Kommunalwahlen im Vereinigten Königreich

Nato- und Sparpartei Labour erleidet Schiffbruch

Bei den britischen Kommunalwahlen am Donnerstag verlor Boris Johnsons Tory-Regierung wie erwartet hunderte Sitze in den Bezirksräten. Doch das wirkliche Debakel betraf die Labour Party, die trotz der massiven Opposition gegen Johnson und die Tories kaum nennenswerte Unterstützung in der Bevölkerung gewinnen konnte – weil die Feindschaft der Bevölkerung gegenüber Sir Keir Starmers ebenso rechter Partei enorm ist.

Gewählt wurden die Gemeinde- und Bezirksräte in ganz Großbritannien, einschließlich der meisten Großstädte. Bis zum Ende der Auszählung am Freitagabend hatten die Tories 397 Sitze in den Kommunalräten in ganz England, Wales und Schottland verloren. Labour hatte jedoch nur 252 gewonnen. Die Liberal Democrats erzielten 189 Sitze, hauptsächlich zu Lasten der Tories im Süden Englands. Die Grünen gewannen 81 Sitze, sowohl von den Tories als auch von Labour.

Insgesamt hat Labour acht Räte dazugewonnen, die Liberal Democrats fünf, und die Tories haben 12 Räte verloren.

In Wales, einer Labour-Hochburg, gewann die Partei 62 zusätzliche Sitze und zwei Räte. Sie verlor die Kontrolle über den Rat von Neath Port Talbot, in dem die nationalistische Plaid Cymru (Party of Wales) Sitze gewinnen konnte. Ein Großteil von Labours Zugewinnen in Wales ging auf Kosten der Tories, die 67 Ratssitze und die Kontrolle über ihren einzigen Kommunalrat in Monmouthshire verloren. Labour wurde zwar stärkste Partei, verfehlte mit nur 22 Sitzen jedoch die Mehrheit um zwei Sitze. Plaid Cymru verlor insgesamt drei Sitze, gewann jedoch die Kontrolle über die Kommunalverwaltungen von Anglesey, Ceredigion und Carmartenshire. Die Grünen erzielten mit acht Sitzen ihr bisher bestes Ergebnis.

In Schottland, wo Labour auf Kosten der Tories zur zweitgrößten Partei wurde, konnte die Scottish National Party (SNP) ihre Position als größte Partei bei den Kommunalwahlen mit Leichtigkeit halten. In den 32 Kommunalräten Schottlands konnte die SNP die Gesamtzahl ihrer Sitze um 22 erhöhen. Labour gewann 20 Sitze und einen Kommunalrat, ihr Stimmenanteil lag jedoch 13 Prozentpunkte hinter der SNP.

Bei der Parlamentswahl in Nordirland, die zeitgleich stattfand, deuten die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass Sinn Féin die stärkste Partei wird. Es wäre damit das erste Mal, dass eine irisch-nationalistische Partei die meisten Sitze im Parlament erhält und den First Minister stellen kann, was vermutlich eine politische Krise auslösen wird. Die rivalisierende Democratic Unionist Party hat bereits angekündigt, sie werde im Falle eines Wahlsiegs von Sinn Féin keinen stellvertretenden First Minister nominieren. Wenn innerhalb von sechs Monaten keiner ernannt wird, würde die Regierung zusammenbrechen.

Laut einer Prognose des nationalen Anteils der Stimmen, die am Freitagnachmittag von der BBC veröffentlicht wurde, erhielt Labour 35 Prozent, die Tories 30 Prozent und die Liberaldemokraten 19 Prozent.

Wie man es auch drehen mag, die Ergebnisse sind ein Armutszeugnis für die Labour Party. Ihre Zugewinne waren die minimalsten, die in der aktuellen Lage möglich waren. Starmer hat mit seinem erklärten Ziel, die Partei nach der Wahlkatastrophe unter ihrem ehemaligen Parteichef Jeremy Corbyn im Jahr 2019 zu retten – für die er und die übrigen Blair-Anhänger genauso verantwortlich waren wie Corbyn –, eine klägliche Niederlage erlitten.

Labour stand einem Premierminister als Gegner gegenüber, der für den Tod von fast 200.000 Menschen durch die Pandemie verantwortlich ist und dessen Partei in ihrer 12-jährigen Amtszeit ständig neue Austeritätspakete durchgesetzt hat. Jetzt vollzieht sich unter seiner Regierung ein Preisanstieg, der das Leben für die Arbeiterklasse buchstäblich unbezahlbar macht. Im Vorfeld der Wahlen hatte der Labour-nahe Mirror den Tories den Verlust von bis zu 800 Sitzen, den Zusammenbruch und einen möglichen Rücktritt des allgemein verhassten Johnson prognostiziert. Andere, wie der Guardian, rechneten mit dem Verlust von mehr als 500 Sitzen für die Tories.

Letzten Endes erklärte Johnson, man habe ein „gemischtes Ergebnis“ erzielt und kommentierte: „Wir hatten in einigen Teilen des Landes einen harten Abend, aber andererseits sind die Konservativen in anderen Teilen des Landes noch stark und punkten sogar beträchtlich in Gegenden, die schon lange nicht mehr oder noch nie konservativ gewählt haben...“

Laut einer Prognose von Sky News auf der Grundlage der Ergebnisse von 1.700 Wahlbezirken und einer Analyse der Änderungen der Stimmanteile in 87 Bezirksräten seit 2018 würde Labour die nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2024 nicht gewinnen. Der Sender rechnet mit einem Patt im Parlament – 278 Sitze für die Tories, sieben mehr als Labour mit 271 Sitzen.

In der „Red Wall“, den historischen Labour-Hochburgen in Nordengland, verzeichnete Starmers Partei eine vernichtende Niederlage. In den Parlamentswahlen 2019 konnten die Tories viele dieser von Arbeitern geprägten und von Labour seit langem aufgegebenen Wahlkreise erstmals seit Jahrzehnten oder sogar das erste Mal gewinnen. Es gab keine Anzeichen, dass sich dieser Fäulnisprozess ins Gegenteil verkehren würde. In Hull, wo Labour zehn Jahre an der Macht war, verlor die Partei die Kontrolle über den Bezirksrat an die Liberal Democrats. Der Hafen von Hull gehörte zu denjenigen, die stark von der kürzlichen Massenentlassung von 800 Fährarbeitern bei P&O betroffen waren. Labour und die Gewerkschaften hatten nichts dagegen unternommen.

Auch in Regionen, in denen die Tories schwere Verluste hinnehmen mussten, konnte sich Labour nicht als größte oder alleinige Opposition durchsetzen. Die meisten Arbeiter stimmten mit den Füßen ab und enthielten sich gänzlich. Diejenigen, die ihre Stimme abgaben, wählten eher Liberal Democrats und Grüne als Labour. Der weitere Rechtsruck unter Starmer war so extrem, dass diese Parteien viele, überwiegend kleinbürgerliche Wähler dazugewinnen konnten, die von dem reaktionären Gestank der beiden großen Parteien abgestoßen waren.

Seit Starmer im April 2020 von Corbyn den Parteivorsitz übernommen und versprochen hatte, Johnson während der Pandemie nur „konstruktiv“ zu kritisieren, hat er die Partei von allen Spuren „linker“ Politik gesäubert, selbst vom verwässerten „Linkskurs“ seines Vorgängers.

Der Labour-Parteichef hat sich lange für die Rolle als oberster Kriegstreiber des britischen Imperialismus und für die Unterstützung der Finanzoligarchie der City of London beworben. Starmer bezeichnete Labour als „die Partei der Nato“ und versicherte der Spitzenorganisation der britischen Arbeitgeberverbände (Confederation of British Industry, CBI) letzten November: „Wie ich bereits in meiner Rede auf dem Parteitag erklärt habe: Labour ist wieder im Geschäft... Labour ist auch die Partei der Geschäftswelt.“

Der erste Erfolg dieser Bestrebungen waren die Siege im Bezirksrat von Westminster, der seit 1964 von den Tories kontrolliert wird, und im Bezirksrat Wandsworth, der seit 1978 – ein Jahr vor der Amtsübernahme von Margaret Thatcher – unter Führung der Tories stand. Wandsworth war der Vorzeige-Bezirksrat der Tories und galt wegen seines Eintretens für Thatchers Privatisierungs- und Marktwirtschaftskurs als deren Favorit.

Starmer feierte das verbesserte Labour-Ergebnis in London bezeichnenderweise mit einem Fernsehauftritt im neu gewonnenen Stadtteil Barnet, in dem ein großer Anteil jüdischer Wähler lebt und wo die ungerechtfertigten Vorwürfe über Antisemitismus in der Labour Party eine wichtige Rolle gespielt hatten. Er erklärte den dortigen Sieg seiner Partei mit dieser verkommenen rechten Hetzkampagne, die zum Ausschluss von Corbyn aus der Parlamentsfraktion der Labour Party und zahlloser weiterer Mitglieder aus der Partei selbst geführt hatte.

Dennoch musste der Vorsitzende der Labour-Ortsgruppe, Barry Rawlings, zugeben: „Ehrlich gesagt, ist es nicht so, dass wir gut waren. Ich glaube, viele Konservative haben diesmal nicht gewählt, weil sie sich von der Regierung entfremdet haben... Sie waren enttäuscht von Boris Johnson.“

Labour hat voraussichtlich auch die Londoner Bezirksräte von Tower Hamlets und Croydon verloren, die ihre Ergebnisse erst am Samstag bekannt gegeben haben bzw. noch dabei sind, die Stimmen auszuzählen. Das Labour-geführte Croydon hatte nach jahrelangen finanziellen Betrügereien und dem Verkauf von öffentlichem Eigentum Bankrott erklären müssen.

Die Kolumnistin Camilla Cavendish von der Financial Times erklärte kurz und knapp: „Wenn Starmer seine Wähler jetzt nicht begeistern kann, wird er Johnson nie schlagen... Die Kommunalwahlen, von denen viele Tories befürchtet hatten, sie würden zu einer schweren Abfuhr für den Premierminister werden, haben sich für Labour als ein ebenso hartes Urteil erwiesen. Boris Johnson wird jetzt beruhigt zu dem Schluss kommen, dass er sicher ist – und Keir Starmer hat noch einen langen Weg vor sich, wenn er die nächste Wahl gewinnen will.“

Die Ergebnisse bestätigten, dass die Arbeiterklasse keine Wahlmöglichkeit in diesem Kampf zwischen den nahezu identischen Parteien des Großkapitals hatte. Labour ist sogar noch entschlossener, das Austeritäts- und Kriegsprogramm durchzusetzen als die Verbrecher in der Downing Street. Der einzige Ausweg für die Arbeiterklasse ist der Wiederaufbau einer sozialistischen Massenbewegung durch den Aufbau ihrer eigenen Partei, der Socialist Equality Party.

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