Am 24. Oktober wurde in Berlin unmittelbar neben dem Deutschen Bundestag das zentrale Denkmal für die 500.000 im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht. Es befindet sich unweit des Holocaust-Denkmals für die während des Nationalsozialismus ermordeten Juden.
Neben Vertretern der Sinti und Roma, einem Vertreter des Zentralrats der Juden und dem Vizepräsidenten des internationalen Auschwitz-Komitees war höchste Politprominenz anwesend: Bundespräsident Gauck, Kanzlerin Merkel, Kulturstaatsminister Neumann, Bundestagspräsident Lammert, verschiedene Parteienvertreter wie Gysi und Pau (Linkspartei), Künast (Grüne), der regierende Bürgermeister Wowereit (SPD), der ehemalige Bundespräsiden Richard von Weizsäcker. Die Feierlichkeit wurde im Fernsehen des RBB live übertragen.
Auf Wunsch der Sinti und Roma hatte der israelische Künstler Dani Karavan das Denkmal geschaffen, auch hiermit auf die gemeinsame Geschichte der Verfolgung weisend. Es besteht aus einer mit Wasser gefüllten schwarzen Schale von zwölf Metern Durchmesser, in deren Mitte eine Stele ruht, ganz oben ein schwarzes Dreieck, den schwarzen Winkel symbolisierend, den Sinti und Roma in den KZs tragen mussten.
Jeden Abend wird die Schale versinken und am nächsten Tag, eine frische Blume tragend, wieder auftauchen. Das steht für wiederkehrende Trauer, wiederkehrendes Leben und ständige Mahnung, das Gedenken an die Verbrechen an den Sinti und Roma lebendig zu halten. In den Schalenrand eingearbeitet ist das Gedicht „Auschwitz“ des italienischen Roma-Musikers und -Dichters Santino Spinelli. Eine Glaswand unweit der Schale informiert über die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgungen der Sinti und Roma in Europa.
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, und der niederländische Sinto Zoni Weisz hielten zwei bewegende Reden. Weisz hatte im vergangenen Jahr als erster Sinto vor dem Deutschen Bundestag gesprochen und ihn aufgefordert, den „vergessenen Holocaust“ öffentlich zu machen. Er war als Kind der Deportation entkommen, hatte aber seine ganze Familie verloren.
Romani Rose, der 13 Familienmitglieder verlor, ist seit langem in der Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma aktiv und hatte 1980 an einem Hungerstreik auf dem Gelände des ehemaligen KZs Dachau teilgenommen, um auf den Völkermord an Sinti und Roma aufmerksam zu machen.
Beide Redner kämpften sichtlich mit ihren Gefühlen. Viele anwesende Sinti und Roma weinten, als Weisz über das Schicksal seiner Familie berichtete. Praktisch jede Familie hat Angehörige verloren. Die Erinnerung an den Alptraum des Dritten Reichs und die Angst vor einer Wiederholung war und ist bei Sinti und Roma sehr unmittelbar vorhanden.
Was zur angespannten Atmosphäre der Veranstaltung beitrug und nur als Riesenskandal bezeichnet werden kann, sind zum einen der lange Zeitraum bis zur Einweihung des Denkmals, zum anderen die heutige Verfolgung von Sinti und Roma in ganz Europa einschließlich Deutschland.
Unmittelbar nach der Rede von Kanzlerin Merkel rief ein empörter Gast, was den mit den Roma sei, die aus Deutschland nach Osteuropa abgeschoben werden. Ein Sprecher fuhr ihm über den Mund, dieses Thema sei heute nicht relevant.
Die arrogante Antwort unterstreicht, dass es der Bundesregierung mit dem Denkmal nicht wirklich um eine Aufarbeitung der NS-Verbrechen an den Sinti und Roma, um den kritischen Umgang mit der deutschen Nachkriegsgeschichte, um den Versuch einer wirklichen Wiedergutmachung geht. Das hat historische Gründe.
Es gab in Deutschland nie wirklich eine „Stunde Null“. Alte Nazis konnten nach dem Krieg zuhauf ihre Karrieren fortsetzen. Praktisch der gesamte Justiz- und Beamtenapparat des Dritten Reiches wurde in die „demokratische“ Bundesrepublik übernommen. Während dieser erfolgreich dafür sorgte, dass Beamte und Richter ihre Dienstzeit unter den Nazis auf ihre Rente angerechnet bekamen, wurden die Opfer oft mehr als verhöhnt. In dem Dokumentarfilm „Djangos Lied“ von Tom Franke und Kuno Richter schildert ein Sinto aus Oldenburg, wie Sintis bei Arztbesuchen mit Ärzten konfrontiert wurden, die sie ins KZ geschickt hatten.
Im Jahr 1956, immerhin sieben Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, lehnte der Bundesgerichtshof eine Wiedergutmachung für Sinti und Roma mit der Begründung ab, sie seien im Dritten Reich nicht aus rassistischen Gründen verfolgt worden, sondern weil sie zu Kriminalität neigten. „Es fehlen ihnen (...) die sittlichen Antriebe zur Achtung vor fremden Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist“, hieß es im Urteil.
Bis in die achtziger Jahre hinein kämpften Sinti und Roma erfolglos für eine moralische und finanzielle Entschädigung für die an ihnen verübten Verbrechen in der Nazizeit.
Es gibt haufenweise haarsträubende Geschichten. Der erwähnte Hungerstreik von 1980 richtete sich gegen das Bayrische Innenministerium, das den Sinti die Einsicht in die Unterlagen der 1970 aufgelösten „Landfahrerzentrale“ verweigerte, deren unmittelbarer Vorläufer die faschistische „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ gewesen war. Die „Landfahrerzentrale“ hatte sich auf die von den Nazis angelegten Akten gestützt. Die Mitarbeiter waren teilweise schon im Dritten Reich „Zigeunerspezialisten“ gewesen.
Bereits in der krisengeschüttelten Weimarer Republik mit ihren vielen Arbeits- und Obdachlosen gab es „Zigeunerzentralen“, die Sinti und Roma und „andere nach Zigeunerart herumziehende Personen“ nachrichtendienstlich erfassten. Vorreiter war Bayern mit seinem 1926 verabschiedeten Gesetz zur „Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“. In Hessen initiierte der sozialdemokratische Innenminister und Gewerkschafter Wilhelm Leuschner nach bayrischem Vorbild das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“, das 1929 verabschiedet wurde.
Erst im Jahr 1982, mehr als dreißig Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, wurden Sinti und Roma als rassisch Verfolgte des Naziregimes und ihre Vernichtung als Völkermord anerkannt. In der Öffentlichkeit wurde es jedoch nicht publik gemacht. Auch die DDR bequemte sich in den achtziger Jahren nur zu einem unauffälligen Gedenkstein auf dem Marzahner Friedhof am Rand von Ostberlin. Erst 1997 wurden die zirka 70 000 deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit anerkannt.
Zehn Jahre dauerte es, bis der Bundestag dem Drängen der Sinti und Roma nachgab und 1992 beschloss, eine zentrale Gedenkstätte zu errichten. Bis zur jetzigen Einweihung dauerte es noch einmal zwanzig Jahre. Und auch in diesem Zeitraum wurden Sinti und Roma mit der Behauptung konfrontiert, ihre Verfolgung unter den Nazis könne nicht mit dem Holocaust an den Juden verglichen werden. Inzwischen sind viele Überlebende verstorben.
Bei allen Dankesworten gegenüber Kanzlerin Merkel war der bittere Ton der beiden Redner nicht zu überhören. Das mehrmals wiederkehrende Wort „Hoffnung“ überdeckte nur unvollkommen die Enttäuschung.
Rose warnte in seiner Rede vor dem wachsenden Rassismus in Europa und Deutschland, der nicht auf rechtsradikale Gruppen beschränkt sei, sondern zunehmend in der Mitte der Gesellschaft Rückhalt fände. Gerade der politische und juristische Umgang mit rechter Gewaltideologie stelle, so Rose, einen Prüfstein da, ob und welche Lehren wir aus dem Krieg und dem Holocaust ziehen.
Rose erwähnte die Opfer der Zwickauer Terrorgruppe, was jedem Anwesenden die Pressemeldungen der letzten Wochen und Monate über die Verwicklung des Verfassungsschutzes in die rechte Szene gegenwärtig machen musste, und begrüßte vom Pult den Vertreter der Berliner Muslime, die ebenfalls zunehmend mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert sind.
Bundeskanzlerin Merkel hatte in ihrer vorbereiteten, phrasenhaften Rede nicht viel mehr zu sagen, als einige Allgemeinplätze über Menschenwürde und Zivilcourage. Sie sprach vom „Unfassbaren“, das von Deutschland seinen Verlauf genommen habe und aus dem man lernen müsse. (Wie soll man aus etwas Lehren ziehen, das unfassbar ist?). Merkel versprach, dass sich Deutschland in der EU weiterhin für die Rechte der Sinti und Roma einsetzen werde.
Das Gegenteil ist der Fall. Merkels Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte noch unmittelbar vor der Einweihung des Denkmals medienwirksam gegen Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien gehetzt, bei denen es sich mehrheitlich um Roma handelt, die vor unerträglichen Lebensbedingungen und rassistischer Verfolgung fliehen. Einen Tag nach der Einweihung schlug er vor, die Geldleistungen für diese Flüchtlinge zu kürzen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warf ihm darauf „eine populistische Kampagne gegen Roma aus den Balkanstaaten“ vor.
Auch in Italien und Frankreich werden Roma systematisch verfolgt. Die französische Regierung lässt ihre Lager systematisch räumen und weist sie massenhaft nach Rumänien und Bulgarien aus.
In Osteuropa erinnert der Terror gegen Roma teilweise an die Nazi-Zeit. In Tschechien und Ungarn organisieren uniformierte faschistische Banden regelmäßig Aufmärsche in Roma-Siedlungen – ermutigt und geduldet von den Behörden. Unter den von der EU diktierten Sparmaßnahmen haben Roma am meisten zu leiden. Für viele sind der Schulbesuch und der Zugang zu medizinischer Versorgung inzwischen unmöglich geworden.
Die Regierung Merkel, die das Spardiktat in ganz Europa unerbittlich vorantreibt, trägt dafür die Hauptverantwortung. Wenn sie dann die finanziell ausgebluteten Regierungen mahnt, die „Menschenrechte“ der Roma zu wahren, ist das reine Heuchelei.
Bereits Friedrichs Vorgänger im Amt des Innenministers waren gegen Roma vorgegangen. Otto Schily (SPD) hatte 2002 mit Albanien und Jugoslawien ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen ausgehandelt zur, wie es damals hieß, „Bekämpfung der illegalen Migration aus der Balkanregion“. Viele betroffene Migranten waren in den 90er Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen. Thomas de Maiziére (CDU) unterzeichnete im April 2010 ein Abkommen, das den Kosovo erpresserisch verpflichtete, 14.000 Flüchtlinge zurückzunehmen. 10.000 davon waren Roma, die vor dem Terror der von Deutschland unterstützten Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) geflohen waren.
Aus der kleinen Parkanlage am Brandenburger Tor sind seit kurzem, wenn man genau hinhört, die langen, klagenden Klänge einer Geige zu vernehmen. Dani Karavan, der jüdische Künstler, hat sie sich für das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas gewünscht. Vor dem Brandenburger Tor haben Asylbewerber ein Camp aufgeschlagen und sind in den Hungerstreik getreten. Sie fordern das Recht zu bleiben und eine Arbeitserlaubnis. Die Polizei hat das Camp am Abend nach der Einweihung des Denkmals geräumt.