Seit Monaten kämpfen die Fahrer (Rider) und Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas gegen miserable Arbeitsbedingungen, Niedriglöhne, Hire-and-Fire-Politik, fehlenden Gesundheitsschutz und ein rabiates Management. Mit spontanen Streiks, Demonstrationen, Protestkundgebungen und Tor-Blockaden protestieren sie gegen extreme Ausbeutung und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen.
Die Bedeutung dieses Kampfs geht weit über Berlin und die Lieferbranche hinaus. Vor dreißig Jahren waren Arbeitsverhältnisse, wie sie heute bei Gorillas herrschen, schlicht illegal. Es gab sie höchstens in Entwicklungsländern. Doch seither sind alle Hürden beseitigt worden, die ihnen im Wege standen. Auch in Industriebetrieben greifen Werkverträge, Zeitarbeit und andere prekäre Arbeitsformen um sich. Viele Unternehmen haben die Corona-Pandemie zum Anlass genommen, Unternehmensteile auszugliedern und Arbeiter zu wesentlich schlechteren Bedingungen wieder einzustellen.
Deshalb erhält der Arbeitskampf bei Gorillas in den sozialen Medien große Unterstützung. Auf der anderen Seite fürchten Unternehmer und Politiker, dass er zum Ausgangspunkt für eine breite Mobilisierung wird. Denn die miserablen Arbeitsbedingungen sind nicht mehr die Ausnahme, sondern werden zur Regel.
Umso wichtiger ist es, eine klare Vorstellung darüber zu haben, wie der Kampf weitergeführt und gewonnen werden kann. Dazu muss man lernen, zwischen wahren und falschen Freunden zu unterscheiden.
Alle möglichen Politiker und Gewerkschafter entdecken jetzt ihr Herz für die Gorillas-Rider. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will sich am Dienstag persönlich mit ihnen treffen, um „über ihre Arbeitssituation zu sprechen“. Das Büro der SPD-Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe (SPD), die im Bundestagswahlkampf Publicity gut gebrauchen kann, hat ihn eingeladen.
Die Gewerkschaften, die Linkspartei, die anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation FAU und verschiedene pseudolinke Gruppen setzen sich für die Bildung eines Betriebsrats ein.
Aber es waren die SPD, die Grünen, die Linke und die Gewerkschaften, die alle Hindernisse für Sklavenarbeit beiseite geräumt haben. Ein Meilenstein waren die sogenannten Hartz-Gesetze, von denen Hartz IV lediglich das bekannteste ist. Ausgearbeitet vom IG Metall-Mitglied und Automanager Peter Hartz, wurden sie von den Gewerkschaften unterstützt und von der rot-grünen Bundesregierung 2003 verabschiedet.
Die Hartz-Gesetze haben die Grundlagen für einen riesigen Niedriglohnsektor geschaffen, den es in dieser Form bisher nicht gab. Dieser Niedriglohnsektor diente wiederum als Hebel, um reguläre Löhne und Arbeitsbedingungen zu zerschlagen. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem Postbeamten mit Pensionsanspruch ein Zusteller geworden, der ähnlich brutal ausgebeutet wird wie ein Gorillas-Rider.
Das Ergebnis kann man aus jeder Sozialstatistik ablesen. In Deutschland gab es im Corona-Jahr 2020 136 Milliardäre, 29 mehr als im Vorjahr, und 542.000 Millionäre, 35.000 mehr als im Vorjahr. Auf der anderen Seite mussten 40 Prozent der Beschäftigten Einkommensverluste hinnehmen. 13 Millionen Menschen lebten in Armut, die höchste Zahl seit der Wiedervereinigung.
Die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte haben bei diesem Kahlschlag die entscheidende Rolle gespielt. Sie vertreten nicht die Arbeiter, sondern die Unternehmer – und dafür werden sie bestens bezahlt. Hunderttausende Entlassungen in der Stahl- und Metallindustrie tragen die Unterschriften der IG Metall und ihrer Betriebsräte. Die so genannten Arbeitnehmervertreter sitzen in den Aufsichtsräten, kassieren hohe Tantiemen und arbeiten aufs Engste mit der Konzernleitung und dem Management zusammen.
Hier in Berlin hat die Gewerkschaft Verdi in enger Zusammenarbeit mit den Senatsparteien SPD und Linke die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst dezimiert, Kliniken privatisiert, Dienstleistungen ausgegliedert und die Löhne bei der BVG gesenkt.
Wir, die Sozialistische Gleichheitspartei, sind daher gegen die Gründung eines Betriebsrats. Sie führt in eine Sackgasse.
Betriebsräte dürfen nicht zu Arbeitskämpfen aufrufen und sind per Gesetz verpflichtet, sich für das „Betriebswohl“ einzusetzen, vertrauensvoll mit dem Arbeitgeber zusammenzuarbeiten und alle Informationen geheim zu halten.
Durch die Bildung eines Betriebsrats wird die Sklavenarbeit bei Gorillas nicht abgeschafft, sondern vertraglich geregelt und zementiert. Die Organisation von Streiks wird erschwert, denn während der Laufzeit von Tarifverträgen herrscht gesetzliche Friedenspflicht, also Streikverbot.
Betriebsräte werden von den Gewerkschaften benutzt, um jede Art von Opposition zu unterdrücken und ins Leere laufen zu lassen. Sie sind, um es ungeschminkt zu sagen, eine Art Betriebspolizei. Genau aus diesem Grund hat der Bundestag im vergangenen Monat ein sogenanntes Betriebsrätemodernisierungsgesetz verabschiedet, das die Gründung von Betriebsräten erleichtern soll.
Wir schlagen einen anderen Weg vor: Die Gründung eines Aktionskomitees, das auf der Tradition der Arbeiterräte basiert.
Schließt euch zusammen und wählt vertrauenswürdige und respektierte Kollegen, die euch vertreten und jederzeit über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen.
Nehmt Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen in anderen Dienstleitungs-, Produktions- und Verwaltungsbereichen auf, tauscht Informationen aus und plant gemeinsame Aktionen. Knüpft Verbindung zu Arbeitern in anderen Ländern, nicht um die Sklavenarbeit erträglich zu gestalten und zu „humanisieren“, sondern um sie abzuschaffen.
Die SGP und ihre Schwesterparteien der Vierten Internationale haben am 1. Mai die Initiative zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees ergriffen, um unabhängige Kampforganisationen von Arbeitern in allen Branchen zu schaffen und über die Grenzen hinweg zu vernetzen.
Ein solcher Kampf gegen die üblen Arbeitsbedingungen in der Logistik und anderen Branchen wirft grundlegende politische Fragen auf. So wie die Bereicherung der Aktionäre auf eurer Ausbeutung basiert, kann diese Ausbeutung nur durch die Enteignung der großen Banken und Konzerne beendet werden.
„Die Arbeiter aller Länder müssen sich in einer gemeinsamen politischen Offensive zusammenschließen, um die Macht zu übernehmen, die Oligarchen zu enteignen und eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, die auf einer rationalen, wissenschaftlichen und demokratischen Kontrolle der Produktion basiert, um den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht dem privaten Profit zu dienen“, heißt es im Aufruf zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz.
Wir rufen alle Beschäftigten von Gorillas auf, Kontakt mit uns aufzunehmen, um Aktionskomitees zu gründen und einen internationalen Kampf zu organisieren.