Bislang hat der gerichtlich bestellte Aufseher der amerikanischen Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) den Wahlsieger noch immer nicht bekannt gegeben. In der Stichwahl trat der Herausforderer Shawn Fain gegen den amtierenden UAW-Präsidenten Ray Curry an.
Mit einem Vorsprung von 505 Stimmen und nur noch 600 anzufechtenden Stimmzetteln behauptet Fain, dass er der Sieger sei. Das Rennen ist jedoch noch nicht entschieden, da die Zahl der angefochtenen Stimmzettel den Stimmenabstand der beiden Kandidaten noch übersteigt, heißt es in einer Erklärung auf der Website des UAW-Aufsehers.
Nach einer zweiwöchigen Verzögerung wegen der Anfechtung von 1.600 Stimmzetteln wurde die Auszählung am vergangenen Donnerstag wieder aufgenommen. Im Westin Book Cadillac Hotel in Detroit wurden weitere 676 Stimmzettel ausgezählt. Danach wurden die restlichen Stimmzettel wieder verschlossen und zurück in die ursprüngliche Auszählungsanlage in der Nähe von Dayton (Ohio) gebracht. Der gerichtlich bestellte Aufseher „arbeitet weiterhin mit der UAW und dem Wahlanbieter zusammen, um den Status der Wahlberechtigung von Personen zu klären, die die verbleibenden angefochtenen Stimmzettel abgegeben haben“, heißt es auf der Website. Und weiter: „Der Aufseher geht davon aus, dass er die Auszählung der Stimmen wiederholen wird. Er wird diese Seite mit weiteren Informationen aktualisieren, sobald diese vorliegen.“
Unabhängig davon, ob der Gewinner Fain oder Curry heißt, wird er mit nur rund 6 Prozent der Stimmen von Wahlberechtigten gewinnen. Nur 138.267 von 1,1 Millionen aktiven und pensionierten UAW-Mitglieder gaben in der Stichwahl ihre Stimme ab, und ein großer Teil davon waren Gewerkschaftsbürokraten und ihre Kumpane.
Die Wahlbeteiligung ist eine der niedrigsten aller direkten Mitgliederabstimmungen der Gewerkschaften, was auf die systematische Unterdrückung der Wähler durch die UAW-Bürokratie zurückzuführen ist. Auch die tiefe Entfremdung der großen Masse der Arbeiter vom korrupten Gewerkschaftsapparat spielte eine Rolle.
In einem außergewöhnlichen Eingeständnis räumte Currys Team am vergangenen Freitag ein, dass die Wahl durch „grassierenden Stimmrechtsentzug“ und „mehrfache Wahlverstöße“ beeinträchtigt worden sei. Dies stelle „die Wahl in Frage und erfordert eine sofortige Untersuchung“. Diese Erklärung war Teil eines in letzter Minute eingereichten Protestes des Curry-Teams, in dem es den Aufseher auffordert, niemanden zum Sieger zu erklären und die Stichwahl wiederholen zu lassen.
Der gerichtlich bestellte UAW-Aufseher, Neil Barofsky – ein New Yorker Anwalt und ehemaliger Bankaufsichtsbeamter –, lehnte den Antrag am Freitagabend ab und erklärte, es gebe „keine Grundlage für eine solche außergewöhnliche Maßnahme“.
Ungeachtet seines eigennützigen Charakters stellte Currys Protest ein vernichtendes Eingeständnis dar: Die UAW-Bürokratie hat den Arbeitern mit voller Rückendeckung des UAW-Aufsehers das Recht vorenthalten, in einer freien und fairen Wahl zu wählen. Currys Protest bestätigt alle Anschuldigungen, die Will Lehman, der Mack Trucks-Arbeiter und sozialistische Kandidat für das Amt des UAW-Präsidenten, in seiner offiziellen Protestnote erhoben hat.
In einer Pressemitteilung zu Currys Protest wird auf die „Zehntausende von Stimmzetteln, die als unzustellbar zurückgeschickt wurden“, und auf die Verletzung des Mandats des Aufsehers hingewiesen, wonach „alle angemessenen Anstrengungen“ unternommen werden sollten, „um sicherzustellen, dass aktive und pensionierte Mitglieder tatsächlich und schriftlich über die Wahl informiert wurden“. Curry fragt: „Welche Anstrengungen wurden unternommen, um UAW-Mitglieder zu kontaktieren, die keinen Stimmzettel per Post erhalten hatten?“
Der Protest stellt ferner fest, dass „Wahlberechtigte, die keine Stimmzettel erhalten haben, mehrfach anrufen und wochenlang warten mussten, bevor sie ihre Stimmzettel erhielten. Haben Wähler, die nicht mehrfach angerufen haben, Stimmzettel erhalten? Wie viele Ersatzwahlstimmen von der Gesamtzahl der ausgegebenen Ersatzwahlscheine wurden gezählt?“
All dies und noch viel mehr hatte Lehman schon in seiner Protestnote gegen den Aufseher und in einer früheren Klage vor einem Bundesgericht angeführt. In beiden Fällen wurden seine rechtlichen Bemühungen jedoch zurückgewiesen, und der Bundesrichter und Aufseher ließen diese Wahlfarce weiterlaufen.
Currys Team versucht, einen groben Unterschied zwischen den beiden Wahlgängen festzustellen, und es erklärt: „Anders als bei der Wahl im letzten Herbst hätten die zahlreichen Fragen im Zusammenhang mit der grassierenden Entrechtung von UAW-Wählern, sowie die angeblichen Verstöße gegen die Wahlkampfregeln, das Ergebnis der Stichwahl eindeutig beeinflussen können ...“
Mit anderen Worten: „grassierender Stimmrechtsentzug“ durch die Bürokratie ist in Ordnung, solange sie die Arbeiter davon abhielt, von Will Lehman zu erfahren und für ihn zu stimmen – einen sozialistischen Kandidaten, der die Abschaffung der UAW-Bürokratie und die Übertragung der Macht an die Arbeiter in den Betrieben forderte. Dabei erhielt Lehman trotz alledem fast 5.000 Stimmen, und es besteht kein Zweifel, dass er Zehntausende mehr erhalten hätte, wenn nicht 90 Prozent der Mitglieder entrechtet worden wären.
Shawn Fain, ein langjähriger Bürokrat der UAW-Gewerkschaft und ehemaliges Mitglied von Currys Verwaltungsgremium, ist seinerseits mehr als bereit, auf der Grundlage dieser betrügerischen Wahl die Macht zu übernehmen. Seine „Reformfraktion“, die Unite All Workers for Democracy, die von den Democratic Socialists of America (DSA) und anderen pseudolinken Organisationen unterstützt wird, ist bereit, die Mehrheit im nationalen Vorstand der UAW zu übernehmen.
Fain mag sich in seinen Reden zwar etwas anders anhören als Curry & Co. Aber ein von ihm geführter Vorstand wird die bisherige, pro-kapitalistische Politik fortsetzen. Das wird zu einem unmittelbaren Konflikt mit den einfachen Arbeitern führen, deren Gehaltsschecks die Inflation auffrisst, und die entschlossen sind, mit der jahrzehntelangen UAW-Politik der Zugeständnisse Schluss zu machen.
Lehman erklärte: „Fains Widerstand dagegen, dass das Wahlrecht aussagekräftig für die Arbeiter sein soll, zeigt deutlich, dass sich seine Fraktion in ihrer Feindseligkeit gegenüber den Interessen und demokratischen Rechten der Arbeiter nicht von Currys Fraktion unterscheidet“.
Es ist höchst bezeichnend, dass der ehemalige UAW-Präsident Bob King letzte Woche interveniert hat. Er drängte den Aufseher, Currys Protest abzulehnen und die Wahl zum Abschluss zu bringen, ehe der UAW-Tarifkongress am 27. März beginnt. In einem Schreiben an Barofsky vom vergangenen Freitag verlangte King vom gerichtlich bestellten Aufseher, die Stichwahl so schnell wie möglich abzuschließen. Jede Verzögerung sei „schädlich“ für die „vollständige Vorbereitung auf die bevorstehenden Tarifverhandlungen“. Es sei „im Interesse der Mitglieder“, so King, dass der nächste Präsident vor dem Tarifkongress vereidigt werde und dass alle Kandidaten „in Einigkeit zusammenkommen, um die bestmöglichen Verträge zu erreichen ...“.
King weiß so gut wie die Manager der Automobilbetriebe, dass die Arbeiter von der Inflation und den schlechten Arbeitsbedingungen die Nase voll haben, und dass sie sich radikalisieren, weil die Ressourcen in die endlosen Bankenrettungen und Kriegsvorbereitungen fließen. Die UAW-Wahl hat gezeigt, dass die Mitglieder keinen Flügel der UAW-Bürokratie bevorzugen. Gleichzeitig begrüßen Arbeiter bei Caterpillar, Dana und anderen Unternehmen das Programm, für das Will Lehman gekämpft hat. Sie bauen ein wachsendes Netz von Aktionskomitees auf, die mit der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) verbunden sind.
Im Jahr 2009 lehnten die Ford-Arbeiter mit 70 zu 30 Prozent einen Tarifvertrag ab, den ihnen der damalige UAW-Vizepräsident King vorgelegt hatte. Er hätte ein Streikverbot, eine Ausweitung des zweistufigen Lohnsystems und ein Einfrieren der Löhne vorgesehen. Im darauffolgenden Jahr wurde King zum nationalen UAW-Präsidenten gewählt, und er erklärte in seiner Dankesrede: „Die UAW des 21. Jahrhunderts betrachtet die Unternehmensleitungen nicht mehr als unsere Gegner oder Feinde, sondern als Partner“. Die Zusammenarbeit beruhe „auf einer Grundlage von Respekt, gemeinsamen Zielen und einer gemeinsamen Mission“. Im Jahr 2012 ernannte King Fain zum Vertreter der UAW-Abteilung Chrysler.
Autoarbeiter, die mit der WSWS sprachen, brachten ihre Abscheu über die UAW-Wahl zum Ausdruck.
Ein Arbeiter des Dana-Teilewerks in Pennsylvania sagte: „Curry macht das, weil er verlieren könnte. Während der gesamten Wahl gab es überhaupt keine Kommunikation von der Gewerkschaft. Die einzigen Informationen, die ich erhalten habe, kamen von der Lehman-Kampagne.“
Greg, ein Teilzeitarbeiter bei GM Flint Assembly, gab die folgende Erklärung ab:
„Der Wahlprotest des Curry-Teams ist eine totale Farce. Wo waren sie im November, als Will Lehman den Aufseher wegen der gleichen Dinge in ihrem Protest verklagte? Im Dezember waren sie nirgends zu sehen, um Wills Protest zu unterstützen oder seine Existenz anzuerkennen. Immerhin war es das Curry-Team selbst, das die Situation geschaffen hat, die für die Entmündigung der stimmberechtigten UAW-Mitglieder verantwortlich ist! Wie können sie behaupten, dass ihnen die Legitimität der Wahl am Herzen liegt, wenn Currys Team alles getan hat, um das Wissen über die erste Wahl zu unterdrücken und einzuschränken?
Jetzt, wo es nur noch zwei Kandidaten gibt, nämlich Curry und Fain, versucht das Curry-Team mit diesem Protest natürlich, die Gunst der Arbeiter zu gewinnen und seine Fraktion in der UAW-Bürokratie zu verteidigen. Die einfachen Arbeiter sind ihnen egal. Die Kommentare von Fain und Brian Keller zeigen auch den Charakter der gesamten UAW-Bürokratie. Viele Arbeiter in meinem Betrieb haben für Keller gestimmt, weil sie dachten, er würde eine echte Opposition zur UAW-Bürokratie darstellen. Niemand sollte das glauben, da er nicht nur Fain unterstützte, sondern ihm auch den Rücken stärkte, um sich sowohl Wills ursprünglichem Protest als auch dem von Curry zu widersetzen. Genau wie Curry repräsentieren Fain und Keller die korrupte UAW-Führung, nur eine andere Fraktion, die sich gleichermaßen gegen die arbeitenden UAW-Mitglieder richtet. Sie wollen die Wahl hinter sich bringen.“
Amy, die seit fünf Jahren Vollzeit bei GM Flint Assembly arbeitet, erklärte:
„Currys Aussage ist besonders heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass es seine gesamte Clique war, die absichtlich jedes einzelne Problem verursacht hat. Egal ob Fain oder Curry letztendlich gewinnt, es wird sich nicht positiv auf die Arbeiter auswirken. Der Vertrag mit den ‚Big 3‘ [GM, Chrysler und Ford], der im September ausläuft, wird sich sowohl auf aktive als auch auf pensionierte Arbeiter auswirken. Angesichts der Inflation, die die Lebenshaltungskosten in die Höhe treibt, der Wirtschaftskrise und der Milliarden, die in den Krieg fließen, werden die UAW-Bürokraten versuchen, uns die Renten und Löhne zu kürzen. Sie dienen nur den großen Autokonzernen, nicht den Arbeitern. Es sieht so aus, als ob die UAW ohne einen Präsidenten und ohne die Unterstützung der Belegschaft in die Tarifverhandlungen geht. Eine große Mehrheit der Arbeiter konnte nicht einmal an der ersten Wahlrunde teilnehmen, weil Curry und der Rest die Abstimmung unterdrückt haben.
Ich rufe alle Arbeiter auf, sich so weit wie möglich zu engagieren. Steht auf und sagt: Das ist nicht in Ordnung! Es ist nicht fair! Die Auferlegung eines Ausverkaufsvertrags bei Caterpillar, ohne dass die Arbeiter ihn vor der Abstimmung prüfen konnten, und die Entlassungen Dutzender Dana-Beschäftigter mit der Komplizenschaft der UAW zeigen, dass die Dinge schlecht stehen. Das Schlimmste steht uns noch bevor, wenn die Arbeiter nicht zusammenkommen, um die Aktionskomitees aufbauen.“
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