Perspektive

Bidens Rede zur Lage der Nation: US-Präsident vertuscht Kriegspläne gegen Russland

Die Rede von US-Präsident Joe Biden zur Lage der Nation war ein reines Täuschungsmanöver. Sie war darauf ausgelegt, gegenüber der Bevölkerung zu vertuschen, dass der von der Nato provozierte Krieg gegen Russland in der Ukraine in seinem zweiten Jahr massiv eskaliert werden soll.

Der diesjährigen Rede vor beiden Kammern des Kongresses ging eine fieberhafte Verschärfung des Kriegs voraus. In den letzten Wochen haben mehrere europäische Mächte auf Drängen Washingtons damit begonnen, Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken; die USA haben die Entsendung von Langstrecken-Präzisionsraketen angekündigt, die tief in russisches Hoheitsgebiet eindringen können; und es wurden Pläne zur Entsendung moderner Nato-Kampfjets an das Regime in Kiew bekannt gegeben.

Wenige Stunden nach Bidens Rede am Dienstag besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij Großbritannien und anschließend den EU-Gipfel in Brüssel, um die sofortige Entsendung von Kampfjets zu fordern. Die britische Regierung gab bekannt, dass künftig ukrainische Piloten im Vereinigten Königreich ausgebildet werden.

Letztes Jahr hielt Biden seine Rede zur Lage der Nation nur wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine – dem katastrophalen und reaktionären Schritt, mit dem Präsident Wladimir Putin auf die gezielten Provokationen Washingtons reagiert hatte. Bidens letztjährige Ansprache war fast ausschließlich diesem Thema gewidmet. Nachdem 2021 ein faschistischer Mob unter Donald Trump das Kapitol gestürmt hatte, betonte Biden 2022, dass der Krieg nun die Demokraten und Republikaner zusammengeschweißt habe.

Präsident Biden vor seiner Rede zur Lage der Nation am 7. Februar 2023 [AP Photo/J. Scott Applewhite]

In der diesjährigen Rede hingegen kam der Krieg in der Ukraine kaum vor, obwohl er, in Bidens eigenen früheren Worten, die Welt an den Rand eines nuklearen „Armageddon“ gebracht hat. In der fast 90-minütigen Rede waren dem Krieg, dem zentralen Thema der Biden-Regierung, nur 200 von 7.000 Wörtern gewidmet.

Wie ist diese erstaunliche Tatsache zu erklären?

Erstens weiß Biden, dass der Krieg bei der breiten Masse der amerikanischen Arbeiterklasse keine Zustimmung findet.

Zweitens ist seine Regierung dabei, eine Reaktion auf die rasche Verschlechterung der militärischen Lage der Ukraine auszuarbeiten. Zu diesem Zweck wird sie Nato-Truppen entsenden müssen, einschließlich amerikanischer Techniker und Soldaten. Diese Pläne sollen jedoch noch nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Die Regierenden brauchen noch Zeit, um die Propagandakampagne der Medien zu verstärken und die Anti-Russland-Hysterie zu steigern.

David Sanger, ein führender außenpolitischer Analyst der New York Times mit engen Verbindungen zu den US-Geheimdiensten, hat in einem Kommentar zu Bidens Rede herausgestellt, wie stark der Ukraine-Krieg heruntergespielt wurde. Er schreibt:

Die größte Herausforderung in den nächsten beiden Regierungsjahren [Bidens] könnte darin bestehen, zur gleichen Zeit mit einem aggressiven Russland und einem risikofreudigen China umzugehen. Die beiden Länder werden seine Aufmerksamkeit zusehends in Anspruch nehmen, vor allem, da die Republikaner nun die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, sodass er innenpolitisch praktisch keine Gesetze mehr durchbringen kann.

Aus diesem Grund ist es besonders auffällig, dass der Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstagabend relativ wenig Zeit auf die globale Rolle Amerikas verwendete und sich stattdessen auf seine „Made in America“-Bemühungen konzentrierte, um Industriearbeitsplätze zurück in die Vereinigten Staaten zu holen – selbst um den Preis, dass er die engsten Verbündeten und wichtigsten Handelspartner Amerikas vor den Kopf stößt.

Unter Hinweis auf die Unpopularität des Kriegs und der mit seiner Eskalation verbundenen Sozialkürzungen schreibt Sanger, dass Biden, der eine zweite Amtszeit anstrebt, „weiß, dass Amerikas erneutes Engagement in der Welt sowohl kostspielig als auch zu Beginn eines Wahlzyklus politisch schwer zu verkaufen ist. Russland einzudämmen und mit China zu konkurrieren mag eine Aufgabe für Jahrzehnte sein, aber sie wird den ohnehin klammen Haushalt mit Dutzenden oder Hunderten von Milliarden Dollar zusätzlich belasten.“

Der Times-Kolumnist Thomas Friedman, eine Wetterfahne für Diskussionen im Staatsapparat und in Geheimdiensten, wies am 5. Februar unter der Überschrift „Das zweite Jahr des Ukraine-Kriegs wird furchterregend“ auf die weitreichenden Pläne für die kommenden Monate hin.

Nach Friedmans Darstellung war das erste Kriegsjahr für Amerika und seine Verbündeten „relativ einfach“, denn es habe lediglich die Entsendung von „Waffen, Hilfen und Geheimdienstinformationen“ erfordert. Das zweite Jahr wird seiner Meinung nach „nicht so einfach sein“, d.h., er erwartet ein direktes Eingreifen der US-Streitkräfte.

Friedman hat den Ausspruch geprägt: „Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als die Krankheit“, um die Aufhebung aller Corona-Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen. Nun vertritt er die Ansicht, dass die Folgen einer Niederlage der Nato in der Ukraine schlimmer seien als die Gefahr eines Atomkriegs.

Die Pläne für eine massive Eskalation des Ukraine-Kriegs fallen mit der Vorbereitung auf einen militärischen Konflikt mit der Atommacht China zusammen, wie sich in der jüngsten Hysterie über den angeblichen „Spionageballon“ zeigt. In seiner Rede deutete Biden an, dass der Abschuss des Forschungsballons – der erste Abschuss eines chinesischen Flugkörpers durch die USA seit dem Koreakrieg – ein Vorbote weiterer militärischer Aktionen sein könnte. „Wir haben letzte Woche deutlich gemacht, dass wir handeln werden, um unser Land zu schützen, wenn China unsere Souveränität bedroht. Und das haben wir getan“, so Biden.

Diese Kriegsvorbereitungen sind der Schlüssel zum Verständnis von Bidens demonstrativen Aufrufen zur Einheit mit den zunehmend faschistischen Republikanern.

Zu Beginn seiner Rede gratulierte er dem neu gewählten republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, dessen Wahl und Amtsführung vom Wohlwollen des offen faschistischen House Freedom Caucus abhängt. Biden verwies auf die parteiübergreifenden gesetzgeberischen „Leistungen“ seiner ersten beiden Amtsjahre und rief dazu auf, diese Arbeit fortzusetzen. Er schlug eine Reihe populistischer Maßnahmen vor, die, wie er sehr wohl weiß, im Kongress keinerlei Aussicht auf Erfolg haben. Erst letzte Woche hat das Repräsentantenhaus – mit den Stimmen der Mehrheit der Demokraten – eine Resolution verabschiedet, in der es den Sozialismus verurteilt und implizit Sozialprogramme wie Social Security und Medicare aufs Korn nimmt.

Die Demokraten sind als führende Kriegspartei des amerikanischen Imperialismus darauf bedacht, ein ausreichendes Maß an Einigkeit mit den Republikanern aufrechtzuerhalten, um ihre Kriegspläne gegen Russland und China und die damit verbundenen brutalen Sparmaßnahmen im Inland durchzusetzen. Denn sie sind damit konfrontiert, dass die Opposition in der Arbeiterklasse wächst, die Unterstützung für den Krieg abnimmt und die Arbeiter zusehends gegen die Gewerkschaftsapparate rebellieren, die den Imperialismus und seine Kriege verteidigen.

Aus diesem Grund preist Biden einerseits den „Pro Act“ – ein Gesetz, mit dem der Einfluss der Gewerkschaftsbürokratien auf die Arbeiterklasse gestärkt werden soll – und schweigt andererseits über das Gesetz zum Verbot des Eisenbahnerstreiks vom letzten Jahr. Mit diesem Gesetz, das von beiden Parteien einvernehmlich verabschiedet wurde, wurde den Beschäftigten im Güterverkehr ein Tarifvertrag aufgezwungen, den sie in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit abgelehnt hatten.

Dies erklärt auch den stark nationalistischen Einschlag in Bidens Rede nach dem Motto „America First“. Seine Parolen wie „Made in America“ und „Buy American“ stehen für eine Wirtschaftspolitik, die sich nicht nur gegen Russland und China, sondern auch gegen die Nato-Verbündeten und die asiatischen Verbündeten der USA richtet. Diese Agenda der wirtschaftlichen Kriegsführung spielt für die Außenpolitik der militärischen Aggression und die Innenpolitik des Klassenkampfs eine entscheidende Rolle.

Bidens Versuch, das Bild eines prosperierenden Landes und einer unverwüstlichen Demokratie zu zeichnen, basiert auf glatten Lügen. Er brüstete sich mit der Aufhebung aller Corona-Schutzmaßnahmen, obwohl er einräumte, dass das Virus bereits mehr als 1 Million Amerikaner getötet hat. Selbst nach den weit untertriebenen amtlichen Zahlen sterben in den USA nach wie vor täglich etwa 500 Menschen an Covid-19, von den verheerenden Auswirkungen von Long Covid ganz zu schweigen. Dennoch soll der angebliche „Sieg“ über die Pandemie im Mai mit der Aufhebung des nationalen Gesundheitsnotstands gekrönt werden.

Während Biden das Bild einer Gesellschaft an die Wand malte, die zum Wohlstand zurückfindet, beweisen die von ihm angeführten Fakten das genaue Gegenteil: Zehntausende von Todesfällen durch Überdosen von Drogen, Amokläufe, Polizeimorde, Fabrikschließungen, die ganze Städte ins Elend stürzen, Preistreiberei durch Arzneimittelhersteller und Energiekonzerne, verfallende Infrastruktur und eine kolossale soziale Ungleichheit. In einem Anfall krampfhaften Populismus stellte der Präsident fest, dass es in den USA 1.000 Milliardäre gibt, und gab zu, dass ihre Zahl seit seinem Amtsantritt von 600 gestiegen ist.

Die Tatsache, dass der Bevölkerung in der Frage des Krieges jede Mitsprache verweigert wird, ist der klarste Beweis, dass es in den Vereinigten Staaten keine echte Demokratie gibt. Die Rede zur Lage der Nation selbst, bei der Biden von republikanischen Abgeordneten ausgebuht und als Lügner beschimpft wurde, veranschaulichte den Zerfall der bürgerlich-demokratischen Institutionen und das Erstarken faschistischer Parteien und Kräfte, die weltweit die Todeskrise des Kapitalismus kennzeichnen.

Bidens erbärmliche Rede mit ihren Lügen, Plattitüden, Ausflüchten und Auslassungen zeugt vom schlechten Zustand des amerikanischen politischen Systems und der katastrophalen wirklichen „Lage der Nation“. Sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Arbeiterklasse den Weg des unabhängigen politischen Massenkampfs einschlagen muss, um Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden, indem sie den Kapitalismus abschafft und den Sozialismus aufbaut.

Loading