Energiekosten gehen in Großbritannien durch die Decke. Millionen droht Armut, vielen auch der Tod

Freitag wurde bekannt, dass die durchschnittliche Energierechnung für britische Haushalte in diesem Jahr um schwindelerregende 80 Prozent auf 3.549 Pfund (4.156 Euro) pro Jahr in die Höhe geschnellt ist. Doch unabhängige Institute prognostizieren einen weiteren drastischen Anstieg auf 5.400 Pfund (6.325 Euro) im Januar und auf 7.200 Pfund (8.432 Euro) im April 2023.

Der jüngste Anstieg bedeutet bereits, dass viele ihre Rechnungen nicht begleichen können. Im Oktober 2020 hatte die jährliche Energiepreisobergrenze noch bei 1.042 Pfund (1.220 Euro) gelegen.

Demonstranten vor der britischen Energieregulierungsbehörde Ofgem, nachdem diese die Preisobergrenze für Gas und Strom um rund 80 Prozent erhöht hat, London, 26. August 2022 (AP Photo/Alastair Grant) [AP Photo/Alastair Grant]

Die Preisobergrenze wird in Großbritannien von der Energieregulierungsbehörde Ofgem festgelegt und basiert auf dem typischen Verbrauch im Standardtarif. In Wirklichkeit gibt es jedoch keine Obergrenze für die 24 Millionen Haushalte in England, Schottland und Wales. Es wird vorausgesagt, dass viele Haushalte, insbesondere mehrköpfige Familien mit größerem Energiebedarf, durch die Erhöhung der Energieobergrenze im April nächsten Jahres 10.000 Pfund oder mehr für ihren jährlichen Energieverbrauch zahlen müssen.

Nach Untersuchungen des Gewerkschaftsdachverbandes Trades Union Congress werden die Energiekosten in den letzten drei Monaten dieses Jahres 35 Mal schneller steigen als die Löhne und 57 Mal schneller als die Sozialleistungen. Während die monatlichen Rechnungen für Kunden mit einem Durchschnittstarif im Januar rund 500 Pfund betragen können, werden die Rechnungen für rund vier Millionen hauptsächlich arme Haushalte, die zur Vorauszahlung gezwungen sind, noch schneller steigen. Die Denkfabrik Resolution Foundation sagte voraus, dass für Vorauszahler „typische Energierechnungen allein im Januar 714 Pfund erreichen könnten - mehr als die Hälfte ihres monatlich verfügbaren Einkommens“.

Eine Familie mit geringem Einkommen wird 46 Prozent ihres Einkommens für Energiekosten ausgeben müssen, viermal mehr als im letzten Jahr. Eine alleinerziehende Familie mit geringem Einkommen zahlt dann 66 Prozent ihres Einkommens für Energie. Ein durchschnittlicher Rentner wird 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens für Energierechnungen aufwenden müssen, und ein alleinstehender Erwachsener mit geringem Einkommen muss mit Verschuldung rechnen, da er sage und schreibe 120 Prozent seines Einkommens für Energiekosten aufbringen muss. Gefährdete Schichten, darunter die 75 Prozent der bereits verschuldeten Haushalte mit einer pflegebedürftigen Person, werden untergehen.

Letzte Woche meldeten sich die Chefs des Nationalen Gesundheitsdienstes zu Wort und warnten die konservative Regierung, dass tausende Menschen aufgrund unbezahlbarer Energierechnungen sterben werden. Bereits jetzt sterben in Großbritannien jährlich mindestens 10.000 Menschen an den Folgen von „Energiearmut“.

Die Wohltätigkeitsorganisation National Energy Action (NEA) erklärte, dass sich die Zahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte im Oktober im Vergleich zum Vorjahr auf 8,9 Millionen verdoppeln werde. NEA-Geschäftsführer Adam Scorer warnte: „Wir werden in diesem Winter eine Million Haushalte mehr haben, die nicht geheizt werden (...) das führt zu mehr Krankheiten und mehr Todesfällen.“

Im April und Mai warnte der Finanzexperte Martin Lewis, dass es zu zivilen Unruhen kommen werde, wenn die Menschen nicht genug zu essen hätten und sich nicht warm halten könnten. Seine Prognose im Mai basierte auf Hochrechnungen, wonach die Rechnungen „Mitte Oktober auf 2.600 Pfund mitten im Winter“ steigen würden. Der für Oktober angekündigte Anstieg auf 3.549 Pfund stellt Lewis' schlimmste Vorhersage in den Schatten, und der prognostizierte Anstieg im Januar auf bis zu 5.400 Pfund wird das Leid von Millionen von Menschen in ungeahnte Höhen treiben.

Am Freitag sagte Lewis in der BBC-Sendung „Today“: „Man hat mir vorgeworfen, ich würde diese Situation katastrophal einschätzen. Nun, der Grund für diese Katastrophenwarnung ist, dass dies schlicht und einfach eine Katastrophe ist.“

Der Anstieg der Energierechnungen ist ein wesentlicher Faktor für den Inflationsanstieg, der nach dem genauesten Maßstab RPI bei fast 12,5 Prozent liegt und nach Schätzungen des US-Finanzdienstleisters Citi im ersten Quartal 2023 auf 21 Prozent ansteigen wird.

Der Preisanstieg treibt viele Haushalte in die Armut, sie können nicht mehr einkaufen, heizen oder waschen.

Unterdessen haben Großbritanniens wichtigste Energieversorger in diesem Jahr durch Preisabzocke bisher Übergewinne von über 15 Milliarden Pfund eingefahren. Das in Edinburgh ansässige Unternehmen Harbour Energy PLC, das größte unabhängige Öl- und Gasunternehmen des Vereinigten Königreichs, verzeichnete einen gigantischen Gewinnanstieg um das Zwölffache. Letzte Woche gab das Unternehmen bekannt, dass der Halbjahresgewinn für 2022 ganze 1,3 Milliarden Dollar erreicht hat und dass man 200 Millionen Dollar zusätzlich an die Aktionäre ausschütten wird.

In einem Bericht der Gewerkschaft Unite mit dem Titel „Corporate Profiteering and the Cost of Living Crisis“ (Profitgier der Unternehmen und Krise der Lebenshaltungskosten) heißt es: „Selbst ohne die Energieunternehmen stiegen die Gewinne der größten börsennotierten Unternehmen des Vereinigten Königreichs um 42 Prozent (...) Der durchschnittliche Gewinn der 230 FTSE-350-Unternehmen (ohne Energieunternehmen), die ihre Ergebnisse für 2021 vorgelegt haben, stieg von 271 Millionen Pfund im Jahr 2019 auf 385 Millionen Pfund im Jahr 2021.“

Die Energiekosten steigen in ganz Europa exponentiell an, aber die britischen Unternehmen sind immer noch Ausreißer. Die Website euronews berichtet: „Schon vor der heutigen Preiserhöhung waren die britischen Haushalte mit den höchsten Preisen in Europa konfrontiert – fast doppelt so hoch wie in Frankreich. Nur in der Tschechischen Republik waren die Preise noch höher als in Großbritannien, gefolgt von Italien und Estland.“

Die herrschende Elite in Großbritannien ist unempfänglich für Forderungen nach einer sofortigen Entlastung, um das Leid zu lindern, denn die Energiekonzerne weigern sich, auch nur einen Penny abzugeben. Die Botschaft der herrschenden Klasse lautet: „Es gibt einen Krieg in Europa, in den Großbritannien bis zum Hals verwickelt ist, wir geben Milliarden in Militärhilfe an die Ukraine, und die Arbeiterklasse muss es bezahlen.“

Der scheidende Premierminister Boris Johnson erklärte vergangene Woche in Kiew anlässlich des ukrainischen Unabhängigkeitstages und der Fortsetzung des Stellvertreterkrieges der NATO: „Wenn wir mit unseren Energierechnungen für Wladimir Putins Übeltaten bezahlen, wissen wir, dass die Menschen in der Ukraine mit ihrem Blut dafür bezahlen.“

Der britische Verteidigungsminister James Heappey sagte, die Unterstützung des ukrainischen Militärs im Krieg gegen Russland bedeute, dass ein „wirklich teurer Winter bevorsteht“. Dieser müsse von der arbeitenden Bevölkerung getragen werden, „was auch immer die kurzfristigen Schmerzen und Kosten sein mögen“.

Am Sonntag legte Finanzminister Nadhim Zahawi noch einmal nach und erklärte: „Die Realität ist, dass wir alle auf unseren Energieverbrauch achten sollten. Es ist eine schwierige Zeit. Es herrscht Krieg auf unserem Kontinent (...) Wir müssen widerstandsfähig bleiben.“

In einer Woche soll Liz Truss, die Thatcher nacheifert, zur neuen Tory-Vorsitzenden ernannt werden und Johnson als Premierministerin ablösen. Liz Truss hat der Verarmung von zig Millionen Menschen nichts entgegenzusetzen. Selbst die von den Konservativen unterstützte Zeitung Sun sieht sich gezwungen, ihren Energie-„Plan“ zu kritisieren, der auf der Abschaffung einiger Umweltabgaben beruht und den Haushalten nur Einsparungen von 11 Pfund pro Jahr einbringt!

Angesichts der wachsenden Wut von Millionen Menschen, die sich in einer anwachsenden Streikwelle äußert, gibt es nur Pläne zur Unterdrückung. Rupert Murdocks Boulevardzeitung schreibt: „Während sich die Krise zuspitzt, kann die Sun on Sunday enthüllen, dass die Minister eine Welle von Verbrechen wegen der Lebenshaltungskosten und mögliche Unruhen planen. Regierungsbeamte haben Pläne ausgearbeitet, um mit Massenunruhen fertig zu werden, wenn die Energierechnungen in die Höhe schnellen.“

Die Socialist Equality Party (SEP) vertritt eine Politik, die soziale Bedürfnisse über Unternehmensgewinne stellt.

  • Die Energiepreise für Haushalte müssen sofort wirksam eingefroren und eine echte Preisobergrenze eingeführt werden, damit kein Haushalt mit ruinösen Energiekosten konfrontiert wird. Die Übergewinne der Öl-, Gas- und anderen Energieunternehmen müssen enteignet werden und in einen öffentlich kontrollierten Fonds zur sofortigen Entlastung der ärmsten Haushalte einfließen.
  • Die britische Bevölkerung und die Arbeiter auf der ganzen Welt werden als Geiseln für die Raffgier riesiger Energiekonzerne gehalten, die den Globus mit sinkendem Lebensstandard, Umweltzerstörung und Krieg bedrohen. Dieser Würgegriff muss durch die Umwandlung der großen Energiekonglomerate in öffentliche und demokratisch kontrollierte Versorgungsunternehmen durchbrochen werden.
  • Im Gegensatz zur Bereicherung der Finanzoligarchie muss die Erkundung, Erschließung und Nutzung der Energieressourcen von einem rationalen internationalen Plan geleitet werden, der öffentlich debattiert und von der Arbeiterklasse demokratisch gebilligt wird. Dieser Plan muss den Bedarf der Weltbevölkerung an preiswerter, umweltfreundlicher und erneuerbarer Energie decken.
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