Vierzig Jahre seit dem PATCO-Streik: Teil 4

Zwei verschiedene Perspektiven für die Arbeiterklasse

TEIL EINS / TEIL ZWEI / TEIL DREI

„Wenn eine Gewerkschaft, deren Mitglieder direkt für Reagan arbeiten, jetzt eine spektakuläre Lohnerhöhung durch einen illegalen Streik erreichen würde, wäre das das Ende von Reagans Wirtschaftsprogramm. Investoren und Banker würden sofort daraus schließen, daß die Reagan-Regierung es mit der Inflationsbekämpfung nicht ernst meint, ganz gleich, wie ihre Rhetorik aussieht. Deshalb muss Reagan jetzt absolut standhaft bleiben.“ - Washington Post

„Die Gewerkschaften müssen uns sofort unterstützen. Andernfalls wird PATCO sterben.“ - Schreiben von PATCO-Präsident Robert Poli an Lane Kirkland, 21. Dezember 1981

„Es ist leicht, das Maul weit aufzureißen und zum Generalstreik aufzurufen, aber wenn man einen verantwortungsvollen Posten hat, muss man die Konsequenzen abschätzen.“ - AFL-CIO-Präsident Lane Kirkland

* * *

Die Gewerkschaftsfunktionäre der AFL-CIO argumentierten, dass jede Ausweitung des Streiks auf alle Beschäftigten in der Luftfahrt oder darüber hinaus „Selbstmord“ wäre. Die Gewerkschaftsbürokratie ließ die Rolle der Demokratischen Vorgänger-Regierung unter Jimmy Carter außer Acht, die den Feldzug gegen die Gewerkschaften vorbereitet hatte, und argumentierte, dass für den Angriff auf PATCO allein Ronald Reagan verantwortlich sei. Man müsse an die Abgeordneten der Demokraten appellieren und bei den Wahlen 1982 die Republikaner besiegen. AFL-CIO-Präsident Lane Kirkland bezeichnete den Wahltag als „Solidarity Day II“.

Die Workers League vertrat eine diametral entgegengesetzte Position. Ihr Aufruf, Reagans Angriff zurückzuschlagen und den Streik auf die gesamte Luftverkehrsbranche und zu einem Generalstreik auszuweiten, entsprach den objektiven Kampferfordernissen. Damit gab sie auch der Stimmung unter den Arbeitern Ausdruck, die mit dem Defätismus der Bürokraten keineswegs einverstanden waren.

Als der Tag von Reagans Ultimatum näher rückte, organisierten die PATCO-Mitglieder Massenstreikposten; hier vor dem Kontrollzentrum Chicago (WSWS Media)

Die Workers League bestand jedoch darauf, dass dies nicht nur einen Arbeitskampf, sondern auch einen politischen Kampf gegen die Bürokratie und das Zweiparteiensystem erforderte. Eine neue Partei musste aufgebaut werden, eine Arbeiterpartei, die sich auf die Gewerkschaften und ein sozialistisches Programm stützte. Um dies zu erreichen, warb die Workers League unter den Arbeitern für die Einberufung eines außerordentlichen Kongresses der Arbeiterbewegung.

Das Bulletin erkannte die Bedeutung des Streiks sofort. Der Leitartikel vom 4. August 1981, eine Erklärung der Redaktion, trug die Überschrift „AFL-CIO muss den Fluglotsenstreik unterstützen: Die Klassenlinien sind klar“. Darin wird die Gewerkschaftsbewegung aufgefordert, „die Kraft der gesamten Arbeiterklasse zu mobilisieren, um die streikenden Fluglotsen gegen die gewerkschaftsfeindliche Reagan-Regierung zu unterstützen“.

Weiter hieß es in dem Artikel:

Die Reagan-Regierung hat in den letzten sechs Monaten eine wirtschaftliche und soziale Konterrevolution eingeleitet, die darauf abzielt, die von der Arbeiterklasse in den letzten 50 Jahren errungenen Sozialgesetze und -programme außer Kraft zu setzen, die Arbeitslosigkeit in die Höhe zu treiben, alle Schranken für die kapitalistische Ausbeutung, wie z. B. Arbeitsschutzgesetze, zu beseitigen und den in jahrzehntelangen gewerkschaftlichen Kämpfen errungenen Lebensstandard wieder zurückzuschrauben. Darüber hinaus hat die Regierung die größte Steuersenkung der Geschichte verabschiedet, die ganz auf die Bedürfnisse der großen Konzerne und der Reichen zugeschnitten ist.

In dem Artikel wurden alle Gewerkschaften der Luftfahrtindustrie zu dringenden Maßnahmen aufgerufen. Auch an die International Association of Machinists (IAM) wurde appelliert: Dieser Arbeitskampf müsse zu einem Generalstreik gegen die Reagan-Regierung ausgeweitet werden. Reagan spreche „für die gesamte herrschende Klasse“.

Das war ein Fakt, den auch die meisten Medien verstanden hatten. Ob liberal oder konservativ, die überwältigende Mehrheit der Medien verurteilte die Fluglotsen. So schrieb die Washington Post am 4. August in einem Leitartikel:

Wenn eine Gewerkschaft, deren Mitglieder direkt für Reagan arbeiten, jetzt eine spektakuläre Lohnerhöhung durch einen illegalen Streik erreichen würde, wäre das das Ende von Reagans Wirtschaftsprogramm. Investoren und Banker würden sofort daraus schließen, daß die Reagan-Regierung es mit der Inflationsbekämpfung nicht ernst meint, ganz gleich, wie ihre Rhetorik aussieht. Deshalb muss Reagan jetzt absolut standhaft bleiben.

In den ersten Tagen des Streiks glaubten die Fluglotsen, dass die Arbeitsniederlegung ausreichen werde, um sich durchzusetzen. Ihre wichtige und unersetzliche Tätigkeit werde die Reagan-Regierung schon zu Verhandlungen zwingen, dachten viele, und die mit der Ausbildung neuer Fluglotsen verbundenen Kosten wären unerschwinglich hoch – viel teurer als eine Kompromisslösung für PATCO.

PATCO-Streikposten vor einem Air Traffic Control Center in der Nähe von Chicago (WSWS Media)

„Die Leute mit dem Geld, die Reichen, sitzen immer noch am Boden“, sagte Norman Hocker, ein Fluglotse mit 13 Jahren Erfahrung am Flughafen LaGuardia in New York City, den das Bulletin in der ersten Streikwoche interviewte. „Sie streichen Geschäftsflüge und reduzieren alle anderen Flüge. 16.000 Beschäftigte legen 27 Prozent der Wirtschaft lahm.“

Zu Beginn des Streiks stützte sich die Flugbehörde Federal Aviation Administration (FAA) auf 4.669 Streikbrecher, 3.291 Aufsichtspersonen, 800 militärische Fluglotsen und 1.000 Neueingestellte, um den Personalmangel, den knapp 12.000 Streikende verursacht hatten, auszugleichen. Die Bundesregierung behauptete, die Luftverkehrskapazität kurz nach Beginn des Streiks auf 75 Prozent erhöht zu haben. Die Streikbrecher konnten jedoch in keiner Weise mit den Fähigkeiten und der Qualität der streikenden Beschäftigten mithalten. [1]

„Ich bin besorgt. Ich würde mich zurzeit in kein Flugzeug setzen, wenn ich es vermeiden könnte“, sagte Mitch Cook, ein streikender Fluglotse vom Flughafen La Guardia, dem Bulletin. „Im Moment sind im Tower drei Aufseher und Spezialisten zugange. Normalerweise sind es 10 Personen. Es ist ein Witz zu glauben, militärische Fluglotsen könnten die Kontrolle übernehmen. Die Gewerkschaft kennt das Potential dieser Männer. Unsere Gewerkschaft wird stark und geeint reagieren.“

In der Tat gefährdete die Entlassung der PATCO-Mitglieder die Fluggäste ernsthaft. Das National Transportation Safety Board (NTSB) stellte später fest: „In einigen Fällen wurden Lotsen am Vormittag in eine Kontrollposition eingewiesen, auf der sie am Nachmittag desselben Tages schon andere Fluglotsen ausbildeten.“

Die FAA registrierte einen tödlichen Flugzeugabsturz in der Nähe von San Jose (Kalifornien), für den sie einen Pilotenfehler verantwortlich machte. Zwei Leichtflugzeuge, die sich im Anflug auf den Flughafen der Stadt befanden, kollidierten zwei Meilen vor der Landebahn in der Luft. Eine Person wurde getötet und zwei weitere verletzt. Der Zusammenstoß am 17. August war der erste in der Geschichte dieses Flughafens, und es war der erste, bei dem die FAA den Fluglotsen, einen Streikbrecher, innerhalb weniger Stunden nach dem Ereignis freisprach. Es war auch der erste tödliche Unfall in dieser Zeit, bei dem PATCO von der Untersuchung ausgeschlossen wurde.

Am 13. Januar 1982 ereignete sich ein schweres Unglück, als eine Boeing 737 der Air Florida kurz nach dem Start auf eine Brücke über den Potomac River in Washington D.C. stürzte. Sie riss 78 Menschen in den Tod. Möglicherweise spielte bei diesem Unglück ein Fehler des Fluglotsen eine Rolle. Auf dem Flugzeug hatte sich nach längerer Wartezeit auf der Startbahn Schnee angesammelt.

Das National Transportation Safety Board (NTSB) stellte fest, dass auch bei einem Absturz 10 Tage später auf dem Bostoner Flughafen Logan ein Fehler der Fluglotsen eine Rolle spielte. Bei diesem Absturz kamen zwei Menschen ums Leben. Und lange nach dem Ende des Streiks übernahm die Bundesregierung die Verantwortung für den Absturz des PanAm-Flugs 759 am 9. Juli 1982, bei dem 153 Passagiere ums Leben kamen. Sie räumte ein, dass die streikenden Fluglotsen die Piloten, die unter schwieriger Witterung flogen, nicht ausreichend instruiert hatten. [2]

Es gab viele weitere Beinahe-Zusammenstöße, die auf unerfahrene oder inkompetente Fluglotsen zurückzuführen waren. Die FAA hielt diese Informationen vor der Öffentlichkeit geheim. Auf Strecken zwischen den USA und Kanada oder in der Nähe der kanadischen Grenze registrierte die Canadian Air Traffic Control Association (CATCA) schon nach der ersten Streikwoche 41 riskante Situationen, darunter zahlreiche Beinahe-Zusammenstöße.

Um PATCO zu zerstören, war Reagan durchaus bereit, das Leben von Flugpassagieren zu riskieren. Bei diesem Konflikt stand eindeutig mehr auf dem Spiel als die Tarifverhandlungen mit den Fluglotsen.

Viele Streikende sagten dem Bulletin, dass sie ihren Kampf als einen Kampf für die gesamte Arbeiterklasse betrachteten. Sollten sie verlieren, würde die Zerschlagung der Gewerkschaften auf die ganze Wirtschaft übergreifen. Aus denselben Gründen erkannten viele Fluglotsen und einfache Arbeiter anderer Branchen, dass man PATCO in ihrem Kampf nicht alleinlassen durfte.

„Das Wichtigste ist, dass die Art und Weise, wie Reagan mit PATCO umgeht, ein Modell dafür sein wird, wie er mit Streiks im Allgemeinen und mit der gesamten Arbeiterbewegung umgehen wird“, sagte Norman Hocker, Fluglotse bei LaGuardia, am 5. August dem Bulletin. „Hier machen wir den ersten Schritt.“

Schon bald gab es Aufrufe zu gemeinsamen Aktionen von Arbeitern anderer Branchen, die den historischen Charakter des Angriffs der Reagan-Regierung verstanden. Das Bulletin und die Workers League verstärkten diese Stimmung. Am Freitag, dem 7. August, hieß es im Bulletin auf der Titelseite: „Mobilisiert die Arbeiterbewegung für die Fluglotsen: AFL-CIO muss zum Generalstreik aufrufen!“

Am 15. August sprach Ed Winn, Vorstandsmitglied im Ortsverband 100 (New York City) der Transport Workers Union (TWU), auf einer Kundgebung von etwa 400 Fluglotsen und ihren Anhängern in der Nähe des JFK-Flughafens. Ed Winn, der auch ein führendes Mitglied der Workers League war, verlas eine Entschließung, die auf der nächsten TWU-Vorstandssitzung eingebracht werden sollte, und in der zu Sofortmaßnahmen zur Unterstützung von PATCO aufgerufen und ein Generalstreik des gesamten AFL-CIO gefordert wurde.

In der gleichen Woche schickte der IAM-Ortsverband 15 in Houston ein Telegramm an Kirkland und an den IAM-Präsidenten William Winpisinger mit der Forderung, zu einem Generalstreik aufzurufen.

Selbst Gewerkschaftsfunktionäre sahen sich gezwungen, die Stimmung für einen Generalstreik anzuerkennen. Am 16. Oktober fragte das Bulletin Ralph Liberato, einen Gewerkschaftssekretär aus Michigan, ob die AFL-CIO von Michigan zu einem Generalstreik zur Unterstützung von PATCO aufrufen werde. Liberato sagte: „Unter unseren Mitgliedern wird sehr viel darüber gesprochen, und viele fragen, warum wir es nicht tun.“

Auch David Roe, Präsident des AFL-CIO von Minnesota, sagte einem Bulletin-Reporter am 26. August: „Die Stimmung für einen Generalstreik ist stark und wächst.“ Er behauptete, er persönlich würde einen solchen unterstützen, sagte aber, dass die endgültige Entscheidung beim Exekutivrat des Verbandes läge. Im September stimmten 800 Delegierte auf dem Jahreskongress des AFL-CIO von Minnesota einstimmig für einen Aufruf an den nationalen AFL-CIO, einen Generalstreik einzuleiten.

Ende September räumte Kirkland die überwältigende Zustimmung der Basis zu einem Generalstreik ein. „Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Post zu einem Thema erhalten. Ich habe eine enorme Menge an Telegrammen, Briefen und Karten bekommen“, sagte Kirkland. „Etwa 90 Prozent sind für die Fluglotsen, und etwa 50 Prozent davon verurteilen mich, weil ich nicht zum Generalstreik aufgerufen habe.“ [3]

Aber die Gewerkschaftsführung weigerte sich, den Generalstreik auszurufen, und Kirkland erklärte: „Es ist leicht, das Maul weit aufzureißen und zum Generalstreik aufzurufen, aber wenn man einen verantwortungsvollen Posten hat, muss man die Konsequenzen abschätzen.“

Das Ausmaß von Reagans Provokation wird in folgendem Umstand deutlich: Als der Streik ausbrach, tagten der Exekutivrat und der Vorstand des AFL-CIO gerade im luxuriösen Hyatt Regency in Chicago, um Reagan ihre Zusammenarbeit anzubieten. Die Nachricht vom Streikbeginn überraschte die Bürokraten. Dem Historiker Joseph McCartin zufolge hatten einige Gewerkschaftsführer „nur eine schwache Vorstellung davon, dass PATCO überhaupt eine Mitgliedsorganisation der AFL-CIO war“.

Diejenigen, die von der Existenz der Fluglotsengewerkschaft wussten, waren in erster Linie darüber besorgt, dass ein Streik ihrer neuen „unverbrüchlichen Freundschaft“ mit dem Großkapital Schwierigkeiten bereiten könnte. Die Sitzung des Exekutivrats sandte klare Signale an die Reagan-Regierung, dass der AFL-CIO bereit sei, bei der Zerschlagung der PATCO seine Hand zu reichen.

Auf der Versammlung in Chicago wurde die Autogewerkschaft UAW unter Präsident Douglas Fraser zum ersten Mal wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, nachdem sie unter Walter Reuthers vom Gewerkschaftsdachverband gespalten hatte. Fraser, der im Chrysler-Vorstand mit mächtigen Kapitalisten kooperierte, äußerte die Befürchtung, dass der Streik „der Arbeiterbewegung massiven Schaden zufügen könnte“.

Das Bulletin kommentierte am 7. August: „Was für eine Logik! [Reagan] versucht, Millionen von Arbeiterfamilien in die Armut zu treiben, aber Fraser warnt, dass ein Kampf gegen diese Regierung 'der Arbeiterbewegung massiven Schaden zufügen könnte'.“

Der AFL-CIO-Exekutivrat begann und endete am 6. August 1981, ohne einen Finger für die Fluglotsen zu rühren. Nur einen Monat später, am 3. September 1981, durfte Reagan auf dem Jahreskongress einer AFL-CIO-Gewerkschaft, der Gewerkschaft der Zimmerleute (United Brotherhood of Carpenters), als Redner auftreten. Er nutzte die Gelegenheit für einen Angriff auf die organisierte Arbeiterschaft, während die versammelten Delegierten höflich zuhörten. [4]

Die AFL-CIO und ihre Mitglieds-Gewerkschaften, die keinen Generalstreik ausrufen wollten, hätten zumindest die Streikposten der PATCO respektieren müssen. Bereits am 7. August sandte der PATCO-Vorsitzende Robert Poli Telegramme an alle AFL-CIO-Gewerkschaften mit der Bitte, die Streikpostenketten nicht zu übertreten, die an Hunderten von Flughäfen im ganzen Land existierten.

Doch nicht einmal dieser Grundsatz des gewerkschaftliche ABC, dass man Streikposten respektiert, wurde beachtet. Aus der Gewerkschaftszentrale war keine Hilfe zu erwarten.

Hätte auch nur ein einziger anderer Teil der gewerkschaftlich organisierten Luftfahrtindustrie – der Flugmechaniker, Piloten, Flugbegleiter, Gepäckabfertiger – solidarisch gestreikt oder auch nur die Streikposten respektiert, hätte dies die Position von PATCO unermesslich gestärkt. Besonders wichtig waren dabei die International Association of Machinists (IAM) und die Air Line Pilots Association (ALPA). Auch ohne einen Generalstreik hätten allein die Aktionen von IAM und ALPA den Feldzug zur Zerschlagung der Gewerkschaften zum Scheitern gebracht, wie sich ein Beamter des Reagan-Verkehrsministeriums später erinnerte. „Hätten die Maschinisten gestreikt, hätten wir dem nicht standhalten können“, gab er zu. „Jeder einzelne Flughafen wäre geschlossen worden.“ [5]

Winpisinger von der IAM, ein bekennender „Sozialist“ und angeblich militanter Kämpfer, rief dazu auf, die Streikposten zu respektieren. Aber obwohl einige IAM-Ortsverbände zu Dienst nach Vorschrift übergingen, blieb es bei Winpisinger und seiner Gewerkschaft bei bloßen Worten.

In einem Interview mit Winpisinger fragte ein Bulletin-Reporter, ob er die Absicht habe, einen Unterstützungsstreik unter seinen Mitgliedern in der Luftfahrtindustrie auszurufen. „Das wäre Selbstmord für meine 40.000 Mitglieder“, antwortete Winpisinger. „Es könnte sogar das Todesurteil für die gesamte Gewerkschaft bedeuten.“

J.J. O'Donnell von der ALPA hielt es nicht einmal für nötig, den Streik in Worten zu unterstützen. Er ließ den AFL-Exekutivrat wissen, dass er seine Mitglieder nicht dazu auffordern werde, die PATCO-Streikposten zu respektieren. Tatsächlich arbeitete O'Donnell bewusst gegen den Streik, indem er PATCOs Aussagen, dass die Entlassung der Fluglotsen den Flugverkehr unsicherer mache, lautstark bestritt. Seinem Standpunkt widersprach eine Sicherheitskommission seiner eigenen Gewerkschaft, die ein „eindeutiges Sicherheitsrisiko“ durch unqualifizierte Fluglotsen feststellte. [6]

Tatsächlich hätte die ALPA nicht einmal gegen Bundesarbeitsgesetze verstoßen müssen, um den Streik zu unterstützen. Die Federal Aviation Regulation 91.3 stellt sicher, dass die Piloten das letzte Wort darüber haben, ob sie die Flugbedingungen für sicher halten oder nicht.

O'Donnell erhielt in der Tat regelmäßig vertrauliche Berichte von seinem eigenen Flugsicherheits-Ausschuss, die vor schwerwiegenden Auswirkungen auf die Sicherheit infolge von Übermüdung der überlasteten Ersatzlotsen warnten. Ein Pilot hatte dem Ausschuss geschrieben: „Die Möglichkeit, dass ein Fluglotse eine Abweichung des Piloten rechtzeitig erkennt, um ein Sicherheitsrisiko zu verhindern, ist gering.“ Solche Warnungen gab es viele. ALPA hätte sie nur in den eigenen Reihen bekannt machen müssen, um einen Solidaritätsstreik auszulösen.

Stattdessen belog O'Donnell schamlos seine eigenen Mitglieder und erklärte am 19. August: „Ich kann ohne Zweifel sagen, dass das Flugsicherungssystem in diesem Land sicher ist. Wenn es nicht sicher wäre, wären wir die Ersten, die sich zu Wort melden würden.“ Am selben Tag ereignete sich die Kollision zweier ziviler Flugzeuge in der Nähe von San Jose (Kalifornien), bei der ein Pilot ums Leben kam.

O'Donnells Hetzkampagne gegen PATCO war Teil des Angriffs, den er gegen seine eigenen Piloten führte. Noch während die Fluglotsen ihren Streik begannen, verhandelte O'Donnell über Lohnkürzungen von 10 Prozent für PanAm-Piloten und eine 30-prozentige Flugzeitverlängerung pro Monat für United Airlines-Piloten. 1983 belohnte Reagan O'Donnell für die geleisteten Dienste, indem er ihn zum stellvertretenden Arbeitsminister ernannte.

Die Absprachen des AFL-CIO mit Reagan waren den Fluglotsen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Aber bereits am 13. August suchte Kirkland über geheime Kanäle Verhandlungen mit dem Weißen Haus. Am 14. August schickte er über den Mehrheitsführer im Senat, Howard Baker, einen Vorschlag, der die Entlassung von Poli und andern Gewerkschaftsführern und militanten Fluglotsen enthielt. Wieder eingestellte Beschäftigte sollten gezwungen werden, eine Geldstrafe zu zahlen und einen Eid zum Streikverzicht zu leisten. Im Gegenzug bot Reagan eine gesichtswahrende Untersuchungskommission an, die die Missstände in der Gewerkschaft untersuchen sollte.

„Die Gewerkschaftsmitglieder wussten nichts von diesen geheimen Machenschaften“, schreibt McCartin. Während Kirkland hinter den Kulissen alles tat, um den Streik zu untergraben, so der Historiker weiter, „erhielten die einfachen Mitglieder des AFL-CIO kaum Weisungen, wie sie auf den allgegenwärtigen landesweiten Streik reagieren sollten“.

Kirkland erklärte: „Die Mitgliedsgewerkschaften werden selbst entscheiden müssen, was sie tun wollen. Ich werde diese Einschätzung nicht vornehmen.“ [7]

Das ganze Ausmaß des Verrats der Gewerkschaften wird vielleicht nie vollständig bekannt werden. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass Reagan, als er die PATCO-Mitglieder entließ, die direkte Zusicherung in der Tasche hatte, dass der AFL-CIO Sympathieaktionen unterbinden würde. Ein Beispiel für eine mögliche geheime Absprache wurde erst Jahre nach dem Streik bekannt. Albert Shanker, Präsident der American Federation of Teachers (AFT), und Leon B. Applewhaite von der Federal Labor Relations Authority (Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen) trafen sich im September 1981 zu einem geheimen Abendessen, bei dem der PATCO-Fall besprochen wurde. Das stellte wahrscheinlich einen Verstoß gegen das Bundesarbeitsrecht dar. Applewhaite begrüßte daraufhin die Entscheidung, PATCO die Zulassung zu entziehen. [8]

Die Perspektive des AFL-CIO, Druck auf Politiker der Demokraten auszuüben, diente nur dazu, die Streikenden zu demoralisieren und die ganze Arbeiterklasse zu verunsichern. Es gab einige vage Sympathiebekundungen von Demokraten für die Fluglotsen, aber ebenso viele verurteilten den Streik. Der Demokratische Bürgermeister von Detroit, Coleman Young, der insbesondere von der UAW als „Freund der Arbeiter“ gepriesen wurde und selbst ein ehemaliger Autoarbeiter war, beschuldigte die Streikenden, die Nation mit „unverschämten“ Forderungen in Geiselhaft zu nehmen. Young ging sogar so weit, Reagan als „Helden“ zu bezeichnen, weil er PATCO standgehalten hatte.

Die Reagan-Regierung befürchtete anfangs, dass die internationalen Gewerkschaften PATCO unterstützen würden. Doch der Streik war ein Lehrstück für das Scheitern der internationalen Zusammenarbeit verschiedener nationaler Gewerkschaften – obwohl die Flugsicherung von Natur aus ein globalisierter Wirtschaftszweig ist, und obwohl die Fluglotsen in anderen Ländern damit rechnen konnten, schon bald mit den Zugeständnissen konfrontiert zu werden, die Reagan ihren amerikanischen Kollegen aufzwang.

Die Fluglotsengewerkschaften in anderen Ländern blieben untätig, obwohl PATCO unter ihren Kollegen auf der ganzen Welt große Sympathie genoss. Überall waren Fluglotsen mit ähnlichen Bedingungen konfrontiert. Kanadische, mexikanische, deutsche, britische, französische und australische Fluglotsen hatten in den 1970er Jahren Streiks, Krankmeldungen und Bummelstreiks durchgeführt.

In den ersten Tagen des PATCO-Streiks weigerten sich die kanadischen Fluglotsen der CATCA, Flüge aus den USA abzufertigen, die den kanadischen Luftraum vom Atlantik her durchquerten, und erklärten das amerikanische System für unsicher. Die kanadische Regierung übte auf Drängen der Reagan-Administration Druck auf CATCA aus, die ihren Boykott am 12. August beendete, noch ehe ein weiterer Sympathieboykott der portugiesischen Fluglotsen am 16. August greifen konnte. Eine Zeit lang weigerten sich die portugiesischen Fluglotsen, Flüge in die USA abzufertigen. Spanische Fluglotsen leiteten einen solidarischen Dienst-nach-Vorschrift ein. Mehrere US-Flüge aus Australien mussten ebenfalls ausfallen.

Trotz des Einknickens ihrer Gewerkschaften unterstützten die Fluglotsen in Europa, Japan und Australien PATCO weiterhin mit Spenden.

Das Gremium der verschiedenen nationalen Fluglotsengewerkschaften, die International Federation of Air Traffic Controllers' Associations (IFATCA), reagierte auf die Forderungen der Mitglieder nach Unterstützung für PATCO und berief für den 22. August einen außerordentlichen Kongress in Amsterdam ein. PATCO hatte sich jedoch bereits Jahre zuvor aus der Organisation zurückgezogen, was dem extremen Nationalismus der amerikanischen Gewerkschaften geschuldet war.

Am 13. August beschloss die IFATCA im Vorfeld des Amsterdamer Kongresses, einen geplanten Solidaritätsboykott von Flügen in die USA auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Eine solche Aktion hätte Reagan in die Knie gezwungen. Aber auf der Sitzung selbst konnte keine Mehrheit für einen Boykott gefunden werden.

In den USA zeigte die große Solidaritätskundgebung in Washington, dass in der Arbeiterklasse der Wunsch vorhanden war, Reagans Politik zu bekämpfen. Diese Kundgebung war nicht der einzige Ausdruck des Widerstands der Arbeiterklasse.

An einer Anti-Reagan-Demonstration zum Labor Day am 7. September, in New York City nahmen 250.000 Menschen teil. Am 8. September streikten 22.000 Lehrer der staatlichen Schulen in Philadelphia und trotzten Verhaftungen und Dienstverpflichtungen. Zu Beginn des Jahres hatten etwa 6.000 Bergarbeiter und ihre Familien in Washington D.C. für bessere Gesundheitsleistungen und Schutz vor Schwarzer Lunge demonstriert. 20.000 Eisenbahner hatten gegen finanzielle Angriffe auf Conrail und Amtrak demonstriert, und 100.000 Arbeiter und Jugendliche waren gegen Reagans mörderische Politik in Mittelamerika auf die Straße gegangen.

Doch der Solidarity Day erwies sich als erste und einzige Großaktion des AFL-CIO gegen die gewerkschaftsfeindliche Klassenpolitik der Regierung.

Nachdem der Gewerkschaft am 3. November 1981 offiziell die Zulassung entzogen worden war - zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte wurde eine solche Aktion durchgeführt -, kapitulierte der AFL-CIO öffentlich. Mit den Worten des UAW-Präsidenten Fraser: „Der Krieg ist vorbei.“

Kirkland war sich der Gefahr, die dieser Präzedenzfall für die übrigen Arbeiterorganisatioen darstellte, offenbar nicht bewusst. Er erklärte nur, dass diese Entscheidung der Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen „die Fähigkeit der Regierung bestätigt, ihre enorme Macht einzusetzen, um diese kleine Gewerkschaft zu zerschlagen“.

Vor dem alle zwei Jahre stattfindenden AFL-CIO-Kongress Anfang November sprach das Bulletin die Warnung aus: „Dieser Kongress muss sich der Tatsache stellen, dass es nicht möglich ist, gegen Reagan zu kämpfen, ohne entschieden mit der Demokratischen Partei zu brechen. Die Arbeiterklasse muss durch den Aufbau einer auf den Gewerkschaften basierenden Arbeiterpartei gegen die kapitalistische Politik mobilisiert werden.“

Stattdessen verlief der AFL-CIO-Kongress, ohne konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der FLuglotsen zu ergreifen. Dies beweise, so das Bulletin, „dass die Politik der Klassenkollaboration der Bürokratie total bankrott ist (...) Historisch betrachtet, ist sie am Ende.“ Die Zeitung der Workers League fuhr fort: „Je deutlicher jedoch wird, dass die Verteidigung der von der Arbeiterklasse erkämpften Grundrechte einen Kampf gegen Kapitalismus erfordert, desto verzweifelter hält die Bürokratie an der kapitalistischen Politik fest.“

Im Dezember schrieb Poli an Kirkland und flehte ihn an, „PATCO nicht sterben zu lassen“. Poli schrieb: „Die Gewerkschaften müssen uns sofort unterstützen. Andernfalls wird PATCO sterben. Und mit diesem Tod werden wir nicht nur Zeuge der Zerstörung eines Segments der organisierten Arbeiterklasse werden, sondern, was noch wichtiger ist, der Zerschlagung einer relativ kleinen Gewerkschaft, deren Mut dazu geführt hat, dass Engagement und Stolz wiederauflebten.“ Kirkland beachtete das Schreiben nicht.

In einem verzweifelten Versuch, seine Gewerkschaft zu retten, reichte Poli am 31. Dezember 1981 seinen Rücktritt ein. Aber Reagans Weißes Haus ließ sich durch dieses Opfer nicht besänftigen.

Am 29. Januar 1982 schrieb Gary Greene, einer der texanischen Fluglotsen, der wegen seiner Beteiligung am Streik zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, an Kirkland und forderte ihn auf, einen Generalstreik auszurufen. Der offene Brief wurde im Bulletin veröffentlicht.

„Präsident Reagan gewinnt seinen Kampf gegen PATCO und wird auch seine zukünftigen Kämpfe gegen alle Gewerkschaften gewinnen, solange die Gewerkschaften ihn gewähren lassen. Der einzige Weg, diesen Kampf zu beenden und die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsführer wiederherzustellen, ist ein NATIONALER STREIK“, schrieb Greene. Dieser Brief wurde von einer Versammlung von 180 Fluglotsen in der San Francisco Bay Area unterstützt.

Kirklands Büro reagierte mit der verlogenen Behauptung, für einen Generalstreik sei die Unterstützung nicht ausreichend, und er schlug den Gewerkschaften vor, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, damit bei den Wahlen 1982 die Demokraten gewählt würden.

Die Unterstützung für die PATCO-Familien wurde beendet. Bis Februar 1982 hatte die AFL-CIO an 1.407 PATCO-Familien nur 646.000 Dollar ausbezahlt, weniger als 500 Dollar pro Familie. [9] Die UAW spendete lediglich 100.000 Dollar an PATCO, obwohl das ihr zur Verfügung stehende Einkommen ausschließlich aus Investitionen stammte und in den frühen 1980er Jahren im Durchschnitt in jedem Jahr über 56 Millionen Dollar betrug. [10]

Im Juni 1982 bestätigte das US-Berufungsgericht für den District of Columbia die Aufhebung der PATCO-Zulassung durch das Federal Labor Relations Board.

Im Sommer 1982 beantragte Gary Eads, Polis Nachfolger als PATCO-Präsident, beim Konkursgericht die Auflösung der Gewerkschaft, nachdem den Fluggesellschaften Schadensersatzansprüche in Höhe von über 39 Millionen Dollar gegen die Gewerkschaft auferlegt worden waren.

Fortsetzung folgt

* * *

Anmerkungen

[1] Greenhouse, Steven, The Big Squeeze: Tough Times for the American Worker. New York 2008, S.81.
McCartin, Joseph Anthony. Collision Course: Ronald Reagan, the Air Traffic Controllers, and the Strike That Changed America, 2013, S.296-297, 301.

[2] Nordlund, Willis J., Silent Skies: The Air Traffic Controllers' Strike. Westport 1998, S.149-150.

[3] 'No Action from AFL-CIO', Bulletin. 3. November 1981, S.15.

[4] McCartin, Collision Course, S.317-318.

[5] McCartin, Collision Course, S.292.

[6] Nordlund, Silent Skies, S.125-126.

[7] McCartin, Collision Course, S.315.

[8] Nordlund, Silent Skies, S.147-148.

[9] Minchin, Timothy J. Labor, Under Fire: A History of the AFL-CIO since 1979, Chapel Hill 2017, S.66.

[10] McLaughlin, Martin, Corporatism and the UAW: What Is Behind the Concessions - and How to Fight Them. Labor Publications, Detroit 1983, S.16.

Loading