2. August: Roma-Holocaust-Gedenktag

Landesregierungen setzen Abschiebungen von Roma fort

Der 2. August ist der offizielle Tag des Gedenkens an den Roma-Holocaust. Er erinnert daran, dass bei der Auflösung des sogenannten „Zigeunerlagers“ im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im August 1944 rund 4300 Roma und Sinti bestialisch ermordet wurden.

Abseits der offiziellen Veranstaltungen zu diesem Tag wird allerdings nur allzu deutlich, dass auch 77 Jahre nach diesem Nazi-Verbrechen die Roma in Deutschland keine sichere Heimat finden. Die Gleichgültigkeit der Regierungen in Bund und Ländern kommt in Berlin beispielsweise darin zum Ausdruck, dass das Roma-Mahnmal vor dem Bundestag, das an die 500.000 im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma erinnert, keine zehn Jahre nach seiner Enthüllung schon wieder einer neuen S-Bahn-Strecke zum Opfer fallen soll.

Anfang Juni hat die Unabhängige Kommission Antiziganismus, die im Auftrag von Bundestag und Bundesregierung 2019 gebildet wurde, Empfehlungen gegen die Diskriminierung von Roma herausgegeben. Sie fordert in dem 843 Seiten umfassenden Bericht im Grunde nur wenige konkrete Maßnahmen. Die wichtigste ist sicher die Forderung nach dem sofortigen Stopp aller Abschiebungen von Roma aus Deutschland.

Dort heißt es: „Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt der Bundesregierung (…) die Perspektivlosigkeit derjenigen, die bis heute mit dem unsicheren Status einer Duldung leben müssen, zu beenden. Mit Blick auf die praktische Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes ist klarzustellen, dass die in Deutschland lebenden Rom_nja aus historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind. Landesregierungen und Ausländerbehörden sind aufgefordert, die Praxis der Abschiebung von Rom_nja sofort zu beenden.“

Gerade dies lehnt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Namen der Bundesregierung kategorisch ab. Zwar befürwortete er in der Pressekonferenz vom 13. Juli kosmetische Maßnahmen, wie die Einberufung eines Beauftragten gegen Antiziganismus oder die Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission. Aber die Forderung nach Beendigung der Abschiebungen hat er stillschweigend unter den Tisch fallen lassen.

Die Regierungen in Bund und Ländern setzen derweil die brutale Abschiebepolitik der letzten Jahre gegen Roma fort.

Im Jahr 2020 wurden offiziell 10.800 Menschen abgeschoben, davon mehr als 25 Prozent in die Westbalkanstaaten. Von den 2787 Menschen die dorthin abgeschoben wurden, waren 761 Minderjährige. Zu den Westbalkanstaaten gehören Albanien und die ehemaligen jugoslawischen Staaten Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien sowie der Kosovo. Diese sechs Staaten erklärte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in den Jahren 2014 und 2015 zu sogenannten „sicheren Herkunftsländern“, obwohl die Roma dort massiv diskriminiert werden. Fast alle Roma leben dort in Slums und haben keinen Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen.

Diese Einstufung als „sichere Herkunftsländer“ bewirkt, dass fast alle Asylanträge aus den Westbalkanstaaten abgelehnt werden. Infolgedessen werden auch Personen abgeschoben, die seit Jahrzehnten, bzw. seit ihrer Geburt, in Deutschland leben. Auch ganze Familien mit Kindern, Alleinerziehende und schwerbehinderte Erwachsene und Kinder sind betroffen.

Am 30. Juni 2021 hat die Stadt Göttingen das Ehepaar Islami, das seit 30 Jahren in Deutschland lebte, mitten in der Nacht in ihrer Wohnung festgenommen und ihnen Hand- und Fußfesseln angelegt, um sie sofort nach Serbien abzuschieben. Kinder und Enkelkinder, die mit dem Ehepaar in der Wohnung lebten, waren nach dieser brutalen Polizeiaktion völlig schockiert.

Sowohl die Eltern in Serbien, als auch die Kinder und Enkelkinder in Deutschland sind nun sich selbst überlassen. Eine erwachsene Tochter ist geistig schwerbehindert und benötigt dauerhafte Pflege, die ihr die Eltern bis 2020 leisten konnten, bis sie gegen den Willen der Eltern in einer Einrichtung untergebracht wurde. Herr Islami hat eine körperliche und psychische chronische Erkrankung. Frau Islami ist die Schwester von Gani Rama, der vor zwei Jahren in den Kosovo abgeschoben wurde und kurze Zeit später von einem Nationalisten ermordet wurde.

Am 22. Juli protestierten etwa 50 Personen, darunter die Kinder des Roma-Paares Islami, vor der Ausländerbehörde der Stadt Göttingen gegen diese brutale Abschiebung. Die Kinder berichteten, wie es ihren Eltern seither in Belgrad ergeht, die ohne die Unterstützung der Familie in Deutschland dort obdachlos wären. Auch kann der Vater seine notwendigen Medikamente in Serbien nicht kaufen. Das Ehepaar, das ursprünglich aus dem Kosovo geflohen war, hat darüber hinaus Sprachprobleme, da beide nur wenig Serbisch sprechen.

In Celle haben die Behörden in einer Nacht- und Nebelaktion Ende Juni eine alleinerziehende Mutter mit ihrer schwerbehinderten kleinen Tochter nach Serbien deportiert. Die sechsjährige Tochter ist zu 90 Prozent behindert. Sie leidet unter einer schweren Hörminderung mit daraus folgender Sprachstörung, einer Mikrozephalie und einer Hüftdysplasie. Das Celler Jugendamt hatte zur Unterstützung der Mutter seit Jahren eine Ergänzungspflegerin beauftragt.

Die Mutter war ursprünglich aus Serbien geflüchtet, wo sie schwerer körperlicher und psychischer Gewalt ausgesetzt war. Ungefähr zwei Wochen vor der Abschiebung hatte eine Unterstützerin einen Härtefallantrag für die Familie gestellt. Trotz laufenden Asyl-Gerichtsverfahrens und Härtefallantrags würde mit der Abschiebung „eine schwere Kindeswohlgefährdung (…) billigend in Kauf genommen“, wie es Sebastian Rose vom Flüchtlingsrat Niedersachsen zu Recht auf den Punkt brachte.

In Bochum steht die fünfköpfige Familie Destanov vor ihrer Abschiebung nach Nordmazedonien, von wo sie 2015 geflohen ist. Die Familie hat einen fünfjährigen Sohn, der an schweren Atemaussetzern sowie einer Herzerkrankung leidet. Der Grund für ihre Flucht aus Nordmazedonien war ein Brandanschlag auf ihr Haus. Die Familie sollte ursprünglich am 1. Juni deportiert werden, was aber durch Proteste erst einmal verhindert wurde. Dadurch wurde zumindest dem Fünfjährigen noch eine Herzuntersuchung Ende Juli ermöglicht.

Stefani aus Hamburg, 14 Jahre jung, droht im August die Abschiebung zusammen mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter nach Montenegro. Im März 2019 waren sie den dortigen elenden Bedingungen entflohen. In Deutschland wurde ihr Asylantrag jedoch unter dem Vorwand abgelehnt, dass sie „illegal“ eingereist seien. Trotz sehr guter Noten in der Schule werden Stefani und ihrer Familie bürokratische Hindernisse für eine Bleibeperspektive in den Weg gelegt. Nach deutschem Aufenthaltsrecht hätte sie die Schule mindestens vier Jahre lang „regelmäßig und erfolgreich“ besucht haben müssen. Doch logischerweise war dies Stefani bisher erst zwei Jahre lang möglich. Die Eingabe, ihren Fall an die Härtefallkommission weiterzuleiten, lehnte der entsprechende Ausschuss der Hamburger Bürgerschaft ab.

In Magdeburg droht auch der Familie Barjamovic, die seit zehn Jahren hier lebt, erneut die Abschiebung nach Serbien, nachdem diese 2015 und 2016 durch lautstarke Proteste abgewendet werden konnte. Diskriminierung und menschenunwürdige Zustände waren die Gründe für ihre Flucht nach Deutschland. 52.000 Unterschriften konnten für das Bleiberecht der Familie gesammelt werden und wurden am 14. Juli 2021 beim Magdeburger Rathaus eingereicht.

Die Härtefallkommission, die seit letztem Dezember an dem Fall sitzt, hat ihre Entscheidung Mitte Juli vertagt. Der siebenjährige Alex musste Mitte Juli notoperiert werden, und sein Vater ist mit Epilepsie schwerbehindert. Der jüngste Sohn Mario leidet an einer seltenen Erbkrankheit und an Nierensteinen. Der siebzehnjährige Sohn Josef tanzt seit acht Jahren erfolgreich Breakdance in der „Break Grenzen Crew“, hat dafür schon etliche Preise erhalten und gewann 2017 mit der Gruppe sogar den Titel Deutsche Meister.

Gerade in Magdeburg ist die Erinnerung an die Verbrechen, die der Nationalsozialismus an den Roma beging, allgegenwärtig. Daran erinnern zwei Roma-Denkmäler, eins am Magdeburger Dom und das andere am Einkaufscenter Flora-Park. Im Dritten Reich wurde in der Nähe des heutigen Flora-Parks das Zwangslager Holzweg/Silberberg errichtet, in dem ab 1935 Roma und Sinti eingepfercht wurden. Das dortige Mahnmal besteht aus einer 1,80 Meter hohen Marmorstele mit den eingravierten Namen der 340 Ermordeten. Der Widmungstext der Stele am Flora-Park lautet: „Diese Namen sollen an das Schicksal der Sinti und Roma erinnern, die aus dem Lager am Holzweg-Silberberg am 01.03.1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden.“