Gegen die Angriffe der Reagan-Regierung bewiesen die Fluglotsen entschlossene Standhaftigkeit. Das hat ihnen die amerikanische herrschende Klasse nie verziehen.
Am 3. August 1986, fünf Jahre nach dem Streik, schlug der republikanische Kongressabgeordnete Guy Molinari eine bescheidene Maßnahme vor, die es tausend der insgesamt zwölftausend geschassten PATCO-Mitgliedern erlaubt hätte, wieder eine Anstellung als Fluglotsen zu bekommen. Dieser Vorschlag wurde von der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus mit 226 zu 193 Stimmen abgelehnt.
Das Verbot der Wiedereinstellung von PATCO-Streikenden, das von Reagan und einer demokratischen Mehrheit im Kongress verhängt worden war, wurde offiziell erst 1993 von der Clinton-Regierung aufgehoben. Doch selbst danach wurden nur weniger als zehn Prozent der Entlassenen wiedereingestellt.
Die Gewerkschaft, die in der Luftfahrtindustrie an die Stelle von PATCO trat, die National Air Traffic Controllers Association (NATCA), wurde von Streikbrechern gegründet und von der Reagan-Regierung kontrolliert und gutgeheißen. Bei ihrer Gründung versprach sie, niemals einen „illegalen“ Streik zu führen – mit anderen Worten: sie würde überhaupt niemals einen Streik zulassen.
Die Bedingungen wie Überarbeitung und Erschöpfung, die zum Streik geführt hatten, haben sich seither nur verschlimmert. Vergangenen April berichteten die Medien über einen Skandal mit Unfällen, die von Fluglotsen verursacht wurden, die bei der Arbeit eingeschlafenen waren. Präsident Obama beeilte sich, in den Chor derjenigen einzustimmen, die die Fluglotsen zu Alleinschuldigen stempelten.
“Es ist inakzeptabel, dass Personen bei ihrer Arbeit einschlafen“, sagte Obama. „Tatsache ist, dass man seinen Job besser machen muss, wenn man für Leben und Sicherheit von Menschen im Luftverkehr Verantwortung trägt. Es gibt ein Element persönlicher Verantwortung, das man beachten muss.“
Der bedeutsamste Vorfall ereignete sich am 23. März, als der United Airlines-Flug 1012 von Miami und der United Airlines-Flug 628 von Chicago gleichzeitig Landeerlaubnis für den Ronald Reagan Washington National Airport erhielten. Nach wiederholten gescheiterten Versuchen, Kontakt mit dem Kontrollturm aufzunehmen, waren die Flugzeuge gezwungen, ihre Landung ohne Hilfestellung zu bewerkstelligen. Von den insgesamt 165 Passagieren und Crew-Mitgliedern beider Flüge wurde niemand verletzt. Nachdem dieser Vorfall öffentlich bekannt geworden war, kamen zahlreiche weitere Fälle aus dem gesamten Jahr an die Öffentlichkeit, bei denen Fluglotsen eingenickt waren.
Anfang 2008 gab es bei der nationalen amerikanischen Flugüberwachung FAA elftausend Fluglotsen – das sind weniger, als zur Zeit des PATCO-Streiks beschäftigt waren. Die Konsequenzen der drastischen Unterbesetzung wurden aufs Tragischste 2006 in Lexington (Kentucky) aufgedeckt, als ein Comair-Flug verunglückte, nachdem er versucht hatte, von der falschen Landebahn zu starten. Alle 47 Passagiere und zwei der drei Besatzungsmitglieder starben. Der einzige diensthabende Fluglotse hatte dem Flugzeug korrekt das Startsignal gegeben und ging darauf anderen Pflichten nach, wie es das FAA-Protokoll vorsieht.
Eine vor vier Jahren veröffentlichte Studie der Nationalen Transportsicherheitsbehörde NTSB fand heraus, dass 61 Prozent der Fluglotsen Schichtpläne haben, die „normalen Schlaf- und Wachphasen zuwiderlaufen“. Bloomberg News berichtet: „Ein Schichtplan sieht etwa so aus: Am ersten Tag Schichtbeginn um 15 Uhr, am zweiten um 14 Uhr, am dritten um 7 Uhr, am vierten um 6 Uhr. Der Lotse kann zur fünften Schicht am selben Tag um 22 Uhr wiederkommen, damit er ein längeres Wochenende hat, erklärte die Behörde.“
Viele der Fluglotsen haben zwischen den Schichten nur acht Stunden Unterbrechung und entsprechend wenige Stunden Schlaf.
Weitere Elemente der nationalen Luftfahrtinfrastruktur und deren Regulierungssystems befinden sich im fortgeschrittenen Verfallsstadium. Die FAA, von weitgehenden Budgetkürzungen gebeutelt, hat nur 1.100 Inspektoren, die 625.000 Piloten, 5.200 Werkstätten und 81 Fluggesellschaften kontrollieren.
Die rücksichtslose Unterordnung der Gesundheit und Sicherheit von Reisenden und Beschäftigten unter Haushaltskürzungen geriet einmal mehr in den Fokus, als die FAA kürzlich dicht gemacht wurde. Die FAA-Sicherheitsinspektoren und Tausende Anlagenarbeiter wurden beurlaubt, und nur Fluglotsen wurden vom Zwangsurlaub ausgenommen. Die FAA operiert seit 2007 ohne ein langfristiges Budget – stattdessen wird die Arbeit mittels kurzfristiger Genehmigungen fortgesetzt.
Schlussfolgerung
Der PATCO-Streik läutete das Ende einer Periode relativer Klassenkompromisse und Sozialreformen ein, die in den USA und anderen fortgeschrittenen Industrieländern seit dem Zweiten Weltkrieg herrschte. Von diesem Moment an feilte die kapitalistische Klasse an einer rücksichtlosen Offensive, um die Errungenschaften der Arbeiterklasse aus ihrem jahrzehntelangen Kampf wieder aufzuheben.
Das Politische Komitee der Workers League gab bereits zehn Tage nach Streikbeginn eine Stellungnahme ab, die das Bulletin veröffentlichte: „Der PATCO-Streik: Eine Warnung an die Arbeiterklasse“:
Der Streik der 13.000 Mitglieder der Professional Air Traffic Controllers Organization ist ein historischer Wendepunkt im Kampf der Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten und weltweit. Es ist die erste bedeutende politische Konfrontation zwischen der amerikanischen Arbeiterklasse und der Regierung.
Nach Jahrzehnten, in denen der Klassenkampf in Amerika entweder geleugnet oder bagatellisiert worden war, in denen die amerikanische Arbeiterklasse als Mittelschicht bezeichnet wurde, in denen Amerika für die große Ausnahme inmitten einer Welt revolutionärer Gärung gehalten wurde, zerbarsten diese Mythen mit dem PATCO-Streik.
Der Fluglotsen-Streik hat gezeigt, dass sich, wie in jedem kapitalistischen Land, unter dem äußeren Erscheinungsbild politischer Stabilität und des Konservativismus, unauflösliche soziale und ökonomische Widersprüche bildeten (…)
Gleichzeitig wird die Maske der Demokratie und der Regierung “des Volkes, durch das Volk und für das Volk” heruntergerissen, und der kapitalistische Staat zeigt sich als das, was er ist: ein Instrument zur Unterdrückung der Massen im Interesse einer winzigen Handvoll von Milliardären.
Arbeiter werden, an Händen und Füßen in Ketten gelegt, ins Gefängnis geworfen; ihrer Gewerkschaft wird die Vertretungsbefugnis entzogen, weil sie tat, wofür 95 Prozent ihrer Mitglieder stimmten; drakonische Geldstrafen werden verhängt, um die Beschlagnahmung aller Vermögenswerte der Gewerkschaft und ihre Übergabe an die Regierung oder die Fluggesellschaften zu erzwingen; FBI-Agenten und Bundespolizisten überwachen Streikposten und suchen Arbeiter in ihren Wohnung auf, um sie und ihre Familien einzuschüchtern.
Aus dem PATCO-Streik muss vor allem eine politische Schlussfolgerung gezogen werden: Er ist alles andere als eine Verirrung oder Ausnahme, vielmehr enthüllt er das Wesen der Klassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten.
Die herrschende Klasse greift alle Grundrechte der Arbeiter an: Soziale Dienste, Jobs, Sicherheitsvorschriften, Lebensstandard, schließlich das Recht zur Gewerkschaftsorganisation. Um diese Angriffe durchzusetzen, stützt sie sich auf die repressiven Macht- und Gewaltinstrumente des kapitalistischen Staates.
Die herrschende Klasse ist dabei auf die Gewerkschaftsbürokraten angewiesen, welche den Kampf der Arbeiterklasse gegen die Regierung sabotieren. Diese Sabotage nimmt nicht allein die Form offenen Streikbruchs an, wie im Fluglotsenkampf, sondern vor allen Dingen einer fortgesetzten politischen Entrechtung der Arbeiterklasse durch die Unterstützung des kapitalistischen Zweiparteiensystems.
Diese Angriffe wurden in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Nachdem sie unermessliche Billionen Dollar Summen an die Großbanken und Finanzhäuser weitergeleitet hatten, um deren Verluste auszugleichen, verlangen die Regierungen jetzt weltweit beispiellose Kürzungen der Sozialausgaben. Mittelzuweisungen für Renten, Gesundheitsfürsorge, Bildung oder Infrastruktur werden für unzulässig erklärt. Nur was die Vermögen der Weltbanken, Konzerne und Milliardäre weiter wachsen lässt, darf erwogen werden.
Die Gewerkschaften und die alten Organisationen der Arbeiterklasse haben die entscheidende Rolle in diesem sozialen Niedergang gespielt. Die Komplizenschaft der AFL-CIO mit der Reagan-Regierung und ihre Zurückweisung Forderungen der Basis, den PATCO-Kampf auszuweiten, haben in den 1980er und 1990er Jahren als Muster für die US-amerikanischen Arbeitskämpfe gedient. In jedem einzelnen Fall haben die Gewerkschaften die Streiks isoliert, verraten und schließlich Hilfestellung bei ihrer Niederschlagung geleistet – trotz erbitterten Widerstands der Arbeiterklasse.
Dieser Prozess entfaltete sich überall auf der Welt, vielleicht am ähnlichsten in Großbritannien. Dort schaute der Gewerkschaftsdachverband Trades Union Congress (TUC) im Jahr 1985 tatenlos zu, als Premierministerin Margaret Thatcher die Kohlebergarbeiter niederschlug und damit die Phase der Zerstörung der Industrie und des Lebensstandards der Arbeiterklasse einleitete.
Überall sind die alten Arbeiter- und sozialdemokratischen Parteien den Forderungen der Finanziers bereitwillig auf ganzer Linie entgegengekommen und haben geholfen, die Taschen der Reichen zu füllen und die Arbeiterklasse ins Elend zu stürzen. Die alten nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika, Lateinamerika und Asien schlugen denselben Weg ein: Sie verwarfen Pläne, den Import zu substituieren und die Industrie zu nationalisieren, und traten untereinander in Wettbewerb, wer dem Imperialismus die billigsten Arbeitskräfte und lukrativsten Bodenschätze zur Verfügung stellen könne.
Das weitreichendste Exempel dieser grundlegenden Wende fand in der Sowjetunion statt. Wie Leo Trotzki mehr als fünfzig Jahre zuvor gewarnt hatte, demontierte die stalinistische Bürokratie die von der Oktoberrevolution 1917 eingeführten Eigentumsverhältnisse, um sich selbst in eine neue kapitalistische Klasse zu verwandeln.
Das Band, das all diese Prozesse eint, stellt die Transformation der nationalen Arbeiterbürokratien und der politischen Parteien der Arbeiter dar. Aus Organisationen, die innerhalb enger nationaler Grenzen die Interessen der Arbeiter verteidigten, verwandelten sie sich in offene Instrumente der Klassenunterdrückung. Dies zeigte sich besonders an der beispiellosen globalen Integration der Produktion, die den Widerspruch zwischen globaler Ökonomie und Nationalstaat verstärkte und alle nationalen Programme als kraftlos und reaktionär scheitern ließ.
In den USA haben die offiziellen Gewerkschaften auf den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus in der Weltwirtschaft bewusst so reagiert, dass sie der Finanzelite ihre Dienste anboten, um auf Kosten von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen der US-amerikanischen arbeitenden Klassen die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Konzerne zu steigern.
Die Workers League analysierte diese Entwicklungen und zog zu Beginn der 1990er Jahre den Schluss, dass die offiziellen Gewerkschaften nicht mehr im eigentlichen Sinne als Arbeiterorganisationen betrachtet werden können, nicht einmal in einer begrenzten defensiven Bedeutung. Indem sie die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Gewerkschaften und des endgültigen konterrevolutionären Verrats der sowjetischen Bürokratie erwogen, trafen die Workers League und ihre Gesinnungsgenossen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) in den 1990er Jahren den Beschluss, sich aus Bünden in Parteien umzuwandeln.
Heute ist es an der trotzkistischen Weltbewegung, dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale, und der Socialist Equality Party der USA, direkt um die Führerschaft der Arbeiterklasse zu kämpfen und sie auf die unausweichlich bevorstehenden revolutionären Kämpfe vorzubereiten. Der Zusammenbruch der Wall Street von 2008 hat diese neue Periode revolutionärer Kämpfe eingeleitet.
Ende