Staunen, Empörung und Solidarität. Das war die erste Reaktion der Arbeiter im Essener Werk I der Spicer Gelenkwellenbau GmbH (GWB), als sie hörten, gegen welche Arbeitsbedingungen ihre 8500 Kolleginnen und Kollegen in den USA kämpfen.
GWB gehört zum internationalen Dana-Konzern mit Sitz in den USA. Die beiden Gewerkschaften UAW (United Auto Workers) und USW (United Steelworkers) haben mit dem Unternehmen einen Tarifvertrag vereinbart, der die bestehenden ausbeuterischen Arbeitsbedingungen – unzumutbar lange Arbeitszeiten und Armutslöhne – weiter verschärft. Die Arbeiter sollen darüber abstimmen, ohne den Vertrag überhaupt gesehen zu haben. Sie haben deshalb ein unabhängiges Aktionskomitee gegründet, das zur Ablehnung des Knebelvertrags aufruft und eigene Forderungen aufgestellt hat.
In einem Aufruf des Aktionskomitees heißt es: „Die derzeitigen Zustände sind absolut unzumutbar. Einige von uns arbeiten 84 Stunden pro Woche, die Maschinen sind veraltet, wir atmen unsaubere Luft und es gibt keine Maßnahmen zum Coronaschutz. In einigen Werken müssen regelmäßig Arbeiter mit Krankenwagen abgeholt werden, weil sie sich verletzen oder in der Hitze vor Erschöpfung zusammenbrechen.“
Anfang Juni starb im Werk Dry Ridge in Kentucky der 61-jährige Danny Walters. Er hatte nach einer langen Nachtschicht bei großer Hitze an seinem Arbeitsplatz einen schweren epileptischen Anfall erlitten. 12-Stunden-Schichten an sieben Wochentagen sind in dem Werk üblich. Im Juli war eine Arbeiterin von Dana in Kentucky gestorben, weil sie nach einer 84-Stunden-Woche am Steuer eingeschlafen war.
Ein Reporterteam der WSWS verteilte vor der Frühschicht am Essener GWB-Werk I einen Aufruf des Dana-Aktionskomitees. Beim Mittagsschichtwechsel sprachen wir mit Arbeitern. Insbesondere die 84-Stundenwoche schockierte sie: „Das geht gar nicht.“ Alle Beschäftigten, mit denen wir sprachen, waren sich einig: „Die Arbeiter in den USA müssen unterstützt werden.“
Dominik hatte mit Kollegen in der Pause den Aufruf der amerikanischen Dana-Kollegen gelesen und besprochen. „Wir waren alle sehr überrascht, 12 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, das geht doch nicht. Ich würde das nicht machen. Aber die Kollegen dort haben wohl keine andere Wahl. Und offensichtlich verdienen sie dazu noch viel zu wenig. Das ist alles eine Unverschämtheit, das sieht jeder hier so.“
Bei Dana in Deutschland werde 40, maximal 48 Stunden in der Woche gearbeitet, versicherten uns zuvor die offensichtlich nervösen, vor das Tor gekommenen Vertreter der Geschäftsführung.
Tatsächlich herrscht auch in Essen ein enormer Arbeitsdruck. Bereits vor drei Jahren, als die Belegschaft im Rahmen der Tarifrunde der IG Metall für bessere Löhne demonstrierte, zitierte die lokale Ausgabe der WAZ einen 53-Jährigen, der seit 30 Jahren im Essener Werk arbeitet, mit den Worten, der Druck im Betrieb sei sehr groß.
„Wir kommen auf 40 bis 48 Stunden pro Woche. Da hat man nicht mehr viel von der Familie.“ Drei vier Tage frei am Stück könnten das nicht wieder wettmachen. Es sei weniger die Forderung nach mehr Lohn, die den Arbeiter auf die Straße treibe als die Aussicht auf Arbeitszeitverkürzung.
In der Auto- und Autozulieferindustrie findet ein brutaler globaler Restrukturierungs- und Konzentrationsprozess statt, der auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wird. So hat in diesem Monat der globale Zulieferer Faurecia den Zulieferer Hella geschluckt.
Dominik meinte, die Arbeitsbedingungen hier im Betrieb seien zwar noch relativ gut. „80-Stundenwoche bei niedrigem Lohn – da würde ich gar nicht aufstehen. Aber in den USA muss man das ja offensichtlich. Und klar, wenn es hier so wäre wie in den USA, würde ich auch hoffen, dass wir unterstützt werden.“
Lieven bedachte die Arbeitsbedingungen mit einem Kraftausdruck, den wir hier nicht wörtlich zitieren, und richtete solidarische Grüße an die US-Kollegen: „Ich habe gelesen, was da gerade vor sich geht. Ich muss sagen, das ist ein Haufen Mist. Ich wünsche den Kollegen, dass sie den Kopf oben halten, und hoffe, dass alles gut für sie ausgeht.“ Seine Unterstützung und die der Kollegen hätten sie.
Die GWB wurde 1946 gegründet und fertigt seit 1964 an zwei Standorten in Essen Gelenkwellen, derzeit mit etwas über 500 Beschäftigten. In Werk I werden Gelenke und Gelenkwellen für LKWs, Schienenfahrzeuge, Schiffe sowie industrielle Anlagen gefertigt und montiert. In Werk II werden spezielle Gelenkwellen in schwerer Ausführung für hohe Anforderungen im industriellen Anwendungsbereich gefertigt. Insbesondere in diesem Marktsegment ist die GWB weltweit führend.
Im Jahr 2000 ist die GWB Teil der Dana Holding Corporation geworden. Dana ist ein international operierender Autozulieferer mit Sitz in Maumee im US-Staat Ohio. 38.000 Beschäftigte in 33 Ländern auf sechs Kontinenten haben im letzten Jahr einen Umsatz von 7,1 Milliarden Dollar erwirtschaftet.
Dominik, Lieven und vielen anderen, mit denen wir sprachen, fällt es schwer zu glauben, dass ihre Kollegen in den USA unter Bedingungen wie im 19. Jahrhunderts arbeiten müssen. Doch auch die Arbeiter in den USA hatten vor 40 Jahren nicht in ihren schlimmsten Alpträumen daran gedacht. Daher ist ihr Kampf der Kampf aller Arbeiter weltweit – bei Dana, in der Auto- und Zulieferindustrie und in allen anderen Bereichen.
Wie alle multinationalen Konzerne wird auch der Dana-Konzern versuchen, die Arbeiter gegeneinander auszuspielen. Erfolgreiche Angriffe des Konzerns in den USA oder einem anderen Land werden genutzt, um von Arbeitern in anderen Ländern Zugeständnisse zu verlangen. Dieser Mechanismus ist auch in Deutschland wohlbekannt. Hier – wie überall – organisieren ihn die Gewerkschaften.
Die Initiative der Dana-Arbeiter in den USA, sich unabhängig von den Gewerkschaften in einem Aktionskomitee zu organisieren, ist deshalb der erste notwendige Schritt in einem gemeinsamen Kampf.
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