haben, strafrechtlich verfolgt werden.

Am Dienstag forderte der Sprecher des Weißen Hauses für nationale Sicherheit, John Kirby, die US-Medien auf, die in den Dokumenten enthaltenen Informationen nicht mehr zu veröffentlichen: „Auf den Titelseiten der Zeitungen oder im Fernsehen … hat das nichts zu suchen. [Die Informationen] sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und sollten nicht veröffentlicht werden.“

Das Weiße Haus mag zwar den Wunsch haben, dass die Öffentlichkeit nichts von seinen Lügen und Verbrechen erfährt, und die Mainstream-Medien mögen diesem Wunsch nachkommen, doch das Internet hat es dem Staat unmöglich gemacht, den öffentlichen Diskurs zu kontrollieren.

Im Jahr 2017 klagte die vormalige Sonderassistentin der Obama-Regierung, Samantha Power, darüber, dass die Kontrolle der Leitmedien über den öffentlichen Diskurs schwinde. Sie schrieb: „Während des Kalten Krieges erhielten die meisten Amerikaner ihre Nachrichten und Informationen über vermittelnde Plattformen. Reporter und Redakteure, die als professionelle Wächter agierten, hatten beinahe die volle Kontrolle darüber, was in den Medien erschien.“ Die Tatsache, dass „zwei Drittel der Amerikaner gegenwärtig zumindest einen Teil ihrer Nachrichten über soziale Medien beziehen“, sei gefährlich, schrieb sie.

Als Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft entführt wurde, bejubelte die Washington Post deshalb die Verhaftung dieses ernsthaften Journalisten durch die Trump-Regierung und erklärte in einem Leitartikel, Assange sei „kein Held der freien Presse“ und es sei „überfällig“, dass er „persönlich zur Verantwortung gezogen“ werde.

Der Inhalt der geleakten Pentagon-Dokumente verdeutlicht die entscheidende Rolle der World Socialist Web Site. Während die Lügen der Times und der Post durch die Dokumente entlarvt wurden, wurde die Berichterstattung der WSWS bestätigt. Denn während die Times und die Post versuchten, die Arbeiterklasse zu täuschen und zu belügen, kämpfte die WSWS dafür, die Öffentlichkeit über die immensen Gefahren zu informieren, die von der Eskalation des Kriegs ausgehen.

Dass die Medien die Lügen der Regierung abdecken, ist ein verzweifelter Versuch der Finanzoligarchie, eine wachsende gesellschaftliche Opposition abzuwehren. Sie glauben, dass sie durch eine Kombination aus Lügen und Propaganda in der Lage wären, die Welt in einen Krieg zu verwickeln, der die Voraussetzungen dafür schafft, Streiks und Proteste zu verbieten und die Profite der Finanzoligarchie zu sichern.

Doch wie Abraham Lincoln einst feststellte: „Man kann alle Menschen eine gewisse Zeit und gewisse Menschen für alle Zeit täuschen, aber man kann nicht alle Menschen für alle Zeit täuschen“. Was die Oligarchie am meisten fürchtet, steht auf der Tagesordnung – der Aufbau einer internationalen, sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg.

Der 1. Mai 2023 wird für den Aufbau dieser Bewegung von besonderer Bedeutung sein. Am Sonntag, den 30. April, werden das Internationale Komitee der Vierten Internationale, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees, die International Youth and Students for Social Equality und die World Socialist Web Site eine weltweite Online-Kundgebung zum 1. Mai veranstalten, um Arbeiter und junge Menschen in aller Welt gegen den Krieg in der Ukraine zu mobilisieren. Wir fordern alle, die sich dem Krieg entgegenstellen wollen, dringend auf, sich noch heute für die Veranstaltung zu registrieren.

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