25-jähriger Giorgos Zantiotis stirbt im Polizeigewahrsam in Wuppertal

Am Morgen des 1. November starb der 25-jährige Giorgos Zantiotis im Polizeigewahrsam in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen), nachdem er etwa zwei Stunden vorher von mehreren Polizisten auf brutale Weise festgenommen worden war.

Sein Tod wurde erst am 7. November öffentlich bekannt, als das Infoportal Indymedia in Athen ein Video seiner Schwester veröffentlichte, das Zantiotis‘ brutale Festnahme durch die Polizei zeigt. Indymedia erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Es gebe kein forensisches Gutachten, und den Angehörigen sei nicht erlaubt worden, die Leiche zu sehen.

Sobald das Video auf den sozialen Medien verbreitet wurde, kam es zu öffentlichen Protesten. Die Teilnehmer einer ersten Demonstration am Sonntagabend, den 7. November in Wuppertal forderten sofortige Aufklärung darüber, was im Polizeigewahrsam wirklich geschehen sei.

Giorgos Zantiotis, ein junger griechischer Arbeiter mit deutscher Staatsangehörigkeit, hatte seit sechs Jahren in einem griechischen Fast-Food-Restaurant gearbeitet. Auf dem Video seiner Schwester Maria kann man sehen, wie mehrere Polizeibeamte auf ihm knien und ihn zu Boden drücken. Man hört Marias verzweifelte Schreie, die die Polizisten anfleht: „Bitte, bitte, nein, das ist nicht richtig, er ist doch noch ein Kind!“ Ihr Bruder hatte sich erst kurz zuvor einer Magenoperation unterziehen müssen.

Am 7. November bestätigte die Polizei Wuppertal erstmals einen „Todesfall im Polizeigewahrsam“. Am Nachmittag des gleichen Tages erklärte die Staatsanwaltschaft Wuppertal, dass der 25-Jährige in Gewahrsam der Polizei gestorben sei. Unmittelbar nach einer Blutentnahme durch einen Polizeiarzt habe er einen Kreislaufzusammenbruch erlitten. Wiederbelebungsversuche durch den Polizeiarzt und einen hinzugerufenen Rettungsdienst seien erfolglos geblieben.

Auf die Frage, warum der Todesfall im Polizeigewahrsam zunächst der Öffentlichkeit verschwiegen wurde, erklärte der Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert, die Verantwortung dafür trage er selbst. „Das habe ich entschieden“, sagte Baumert. „Es handelte sich um eine natürliche Todesursache. Ich habe das nicht für berichtenswert gehalten.“ Diese ungewöhnliche Entscheidung des Oberstaatsanwalts sorgte dafür, dass Giorgos Tod in keinem Polizeibericht und infolgedessen auch in den Medien nicht erwähnt wurde. Das wirft unmittelbar die Frage auf, was wohl hier vertuscht werden sollte.

Nach einer Obduktion in der Hagener Gerichtsmedizin trat auch Oberstaatsanwältin Anna Stelmaszczyk an die Öffentlichkeit mit der Erklärung, es gebe keine Hinweise auf tödliche Verletzungen von außen. Sie behauptete, wahrscheinlich sei der 25-Jährige an einem akuten Herzinfarkt oder einer anderen kardiologischen Ursache in Verbindung mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch gestorben. Das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung stehe noch aus.

Doch die Frage stellt sich, ob nicht die brutale Behandlung durch die Polizei bei der Festnahme, wie sie teilweise auf dem Video zu sehen ist, oder auch später, während der Inhaftierung im Polizeigewahrsam, für Giorgos Tod verantwortlich ist. Schließlich hatte der junge Mann gerade eine Magenoperation hinter sich.

Am 11. November wurde der Todesfall von Giorgos Zantiotis auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen zum Anlass einer aktuellen Viertelstunde im Innenausschuss. Die SPD-Opposition, die den Antrag dazu gestellt hatte, erklärte von Anfang an, dass man damit eventuellen Verschwörungstheorien entgegentreten wolle.

Innenminister Herbert Reul (CDU) trug dort die Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des Oberstaatsanwalts Wolf-Tilmann Baumert vor. Baumert hatte gegenüber der Presse behauptet, dass der Verstorbene vorher nie mit der Polizei zu tun gehabt habe, und dass es sich um eine persönliche Tragödie handle. Deshalb habe er gewollt, dass der Todesfall im Polizeigewahrsam nicht an die Medien gelange. Der Verstorbene habe einmal einen Fehler gemacht (damit ist der behauptete Drogenkonsum gemeint), und zum massiven Polizeieinsatz und der Verhaftung sei es nur gekommen, weil er mit seiner Schwester in Streit geraten sei.

Eine Vertreterin des Justizministeriums trug im Innenausschuss die Ergebnisse der Obduktion vom 3. November vor, wonach es „keine Hinweise auf todesursächliche Ursachen von außen“ gebe.

Niemand hinterfragte diese Berichte im Landtag, die sich ausschließlich auf die offizielle Version der Polizei und der Staatsanwaltschaft stützten. Weder die SPD noch die Grünen stellten im Innenausschuss irgendwelche Fragen. Für sie hatten diese Berichte offensichtlich ausreichende Transparenz hergestellt: Auch ohne unabhängige Untersuchung war also die Unschuld der Polizei erwiesen. Nach dieser Darstellung war das Opfer der Polizeigewalt für seinen Tod selber verantwortlich.

Giorgos Zantiotis‘ Schwester gibt sich mit diesen Darstellungen nicht zufrieden. Der Version, wonach sie sich mit ihrem Bruder gestritten habe, hat sie widersprochen. Letzte Woche stellte sie Strafanzeige gegen mehrere Polizisten, um aufzuklären, wer für den Tod ihres Bruders wirklich verantwortlich sei.

Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes bezeichnete es als einen Skandal, dass Zantiotis‘ Tod im Polizeigewahrsam nicht sofort gemeldet wurde. Wie er betonte, gibt es in solchen Fällen eine Berichtspflicht der Polizei und der Staatsanwaltschaft.

Der tragische Tod von Giorgos Zantiotis im Polizeigewahrsam ist kein Einzelfall. In Wuppertal ist er in den letzten zwei Jahren schon der dritte Mensch, der im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz gestorben ist.

Laut Recherchen der Initiative „Death in Custody” (Tod im Gewahrsam) sind seit 1990 insgesamt 181 von Rassismus betroffene Menschen im Polizeigewahrsam gestorben. Einer der bekanntesten Fälle ist der Fall von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau, fixiert auf einer Matratze, bei lebendigem Leib verbrannt ist. Bis heute kämpft die Initiative „Im Gedenken an Oury Jalloh“ darum, die wirklichen Umstände seines Todes aufzuklären und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Gerade hat ein neues Gutachten dargelegt, dass es unmöglich sein kann, dass sich Oury Jalloh in gefesselten Zustand selbst hat anzünden können. Auch deutet die Heftigkeit des Brandes und der Zustand der Leiche darauf hin, dass ein Brandbeschleuniger von 2,5 Litern Benzin dazu eingesetzt wurde.

Auch im Fall von Amad Ahmad, einem syrischen Flüchtling, der am 6. Juli 2018 angeblich aufgrund einer Namensverwechslung mit einem Mann aus Mali inhaftiert worden war, ist bis heute ungeklärt, wie es zu dem Brand in seiner Zelle kommen konnte. Fast zweieinhalb Monate saß er unschuldig im Gefängnis im nordrhein-westfälischen Kleve. Am 17. September 2018 soll er seine Zelle selbst angezündet haben. Auf Hilferufe wurde erst spät reagiert. Amad Ahmad erlag zwei Wochen später im Alter von 26 Jahren seinen schweren Verletzungen. Die genauen Umstände, wie es zu seinem Tod kam, sind bis heute nicht aufgeklärt.

In den letzten Jahren ist klar geworden, dass die rechte Gefahr in Deutschland systematisch vom Staatsapparat, der Polizei, der Armee und den Geheimdiensten begünstigt wird. Die Existenz und der Aufbau von rechtsextremistischen Terrornetzwerken gehen mit diktatorischen Vorbereitungen einher, die sich gegen die gesamte Arbeiterklasse richten.

Das brutale Vorgehen der Polizei gegen junge Arbeiter wie Giorgos Zantiotis trägt dazu bei, dass der Widerstand dagegen immer stärker wird. Auch am Samstag, den 13. November, versammelten sich erneut über 300 Menschen zu einer Kundgebung am Wuppertaler Polizeigewahrsam, dem Ort, an dem der junge Mann ums Leben kam. Sie trugen ein großes Transparentmit der Aufschrift: „Gerechtigkeit für Giorgos!“

Dieser Kampf gegen Polizeigewalt und für die Aufklärung der Todesfälle im Polizeigewahrsam muss mit der Opposition gegen die mörderische Pandemie-Politik, gegen soziale Ungleichheit, Massenentlassungen und Lohnsenkungen, sowie Kriegsvorbereitungen zusammen kommen. Er muss Bestandteil des Kampfs der Arbeiterklasse gegen Kapitalismus werden.

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