Gesundheitsbehörde schließt VW-Werk in China

Arbeiter müssen auch in Deutschland die Corona-Durchseuchung in Betrieben stoppen

Am Donnerstag vergangener Woche berichtete die South China Morning Post, dass das Volkswagen-Werk in der chinesischen Hafenstadt Tianjin nach einem Covid-Ausbruch in der Belegschaft auf Anweisung der Gesundheitsbehörde bis auf weiteres die Produktion einstellen musste. Die Stadt liegt nur 100 Kilometer oder eine knappe Stunde mit dem Hochgeschwindigkeitszug von Peking entfernt.

Bereits zwei Tage vorher hatte die Direktorin des lokalen Gesundheitsamtes im chinesischen Staatsfernsehen CCTV über das Auftauchen von Omikron in der 14-Millionen-Stadt berichtet. Daraufhin wurden sofort Massentests und ein umfassender Lockdown angeordnet, um eine Ausbreitung zu verhindern.

VW-Werk Kassel (Bild: BiCYCLE / CC-BY-SA 3.0) [Photo: BiCYCLE / CC-BY-SA 3.0]

Die Volkswagen Group China umfasst 33 Werke in zwölf Städten mit über 100.000 Beschäftigten. In Tianjin gibt es ein Komponentenwerk sowie einen Betrieb für Automatikgetriebe. In beiden seien alle Mitarbeiter zwei Mal getestet worden. Das chinesische Gesundheitsamt zeigte sich höchst besorgt über das Auftauchen der Omikron-Variante. Es befürchtet, dass das hohe Ansteckungsrisiko den bisherigen Erfolg der Zero-Covid-Politik in China gefährden könnte.

Ob in Tianjin weitere Maßnahmen ergriffen werden, steht noch nicht fest. In anderen Städten, wie der Provinzhauptstadt Zhengzhou, wurden bereits neben nicht lebensnotwendigen Läden auch Schulen und Kindergärten geschlossen. Restaurants dürfen nur noch Essen zum Mitnehmen anbieten. Der öffentliche Nahverkehr wurde ausgesetzt, auch Taxis dürfen derzeit nicht fahren.

Die schnelle und umfassende Reaktion der chinesischen Regierung und der Gesundheitsbehörden stehen in krassem Gegensatz zur Situation in Deutschland. Seit Beginn der Pandemie steht hierzulande nicht der Gesundheitsschutz der Bevölkerung, sondern die Aufrechterhaltung der Produktion und damit die Profitmaximierung im Zentrum aller Entscheidungen der Regierung, der Behörden und der Unternehmer.

Die Wirtschaftsverbände diktieren die Politik. Sie verlangen, dass die Produktion unter allen Umständen aufrechterhalten wird, auch dann, wenn ein oder mehrere Corona-Ausbrüche im Betrieb stattfinden und die Ansteckung der Beschäftigten dramatisch zunimmt. Die Unternehmensleitungen und die Kapitalistenklasse insgesamt betrachten die Pandemie vor allem als Gelegenheit, ihren Reichtum zu vermehren.

Deshalb werden alle Informationen über die Corona-Situation in den Betrieben strikt geheim gehalten. Obwohl es in den Großbetrieben Betriebsärzte und Gesundheitsbeauftragte gibt, und obwohl die Betriebsräte per Gesetz verpflichtet sind, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu beaufsichtigen, werden die Informationen über Corona-Ausbrüche verheimlicht. Wer Informationen bekannt machen will, wird bedroht.

Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass sich das Airbus-Werk in Hamburg zum Corona-Hotspot entwickelt hatte, waren viele Arbeiter alarmiert. Damals waren 21 Arbeiter positiv getestet worden. Daraufhin mussten 500 Beschäftigte einer gesamten Schicht in Quarantäne.

Die Betriebsratschefin Sophia Kielhorn wehrte damals Kritik mit den Worten ab: „Wir leben im Kapitalismus. Da hat das Kapital das Sagen, und die Arbeitnehmervertreter können lediglich abmildern und Ausgleich schaffen.“

Der Strategieberater für Betriebsräte, Peter Müller, pflichtete ihr bei und warnte vor Schadensersatz- und Strafzahlungen, falls die Gewerkschaft zum Streik aufrufe. Das sei ein „Spiel mit der Existenz der Menschen“, warnte er. Wohl gemerkt: Nicht die Durchseuchung der Betriebe mit der Gefahr, dass die Beschäftigten und ihre Familien für lange Zeit erkranken oder sterben, ist für den Gewerkschaftsstrategen ein Spiel mit der Existenz der Menschen, sondern der Kampf dagegen.

Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, erklärte, die Faktenlage spreche „nicht dafür, die Industrie stillzulegen, um die Zahl der Corona-Ansteckungen zu senken. […] Ein Runterfahren der Industrie hätte heftigste volkswirtschaftliche Konsequenzen.“

Seither haben die Konzernleitungen mit den Betriebsräten und Gewerkschaften striktes Stillschweigen über Corona-Ausbrüche in Betrieben vereinbart. Sie haben sich verschworen, jede Corona-bedingte Unterbrechung der Produktion zu verhindern. Auch die Gesundheitsämter geben keine Auskunft und berufen sich auf eine Schweigepflicht über betriebsinterne Angelegenheiten.

Selbst die verheerenden Verhältnisse in den Fleischfabriken werden jetzt vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Viele Medien akzeptieren diese Informationsblockade, obwohl im ersten Corona-Jahr in einer einzigen Fabrik von Tönnies im Kreis Gütersloh über 1500 Arbeiter positiv auf Covid-19 getestet worden sind.

Dringt trotzdem etwas nach außen, wird es schnell verharmlost und als Einzelfall bezeichnet. In Wahrheit nimmt die Durchseuchung der Betriebe gerade dramatische Form an.

Arbeiter bei Thyssenkrupp in Duisburg berichteten der WSWS, sie hätten herausgefunden, dass zum Jahresbeginn bei den rund 12.000 Beschäftigten 98 Corona-Fälle registriert wurden. Aber nur 86 Arbeiter seien in Quarantäne. Das würde bedeuten, dass nicht einmal alle Infizierten, geschweige denn die Kontaktpersonen in Quarantäne sind.

Beim Edelstahlwerk Outokumpu in Krefeld berichteten Arbeiter, sie wüssten bislang von 100 Corona-Fällen im Betrieb. Bei etwas mehr als 1000 Beschäftigen wären das 10 Prozent.

Ende Dezember wurde ein Corona-Ausbruch beim Caravan-Hersteller LMC im Münsterland bekannt. Dort gab es unter den 90 Beschäftigen 38 Omikron-Verdachtsfälle.

Auch bei Amazon kommt es immer wieder zu Corona-Ausbrüchen, wie zuletzt am 6. Januar im Verteilzentrum Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein). Dort wurden im Gesamtkreis Stormarn an einem Tag 200 neue Infektionen festgestellt und das Omikron-Virus nachgewiesen.

Amazon ist berüchtigt für seine brutalen Ausbeutungsmethoden und die Unterdrückung von Informationen aus den Betrieben. Der US-Konzern unterhält in Deutschland 17 Logistikzentren und mehr als 60 Verteilzentren mit über 19.000 Festangestellten, zu denen die Saisonkräfte und Beschäftigten der Subunternehmer und Kurierdienste hinzukommen.

Wie stark die Corona-Ausbrüche in den Betrieben zunehmen, zeigt auch Folgendes: Der Infektiologe und Regierungsberater Emil Reisinger berichtete Anfang des Jahres nach einer Sitzung der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns von einem Betrieb mit 1000 Mitarbeitern, in dem sich nach einem Corona-Ausbruch 100 Beschäftigte infiziert hatten. Alle Betroffenen seien zwei Mal geimpft gewesen. Den Namen des Betriebs nannte er nicht.

Reisinger warnte vor der hohen Ansteckungsgefahr und schnellen Ausbreitung der Omikron-Variante. Er rechne in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Anteil von 80 bis 90 Prozent in ein bis zwei Wochen. Omikron sei zwar deutlich infektiöser als bisherige Varianten, mache aber weniger krank, behauptete er. Insbesondere bei Geimpften verlaufe die Infektion oft ohne Symptome oder zeige mildere Verläufe.

Die völlig unbewiesene, aber ständig wiederholte Behauptung, die Infektion mit der Omikron-Variante verlaufe weitgehend harmlos, hat nur ein Ziel: Sie soll die Durchseuchung der Betriebe und der ganzen Gesellschaft rechtfertigen.

Im Dezember starben alleine in Deutschland durchschnittlich 1935 Menschen pro Woche oder 276 Tote pro Tag. Für sie war der Virus nicht harmlos. Seit Januar nimmt die Ansteckung unter Kindern und Jugendlichen deutlich zu, weil die Schulen und Kindergärten offengehalten werden, damit die Eltern arbeiten können. Immer mehr Kinder und Jugendliche müssen in Krankenhäusern behandelt werden, und die Langzeitfolgen der angeblich „milden“ Omikron-Variante sind noch völlig unbekannt.

Ungeachtet der Propaganda vom „milden Verlauf“ arbeiten viele Betriebe Notfallpläne aus, weil sie mit zunehmenden Infektionen und wochenlangem Ausfall von Beschäftigten rechnen. Die Wirtschaftsverbände verlangen die Reduzierung der Quarantänezeiten und die Bundes- und Landesregierungen setzen es um. Ihre Entscheidungen kennen nur ein Ziel: Profit.

Vergangene Woche kündigte das niedersächsische Sozialministerium unter Leitung von Daniela Behrens (SPD) angesichts rasant steigender Infektionszahlen eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes an. Das Verbot der Sonntagsarbeit wird eingeschränkt. Künftig soll es viele Ausnahmen dafür geben. Und die zulässige Wochenarbeitszeit von gegenwärtig 48 wird auf 60 Stunden erhöht.

Mit kaum zu überbietendem Zynismus erklärte Ministerin Behrens: „Wir wissen um die besondere körperliche und auch psychische Belastung für viele Beschäftigte nach zwei Jahren Pandemie, die wir außerordentlich bedauern.“ Sie hoffe daher, dass die „Flexibilisierungsmöglichkeiten nur in möglichst wenigen Fällen in Anspruch genommen werden müssen“.

Diese Politik im Interesse der Konzerne und Reichen hat dazu geführt, dass sich das Vermögen der zehn reichsten Personen weltweit während der Pandemie verdoppelte, während 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut gestürzt wurden, wie die Hilfsorganisation Oxfam in einem Bericht am vergangen Wochenende feststellte.

Die zunehmende Durchseuchung, die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der ständige Arbeitsplatzabbau machen deutlich, dass sich die Beschäftigten dringend in unabhängigen Aktionskomitees organisieren müssen, um die Verteidigung ihrer Gesundheit, ihres Lebens und ihrer Arbeitsplätze selbst in die Hand zu nehmen.

Als erstes müssen sie umfassende Informationen über die Corona-Situation in ihrem Betrieb verlangen. Die anhaltende Informationsverweigerung von Unternehmensleitungen, Betriebsrat und Gewerkschaft darf nicht länger hingenommen werden.

Es ist notwendig, der kapitalistischen Profitlogik entgegenzutreten. Das erfordert eine sozialistische Perspektive, die die Verteidigung der Gesundheit und der Lebensbedingungen der Beschäftigten und ihrer Familien höherstellt, als die Bereicherung der Unternehmensleitung, Wirtschaftsverbände und Investoren. Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP).

Wir rufen alle Arbeiter, die nicht länger bereit sind, die hohe Ansteckungsgefahr in Betrieben, die systematische Vertuschung der Infektionszahlen und die Fortsetzung der Produktion trotz dramatischer Ausbreitung der Pandemie hinzunehmen, auf: Setzt euch mit uns in Verbindung. Der Kampf zum Schutz der Gesundheit und des Lebens muss mit der Zurückweisung der Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne, Renten und Arbeitsbedingungen verbunden werden, der bereit in vielen Ländern stattfindet und sich ausweitet.

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