Perspektive

Worum geht es beim Kampf der US-Eisenbahn- und Ölarbeiter?

In den letzten Wochen haben sich die Eisenbahner und Ölraffineriearbeiter in den Vereinigten Staaten an die Spitze einer wachsenden Bewegung in der Arbeiterklasse gestellt. Ihr Kampf richtet sich gegen erschöpfende und gefährliche Arbeitszeiten und den Verfall der Löhne angesichts explosionsartig steigender Lebenshaltungskosten.

Güterbahnhof in Galesburg, Illinois (AP Photo/Shafkat Anowar) [AP Photo/Shafkat Anowar]

Letzten Monat stimmten 17.000 Lokführer und Schaffner bei der Eisenbahngesellschaft BNSF Railroad - ehemals Burlington Northern Santa Fe - für einen Streik. Dieser soll die größte Eisenbahngesellschaft der USA daran hindern, eine neue strafbewehrte Anwesenheitspolitik einzuführen. Im Rahmen der so genannten „Hi Viz“-Politik werden jedem Beschäftigten 30 Punkte zugeteilt, und für jedes Fernbleiben von der Arbeit, unabhängig vom Grund, werden Punkte abgezogen. Um Punkte zurückzubekommen, müssen die Arbeiter mindestens zwei Wochen lang 24 Stunden pro Tag auf Abruf zur Verfügung stehen. Diese Politik wird genutzt, um Arbeiter, die Punkte verlieren, zu disziplinieren oder entlassen zu können.Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die Arbeiter praktisch rund um die Uhr einsatzbereit sind.

Am 25. Januar erließ ein Bundesrichter in Texas ein Streikverbot per einstweiliger Verfügung. Damit einhergehend wurde die praktische Versklavung durch Anwesenheitspflicht zu einem „geringeren“ Problem erklärt, wodurch gemäß Eisenbahnarbeitsgesetz von 1926, das Streiks in der Bahnindustrie nahezu unmöglich macht, kein Grund für einen Ausstand vorliegt. In seinem Urteil erklärte der US-Bezirksrichter Mark Pittman, dass ein Streik inakzeptabel sei, da er zu einer Unterbrechung der Lieferketten im Land führe. Er räumt damit den Profiten der BNSF und der amerikanischen Unternehmen Vorrang ein vor den demokratischen und sogar vertraglichen Rechten der Beschäftigten.

Mit der streikbrechenden einstweiligen Verfügung in der Hand führte das Unternehmen die Anwesenheitspolitik am 1. Februar einseitig ein. Angesichts der Tatsache, dass die Eisenbahner bereits zuvor unvorhersehbare Arbeitszeiten hatten, wird die neue Politik die Arbeiter dazu zwingen, wichtige Termine wie z.B. Arzttermine abzusagen, weniger Zeit mit ihren Familien zu verbringen und weniger nötige Erholung zu bekommen. Eine unvermeidliche Folge dieser Politik ist die zunehmende Erschöpfung der Arbeiter, was wiederum das Risiko schwerer Unfälle und Todesfälle mit sich bringt. Dies wurde durch den Tod eines BNSF-Arbeiters unterstrichen, der am 9. Februar, dem Tag nach der richterlichen Verfügung, in Denver, Colorado, von einem Zug erfasst wurde.

Die Gewerkschaften Sheet Metal Air Rail Transportation-Transportation Division (SMART-TD) und die Brotherhood of Locomotive Engineers and Trainmen (BLET) haben sich jeder ernsthaften Mobilisierung gegen die Hi-Viz-Politik widersetzt. Stattdessen setzen die Gewerkschaften die einstweilige Verfügung durch und haben die Beschäftigten angewiesen, sich in der Öffentlichkeit nicht gegen die Anwesenheitspolitik zu äußern.

Der Arbeitskampf bei BNSF findet zu einem Zeitpunkt statt, da die Tarifverhandlungen für 115.000 Eisenbahner nach zwei Jahren ohne neuen nationalen Abschluss und in eine Sackgasse geraten sind. Zusammen mit BNSF haben die Eisenbahngesellschaften CSX, Kansas City Southern, Norfolk Southern, Union Pacific und CN Zehntausende von Arbeitsplätzen abgebaut, obwohl die von den Eisenbahnen beförderte Frachtmenge in den letzten zwei Jahrzehnten um 30 Prozent gestiegen ist.

Der landesweite Tarifvertrag für 30.000 Beschäftigte in Ölraffinerien und petrochemischen Betrieben von 12 großen Energieunternehmen lief am 1. Februar aus. Angesichts eines Rohölpreises von 90 Dollar pro Barrel und eines Siebenjahreshochs an der Zapfsäule realisieren Marathon, Shell, BP und andere Unternehmen enorme Gewinne. Marathon, das die Verhandlungen führende Unternehmen, hat jedoch ein „endgültiges Einigungsangebot“ vorgelegt, das jährliche Erhöhungen von nur 2 bis 3 Prozent vorsieht, was angesichts der jährlichen Inflationsrate von 7,5 Prozent de facto eine Reallohnkürzung bedeuten würde. Das Unternehmen erwirtschaftete 2021 einen Gewinn von 9,7 Milliarden Dollar und kündigte ein Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 5 Milliarden Dollar für seine wohlhabendsten Anleger an.

Ein Arbeiter der Galveston Bay Refinery von Marathon in Texas City, dem Ort einer Explosion im Jahr 2005 in der damals BP gehörenden Anlage, bei der 13 Arbeiter getötet und 180 weitere verletzt wurden, sagte der World Socialist Web Site, dass Raffineriearbeiter routinemäßig 16-Stunden-Schichten an bis zu 13 Tagen hintereinander arbeiten. „Marathon erhielt 2 Milliarden Dollar durch das Hilfsprogramm CARES Act als Covid-Unterstützungspaket, entließ prompt 10 Prozent der Beschäftigten und verdoppelte das Gehalt der Geschäftsführung“, berichtet der Arbeiter.

Die Ölarbeiter sind entschlossen, wesentliche Verbesserungen bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen zu erreichen, aber die Gewerkschaft United Steelworkers hat einen Streik blockiert und die Arbeiter gezwungen, im Rahmen von 24-stündigen „rollenden“ Vertragsverlängerungen an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. Dadurch hatten die Ölgesellschaften Zeit, neues Personal einzustellen, um sich auf einen möglichen Streik vorzubereiten.

In den nächsten Monaten laufen auch bei anderen wichtigen Beschäftigtengruppen die Verträge aus. Dazu gehören:

  • 22.000 Hafenarbeiter in Washington, Oregon und Kalifornien, deren Vertrag am 1. Juli ausläuft.
  • 268.000 Lehrkräfte, darunter 120.000 Lehrer und Schulpersonal in New York City, 34.000 in Los Angeles und 3.000 in Oakland, deren Verträge zwischen Juni und September auslaufen.
  • 118.000 Krankenhausbeschäftigte, die für mehr Personal und bessere Löhne kämpfen, darunter 7.000 Krankenpfleger bei Kaleida Health in Buffalo, New York, und 5.000 Krankenpfleger am University of Michigan Medical Center, deren Verträge am 31. Mai bzw. 30. Juni auslaufen.

Die Arbeiter werden durch die steigenden Lebenshaltungskosten in den Kampf getrieben. Der Energiepreisindex ist im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent gestiegen, während die Lebensmittelpreise um 7 Prozent angezogen haben. Die Preise für Fleisch, Geflügel und Eier stiegen um 12,2 Prozent, die für Erdgas um 23,9 Prozent und die für Strom um 10,7 Prozent. Benzin ist nun 40 Prozent teurer. Die Unterbrechung von Lieferketten führte zu einem Anstieg der Neuwagenpreise um 12,2 Prozent und zu einem enormen Preisanstieg von 40,5 Prozent bei den Gebrauchtwagen.

Auch wenn Energie- und Logistikunternehmen angesichts steigender Öl- und Transportpreise enorme Gewinne einfahren, wehren sie Lohnforderungen entschlossen ab, obwohl mit diesen nur ein Inflationsausgleich erfolgen würde. Gleichzeitig haben die Regierung und die Unternehmen alle Maßnahmen eingestellt, um die Ausbreitung von Covid-19 zu stoppen, obwohl bereits mehr als 900.000 Amerikaner an der Infektion gestorben sind.

Das Signal ist klar: Die Arbeiter werden gezwungen, bis zum Umfallen zu arbeiten, sei es vor Krankheit oder Erschöpfung, damit sich die Großkonzernen und Aktionäre bereichern.

Die unternehmensnahen Gewerkschaften haben in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass Streiks aus dem amerikanischen Leben nahezu verschwunden sind. Sie sind weithin diskreditiert und werden verachtet. Eines der wichtigsten Merkmale dieser wachsenden Bewegung ist der immer offenere Konflikt zwischen den Gewerkschaften auf der einen Seite, die immer schamloser die Kämpfe der Arbeiter verraten, und den Arbeitern auf der anderen Seite, die sich zunehmend gegen diese überlebten Organisationen auflehnen. Der bewussteste Ausdruck dieser Rebellion ist die Gründung von unabhängigen Aktionskomitees durch Arbeiter in den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt.

US-Präsident Biden versucht, die Gewerkschaften systematisch zu stärken, um diese verfallenden Institutionen zu retten. Durch die Stärkung der Gewerkschaften hofft Biden, die Arbeiter unter eine Art staatliche Vormundschaft zu stellen. Dies wurde besonders deutlich im Regierungsbericht zur „Task Force on Worker Organizing and Empowerment“. Hierin heißt es, dass die US-Regierung als „Kunde von Waren und Dienstleistungen“ ein Interesse daran hat, dass „ihre Auftragnehmer Tarifverträge abschließen, um die Stabilität zu fördern und Störungen bei den von der Regierung beschafften Dienstleistungen und Waren zu minimieren“.

Die Durchsetzung von „Arbeitsdisziplin“ ist auch eng mit den fortgeschrittenen Vorbereitungen des amerikanischen Imperialismus für einen militärischen Konflikt gegen die Hauptkonkurrenten Russland und China verbunden. Ein Krieg dieses Ausmaßes ist nicht denkbar, ohne die gesamte Gesellschaft in einen Kriegszustand zu versetzen und abweichende Meinungen zu unterdrücken. So erklärte US-Verkehrsminister Pete Buttigieg im vergangenen Herbst, dass ein Konflikt mit China „uns die Möglichkeit bietet, die politische Kluft zu überwinden“. Er schloss mit den Worten: „Mindestens die Hälfte der Schlacht wird zu Hause geschlagen“.

Dies macht deutlich, dass die Arbeiter eine neue Strategie annehmen müssen, um erfolgreich zu kämpfen: Sie müssen unnachgiebigem Widerstand nicht nur gegen die Gewerkschaften, sondern auch gegen den kapitalistischen Staat leisten. Die Arbeiter müssen den Aufbau einer Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees fortsetzen und dabei die vollständige Unabhängigkeit der Arbeiter von den korrupten Gewerkschaften und den Parteien des Großkapitals herstellen.

Das Zusammenwachsen von Gewerkschaften und Staat zeigt aber auch, wie notwendig ein politischer Kampf der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System selbst ist, denn dieses treibt die Welt in die Katastrophe und ist nicht in der Lage, irgendeines der Probleme der modernen globalen Gesellschaft zu lösen. Gegen die Strategie der Diktatur und des Krieges vonseiten des amerikanischen und weltweiten Kapitalismus muss die Arbeiterklasse eine internationale Bewegung aufbauen, die sich auf den Kampf für den Sozialismus stützt.

Loading