Dr. Deepti Gurdasani spricht über die Delta-Variante und gegen die Politik, „mit dem Virus zu leben“

Teil zwei

Dies ist der zweite Teil eines zweiteiligen Interviews. Der erste Teil kann hier aufgerufen werden.

Deepti Gurdasani gehört zu den weltweit führenden Experten für Covid-19. Sie ist eine der Hauptautoren des BMJ-Artikels, der das Streben der britischen Regierung nach „Herdenimmunität durch Masseninfektion“ verurteilt und ihr Vorgehen als „gefährliches und unethisches Experiment“ bezeichnet.

Mit einem Hintergrund in klinischer Epidemiologie und statistischer Genetik erhielt Dr. Gurdasani ihren medizinischen Abschluss in Innerer Medizin am Christian Medical College in Vellore, Indien. In ihrer 2013 abgeschlossenen Doktorarbeit untersuchte sie genetische Faktoren, die mit Krankheiten in Populationen mit hoher genetischer Vielfalt in Verbindung stehen. Insbesondere entwickelte sie Algorithmen des Maschinellen Lernens für große klinische Datensätze.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat Dr. Gurdasani unverzichtbare Informationen und öffentliche Kommentare zur Pandemie publiziert und ist eine scharfe Kritikerin der Regierung und ihrer kriminellen Reaktion auf die öffentliche Gesundheitskrise geworden. Sie nutzt ihren Twitter-Account und die Medien, um Informationen über die sich entwickelnde Situation zu verbreiten. Ihre Beiträge zur Enthüllung der Verbindung zwischen Schulkindern und der Ausbreitung der Pandemie sowie ihre Forschung über die Häufigkeit von Long Covid sind von großer Bedeutung für die Öffentlichkeit. Sie beteiligt sich zudem an der „Covid Action Group“, einem multidisziplinären globalen Netzwerk von Experten mit dem erklärten Ziel, Covid-19 zu eliminieren.

Dr. Gurdasani nahm kürzlich unsere Einladung zu einem Interview an, um über den Stand der Pandemie zu sprechen. Dies ist der abschließende Teil eines zweiteiligen Berichts über dieses Gespräch.

Benjamin Mateus: Was halten Sie von den Daten über Durchbruchinfektionen aus Israel und den Impfstoff von Pfizer? Es wurde kritisiert, dass die untersuchte Population vergleichsweise alt und daher nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung war.

Deepti Gurdasani: Ich kann die israelischen Daten nicht in vollem Umfang kommentieren, weil die Studie natürlich noch nicht veröffentlicht wurde. Ich denke, es gibt Hinweise darauf, dass Menschen, die früher geimpft wurden – also zum Beispiel im Januar oder Februar –, eher infiziert werden als solche, die später geimpft wurden. Aber wie sich der Effekt der nachlassenden Immunität, den wir in Laborstudien, aber noch nicht in realen Studien beobachtet haben, von der Tatsache abhebt, dass ältere Gruppen offensichtlich ebenfalls früh geimpft wurden, ist mir noch nicht klar.

Wenn dieser Effekt korrigiert und die Altersunterschiede herausgerechnet werden – also Menschen derselben Altersgruppe betrachtet werden, die früh bzw. später geimpft wurden und sich in anderen Faktoren nicht unterscheiden – und sich dann zeigen sollte, dass die früher Geimpften ein höheres Risiko tragen, dann macht mir das wirklich Sorgen. Das wäre nicht unbedingt überraschend, denn wir haben in Laborstudien, insbesondere mit Delta, gesehen, dass die neutralisierenden Antikörper insbesondere bei älteren Menschen über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten abnehmen. Kürzlich wurde eine Lancet-Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Sie gibt vor allem für ältere Menschen Anlass zur Sorge, die ohnehin bereits eine geringere neutralisierende Immunität aufweisen. Dies könnte darauf hindeuten, dass wir eher früher als später Auffrischungsimpfungen benötigen.

Ich bin auch sehr besorgt über die jüngsten Daten, die noch nicht veröffentlicht wurden – aber ich glaube, es gibt aktuelle Vorschläge der CDC, die ihre Politik, geimpften Menschen mehr Freiheiten einzuräumen, wieder geändert hat. Vor etwa drei Monaten haben sie eine Politik vertreten, die vorsah, dass Masken für doppelt geimpfte Personen entfernt werden oder nicht erforderlich sind.

Und jetzt haben sie die Masken für Jugendliche in Schulen wieder eingeführt. Es wurde festgestellt, dass Menschen, die geimpft sind, ein signifikantes Risiko haben, sich zu infizieren – und nicht nur, dass sie sich infizieren, sondern einige von ihnen haben sogar eine hohe Viruslast und können auch andere Menschen infizieren. Dies entspricht auch den Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt, wie z. B. Südkorea und Vietnam, wo es in letzter Zeit zu massiven Infektionswellen kam, nachdem dort die Delta-Variante eingetragen worden war. Zu dem Zeitpunkt, als die Variante eingetragen wurde, herrschte in beiden Ländern eine Politik, die es geimpften Personen erlaubte, ins Land einzureisen, ohne dass sie unter Quarantäne gestellt werden mussten. Beide Länder mussten diese Politik rückgängig machen. All diese weltweiten Erfahrungen deuten für mich darauf hin, dass geimpfte Menschen anfälliger für Infektionen und die Weitergabe von Infektionen sind, als bisher angenommen wurde, insbesondere bei der Delta-Variante.

Wir müssen uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse genau ansehen, bevor wir Ausnahmen für geimpfte Menschen machen, insbesondere bei einer Variante, die hochgradig übertragbar ist und eher in der Lage ist, den Impfstoffen zu entkommen. Denn es sieht so aus, als ob die Impfstoffe zwar einen guten Schutz gegen schwere Krankheiten bieten, der Schutz gegen die Übertragung von Infektionen aber möglicherweise geringer ist.

BM: Die CDC hat zwar zur Wiedereinführung von Masken aufgerufen, aber es ist nicht klar, wie viele Staaten diese Maßnahmen wieder übernehmen werden. Mir scheint jedoch, dass Masken allein nicht ausreichen, um die Übertragung zu stoppen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo wir jetzt wieder hohe Übertragungsraten verzeichnen. Was muss noch getan werden, oder wofür würden Sie sich neben einer Maskenpflicht einsetzen?

DG: Wir brauchen stets mehrere Schichten von Eindämmungsmaßnahmen. Ich denke, dass das Maskentragen wichtig ist, aber die Belüftung ist meiner Ansicht nach ebenso wichtig. Und ich denke, wir benötigen echte Investitionen in die Belüftung von Gebäuden, in Form von Luftfiltergeräten und zusätzlicher Belüftungsgeräte, anstatt nur Türen und Fenster zu öffnen. Und das müssen wir in Schulen und in anderen Innenräumen wie Unternehmen, Geschäften und Arbeitsplätzen im Allgemeinen tun. In einigen Teilen der Welt werden solche Maßnahmen bereits durchgeführt. In Belgien zum Beispiel müssen Geschäfte Kohlendioxid-Monitore aushängen, damit man vor dem Betreten des Ladens sehen kann, wie hoch das Risiko ist. Wenn man in Japan ins Kino gehen will, kann man bereits draußen sehen, wie hoch der Kohlendioxidgehalt für jeden Film ist, den man sich ansehen will, und ob man dieses Risiko eingehen möchte. Und ich denke, das gibt den Unternehmen einen Anreiz, auch die Öffentlichkeit zu schützen. Das ist sehr wichtig, denn dieses Problem wird nicht so bald verschwinden, und wir müssen hier langfristig investieren.

Außerdem muss die Öffentlichkeit über die Notwendigkeit einer längerfristigen Eindämmung und von Impfungen informiert werden. Ich denke zum Beispiel, dass die Impfquote in den USA, insbesondere bei jüngeren Menschen, niedriger ist als gewünscht. Das bedeutet auch, dass eine Diskussion über Long Covid und chronische Krankheiten bei jungen Menschen geführt werden muss – ein Thema, das meiner Meinung nach von vielen Regierungen und sogar Wissenschaftlern von der Hand gewiesen wird.

Warum sollten sich junge Menschen impfen lassen, wenn sie nicht wissen, dass für sie ein sehr reales Risiko besteht, sich zu infizieren? Man hat ihnen ständig gesagt, dass sie nicht schwer krank werden. Sie denken, dass es so etwas wie eine Grippe sein wird, also beschließen sie, dass sie es einfach durchstehen werden. Auch in dieser Hinsicht war die öffentliche Kommunikation unklar und hat sich nicht darauf konzentriert, jungen Menschen zu erklären, warum es so wichtig und vorteilhaft für sie ist, sich impfen zu lassen.

Neben der Verbreitung von Gesundheitsinformationen und guten Strategien zur Eindämmung der Krankheit, der Aufklärung über die Impfstoffe und der Verringerung der Impfskepsis brauchen wir auch wirksame Monitoringsysteme, eine bessere Überwachung und Identifikation von Varianten. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung.

BM: Scheinen die Impfstoffe vor Long Covid zu schützen?

DG: Die Daten hierzu sind noch recht jung und wir haben noch keine systematischen Daten ausgewertet. Wir dürfen nicht vergessen, dass Long Covid nur auftritt, wenn man sich infiziert. In dem Maße, in dem Impfstoffe vor einer Infektion schützen, und sie bieten definitiv einen gewissen Schutz vor einer Infektion, werden sie auch vor Long Covid schützen.

Aber ich denke, die Frage ist: „Gibt es einen Schutz, der über die Risiken hinausgeht, die eine Infektion ohne Impfung darstellt?“ Ich denke, das ist weniger klar. Jüngste Daten von Survivor Corps, einer Vereinigung für Menschen mit Long Covid, die auf Online-Umfragen beruhen, zeigen, dass 50 Prozent derjenigen, die sich nach der Impfung infiziert haben, an Long Covid erkrankt sind. Es handelt sich hierbei jedoch offensichtlich um eine verzerrte Erhebung, da sie nicht in der Gesamtbevölkerung durchgeführt wurde und die Personen, die sich gemeldet haben, möglicherweise nicht repräsentativ für die ganze Bevölkerung sind. Sie gibt jedoch einen Hinweis darauf, dass auch geimpfte Personen an Long Covid erkranken können. Der Schutz, den die Impfstoffe bieten, ist bei weitem nicht vollständig – aber es gibt einen gewissen Schutz, da sie vor einer Infektion schützen.

Leider bin ich ziemlich frustriert darüber, dass trotz der großen Zahl von Studien, die wir über den Schutz vor schweren Krankheiten und Infektionen durch Impfstoffe haben, nur sehr wenige Leute Long Covid zu untersuchen scheinen – obwohl das ein entscheidender Teil des Schutzes ist, von dem wir wissen müssen, dass Impfstoffe ihn bieten können.

BM: In Ihrem in The Lancet veröffentlichten Artikel haben Sie kürzlich geschrieben: „Massenhafte Ansteckung ist keine Option. Wir müssen mehr tun, um unsere Jugend zu schützen.“ Sie schrieben auch: „Die grundlegende Ursache für die Beeinträchtigung der Schulbildung ist das Infektionsgeschehen, nicht die physische Isolation.“ Da wir uns dem Ende unserer Diskussion nähern, könnten Sie etwas zum Themenkomplex Covid-19, Kinder und Bildung sagen?

DG: Im vergangenen Jahr ist sehr deutlich geworden, dass Kinder eine große Rolle bei der Übertragung der Infektion spielen. Es gab eine Menge Fehlinformation und Desinformation zu diesem Thema und eine Verharmlosung der Rolle von Kindern in der Infektionsübertragung. Wir haben gehört, dass Kinder weniger anfällig für Infektionen seien, oder dass sie die Infektion seltener übertragen würden, oder dass sie sogar kein wichtiger Teil des Infektionsgeschehens seien. Das ist absolut unwahr!

Unabhängig von der Anfälligkeit und Übertragbarkeit sollten wir bedenken, dass Kinder mit viel mehr Menschen in Kontakt kommen als Erwachsene, da sie die Schule in Präsenz besuchen. Neuere Studien – auch von der CDC – zeigen, dass Kinder genauso anfällig wie Erwachsene sind und die Krankheit genauso wahrscheinlich übertragen, wenn man die Tatsache korrigiert, dass ein großer Teil der Infektionen bei Kindern asymptomatisch ist und dass sie oft nicht entdeckt werden, weil Kinder sich vielleicht nicht testen lassen, wenn sie sich nicht unwohl fühlen. Aber die Tatsache, dass sie viel mehr Kontakte haben, macht sie zu einem wichtigen Übertragungsweg zurück in die breitere Bevölkerung. Diese Studien haben auch gezeigt, dass für die Eltern von Kindern ein hohes Risiko besteht, sich zu infizieren und einen Krankenhausaufenthalt zu benötigen.

Diese Studien wurden auf der ganzen Welt durchgeführt und zeigen alle das Gleiche. Aber dieselben Studien haben auch gezeigt, dass man das Risiko nicht nur für die Kinder, sondern auch für ihre Eltern verringern kann, wenn man in den Klassenzimmern mehrere Schichten von Maßnahmen trifft. Wir wissen, dass es dieses Problem in verschiedenen Teilen der Welt gibt und dass es lösbar ist. Ich denke, die große Frage ist, [dass] trotz all dieses Wissens, das schon seit einiger Zeit vorhanden ist, viele Länder im Westen so wenig getan haben, um dieses Problem anzugehen. Und warum? Sie sagen zwar, dass sie der Verringerung von Bildungsunterbrechungen Priorität einräumen, haben aber in Wirklichkeit sehr wenig getan, um sie zu verringern. Der Weg, um die Beeinträchtigung der Bildung zu verhindern – wovon leider viele Kinder auf der ganzen Welt betroffen sind – besteht nicht darin, die evidente Tatsache zu leugnen, dass sie zur Übertragung beitragen, sondern vielmehr darin, die Schulen durch wirksame Maßnahmen sicherer zu machen.

Leider sind es gerade diejenigen Wissenschaftler und Politiker, die die Rolle der Kinder im Infektionsgeschehen heruntergespielt haben, die sagen, dass sie der Bildung Vorrang einräumen wollen. Dieselben Leute erwarten dann aber, dass Kinder ohne jeglichen Schutz in die Schulen gehen, was fast immer zu hohen Übertragungsraten und Schulschließungen führt.

Und das ist bei den Varianten noch mehr der Fall. Bei den Alpha- und Delta-Varianten haben wir gesehen, dass die Übertragung bei Kindern im Schulalter begann und sich dann von dort in ihr Umfeld ausbreitete. Stärker übertragbare Varianten verbreiten sich sehr schnell über Schulen und zurück in die breitere Bevölkerung. Solange wir nicht mit Schutzmaßnahmen an Schulen und mit Impfungen für Kinder dagegen vorgehen, werden wir diese Pandemie leider nie in den Griff bekommen. Und das ist etwas, das die Regierungen und die Wissenschaftler verstehen müssen.

BM: Gibt es Daten darüber, dass die Delta-Variante für kleine Kinder gefährlicher ist als frühere Virenstämme? Es gibt Daten aus Indonesien, Brasilien und sogar aus den USA und dem Vereinigten Königreich, die auf eine höhere Zahl von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen hindeuten.

DG: Ja. Insgesamt sieht es so aus, als sei die Delta-Variante am schwerwiegendsten. Aufgrund von Daten aus dem Vereinigten Königreich und Schottland wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der Delta-Variante ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, doppelt so hoch ist. Neuere Daten aus Kanada deuten darauf hin, dass sie auch tödlicher sein könnte. Ob dies für bestimmte Altersgruppen schlimmer ist, ist jedoch unklar. Die Erfahrungen an vorderster Front deuten jedoch darauf hin, dass dies der Fall sein könnte. Wir hören definitiv von Kinderärzten und Ärzten für Intensivmedizin aus verschiedenen Teilen der Welt, einschließlich der USA, dass die Jugendlichen, die sie in dieser speziellen Welle erkranken sehen, eine intensivere Behandlung benötigen und eher beatmet werden müssen als die Jugendlichen, die sie in früheren Wellen behandelt haben. Und ich denke, wir müssen auf diese Erfahrungen von vorderster Front hören, wenn diese Evidenz weiter wächst. Ähnliches haben wir aus Singapur gehört und aus Indien, als Delta sich dort ausbreitete. Und ich denke, wir müssen uns vor der Idee hüten, Kinder dem Virus auszusetzen. Im Vereinigten Königreich haben wir einen viel schnelleren Anstieg der Krankenhausaufenthalte als bei früheren Wellen beobachtet. Derzeit werden pro Tag etwa 50 bis 60 Kinder ins Krankenhaus eingeliefert, was ziemlich viel ist.

BM: Was ist Ihre Meinung zu Impfvorschriften? Welche politischen Bedenken gibt es für oder gegen eine Impfpflicht?

DG: Vielleicht habe ich eine andere Meinung zu Pflichtimpfungen. Ich verstehe die Notwendigkeit einer Impfpflicht in der Gesundheitsversorgung und in Pflegeheimen. Ich bin selbst Medizinerin, und bevor ich ins Krankenhaus ging, musste ich mich gegen Hepatitis B impfen lassen, das ist eine Vorschrift. Und ich verstehe den Grund, denn die Entscheidungen, die wir treffen, beeinflussen die Risiken, denen unsere Patienten ausgesetzt sind, von denen viele sehr gefährdet sind. Wenn sie sich anstecken, könnten sie sehr krank werden. Ich denke deshalb, dass ich die Gründe für Pflichtimpfungen in diesem Bereich verstehe. Gegenüber einer Impfpflicht auf Bevölkerungsebene habe ich schon eher einige Bedenken, und ich werde die Gründe dafür erläutern.

Ich denke, dass die Vorbehalte gegen Impfungen sehr unterschiedlich sind, und nicht alles davon sind Verschwörungstheorien von Impfgegnern. Es gibt Menschen, die aus sehr berechtigten Gründen zögern, sich impfen zu lassen. Sie haben kein Vertrauen in unsere Regierung, weil diese sie im Stich gelassen hat. Sie trauen den Gesundheitsbehörden nicht, weil diese sie im Stich gelassen haben. Ich spreche hier speziell über ethnische Minderheiten, weil es hier einen historischen Kontext gibt. Es handelt sich um Gruppen, die in der Vergangenheit unethischen Experimenten der akademischen Wissenschaft ausgesetzt waren und die wiederholt von der Regierung und den Einwanderungsbehörden im Stich gelassen und sogar von der Gesundheitsversorgung diskriminiert wurden. Wir wissen zum Beispiel, dass Minderheiten schlechtere Erfahrungen im Gesundheitssystem machen, dass ihren Symptomen oft nicht geglaubt wird und dass sie schlechtere Heilerfolge erzielen. Ich halte es für unangemessen und unfair, dieses Problem mit einer Impfpflicht anzugehen, denn es birgt die Gefahr, dass Gruppen, die ohnehin schon aus guten Gründen kein Vertrauen in die Systeme haben, noch weiter ausgegrenzt werden.

Ich denke, dass man das Problem durch aktives gemeinschaftliches Engagement angehen sollte, indem man dieses Versagen anerkennt und versteht, warum es ein Zögern gibt, und versucht, dies direkt anzugehen. Gruppen, die der Regierung ohnehin schon misstrauen, sollten nicht einfach gezwungen werden, sich an etwas zu beteiligen, das ihnen unangenehm ist, ohne wirklich zu versuchen, die Gründe dafür zu verstehen und diese direkt anzugehen.

BM: Meine letzten Fragen: Was ist also zu tun? Wie sollten wir die Pandemie beenden und was muss gegen künftige Pandemien getan werden? Ist der politische Wille vorhanden, solche Vorbereitungen zu treffen?

DG: Der einzige Weg, den ich sehe, um diese Pandemie zu beenden, ist nicht die „mit dem Virus leben“-Strategie, die viele Länder derzeit verfolgen. Ich hoffe, dass sie irgendwann lernen werden, dass das nicht möglich ist. Die einzige Möglichkeit, die Pandemie auf vernünftige Weise zu beenden und dabei die öffentliche Gesundheit, die gesellschaftliche Bildung und die Wirtschaft zu schützen, ist eine global koordinierte Eliminierungsstrategie, bei der sich die Länder gegenseitig unterstützen, Impfstoffe und Ressourcen gemeinsam nutzen, Informationen austauschen und sich auf dem Weg dorthin gegenseitig helfen.

Ich bin sehr skeptisch, ob wir so etwas erleben werden. Angesichts des Ausmaßes der Ungleichheit der Impfstoffverteilung, die wir derzeit haben, und der Art und Weise, wie wir die „mit dem Virus leben“-Strategie verfolgen, mache ich mir wirklich Sorgen über die Entwicklung neuer Varianten. Ich bin wirklich besorgt über das Auftauchen weiterer Varianten. Und ich mache mir große Sorgen darüber, dass die Eliminierung irgendwann unmöglich werden könnte. Denn was wir derzeit sehen, ist das Auftauchen hochgradig übertragbarer Varianten, die Zonen bedrohen, die zuvor eine Eliminierung erreicht hatten, d.h. Länder und Gebiete, die alles richtig gemacht haben, die die öffentliche Gesundheit und die Wirtschaft geschützt haben. In Ländern wie Südkorea, Vietnam, Taiwan und Australien ist die Zahl der Ausbrüche aufgrund von Delta enorm gestiegen. Und je mehr übertragbare Varianten es gibt, desto schwieriger wird es, sie zu eliminieren, weil die Eliminierung davon abhängt, dass die Varianten draußen bleiben und kleine Cluster von Ausbrüchen nicht in die weitere Gesellschaft gelangen. Wenn aber hochgradig übertragbare Varianten ins Land kommen, kann man mit bloßer Nachverfolgung nicht mehr mithalten, weil sie so schnell in die Bevölkerung eindringen, noch bevor man sie bemerkt, und sich rasch ausbreiten.

Selbst die schnellen Reaktionssysteme, die viele Länder haben, reichen nicht aus, um das zu bewältigen. Und genau das erleben wir in vielen Eliminierungszonen. Wir haben nicht den Luxus, das aussitzen zu können. Ich denke, wir brauchen eine formale, koordinierte globale Eliminierungsstrategie, von der Impfstoffe ein Teil, aber nicht das Ganze sind, denn wir müssen das Infektionsgeschehen aktiv eindämmen, während wir impfen. Wenn wir das nicht tun, werden die Impfstoffe immer hinter neuen Varianten zurückbleiben, und wir werden massive Ausbrüche mit ihren verheerenden Folgen erleben. Und ich denke, dass wir langfristig in Dinge wie Belüftung investieren müssen, während wir dies tun, denn es hat positive Auswirkungen auf diese Pandemie, aber auch auf unsere Zukunft.

Es ist gut, die Art und Weise, wie wir leben, zu ändern, um Menschen und Arbeitsumgebungen und unsere Kinder zu schützen, wodurch den Menschen mehr Freiheiten erlaubt werden können. Ich denke, wir sollten aufhören, diese Dinge als Einschränkungen zu betrachten, sondern vielmehr als Maßnahmen, die es uns ermöglichen, als Gesellschaft freier zu werden, hinauszugehen und die Menschen zu treffen, die wir treffen wollen, indem wir die Übertragungsraten niedrig halten. Denn nur so ist das möglich. Man kann sich nicht in eine Gesellschaft begeben, in der einer von 70 Menschen infiziert ist, wie es das Vereinigte Königreich versucht hat.

BM: Haben Sie abschließend noch weitere Gedanken oder Kommentare?

DG: Ich denke, die Verantwortlichen müssen ihre Ideologien aufgeben und mit den Betroffenen zusammenarbeiten, um eine Politik zu entwickeln, die auf Fakten beruht. Aber sie müssen den Fakten zusammen mit Menschen folgen, die motiviert sind, Veränderungen zu bewirken. Führende Politiker haben oft im Namen der Öffentlichkeit gehandelt und dabei gedacht, dass die Öffentlichkeit dies so will, obwohl die Öffentlichkeit in Wirklichkeit viel vorsichtiger und besser informiert ist, als die Regierungen glauben.

Ich würde mir wünschen, dass die Regierungen mit Unternehmen, Lehrern, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Gruppen, Wissenschaftlern, Eltern und Schülern zusammenarbeiten, um gemeinsam eine Politik zu entwickeln, die für alle von Vorteil ist, und nicht eine von ihnen den anderen vorzieht.

Und ich würde mir wünschen, dass sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten und nicht mit Fehlinformationen oder Ideologie, und dass sie aufhören, einen Aspekt der Gesellschaft über den anderen zu stellen, denn alle Aspekte hängen davon ab, dass wir diese Krise überwinden. Das bedeutet, dass wir der Öffentlichkeit gegenüber ehrlich sein und die Krise, mit der wir konfrontiert sind, eindämmen müssen, anstatt sie zu ignorieren und zu verdrängen. Das hat noch nie funktioniert, weil es keinen Weg gibt, uns aus der Sache herauszuwinden. Wir müssen uns dem Problem stellen, das vor uns liegt.

BM: Dr. Gurdasani, ich danke Ihnen nochmals für Ihre Zeit.

DG: Es war mir ein Vergnügen. Danke, dass ich dabei sein durfte.

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