Unter der Überschrift „Lynching the Deplorables“ [Lynchjustiz an den Bedauernswerten] veröffentlichte der Journalist Chris Hedges am 5. März auf seinem Substack-Blog eine Kolumne, in der er sich gegen die strafrechtliche Verfolgung der Teilnehmer am Angriff des rechten Mobs auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 ausspricht. Dieser Angriff war Teil eines gescheiterten Putschversuchs des ehemaligen Präsidenten Donald Trump.
Die Kolumne unterstützt das faschistische Narrativ des Angriffs vom 6. Januar als eines harmlosen Protests frustrierter und entrechteter Bürger. Sie verschleiert die politische Bedeutung der Ereignisse dieses Tags. Es war der erste Versuch eines US-Präsidenten überhaupt, eine Wahlniederlage zu kippen, um selbst an der Macht zu bleiben. Die Kolumne übertreibt die Reaktion des Justizministeriums maßlos, indem sie als unangemessen harte und möglicherweise illegale Verfolgung unschuldiger Demonstranten darstellt, was in Wirklichkeit eine begrenzte und zurückhaltende Reaktion auf einen gescheiterten Staatsstreichversuch war.
Hedges' Kolumne stellt die politische Realität auf den Kopf. Er verwandelt die Teilnehmer eines faschistischen Putschs zur Errichtung einer Präsidialdiktatur in Märtyrer, deren Verfolgung einem groben Angriff auf die demokratischen Rechte gleichkommt.
Es ist eine Sache, wenn Sozialisten warnend darauf hinweisen – was die Socialist Equality Party und die World Socialist Web Site immer wieder taten – dass die Arbeiterklasse sich bei der Unterdrückung von Faschisten nicht auf den kapitalistischen Staat verlassen kann, und dass alle repressiven Maßnahmen, zu denen der Staat gegen die Rechten von Zeit zu Zeit juristisch genötigt sein mag, weitaus umfassender und brutaler gegen links eingesetzt werden. Eine ganz andere Sache ist es, wenn man sich dagegen wehrt, dass Faschisten für tatsächliche Gewaltverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn man ihre Taten politisch rechtfertigt und sie als Märtyrer, die es zu verteidigen gilt, hinstellt.
Die staatliche Repression zeichnet sich dadurch aus, dass ein krasses Missverhältnis besteht zwischen der Behandlung der rechten und faschistischen Gruppen einerseits, die gelegentlich mit der Polizei aneinandergeraten, während sie in deren Reihen beträchtliche Unterstützung und Sympathie genießen, und andererseits der brutalen Gewalt, die gegen die Linke entfesselt wird, nicht nur gegen Sozialisten und Revolutionäre, sondern sogar gegen all jene, die für demokratische Reformen auf die Straße gehen.
Lehren aus der Geschichte
In den Vereinigten Staaten hat die rechte Gewalt, die vom kapitalistischen Staat nicht einmal untersucht wird, eine lange Geschichte. In der Zeit der Bürgerrechtbewegung blieben die Mörder von Emmett Till und Medgar Evers jahrzehntelang ungestraft. Es bedurfte eines anhaltenden Kampfs, um die Mörder von drei Wahlrechtsaktivisten (James Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner) im ländlichen Mississippi zur Rechenschaft zu ziehen. Das Gleiche galt für die Mörder von Viola Liuzzo, einer Hausfrau aus Detroit, die während des Bürgerrechtsmarschs von Selma nach Montgomery als freiwillige Helferin arbeitete. Sie wurde aus einem Wagen heraus von Ku-Klux-Klan-Mitgliedern erschossen. Unter den Mördern befand sich ein FBI-Informant.
Zwischen 1977 und 1980 sah sich die Workers League, Vorgängerin der Socialist Equality Party, gezwungen, drei Jahre lang in der Arbeiterbewegung Kampagne zu machen, um die New Yorker Polizei zu zwingen, die beiden identifizierten Mörder des trotzkistischen Führers Tom Henehan zu verhaften.
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als der Faschismus in Europa aufkam, gab es zahlreiche Fälle, in denen faschistische Führer vor Gericht praktisch mit Handschuhen angefasst wurden, selbst wenn sie gewaltsam versucht hatten, die Regierung zu stürzen. 1923 versuchte Adolf Hitler, im Marsch auf die Feldherrnhalle die bayerische Landesregierung zu stürzen. Der Hitlerputsch scheiterte, aber Hitler wurde nur zu einem Jahr Festungshaft verurteilt. In dieser Zeit konnte er bequem leben, seine Führungsrolle in der extremen Rechten festigen und „Mein Kampf“ verfassen. In den Jahren bis zu Hitlers Machtergreifung 1933 kamen Nazi-Schläger, die Kommunisten ermordet hatten, in der Weimarer Republik häufig ungestraft davon.
Das Ereignis, das die größte Ähnlichkeit mit den Ereignissen des 6. Januar 2021 aufweist, ist der faschistische Angriff auf das französische Parlament am 6. Februar 1934, als Gruppen bewaffneter ehemaliger Militäroffiziere an der Spitze eines faschistischen Mobs versuchten, die Regierung zu stürzen. Die Polizei schlug sie zurück und tötete 15 Faschisten. Einen Tag später stürzte die Mitte-Links-Regierung von Daladier und wurde von einem stärker rechtsgerichteten Regime abgelöst. Das veränderte den Kurs der französischen Politik entscheidend und gab den Faschisten, was sie wollten.
Der Mob, der am 6. Januar 2021 das Kapitol angriff, hatte sogar noch größere Erfolgschancen, da er die Unterstützung des amtierenden Präsidenten und eines bedeutenden Teils des militärischen Geheimdienstes genoss.
Es ist unzulässig, das politische Ereignis des Angriffs auf das Kapitol zu bagatellisieren und als spontanen Ausdruck von Frustration über den Wahlausgang abzutun. Unabhängig von den individuellen Beweggründen verwirrter und verblendeter Personen, die dem Trump-Narrativ von den „gestohlenen Wahlen“ auf den Leim gingen, war der Putschversuch vom 6. Januar das Endprodukt einer massiven, aus dem Weißen Haus gesteuerten Verschwörung.
Diese zeigte sich in der Öffentlichkeit erstmals im Juni 2020, als Trump auf die landesweiten Proteste gegen den Polizeimord an George Floyd in Minneapolis reagierte. Trump forderte den Einsatz der Nationalgarde und drohte damit, sich auf das Aufstandsgesetz zu berufen, das Kriegsrecht zu verhängen und die Armee zu mobilisieren. Dies gipfelte in seinem berüchtigten Spaziergang durch den Lafayette Park und seinem Auftritt vor einer Kirche, wo er in Begleitung hochrangiger Beamter, darunter eines führenden Generalstabschefs in voller Uniform, mit einer Bibel posierte.
Im Sommer 2020 setzte Trump bewaffnete Bundespolizei in Portland (Oregon) und anderen Städten ein. Dies führte zu dem Polizeimord an Michael Reinoehl, der aus Portland geflohen war, nachdem er einen faschistischen Angreifer während eines Protestmarsches in Notwehr erschossen hatte, und der praktisch hingerichtet wurde.
Der Schwerpunkt verlagerte sich dann auf die Präsidentschaftswahlen. Während des gesamten Wahlkampfs im Herbst erklärte Trump, er werde das Ergebnis der Wahl, wenn es gegen ihn ausfalle, nicht akzeptieren. Selbst sein demokratischer Gegenkandidat Joe Biden sagte, seine größte Angst sei, dass Trump sich weigern würde, das Weiße Haus zu räumen. Aber Biden unternahm nichts, um die Wähler auf die Krise nach der Wahl vorzubereiten. Stattdessen erklärte er, er sei zuversichtlich, dass der militärisch-geheimdienstliche Apparat die friedliche Machtübergabe erzwingen und sich als Schiedsrichter des amerikanischen politischen Lebens bewähren werde.
Chris Hedges hat sich entschieden, die gesamte Vorgeschichte des Putschs zu ignorieren. Dies ist eine kalkulierte politische Entscheidung seinerseits, die im Widerspruch zu seinen eigenen ausdrücklichen Warnungen vor den Präsidentschaftswahlen steht, als er im November 2020 auf die faschistischen Vorbereitungen auf bewaffnete Gewalt hinwies.
In einem Artikel für die Scheerpost, der am 8. September 2020 veröffentlicht wurde, warnte Hedges vor einer wachsenden rechtsgerichteten Bewegung, deren Mitglieder
bereit sind, die Vereinigten Staaten zu zerreißen, die mit militärischen Waffen überschwemmt sind, die nicht in der Lage sind, die Krise der Covid-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen zu bewältigen, die mit militarisierten Polizeikräften gesegnet sind, die als interne Besatzungsarmeen und de facto Verbündete der Neofaschisten fungieren.
In deutlicher Vorwegnahme von Trumps Plan, den Wahlausgang umzustürzen, fuhr Hedges fort:
Donald Trump und die Republikanische Partei sowie Medien wie FOX News schüren in ihrem Bemühen um den Machterhalt die Flammen der Gewalt und sehen in der Aufwiegelung des rechtsextremen Mobs einen Weg zu einem rücksichtslosen Polizeistaat.
Vertuschung von Trumps Putschversuch
In einer durch und durch zynischen Zurschaustellung von kalkulierter politischer Amnesie hat Hedges beschlossen, seine früheren Warnungen und seine Beschreibung der Kräfte, die Trump mobilisierte, zu vergessen. Tatsächlich findet sich in der gesamten Kolumne fast kein Hinweis auf Trump und überhaupt nichts über seine Rolle am 6. Januar. Hedges zitiert den Verteidiger Joseph McBride, eine Hauptquelle für seine Kolumne, der jegliche Verbindung zwischen den Proud Boys, die den Angriff auf das Kapitol anführten, und dem Anstifter im Weißen Haus abstreitet.
Hedges erwähnt mit keinem Wort Trumps Anweisung an die Proud Boys während einer landesweit im Fernsehen übertragenen Wahlkampfdebatte, sie sollten „zurücktreten und zusehen“. Er erwähnt auch nicht Trumps berüchtigten öffentlichen Aufruf an seine Anhänger, am 6. Januar nach Washington zu kommen, das mit der Ankündigung schloss, dass es „wild“ zugehen werde. Nahezu alle Angeklagten des 6. Januar haben Trumps Aufruf als Grund für ihre Anwesenheit angeführt. Hedges weist auch nicht darauf hin, dass dem Anschlag vom 6. Januar unmittelbar eine Kundgebung vor dem Weißen Haus vorausging, bei der Trump den bewaffneten Mob, den er mit seinen republikanischen Verbündeten versammelt hatte, aufforderte, zum Kapitol zu marschieren und „zu kämpfen wie die Löwen“, da sie andernfalls ihr Land verlieren würden.
Hedges bestreitet sogar die Anklage wegen aufrührerischer Verschwörung, die nur gegen eine Handvoll Rädelsführer des Angriffs auf das Kapitol erhoben wurde, während es sich bei den meisten der rund tausend Fälle, die das Justizministerium gegen die Angeklagten des 6. Januar eingereicht hat, um Vergehen oder minderschwere Verbrechen handelt, die mit geringen oder gar keinen Haftstrafen verbunden sind. Zu den schwerwiegenderen Anklagen schreibt er:
Während einige der Organisatoren des Protestes vom 6. Januar, wie Stewart Rhodes, der die Oath Keepers gegründet hat, sich möglicherweise der Aufwiegelung schuldig gemacht haben, und selbst das ist zweifelhaft, hat die überwiegende Mehrheit derjenigen, die in den Überfall auf das Kapitol verwickelt waren, keine schweren Verbrechen begangen, sich nicht an Gewalt beteiligt und geglaubt, in Washington nichts anderes zu tun als gegen die Wahlergebnisse zu protestieren [Hervorhebung hinzugefügt].
Er ignoriert Beweise dafür, dass Mitglieder der Oath Keepers, einer weiteren paramilitärischen Gruppe, Waffen und „Koffer voller Munition“ nach Washington gebracht hatten. Er geht nicht darauf ein, warum Trump auf den aktiven Einsatz von Magnetometern vor seiner Rede am 6. Januar wütend reagierte, weil sie verhinderten, dass bewaffnete Faschisten zu nahe kämen. „Es ist mir verdammt egal, dass sie Waffen haben“, erklärte Trump. „Sie sind nicht hier, um mich zu verletzen. Schafft die verdammten Mags weg.“
Hedges schildert den Mob von weit über 1.000 Menschen als eine Menge, die vielleicht übermäßig aufmüpfig war, aber nichts weiter wollte, als ihre legitime Frustration über die Wahl auszudrücken. Er fragt sich niemals, was passiert wäre, wenn diejenigen, die durch die Polizeilinien hindurch in das Kapitol eindrangen, ihr Ziel erreicht hätten und Vizepräsident Mike Pence, Sprecherin Nancy Pelosi, die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez oder eine andere prominente Figur des Kongresses gefangen genommen hätten.
Vor dem Kapitol wurde nicht ohne Grund ein Galgen aufgestellt. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die von den Randalierern ergriffenen Kongressabgeordneten entweder getötet worden wären, oder dass man sie als Geiseln benutzt hätte, um den Kongress unter Druck zu setzen. Der Kongress hätte erpresst werden können, um Bidens Wahlsieg zu annullieren und Bedingungen herzustellen, unter denen Trump im Weißen Haus hätte bleiben können.
Ein solches Szenario hatte Trump sicherlich im Sinn, als er verlangte, dass sein Gefolge vom Secret Service ihn zum Kapitol bringen sollte, damit er den Mob hineinführen könne, um die Zertifizierung der neuen Regierung durch den Kongress direkt in Frage zu stellen. Deshalb war er so wütend und schlug auf seinen eigenen Bodyguard ein, als dieser sich weigerte, ihn zu fahren.
Werden die Angreifer vom 6. Januar verfolgt?
Ein großer Teil von Hedges' Kolumne ist dem Versuch gewidmet, Sympathie für die Angreifer des Kapitols zu wecken, indem er die strafrechtlichen Konsequenzen, die ihnen nun drohen, übertreibt und Schicksale einiger der berüchtigtsten Angeklagten schildert, die zu Tränen rühren.
Die Wahrheit ist, dass nur einige wenige hochrangige Anführer und gewaltbereite Faschisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Ein Beispiel ist der ehemalige NYPD-Polizist und ehemalige Marinesoldat Thomas Webster, der einen Polizisten gewürgt und mit einer Fahnenstange geschlagen hatte. Die große Mehrheit der wegen Beteiligung am gescheiterten Staatsstreich Verurteilten wurden wegen geringfügiger Vergehen oder Bagatellen angeklagt und erhielten kurze Haftstrafen, Hausarrest oder bloß eine Geldstrafe und Bewährung.
In einer Aktualisierung von letzter Woche bestätigte das Justizministerium, dass von den „ungefähr 420 Bundesangeklagten“, die wegen krimineller Aktivitäten am 6. Januar verurteilt wurden, knapp die Hälfte, nämlich 200, nach ihrer Verurteilung nie in Haft waren. Stattdessen wurden „etwa 100 Angeklagte“, wie das Justizministerium schrieb, „eine Zeitlang zum Hausarrest verurteilt“, wobei nur 15 dieser 100 zuvor zu einer Haftstrafe verurteilt worden waren.
Für diejenigen, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurden, war der Gefängnisaufenthalt nur kurz. Ein kürzlich erschienener Bericht der Washington Post mit einer Analyse der von Bundesrichtern wegen des 6. Januar verhängten „leichten Strafen“ ergab, dass von 357 bis dahin verurteilten Personen 249 Personen oder 70 Prozent entweder eine Strafe von weniger als zwei Monaten Gefängnis (95), Hausarrest (66) oder Bewährung (88) erhalten hatten. Demselben Bericht zufolge waren nur acht Personen zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt worden.
Noch wichtiger ist die Tatsache, dass noch keine einzige Anklage wegen des Versuchs, die Verfassung zu stürzen, gegen den Architekten des Staatsstreichs, Ex-Präsident Donald Trump, und seine hochrangigen Komplizen in der republikanischen Partei, im militärischen Geheimdienst und im Obersten Gericht erhoben wurde.
Hedges' erstes Profil zeigt den sogenannten QAnon-Schamanen Jacob Chansley, wie er mit behörnter Pelzmütze, einem Speer mit amerikanischer Flagge, mit bizarrer Bemalung im Gesicht und offener Brust durch das Kapitol schreitet.
Hedges sagt, der Schamane sei „zu mehr als drei Jahren Gefängnis verurteilt“ worden, und Chansley sei „ein Anhänger von Ahimsa, einem alten indischen Prinzip der Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen“. Er sei „nicht angeklagt worden, jemanden angegriffen zu haben“.
Tatsächlich hat sich Chansley vor zwei Jahren einer Anklage wegen Obstruktion schuldig bekannt, nachdem die Staatsanwaltschaft zugestimmt hatte, mehrere andere Anklagepunkte fallen zu lassen, darunter Ruhestörung, gewaltsames Eindringen und ordnungswidriges Verhalten. Bei seiner Urteilsverkündung im November 2021 schwor Chansley sowohl QAnon als auch Trump ab und sagte dem Richter: „Ich habe keine Entschuldigung. Keine Ausreden. Mein Verhalten ist unentschuldbar.“
Hedges sagt nichts über den faschistischen, antisemitischen und gewalttätigen Charakter der QAnon-Ideologie, die Trump als Befreier hinstellt, der bereit sei, seine Gegner in der Demokratischen Partei und jeden anderen, der sich ihm in den Weg stellt, zu massakrieren.
Nach der beschönigenden Darstellung von Chansley wendet sich Hedges dem verurteilten Guy Wesley Reffitt, Mitglied der Miliz Texas Three Percenters, zu. Hedges listet die zahlreichen Anklagen auf, für die Reffitt verurteilt wurde, und schreibt dann: „Seine Anklage wegen Behinderung der Justiz stammte daher, dass er seine beiden Kinder im Teenageralter ‚bedroht‘ hatte, um sie davon abzuhalten, ihn bei den Strafjustiz anzuzeigen.“
Die Anführungszeichen um das Wort „bedrohen“ sind höchst aufschlussreich. Es ist unbestritten, dass Reffitt seinen Kindern gedroht hat, sie zu ermorden, wenn sie ihn wegen seiner Beteiligung an dem Staatsstreich anzeigten.
Während des Prozesses gab Reffitt zu, dass er am 6. Januar mit Handschellen und einer Pistole nach Washington gereist war. Die Staatsanwaltschaft erklärte den Geschworenen, dass Reffitt beabsichtigt habe, „seine Pistole und die polizeilichen Handschellen zu benutzen, um die Abgeordneten gewaltsam aus dem Gebäude zu zerren und den Kongress zu übernehmen“. Die Geschworenen befanden Reffitt nach kaum fünfstündiger Beratung für schuldig.
Als Reffitt nach dem Angriff auf das Kapitol am 6. Januar nach Texas zurückkehrte, sah sein damals minderjähriger Sohn Jackson seinen Vater in einem TV-Bericht. Jackson sagte später im Prozess gegen seinen Vater aus. Der mittlerweile 19-jährige sagte aus, sein Vater habe ihm und seiner Schwester gesagt, wenn sie ihn der Polizei auslieferten, seien sie „Verräter“, und: „Verräter werden erschossen.“
Hedges' Verteidigung der faschistischen Rechten
Im ersten Satz seiner Kolumne schreibt Hedges: „Es gibt wenig, was mich mit denjenigen, die am 6. Januar das Kapitol besetzt haben, verbindet“ (Hervorhebung hinzugefügt). Er zählt ihre schädlichen Ansichten auf, mit denen er vermutlich nicht einverstanden ist: „christlicher Nationalismus, weiße Vorherrschaft, blinde Unterstützung für Trump“. Aber er beantwortet nicht die offensichtliche Frage: Was ist das Wenige, das ihn mit jenen verbindet? Dieses „Wenige“ ist eine nicht näher spezifizierte politische Größe.
Hedges geht nicht auf die zentrale Behauptung der faschistischen Rechten ein, die die Grundlage für den Anschlag vom 6. Januar bildete, nämlich dass die Wahl 2020 gestohlen worden und Biden ein illegitimer Usurpator sei. Er ignoriert Trumps anhaltende Behauptung, er habe einen „erdrutschartigen“ Sieg errungen. Das war seine Botschaft an die Angreifer, als sie vom Kapitol zurückgetrieben wurden, und es ist die Grundlage seiner Kandidatur für die Präsidentschaft im Jahr 2024.
Hedges geht solchen Fragen aus dem Weg. Stattdessen konzentriert er sich auf das, was er als brutale Verfolgung der Angreifer darstellt, deren Aktionen er wohlwollend als „Protest“, „Übergriff“ oder „Besetzung“ bezeichnet.
Er schreibt:
Die Demonstranten vom 6. Januar waren nicht die ersten, die die Büros des Kongresses besetzt haben. Junge Umweltaktivisten der Sunrise-Bewegung, Antikriegsaktivisten von Code Pink und sogar Mitarbeiter des Kongresses haben zahlreiche Büros des Kongresses besetzt und Anhörungen des Kongresses unterbrochen. Was wird mit Gruppen wie Code Pink passieren, wenn sie Kongressbüros besetzen, während die Republikaner die Kontrolle über das Weiße Haus, den Kongress und die Gerichte haben? Wird man sie jahrelang in Untersuchungshaft festhalten? Werden sie auf der Grundlage zweifelhafter Gesetzesauslegungen zu langen Haftstrafen verurteilt werden? Wird man sie als inländische Terroristen betrachten? Werden Proteste und ziviler Ungehorsam unmöglich werden?
Der Vergleich von Code Pink und Umweltaktivisten mit den Proud Boys ist grotesk. Sie sind Pazifisten, keine gewalttätigen Schläger. Sie waren nicht bewaffnet und stürmten keine Kongressbüros, zerschlugen keine Fenster und schlugen keine Schädel ein. Sie wollten an den Kongress appellieren, sich ihren Standpunkt anzuhören, nicht jedoch ihn lahmlegen, um die Bestätigung einer Präsidentschaftswahl zu verhindern, den Präsidenten im Amt zu halten (was gegen die US-Verfassung verstößt) und effektiv eine Präsidialdiktatur in Amerika zu errichten.
Noch empörender ist es, wenn Hedges die Behandlung einiger berüchtigter Angreifer vom 6. Januar mit der brutalen staatlichen Verfolgung vergleicht, mit der man Julian Assange behandelt. Der Gründer und Herausgeber von WikiLeaks hat das unschätzbare Verdienst, die Verbrechen des US-Imperialismus im Irak, in Afghanistan und auf der ganzen Welt entlarvt zu haben. Assanges heldenhafte Taten in irgendeiner Weise mit der Gewalt des faschistischen Gesindels am 6. Januar 2021 zu vergleichen, ist politisch obszön.
Chris Hedges kennt die Umstände, unter denen Assange festgehalten wird. Er weiß, dass Assange bei einer Auslieferung 175 Jahre Haft in einem Supermax-Gefängnis drohen, und er hat sich gegen seine Verfolgung ausgesprochen. Welchem Angeklagten vom 6. Januar droht etwas Vergleichbares?
Wer ist Joseph McBride?
Um seine Behauptungen über ein juristisches Komplott zu untermauern, fügt Hedges ein langes Interview mit Joseph D. McBride an, einem Anwalt, der mehrere Angeklagten vom 6. Januar vertritt. Hedges stellt den Anwalt als Verfechter demokratischer Freiheit und Verteidiger der Unterdrückten dar, als jemanden, der Occupy Wall Street unterstützte: „Als Jurastudent hat er den im Zuccotti-Park Lagernden kostenlose Rechtsberatung angeboten.“
Er zitiert McBride, der die Behandlung der Angeklagten vom 6. Januar mit der staatlichen Kampagne gegen Muslime vergleicht, die auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 folgte: „Was passiert, ist dasselbe, nur dass es jetzt auf eine neue Gruppe von Menschen angewandt wird, in erster Linie weiße Christen, Trump-Anhänger.“
Mit solchen schein-demokratischen Äußerungen soll die Tatsache verschleiert werden, dass McBride ein bedingungsloser Trump-Anhänger ist. Er bewegt sich in den höchsten Kreisen der faschistischen Rechten. Er hat Ali Alexander, einen der Hauptorganisatoren der „Stop the Steal“-Kampagne, beraten, als dieser vor dem Sonderausschuss am 6. Januar aussagen musste. Alexander ist ein enger Freund des Hitler-Anhängers Nick Fuentes.
Seit dem gescheiterten Staatsstreich ist McBride in zahlreichen rechtsextremen Sendern aufgetreten, von Steve Bannons War Room bis hin zu FOX News, Newsmax und One America News. Er hat dem ehemaligen Trump-Berater Sebastian Gorka mehrere Interviews gegeben, in denen er die Sache der Angeklagten vom 6. Januar verteidigte. McBride nahm an einer Podiumsdiskussion mit Donald Trump Jr. und der Mutter von Ashli Babbitt teil, auf der die angeblich „ungerechte“ Verfolgung von Trumps Fußsoldaten diskutiert wurde.
In einem Interview mit Gorka vom Januar 2023 erklärte McBride, dass er die „politischen Gefangenen“ vom 6. Januar verteidige, denn: „Ich glaube, es ist meine Bestimmung ... meine Lebensaufgabe. Sieg, Niederlage oder Unentschieden, mein Team und ich gehören zu den Menschen, die dem Kommunismus ins Gesicht geschaut und gesagt haben: Wenn ihr in den Vereinigten Staaten von Amerika Erfolg haben wollt, dann kommt ihr nicht an uns vorbei.“
Am 24. Dezember 2022 twitterte McBride an den Minderheitenführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries: „[Black Lives Matter] & Antifa haben hunderte Tage lang geplündert, gebrandschatzt und randaliert. Horden junger People of Color plündern immer noch Tag für Tag. Und ihr macht es ihnen möglich …“
McBrides übelster Kommentar ist einer, den er im Gespräch mit Hedges selbst geäußert hatte. Hedges gibt ihn kritiklos in seine Kolumne wieder. Unwidersprochen zitiert er McBrides falsche Behauptung, dass Trumps verfolgte „weiße Christen“ in Washington D.C. unmöglich einen fairen Prozess bekommen könnten, denn, so McBride: Die „Voreingenommenheit“ im „Geschworenenpool“ sei ganz „erstaunlich“. Er hatte zu Hedges gesagt: „Der Jury-Pool in Washington D.C. ist unheilbar verseucht.“
Hedges behauptet, dies liege daran, dass es im District of Columbia, dem Sitz der Bundesregierung, viele Bundesbedienstete gebe, die sich als Opfer des Anschlags vom 6. Januar wähnen könnten. Für Rassisten und Faschisten gibt es indessen einen offensichtlicheren Grund, die Geschworenen in Washington D.C. als „verdorben“ zu bezeichnen: Die Bevölkerung der Stadt, aus der die Geschworenen ausgewählt werden, besteht zu 50 Prozent aus Afroamerikanern.
Daher ist Hedges' Verwendung des Begriffs „Lynchjustiz“, um die Verurteilung einer kleinen Zahl faschistischer Schläger zu beschreiben, sowohl widerlich als auch provokativ. „Weiße Christen“, deren einziges Verbrechen darin besteht, gegen das Wahlergebnis 2020 „protestiert“ zu haben, werden von den Demokraten in Washington D.C. mit Hilfe willfähriger schwarzer Geschworener „gelyncht“. Das kann mit Fug und Recht als Anbiederung an die „White Supremacy“-Anhänger betrachtet werden.
Fazit
Hedges beendet seine Kolumne auf den Knien und bittet „die Linke“, die Verfolgung von Trumps Fußsoldaten einzustellen, um die Faschisten nicht zu verärgern. Er schließt: „Wir verfestigen die Ideologie und die Wut der Rechtsextremen. Wir machen diejenigen, die ins Gefängnis gejagt werden, zu politischen Gefangenen und Märtyrern.“
In Wirklichkeit ist es Hedges, der die Angeklagten des 6. Januar zu Märtyrern gemacht hat. Dazu hat er sowohl sein kritisches Urteilsvermögen ausgeschaltet, als auch die politischen Prinzipien aufgegeben, die ihm einst wichtig waren.
Hedges genießt einen Ruf als linker Journalist, der ein Buch und zahlreiche Artikel über die Gefahr des amerikanischen Faschismus geschrieben hat. Seine hemmungslose Verteidigung des Mobs, der einen Putschversuch inszenierte, vor dem er selbst zuvor gewarnt hatte, wird für viele seiner Leser als ein Schock kommen. „Was hat Hedges bloß geraucht?“ wird eine häufige Reaktion sein.
Hedges hat sich mehrfach über die Versuche von Liberalen lustig gemacht, einen Dialog mit Faschisten zu führen. In seinem 2006 erschienenen Buch „American Fascists: The Christian Right and the War on America“ schrieb Hedges:
Eine Debatte mit der radikalen christlichen Rechten ist nutzlos. Wir können diese Bewegung nicht erreichen. Sie ist nicht an einem Dialog interessiert. Es ist eine Bewegung, die auf Emotionen basiert und sich nicht um rationales Denken und Diskussionen schert. Sie lässt sich nicht besänftigen, weil John Kerry betet oder Jimmy Carter in der Sonntagsschule unterrichtet. Naive Versuche, der Bewegung die Hand zu reichen und ihr zu versichern, dass auch wir Christen sind und uns um moralische Werte kümmern, sind zum Scheitern verurteilt.
Diese Bewegung ist auf unsere Zerstörung bedacht. Die Versuche vieler Liberaler, Frieden zu schließen, wären zum Lachen, wenn der Einsatz nicht so tödlich wäre. Diese Dominionisten hassen die liberale, aufgeklärte Welt, die durch die Verfassung geschaffen wurde, eine Welt, die sie für ihr verpfuschtes Leben verantwortlich machen. Sie haben nur ein Ziel – deren Zerstörung. Alvin Toffler schrieb, dass man, wenn man keine Strategie habe, am Ende Teil der Strategie eines anderen sei.
In einer sehr viel jüngeren Kolumne, die am 27. Juni 2022 in Scheerpost veröffentlicht wurde, betonte Hedges noch, wie wichtig heute sein Buch über Faschismus für das Verständnis der Ereignisse vom 6. Januar 2021 sei:
Das Buch war eine Warnung, dass ein amerikanischer Faschismus, in das Sternenbanner gehüllt und das christliche Kreuz in der Faust, sich anschicken würde, unsere anämische Demokratie auszulöschen. Dieser Angriff ist schon sehr weit fortgeschritten. Das Bindeglied zwischen den verschiedenen Milizgruppen, QAnon-Verschwörungstheoretikern, Abtreibungsgegnern, rechtsgerichteten Patriotien, Verfechtern des zweiten Verfassungszusatzes, Neo-Konföderierten und Trump-Anhängern, die am 6. Januar das Kapitol stürmten, ist dieser beängstigende christliche Faschismus.
In den letzten Monaten hat Hedges eine erstaunliche politische Wende vollzogen, und sie zeigt sich nicht nur in seinen Texten, sondern auch in seinen aktuellen politischen Taten.
Auf der Kundgebung „Rage Against the War Machine“ in Washington stand Hedges vor wenigen Wochen Seite an Seite mit Libertären, Antisemiten und rechten Milizführern und behauptete, nur ein „Links–Rechts“–Bündnis könne sich wirksam gegen den von den USA geführten Krieg gegen Russland in der Ukraine wehren.
Wie lässt sich dieser Wandel in Hedges' politischer Ausrichtung – vom erbitterten Gegner der Faschisten zu ihrem willfährigen Apologeten und opportunistischen Verbündeten – erklären?
Marxisten, die seine Schriften im Laufe der Jahre verfolgt haben, haben in seiner politischen Einstellung zwei wichtige Merkmale festgestellt. Sie lassen seine heutige, unverkennbar rechte Orientierung nicht völlig überraschend erscheinen.
Das erste Merkmal ist eine Verzweiflung, die all seine Schriften als Grundstimmung durchzieht. Nicht nur hat Hedges eine seltsame Vorliebe für das Makabre, was ihn dazu veranlasst, seine Kolumnen mit Bildern von Totenköpfen, Skeletten und anderen Symbolen des Todes zu verzieren. Diese Bilder vermitteln Hedges' Blick in die Zukunft. Seine Anprangerung des Faschismus liest sich stets wie die verzweifelte Klage eines Menschen, der von dessen unaufhaltsamem Sieg überzeugt ist.
Das zweite Merkmal und die Quelle von Hedges' bösartigem Pessimismus ist seine Ablehnung und sein Widerstand gegen die marxistische Theorie und Politik, die die Arbeiterklasse als grundlegende revolutionäre Kraft in der Gesellschaft definiert und ihr die führende und entscheidende Rolle im Kampf gegen den Kapitalismus zuweist. Da er nicht glaubt, dass eine gesellschaftliche Kraft existiert, die den Kapitalismus stürzen kann, bleibt Hedges nur die Hoffnungslosigkeit. Dies wiederum hat Hedges zum Schluss geführt, dass der Kampf gegen den Krieg ein Bündnis mit den Faschisten erfordere. Doch um dieses Bündnis zu sichern, ist Hedges gezwungen, seine frühere Opposition gegen den Faschismus aufzugeben und als dessen Apologet zu dienen.
Hedges' gegenwärtiger politischer Kurs wird viele seiner Leser, die seine früheren Anklagen gegen die Verbrechen des amerikanischen Imperialismus schätzten, zutiefst enttäuschen. Er täte gut daran, seinen derzeitigen politischen Kurs kritisch zu hinterfragen.