WikiLeaks-Chefredakteur warnt: Assange könnte „innerhalb weniger Wochen“ ausgeliefert werden

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson hat in einem Interview mit dem Journalisten Glenn Greenwald gewarnt, Julian Assange könne innerhalb weniger Wochen an die USA ausgeliefert werden. Er erklärte, Assange „läuft die Zeit davon“, und die rechtlichen Möglichkeiten, in London seine rechtswidrige Auslieferung anzufechten, seien erschöpft. In den USA werde er jedoch „nie einen fairen Prozess erhalten“.

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson spricht in Brasilien mit Glenn Greenwald [Photo: screenshot: System Update, Rumble]

Das Interview, in dem Hrafnsson diese eindringliche Warnung aussprach, wurde am Montag auf Rumble veröffentlicht. Er erklärte gegenüber Greenwald: „Julian steht kurz vor dem Ende aller Möglichkeiten, vor Gericht eine faire Lösung zu erstreiten. Er kämpft in London gegen seine Auslieferung, die innerhalb weniger Wochen erfolgen könnte.“

Assange wurde unter Anwendung des Espionage Act von 1917 angeklagt, weil WikiLeaks durch seine Veröffentlichungen Kriegsverbrechen des US-Imperialismus im Irak und Afghanistan sowie undemokratische Verschwörungen der US-Regierungen und ihrer Geheimdienste auf der ganzen Welt aufgedeckt hat. Im Falle eines Schuldspruchs drohen dem 51-jährigen Journalisten und dreifachen Vater 175 Jahre Haft in einem US-Bundesgefängnis. Er hat bereits mehr als zehn Jahre in Großbritannien in Haft verbracht, darunter drei Jahre ohne Anklage im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.

Hrafnsson wurde 2018 zum Chefredakteur von WikiLeaks ernannt, nachdem Assanges Kommunikation mit der Außenwelt auf Druck der US-Regierung unterbunden wurde. Dabei handelte es sich um ein Vorspiel zu seiner Entführung aus der ecuadorianischen Botschaft im April 2019. Hrafnsson, der selbst Preise für seine journalistische Arbeit gewonnen hat, arbeitete mit Assange zusammen, um die berühmteste Veröffentlichung von WikiLeaks zu verifizieren, das Video „Collateral Murder“. Anfang 2010 reiste er in den Irak, um Angehörige der Opfer zu interviewen, die durch gezielte Luftangriffe von US-amerikanischen AH-64-Apache-Kampfhubschraubern getötet wurden.

Hrafnsson erklärte letzte Woche in Brasilien, die rechtlichen Möglichkeiten, mit denen Assange Einspruch gegen seine Auslieferung einlegen kann, seien bald erschöpft. Im Juni hatte die damalige britische Innenministerin, Priti Patel, Assanges Auslieferung bewilligt, nachdem der High Court eine frühere Gerichtsentscheidung aufgehoben hatte, die seine Auslieferung aus gesundheitlichen Gründen untersagte. Der High Court akzeptierte die wertlosen Zusicherungen der US-Regierung, Assange drohe keine repressive Behandlung, obwohl eindeutige Beweise vorliegen, dass die CIA Assange entführen und ermorden wollte.

Die britischen Gerichte betreiben einen juristischen Rachefeldzug gegen Assange und haben den Auslieferungsantrag bewilligt, obwohl er Assanges grundlegende juristische und demokratische Rechte als Journalist und Herausgeber verletzt. Der High Court und der Supreme Court haben Urteile gefällt, die seine Auslieferung an seine potenziellen Mörder beschleunigen sollen. Im März hatte der High Court Assanges Antrag auf Berufung gegen das frühere Urteil des Supreme Court abgelehnt. Seine Anwälte haben seither Einspruch gegen den Auslieferungsbeschluss der Innenministerin gestellt.

Hrafnsson erklärte: „Wir warten jetzt darauf, dass uns das Berufungsgericht in London, der High Court, eine Antwort gibt, ob er eine Berufung von Julian gegen die Auslieferung annehmen wird. Wenn sie sich dagegen entscheiden, was bereits skandalös wäre, dann hätten wir noch den Supreme Court, der schnell entscheiden könnte, den Antrag wegen ,fehlender Bedeutung für die Öffentlichkeit‘ abzuweisen... Im schlimmsten Fall könnte er in wenigen Wochen in einem Flugzeug in die USA sitzen.

Meiner Meinung nach, und ich habe alle Verfahren in London verfolgt, haben alle Verhandlungen um die Auslieferung in London nur eines gezeigt: dass diese Angelegenheit vor Gericht einfach nicht gewonnen werden kann. Es gibt keine Gerechtigkeit in den Londoner Gerichtssälen. Das ist offensichtlich, und die USA muss ich nicht erwähnen, das ist einer der Kernpunkte der Verteidigung im Kampf gegen die Auslieferung: In den USA wird er niemals einen fairen Prozess bekommen. Uns läuft also die Zeit davon. Wir müssen die Sache auf einer anderen Ebene vorantreiben, deshalb habe ich beschlossen, dass wir auf Tournee gehen müssen, um politische Unterstützung zu gewinnen. Politische Mittel sind der einzige Weg, Widerstand gegen politische Verfolgung zu leisten.“

Hrafnsson und WikiLeaks-Botschafter Joseph Farrell sind derzeit in Lateinamerika unterwegs. Zuerst trafen sie sich am 21. November eine Stunde lang privat mit dem kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro und Außenminister Alvaro Duran im Präsidentenpalast von Bogotá.

In Brasilien fand am 29. November ein privates Treffen mit Präsident Lula da Silva statt, danach folgte eine Rede vor dem brasilianischen Parlament. In Rio de Janeiro veranstalteten sie ein öffentliches Treffen mit dem brasilianischen Presseverband, gefolgt von einem Empfang im Haus des berühmten Musikers und Komponisten Caetano Veloso. Seither haben sie sich in Argentinien mit der Vizepräsidentin Cristina Kirchner und dem Präsidenten Alberto Fernández in der Casa Rosada getroffen. Als nächstes bereisen sie Chile und Mexiko.

Hrafnsson erklärte gegenüber Greenwald: „Unser Ziel ist es, die politischen Führer dazu zu bringen, Druck auszuüben, wenn man es so nennen will, oder einfach die Biden-Regierung aufzufordern, ihre eigenen Ideale zu überdenken, hinter ihren eigenen Idealen zu stehen, die sie überall auf der Welt in Bezug auf die Pressefreiheit predigen, und nicht diesen Druck auf den Ersten Verfassungszusatz und ihre vertraglichen Verpflichtungen auszuüben, und im Grunde die Klage gegen Julian fallenzulassen. Das ist der einzige Ausweg.“

In Lateinamerika herrscht enormer Rückhalt für Assange und WikiLeaks. Die Arbeiter und unterdrückten Massen der Region haben unter brutalen, von den USA unterstützten Militärdiktaturen gelitten, die für zehntausende Todesopfer verantwortlich waren, u.a. in Chile, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Nicaragua, El Salvador, Panama und Guatemala. Doch die Unterstützungserklärungen der bürgerlichen Politiker Lateinamerikas sind politisch wertlos. Lula, Kirchner und Konsorten haben ihre Loyalität gegenüber dem Imperialismus gezeigt, indem sie die Spardiktate des Internationalen Währungsfonds und staatliche Repressionen gegen die Arbeiterklasse durchgesetzt haben.

Appelle an Biden, der Assange als „Hightech-Terroristen“ bezeichnet hat, sind noch bankrotter. Biden schweigt sogar, nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump letzte Woche gefordert hatte, die Verfassung „außer Kraft zu setzen“. Nicht einmal Trumps faschistischer Putschversuch im Januar 2021 konnte Biden dazu zu bringen, die Verfassung zu verteidigen, geschweige denn das im 1. Zusatzartikel garantierte Recht auf Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Letzte Woche war Biden für die Umsetzung eines wegweisenden Gesetzes verantwortlich, das zehntausenden Eisenbahnern einen vom Weißen Haus ausgehandelten Tarifvertrag aufzwingt und ein Streikverbot verhängt.

Die Verfolgung von Assange ist die Speerspitze eines massiven Angriffs auf demokratische Rechte mit dem Ziel, die Meinungsfreiheit zu zerstören, investigativen Journalismus zu illegalisieren und Kritiker einzuschüchtern und zu terrorisieren, um die Enthüllung von Verbrechen der Regierung zu verhindern und den Widerstand der Bevölkerung gegen soziale Ungleichheit und Krieg zu unterdrücken. Die Pläne der britischen Regierung, Streiks zu verbieten, und die Drohungen mit dem Einsatz des Militärs zeigen, dass Assanges Schicksal untrennbar mit dem der Arbeiterklasse verbunden ist.

Der eskalierende Nato-Krieg gegen Russland wird von autoritären Maßnahmen begleitet. Die „Notstandsvollmachten“ der britischen Regierung gehen einher mit Unterstellungen, die Streikenden seien „Putins Handlanger“, womit sie Wort für Wort das Narrativ des Pentagons gegen Assange und WikiLeaks wiederholen.

Assanges Schicksal darf nicht in den Händen politischer Kräfte wie Lula, Biden und anderer Feinde der Arbeiterklasse bleiben. Unter Millionen von Arbeitern und Jugendlichen, die den globalen Kampf gegen kapitalistische Austerität, staatliche Unterdrückung und Krieg aufnehmen, entsteht eine mächtige Massenbasis für Assanges Verteidigung und den Kampf für seine Freiheit.

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