„Politiker haben viel mehr gemeinsam mit den Wenigen, die alles besitzen, als mit dem Rest von uns“

Gorillas-Rider kritisieren Besuch von Arbeitsminister Heil

Am Dienstag nutzte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Treffen mit Mitarbeitern des Lieferdiensts Gorillas in Berlin für einen unverschämten Wahlkampf- und Presseauftritt. Die Gorillas-Rider streiken und protestieren seit Wochen gegen ihre katastrophalen Arbeitsbedingungen, die durch die Hartz-Gesetze und die Liberalisierung des Arbeitsmarkts unter der SPD erst geschaffen wurden.

Nun trommeln Heil und die SPD für die Wahl eines Betriebsrats, um den Widerstand gegen die extreme Ausbeutung unter Kontrolle zu halten und eine Ausweitung der Streiks zu verhindern. Wie in anderen Betrieben würde die Gründung eines gewerkschaftlichen Betriebsrats bei Gorillas die Situation der Beschäftigten nicht verbessern, sondern die extreme Ausbeutung vertraglich regeln. Die spontanen Streiks und Proteste, die in den vergangenen Wochen großes Aufsehen erregt haben, würden unterdrückt.

Der Besuch von Minister Heil hat die Betriebsrats-Debatte unter den Gorillas-Beschäftigten weiter angeheizt. Dass der Minister und die Geschäftsführung sich für die Wahl eines Betriebsrats aussprechen, hat viele Streikende noch skeptischer gegenüber dieser Initiative gemacht. Die World Socialist Web Site führte nach Heils Besuch folgendes Interview mit dem 29-jährigen Rider Josef, der aus Großbritannien kommt und in Berlin bei Gorillas arbeitet.

***

WSWS: Wie schätzt du das Ergebnis des Gesprächs mit Arbeitsminister Heil ein?

Josef: Meine Erwartungen waren niedrig, aber ich war trotzdem enttäuscht. Obwohl wir bereits wussten, dass es im Wesentlichen ein Presseauftritt für ihn und seine Wahlkampagne sein würde, halten wir die meisten seiner Antworten für mehr als nutzlos. Wir wollten nicht einen Politiker treffen, um uns sagen zu lassen, dass wir uns „besser organisieren“ oder das „Gesetz befolgen“ sollen. Das sind die Leute, die das Gesetz ändern können. Obwohl er keine Andeutung gemacht hat, dass das eine Priorität für ihn ist, können wir vielleicht jetzt, wo wir uns getroffen haben, zumindest fordern, dass er die wenige Hilfe, die er angeboten hat, auch umsetzt.

WSWS: Wie bewertest du, dass Heil erst mit der Unternehmensleitung gesprochen hat, ohne dass betroffene Arbeiter daran beteiligt waren und dass er über den Inhalt der Gespräche nicht berichtet hat?

Josef: Das hat mich nicht schockiert. Letztlich sind gewählte Politiker für den Status quo, für das System, das sie dahin gebracht hat, wo sie sind. Es ist töricht, von ihnen zu erwarten, dass sie für uns Risiken eingehen. Je älter ich werde, desto mehr sehe ich, dass Politiker viel mehr gemeinsam haben mit den Wenigen, die alles besitzen, als mit dem Rest von uns. Am Ende des Treffens forderte ich ihn [Heil] auf, alle folgenden Treffen mit dem Management zu filmen. Auch hier sind meine Erwartungen niedrig.

WSWS: Wie bewertest du die Tatsache, dass der Arbeitsminister und auch die Unternehmensleitung die Wahl eines Betriebsrats befürworten?

Josef: Obwohl ich nicht glaube, dass das Management – trotz seiner bizarren E-Mails – auch nur im Entferntesten für den Betriebsrat ist, denke ich, dass das Interesse des Ministers verrät, wie stark beschränkt dieses Instrument als Mittel für echte Veränderungen ist. Wie ich ihm zwischen seinen kleinen Reden zu sagen versuchte, ist ein Betriebsrat nicht das Ende der Fahnenstange, sondern nur ein Schritt. Für mich ist das eigentliche Ziel die Einbeziehung und Stärkung der gesamten Arbeiterschaft. Wenn ein Betriebsrat uns diesem Ziel näherbringt, sehr gut – aber wir dürfen nicht vergessen, dass er nur ein Mittel zum Zweck ist. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Reichen und Mächtigen versuchen werden, uns ein winziges Stück vom Kuchen zu geben und uns dann sagen, dass wir damit zufrieden sein sollten.

WSWS: Was denkst du dazu, dass Heil als SPD-Spitzenpolitiker direkt an der Verabschiedung der Hartz-Gesetze beteiligt war? Er war 2003 im Vorstand der Bundestagsfraktion die das Gesetz durchgesetzt hat. Dadurch wurde der Arbeitsmarkt liberalisiert und die Bedingungen für die heutige „Sklavenarbeit“ geschaffen.

Josef: Ich bin neu in Deutschland, daher ist das Neuland für mich, aber es scheint, als ob sich die gleiche Geschichte überall abspielt. Politiker wie Heil machen Gesten in die linke Richtung, während sie Entscheidungen treffen, die das Leben der Menschen ruinieren. Sie rechtfertigen ihr Handeln mit dem Verweis auf das BIP oder die Arbeitslosenzahlen, als ob die irgendetwas über menschliches Glück aussagen würden. In Großbritannien haben wir die gleiche hohle Politik der Gesten. Unser angeblich linker Führer, Keir Starmer, hat so viele politische Prinzipien wie ein Holzklotz. Es ist bedauerlich, dass man das hier auch sieht. Doch irgendwie bleibe ich optimistisch.

***

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) lehnt die Gründung eines Betriebsrats ab und schlägt den Aufbau eines unabhängigen Aktionskomitees vor. Es würde keine Appelle an die Politik und die Gewerkschaften richten, die in Wirklichkeit auf der anderen Seite der Barrikaden stehen, sondern die Kolleginnen und Kollegen in anderen Dienstleitungs-, Produktions- und Verwaltungsbereichen mobilisieren. Es würde sich auf die wachsenden Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse orientieren, nicht um die kapitalistische Ausbeutung erträglich zu gestalten und zu „humanisieren“, sondern um sie abzuschaffen.

Wir rufen alle Gorillas-Arbeiter auf, unser Statement zu lesen und zu verbreiten und diese Perspektive mit uns zu diskutieren.

Loading