Scheitern des Nato-Russland-Rats unterstreicht Kriegsgefahr

Wie schon die bilateralen Gespräche zwischen den USA und Russland am Montag ist auch das Treffen des Nato-Russland-Rats am Mittwoch ohne greifbares Ergebnis zu Ende gegangen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nannte es zwar ein „positives Zeichen“, dass die 30 Nato-Staaten und Russland erstmals seit zweieinhalb Jahren wieder „am gleichen Tisch saßen und sich substanziellen Themen gewidmet haben“. Es gebe von beiden Seiten die grundsätzliche Bereitschaft, den Dialog fortzuführen. Es bestünden aber weiter „erhebliche Meinungsverschiedenheiten“ – nicht nur, was die Ukraine betrifft.

Sowohl Stoltenberg wie US-Vize-Außenministerin Wendy Sherman bekräftigten, dass sie nicht bereit sind, der russischen Forderung nach Sicherheitsgarantien entgegenzukommen.

„Wir werden keine Kompromisse bei unseren Grundprinzipien machen,“ betonte Stoltenberg. Den von Russland geforderten Verzicht auf eine weitere Ausdehnung der Nato schloss er kategorisch aus. Russland habe „kein Vetorecht in der Frage, ob die Ukraine NATO-Mitglied werden kann“.

Auch Sherman erklärte zur Frage einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine: „Jedes Land hat das hoheitliche Recht, seinen eigenen Weg zu wählen.“ Dieses Grundprinzip der internationalen Ordnung und der europäischen Sicherheit habe sie bei den Gesprächen mit dem russischen Vize-Außenminister Alexander Gruschko erneut deutlich gemacht.

Tatsächlich waren die Gespräche in Genf und Brüssel weniger ein „Dialog“, als ein Ultimatum. Die Nato-Mitglieder und die westlichen Medien beschuldigen Russland seit Wochen, es plane einen militärischen Überfall auf die Ukraine, was Moskau strikt bestreitet. Sie begründen dies damit, dass Russland 100.000 Soldaten in die Nähe der ukrainischen Grenze verlegt habe – was Moskau weder dementiert noch bestätigt hat. Es betont aber, dass es ihm freistehe, Truppenverschiebungen und militärische Manöver auf seinem eigenen Staatsgebiet durchzuführen.

Die USA haben eine gewaltige Drohkulisse gegen Russland aufgebaut. Am vergangenen Samstag, zwei Tage vor den Gesprächen in Genf, berichtete die New York Times: „Die Biden-Administration und ihre Verbündeten erstellen eine Liste strenger finanzieller, technologischer und militärischer Sanktionen gegen Russland, die im Falle eines Einmarsches in die Ukraine innerhalb weniger Stunden in Kraft treten würden. Sie hoffen, Präsident Wladimir W. Putin so deutlich zu machen, welch hohen Preis er zahlen müsste, wenn er Truppen über die Grenze schickt.“

Die Times berief sich auf Regierungsbeamte, die sich „erstmals über Einzelheiten dieser Pläne äußerten“. Solche Schritte würden sonst selten im Voraus angekündigt. Aber angesichts der bevorstehenden Verhandlungen wollten Präsident Bidens Berater Herrn Putin signalisieren, was auf ihn zukomme.

Zu den Plänen, die die US-Regierung in den vergangenen Tagen mit Verbündeten diskutiert hat, gehörten „der Ausschluss der größten russischen Finanzinstitute von globalen Transaktionen, die Verhängung eines Embargos für in den USA hergestellte oder von den USA entwickelte Technologie, die für die Verteidigungs- und Konsumgüterindustrie benötigt wird, und die Bewaffnung von Aufständischen in der Ukraine, die einen Guerillakrieg gegen eine russische Militärbesatzung führen würden, falls es dazu kommen sollte“. Auch der Ausschluss Russlands „aus dem SWIFT-System, das globale Finanztransaktionen zwischen mehr als 1100 Banken in 200 Ländern abwickelt,“ werde diskutiert, so die Times.

Moskau hat allen Grund, beunruhigt zu sein. Seit die letzten stalinistischen Herrscher der Sowjetunion, Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, ihr grenzenloses Vertrauen in den Imperialismus bekundeten und die Sowjetunion 1991 auflösten, ist das größte westliche Militärbündnis immer näher an die Grenzen Russland herangerückt und hat alle gegebenen Versprechen gebrochen. Es hat sich die früheren Mitglieder des Warschauer Pakts und drei ehemalige baltische Sowjetrepubliken einverleibt und sie bis an die Zähne bewaffnet. Es hat mehrere internationale Verbündete Russlands – darunter den Irak, Libyen und Syrien – völkerrechtswidrig überfallen und zerstört, um einen Regimewechsel herbeizuführen.

Der Nato-Russland-Rat wurde 2002 gegründet, um die Spannungen zwischen dem westlichen Militärbündnis und Moskau zu dämpfen. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schwadronierte damals von einem „historischen Ereignis“, mit dem das Blockdenken endlich überwunden sei, und von einer „neuen Qualität“ der Beziehungen zu Moskau.

Der Rat traf sich monatlich auf Botschafterebene. Zweimal jährlich setzten sich auch die Außen- und Verteidigungsminister sowie die Chefs der Generalstäbe zusammen, um über Rüstungskontrolle und den Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel zu sprechen und Informationen über geplante Manöver auszutauschen.

Als die USA und Deutschland 2014 den prowestlichen Putsch in der Ukraine unterstützten und Russland reagierte, indem es nach einer Volksabstimmung die mehrheitlich russisch besiedelte Krim annektierte, geriet das Gremium in die Krise. Nach dem Mordanschlag auf den Doppelagenten Sergeij Skripal in London, für den die britische Regierung ohne stichhaltige Beweise den russischen Geheimdienst verantwortlich machte, wies die Nato mehrere russische Diplomaten aus. Seither traf sich der Nato-Russland-Rat nicht mehr.

Inzwischen haben die USA und andere Nato-Mitglieder die ukrainische Armee und die faschistischen Milizen systematisch aufgerüstet, die im Osten des Landes gegen pro-russische Separatisten kämpfen. Unter anderem haben sie hochmoderne Javelin-Panzerabwehrraketen erhalten. Es sind diese ultranationalistischen Milizen, die Washington in dem von der New York Times erwähnten „Guerillakrieg“ gegen Russland einsetzen will.

2021 betrug die offizielle US-Militärhilfe für die Ukraine 250 Millionen Dollar, im diesjährigen Militärhaushalt sind 300 Millionen dafür vorgesehen. Am Montag meldeten CNN und Politico, dass Präsident Joe Biden zusätzliche Lieferungen von Schusswaffen, Munition, Funkgeräten und anderer Militärausrüstung freigegeben habe. Die Militärhilfe wird damit nochmals deutlich aufgestockt.

Das instabile, von Oligarchenkämpfen und Korruption zerfressene ukrainische Regime und die ultranationalistischen Milizen, auf die es sich stützt, können jederzeit für eine Provokation eingesetzt werden, die Moskau zu einer Reaktion zwingt. Der Osten der Ukraine, in dem seit 2014 ein Bürgerkrieg schwelt, ist mehrheitlich von russischstämmigen Einwohnern besiedelt. Es wäre nicht der erste militärische Konflikt, den die USA und ihre Verbündeten auf diese Weise provozieren.

Wenn sich die Nato nun nach einer zweieinhalbjährigen Eiszeit wieder an den Verhandlungstisch mit Russland setzt, hat dies zwei Gründe:

Erstens soll die öffentliche Meinung in den USA und Europa, die einen Krieg gegen Russland mehrheitlich ablehnt, auf eine militärische Konfrontation eingestimmt werden. Die westlichen Medien verbreiten pausenlos das verlogene Narrativ: „Wir sind friedlich und wollen verhandeln, aber Putin will die Ukraine überfallen und stellt unerfüllbare Forderungen.“

Zweitens entwickeln die USA den Konflikt mit Russland im Rahmen ihrer Geostrategie, die darauf ausgerichtet ist, den wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg Chinas zu stoppen und die Europäer unter Kontrolle zu halten. Ein enges Bündnis zwischen Russland und China soll deshalb verhindert werden. Die Biden-Administration weiß, dass das Putin-Regime wegen seiner mörderischen Corona-Politik und der schreienden gesellschaftlichen Ungleichheit – wie sie selbst – unter massivem sozialem Druck steht, und deshalb für politische Manöver und Deals empfänglich ist.

Die europäischen Nato-Mitglieder unterstützen den aggressiven Kurs gegen Russland, verfolgen dabei aber ihre eigenen Interessen. Vor allem der deutsche Imperialismus betrachtet Osteuropa und die ehemalige Sowjetunion als traditionelles Expansionsgebiet, das er bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu erobern versuchte. Er fürchtet von den USA benachteiligt zu werden, wenn er sich ihrer Linie bedingungslos unterordnet.

Das zeigt vor allem der Konflikt über Nord Stream 2. Washington will die fertiggestellte, aber noch nicht genehmigte Gaspipeline als Druckmittel gegen Russland einsetzen, während Berlin die Röhre, von der die deutsche Energieversorgung abhängt, in Betrieb nehmen will. Der Konflikt zieht sich quer durch die deutsche Regierung. Während die Grünen und die FDP für den Stopp der Pipeline eintreten, befürwortet sie die SPD.

Die Rivalitäten zwischen den Nato-Mächten sind ein weiterer Faktor, der die Kriegsgefahr erhöht. Das explosive Gemisch von Rivalitäten zwischen imperialistischen Verbündeten, Kriegsvorbereitungen gegen ihre Gegner und sozialen Spannungen erinnert an den Vorabend des Ersten Weltkriegs. Das wird auch von – rechten – bürgerlichen Kommentatoren erkannt.

Der 83-jährige Journalist Michael Stürmer veröffentlichte in der Welt einen Kommentar „Die neuen Schlafwandler“. Der Titel bezieht sich auf den Bestseller des Historikers Christopher Clark über die Ursachen des Ersten Weltkriegs. Auch der frühere SPD-Vorsitzende und deutsche Außenminister Sigmar Gabriel bezeichnet die aktuelle Situation im Ukraine-Konflikt als „dramatisch“ und „bedrohlich“.

Gestoppt werden kann dieser Wahnsinn nur durch eine sozialistische Offensive der internationalen Arbeiterklasse gegen Krieg und Kapitalismus. Sie ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die weder Profit- noch nationale Interessen hat.

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