Im Ukrainekrieg geht es nicht um die Verteidigung von „Demokratie“ und „Freiheit“, wie die offizielle Propaganda glauben machen will. Wie in jedem Krieg verfolgen die imperialistischen Mächte geostrategische Ziele und handfeste wirtschaftliche Interessen. Das unterstrich die Reise des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) in die Ukraine Anfang der Woche.
Es war Habecks erste Reise nach Kiew seit Kriegsbeginn. Er habe erst kommen wollen, wenn er etwas mitbringen könne, erklärte der Wirtschaftsminister bei seiner Ankunft: „Eine Wirtschaftsdelegation, die der Ukraine die Hoffnung macht, dass es nach dem Krieg wieder einen Wiederaufbau geben wird.“ Dabei geht es um massive Profite für die deutsche Wirtschaft und die Aufteilung der Kriegsbeute.
Die Kriegspropagandisten in den Medien sprechen dies offen aus. „Mit Rüstungsgütern, mit Instandhaltung und Wiederaufbau lässt sich Geld verdienen. Kein Wunder, dass sich die Europäer hier auch von ihrer hässlichen Seite zeigen“, kommentierte Stefan Kornelius, Ressortleiter Politik der Süddeutschen Zeitung, Habecks Reise und die zunehmende Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten.
Schon jetzt diskutierten die G-7-Staaten „unverhohlen, wer beim Aufbau der Nachkriegs-Ukraine die Kontrolle“ übernehme. Und auch hier gelte: „Wer zahlt, bestimmt die Musik.“ Die Bundesregierung habe „also keinen Anlass, in Jammern und Klagen zu verfallen, sondern sollte kühl anerkennen, dass dieser Krieg bei aller gemeinsamen politischen Empörung auch den Eigennutz der Staaten befördert“.
Tatsächlich prescht der deutsche Imperialismus, der bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg versucht hat, sich die Ukraine einzuverleiben, aggressiv vor. Schon im vergangenen August rief der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft eine Arbeitsgruppe „Recovery Ukraine“ ins Leben, die im September das Dossier „Rebuild Ukraine“ veröffentlichte. Es beinhaltet „Vorschläge der deutschen Wirtschaft für den Wiederaufbau und die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft“. Im Oktober veranstaltete die Bundesregierung dann in Berlin eine Konferenz zum „Wiederaufbau der Ukraine“.
Nun werden die Pläne vor Ort in die Tat umgesetzt. Habecks Delegation bestand aus sieben führenden Vertretern der deutschen Wirtschaft – darunter der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Siegfried Russwurm, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Martin Wansleben und eine Vertreterin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – und machte aus ihren Interessen keinen Hehl.
Habeck selbst sieht das osteuropäische Land als einen potentiell wichtigen Energielieferanten. Deutschland und die Ukraine seien in diesem Bereich schon seit 2020 Partner, betonte er nach dem Besuch eines Umspannwerks des Energiekonzerns „Ukrenergo“. Die „strategischen Pläne“ der Ukrainer bestünden darin, „das Energiesystem breiter und dezentraler aufzustellen“. Insofern passten „da zwei Sachen ganz gut zusammen: das Sicherheitsbedürfnis und ein zukunftsfähiges Energiesystem“. Die Ukraine könne zum Energieexporteur Richtung Europa werden.
Der Hunger des deutschen Imperialismus beschränkt sich nicht auf Fragen der Energie. In einem Interview mit dem ZDF heute journal verkündete Habeck, der deutsche Pharma- und Chemieriese Bayer werde 60 Millionen Euro in die Ukraine investieren. Außerdem werde die Baustofffirma Fixit ihre Kapazitäten in der Baustoff-Produktion „in der Ukraine erweitern, quasi verdoppeln“. Das werde „auch dringend gebraucht“ für die Reparatur von Straßen, Gebäuden und Brücken.
Um Berlin die Kontrolle über den Wiederaufbau zu sichern, stellte Habeck den Unternehmen eine weitgehende Investitionsgarantie in Aussicht. „Sollte dieses Fabrikgebäude zerstört werden, etwa durch Raketenangriffe, garantiert oder haftet der deutsche Staat“, versprach der Wirtschaftsminister. Für Kriegsgebiete gelte, „das machen wir normalerweise nicht, aber in diesem Fall machen wir das“.
Um die enormen Summen aufzubringen, die der Wiederaufbau kosten wird – Schätzungen reichen von etwa 400 Milliarden bis zu über einer Billion Euro – brauche es einen „Dreiklang“: Die Ukraine müsse „gute Investitionsbedingungen schaffen“, es müsse „Garantien von öffentlicher Hand geben“, und dann müsse das „private Kapital in die Ukraine wollen“.
„Gute Investitionsbedingungen“ sind ein Euphemismus für die brutale Ausbeutung der Arbeiterklasse. Bereits im vergangenen Sommer versprach das Selenskyi-Regime potenziellen Geldgebern, bis 2032 ein jährliches BIP-Wachstum von mehr sieben Prozent erreichen zu wollen. Seitdem hat Kiew die Rechte der ukrainischen Arbeiter, die bereits vor dem Krieg zu den ärmsten und am meisten ausgebeuteten in ganz Europa gehörten, weiter angegriffen.
Darüber hinaus ist die Ausbeutung der Ukraine direkt mit den Plänen für die Unterwerfung und Plünderung Russlands verbunden. Im Februar hatten die baltischen Staaten und Polen andere westliche Regierungen aufgefordert, Russlands Zentralbankreserven, die im Ausland lagern – etwa 300 Milliarden Dollar –, für den ukrainischen Wiederaufbau zu verwenden. Habeck äußerte sich nicht zu diesem Vorschlag – der illegal und ein Akt des Raubs wäre –, stellte aber klar, dass die deutsche Regierung die militärische Niederlage der Atommacht Russland anstrebt.
Sein Besuch sei ein Zeichen, „dass wir daran glauben, dass sie [die Ukraine] siegreich sein wird, dass sie wiederaufgebaut wird, dass es ein Interesse von Europa gibt, nicht nur in der Not zu unterstützen, sondern dass die Ukraine auch ein wirtschaftlich starker Partner in der Zukunft sein wird“, erklärte Habeck. Es dürfe „keine Kapitulation zu Putins Bedingungen“ geben, sondern die „Wiederherstellung einer Ordnung, die den Frieden implementiert“.
Habecks Argumentation ist zynisch und verlogen. Den imperialistischen Mächten, die seit nahezu drei Jahrzehnten ununterbrochen Krieg führen und ganze Länder zerbombt haben, geht es nicht um Frieden, sondern um eine Ausweitung des Kriegs. „Es wäre richtig gewesen, die Ukraine schon früher militärisch zu unterstützen“, erklärte Habeck, der als einer der wenigen deutschen Politiker bereits vor dem russischen Einmarsch gefordert hatte, „Defensivwaffen“ an Kiew zu liefern. Entscheidend sei nun, „wie schnell die versprochenen Panzer und die versprochene Munition in die Ukraine“ kämen.
Die Ausweitung des Kriegs, die immer direkter die Gefahr einer nuklearen Eskalation heraufbeschwört – am Dienstag bestätigte der Kreml die Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus – geht einher mit einer aggressiven Propaganda über russische Kriegsverbrechen. Medienwirksam besuchten Habeck und Selenskyj den Keller einer Schule im Dorf Jahidne. Der ukrainische Präsident behauptete, dass russische Soldaten dort 350 Einwohner eingepfercht hätten, wobei elf Ukrainer umgekommen seien. Ein weiteres Dutzend sei erschossen worden.
Überprüfen lassen sich diese Behauptungen nicht. Aber Gräuelpropaganda ist ein wichtiges Instrument der Kriegsführung. Der anderen Seite werden fürchterliche Verbrechen vorgeworfen, die entweder frei erfunden sind oder massiv aufgebauscht werden, um den Gegner zu entmenschlichen und seine komplette Zerstörung anzustreben.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Alles, was man dem Präsidenten Russlands wünschen kann, ist, dass er die ihm verbleibenden Tage im Keller mit einem Eimer anstelle einer Toilette verbringt“, geiferte Selenskyj beim Verlassen des Kellers. Habeck erklärte, er könne Selenskyj verstehen.
Der russische Einmarsch in die Ukraine ist reaktionär, aber die Hauptverantwortung für den Krieg tragen die imperialistischen Mächte. Seit der Auflösung der Sowjetunion vor 30 Jahren kreist die Nato Russland systematisch ein. Anfang 2014 organisierten Washington und Berlin einen rechten Putsch in der Ukraine, um in Kiew ein anti-russisches Regime zu installieren. Bereits damals stützten sie sich auf faschistische Kräfte, die nun im Krieg eine zentrale Rolle spielen.
Die Propaganda über russische Kriegsverbrechen in der Ukraine kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nato in Kiew eine Regierung hochrüstet, die Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch verehrt und Mitglieder von faschistischen Armeeeinheiten und Milizen als „Helden der Ukraine“ feiert. All das geschieht mit der vollen Unterstützung der Bundesregierung und allen voran der Grünen.
Kurz vor Habecks Besuch veröffentlichte die grüne Spitzenpolitikerin Marieluise Beck auf Twitter ein Selfie mit einer gewissen „Kateryna P.“, die sie als „eine entzückende, hoch kreative junge Frau“ pries. Ihr Mann habe „mit Asow für ein Leben in Freiheit statt unter dumpfem russischem Terror“ gekämpft. Es seien „oft die besten, die bereit sind, ihr Leben für Würde und Freiheit zu geben. Sie kämpfen auch für uns.“
Becks Held ist der frühere Kommandeur des faschistischen Asow-Regiments Denys Prokopenko, der in der Schlacht um Mariupol eine zentrale Rolle gespielt hat. Prokopenko macht keinen Hehl daraus, dass er den Krieg gegen Russland als Teil einer rechtsextremen historischen Mission sieht.
Sein Großvater hatte im Zweiten Weltkrieg in Finnland gegen die Sowjetunion gekämpft und Prokopenko schreibt dazu: „Es fühlt sich an, als hätte ich denselben Krieg fortgesetzt, nur an einem anderen Abschnitt der Front, einen Krieg gegen das Besatzungsregime des Kremls. Mein Großvater hatte so einen schrecklichen Hass auf den Kommunismus, auf den Bolschewismus, auf die Sovok [abwertend für Sowjets].“
Im Zweiten Weltkrieg kollaborierten die ukrainischen Nationalisten und Faschisten mit den Nationalsozialisten und begingen fürchterliche Verbrechen. Eines der abscheulichsten war das Massaker von Babyn Jar, dem mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Insgesamt kostete der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion etwa 27 Millionen Menschen das Leben. Der dritte deutsche Griff nach der Ukraine und Russland steht in dieser dunklen Tradition.