Perspektive

Will Lehmans Protest gegen UAW-Wahl abgelehnt: Entrechtung der US-Autoarbeiter

Der Autoarbeiter und sozialistische UAW-Präsidentschaftskandidat Will Lehman hatte im Dezember 2022 einen schriftlichen Protest gegen die Wahlen der US-Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) eingereicht, der nun am Sonntagabend vom gerichtlich bestellten Wahlaufseher abgelehnt wurde. Lehman hatte gestützt auf Berichte von einfachen Arbeitern aus dem ganzen Land nachgewiesen, dass die UAW-Bürokratie Hunderttausenden von Gewerkschaftsmitgliedern das Recht verweigerte, in der ersten Runde der Wahl im letzten Herbst zu wählen.

Die Zurückweisung des Protests durch den Wahlaufseher – unterzeichnet vom ehemaligen Bundesstaatsanwalt Glen McGorty unter dem Briefkopf der Anwaltskanzlei Crowell and Moring – verdeutlicht den betrügerischen Charakter der Wahl und zeigt die Verachtung der UAW, der Bundesgerichte und der Wahlaufseher gegenüber den demokratischen Rechten der Arbeiterklasse.

Bedenken über eine niedrige Wahlbeteiligung werden in dem Schreiben rundheraus abgewiesen. Dort heißt es: „Es ist nicht klar, dass die Wahlbeteiligung ‚niedrig‘ war“, obwohl nur 104.766 Stimmzettel von über einer Million Mitgliedern ausgezählt wurden, was etwa 9 Prozent entspricht. Der Wahlaufseher kann nicht die Tatsache widerlegen, dass dies die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Gewerkschaftswahl in der Geschichte der USA ist. Trotzdem hält er das für irrelevant und meint, Lehman würde „nicht begründen, wie diese Verweise [auf frühere Gewerkschaftswahlen mit höherer Wahlbeteiligung] hier nützlich sind“.

In dem Schreiben werden auch die Beweise, die von einfachen Arbeitern vorgelegt wurden, als „unbegründet“ oder „vage“ zurückgewiesen, während alles, was die UAW-Bürokratie sagt, für bare Münze genommen wird. Dabei war es gerade die Bürokratie, die von den Unternehmen Bestechungsgelder angenommen und darüber gelogen hat, während sie die einfachen Arbeiter um ihre Beitragsgelder brachte.

Der gerichtlich bestellte Aufseher hat nicht unparteiisch die UAW-Bürokratie überwacht, sondern als ihr Komplize gedient. Dabei hat sich ein ganzes Netzwerk von Parasiten aus der oberen Mittelschicht an den Beitragsgeldern der Arbeiter bereichert, während sie ihnen ihre Rechte vorenthalten haben. Allein im Jahr 2021 erhielt die Kanzlei Crowell and Moring 447.006 Dollar für „Aufgaben des Wahlaufsehers“ aus den Beitragsgeldern der Arbeiter. An die Kanzlei Jenner and Block wurden fast 2 Millionen Dollar gezahlt. Es war zudem der ehemalige UAW-Präsident Rory Gamble, der dem Gericht den Wahlaufseher empfohlen hatte.

Das Ablehnungsschreiben stützte sich in weiten Teilen auf eine Antwort, die das nationale Büro der UAW auf den Protest von Lehman eingereicht hatte. In dem nicht unterzeichneten Schriftsatz heißt es, das Verhalten der UAW sei „angemessen und rechtmäßig“ gewesen. Sie habe „umfassende Anstrengungen“ unternommen, „um die Wahl bekannt zu machen und die Mitglieder zur Stimmabgabe aufzufordern“. Die Realität wird völlig auf den Kopf gestellt. In dem Text wird behauptet, dass „es keine Beweise für ein systematisches Versäumnis bei der Zustellung von Stimmzetteln an wahlberechtigte Mitglieder gibt“.

Lehmans Protest wird in dem Schriftsatz als „konspirative Spekulation“ angeprangert. Lehman hätte „alle seine Behauptungen mit Verweisen auf die früheren schlechten Taten“ der strafrechtlich verurteilten UAW-Führer belegt. Er wolle damit den eigenen „politischen Zwecken dienen“ und „die gesamte Gewerkschaft durch ständige Rückwärtsblicke in Verruf bringen“. 

Dann verunglimpft der UAW-Apparat die einfachen Mitglieder, indem er sie beschuldigt, ihre Adressdaten nicht aktualisiert zu haben. „Es wird Gewerkschaftsmitglieder geben, die sich weigern, ihre Wohnadressen preiszugeben“, heißt es unter Berufung auf einen entsprechenden Rechtsfall. „Mitglieder, die umgezogen sind, geben nicht immer ihre neue Adresse an, trotz aller Bemühungen der Gewerkschaft.“

Die UAW-Wahl wurde von Anfang an vom Staat inszeniert, um die Krise in der UAW zu lösen, die durch den Korruptionsskandal entfacht worden war. Die Wahl sollte der Gewerkschaftsbürokratie einen Deckmantel verschaffen und eine neue Führung ans Ruder bringen, die über genügend Legitimität verfügt, um die sich anbahnende Rebellion der Basis einzudämmen. Dieser Plan wäre aber nur erfolgreich gewesen, wenn die Belegschaft bei den Wahlen nicht vertreten gewesen wäre und nur handverlesene Bürokraten, die verschiedene Cliquen repräsentieren, als Kandidaten zur Auswahl gestanden hätten.

Der Wahlkampf von Will Lehman machte diesem Plan einen Strich durch die Rechnung. Lehman kandidierte mit einem sozialistischen Programm und setzte sich für die Abschaffung der UAW-Bürokratie und die Übertragung der Macht an die Arbeiter in den Betrieben ein. Er kandidierte als Mitglied der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers’ Alliance for Rank-and-File Committees, IWA-RFC) und wurde von der Socialist Equality Party und der World Socialist Web Site unterstützt.

Der gerichtlich bestellte Wahlaufseher stellte die Hürde auf, dass alle Kandidaten von UAW-Delegierten auf dem Gewerkschaftskongress nominiert werden mussten. Doch Lehman wurde nominiert und konnte auf dem Stimmzettel erscheinen.

Die Bürokratie und der Wahlaufseher reagierten mit systematischen Bemühungen, die Wahlbeteiligung zu senken, weil sie fürchteten, dass Arbeiter und Angestellte im ersten Wahlgang für Lehman stimmen könnten. Deshalb wurden die Mitglieder im Unklaren darüber gelassen, dass eine Wahl stattfindet. Sie weigerten sich sogar, ihre Verteilerlisten zu aktualisieren, damit die Arbeiter tatsächlich ihre Stimmzettel erhalten.

Im November 2022 verklagte Lehman die UAW und den Wahlaufseher vor einem Bundesgericht. Er verlangte, dass Richter David Lawson Maßnahmen ergreift, um die UAW zu zwingen, die Mitglieder über die stattfindenden Wahlen zu informieren. Die Biden-Regierung reichte einen Schriftsatz ein, in dem sie sich auf die Seite der UAW stellte; Richter Lawson wies die Klage ab. Die Folge war eine Wahlbeteiligung von nur 9 Prozent, was genau dem entsprach, was Lehman in seiner Klage vorausgesagt hatte, und ein großer Teil der abgegebenen Stimmen stammte aus dem Apparat der UAW-Funktionäre. Lehman erhielt 4.777 Stimmen, ein beträchtlicher Teil von Arbeitern an der Basis, die größtenteils erst durch Lehmans Kampagne von der Wahl erfahren hatten.

Nachdem die langjährigen Bürokraten Ray Curry und Shawn Fain im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hatten und in die Stichwahl kamen, ergriff der UAW-Apparat Maßnahmen, um die Mitglieder über den zweiten Wahlgang zu informieren – was er beim ersten Wahlgang, bei dem Lehman antrat, bewusst unterlassen hatte. Trotzdem stieg die Wahlbeteiligung nur geringfügig auf 138.000 Stimmen an. Darin spiegelte sich die Gleichgültigkeit der Basis wider, die jetzt zwischen zwei Bürokraten wählen sollte, deren Gehälter von jeweils mehr als 1 Million Dollar aus den Beiträgen der Arbeiter gezahlt werden.

Der zweite Wahlgang brachte einen hauchdünnen Vorsprung von rund 500 Stimmen für Shawn Fain, den Herausforderer des amtierenden UAW-Präsidenten Curry.

Curry und seine Bürokratenclique versuchen nun, in einem verzweifelten Schachzug das Wahlergebnis anzufechten, weil sie die Kontrolle über die Fleischtöpfe des UAW-Apparats behalten wollen. Currys Team räumte ein, dass die Wahl ein Betrug war, und brachte dieselben Punkte vor, die schon Lehman kritisiert hatte. In einer Erklärung vom 16. März wird der zweite Wahlgang als Ergebnis eines „grassierenden Stimmrechtsentzug“ bezeichnet, der „die Wahl in Frage stellt“. Am nächsten Tag übermittelte die UAW ihre Antwort, in der sie die Wahl der ersten Runde als rechtmäßig bezeichnete und die Abweisung von Lehmans Protest forderte.

Die UAW befindet sich in einer extremen Krise, die Bürokratie bricht auseinander. Bald steht die Sonderverhandlungskonferenz der UAW an und die Tarifverträge für 150.000 Arbeiter der drei größten US-Autokonzerne laufen aus. Deshalb appellieren sowohl Curry als auch Fain an den Staat und versuchen, sich als Garanten für „Stabilität“ zu präsentieren.

Unabhängig vom endgültigen Wahlergebnis ist schon jetzt klar, dass die Führung, die aus dieser betrügerischen Wahl hervorgeht, keinerlei Legitimität in der Basis hat. Abgesehen von den Gewerkschaftsfunktionären, die ihre Stimme abgegeben haben, erhielten weder Fain noch Curry die Unterstützung von mehr als drei Prozent der Mitglieder. Die Mehrheit der Mitglieder weiß wahrscheinlich immer noch nicht, dass eine Wahl stattgefunden hat. Die Wahl sollte der Bürokratie Legitimität verschaffen, aber sie hat das Gegenteil bewirkt.

Die Bewegung der Arbeiter, die in Lehmans Kampagne zum Ausdruck kam, geht in die nächste Phase des Kampfs. Angesichts von Inflation, steigenden Lebenshaltungskosten und stagnierenden Löhnen wird das Leben nicht nur für die Autoarbeiter, sondern für die Beschäftigten in allen Branchen weltweit unerträglich.

Große Klassenkämpfe bahnen sich an. Der Staat, die kapitalistischen Parteien und die Gewerkschaftsbürokratien wollen die Arbeiter zwingen, die Zeche für die Kosten der Finanzkrise und des eskalierenden Nato-Kriegs gegen Russland zu zahlen. Aber es entsteht eine Bewegung der internationalen Arbeiterklasse – in Frankreich, Großbritannien und Griechenland ebenso wie in Los Angeles, wo 65.000 Lehrer und Schulbeschäftigte am Dienstag in den größten Schulstreik seit Jahren getreten sind.

Verbunden in einem gemeinsamen internationalen Kampf können Arbeiter ihre enorme Macht entfalten und ihre eigenen Bedürfnisse statt die der Konzerne zur obersten Priorität machen. Kämpft dafür, die Macht in eure Hand zu nehmen, und tretet noch heute der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees bei!

Loading