Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

Wie CDU, SPD, Grüne und Linke die AfD stärken

Am Sonntag findet in Sachsen-Anhalt die letzte Landtagswahl vor der Bundestagswahl vom 26. September statt. Sie zeigt exemplarisch, wie die etablierten Parteien – von der CDU bis zur Linken – den Rechtsextremen den Boden bereiten.

Seit fünf Jahren regieren CDU, SPD und Grüne – also die drei Parteien, die mit Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock die aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten stellen – gemeinsam das ostdeutsche Bundesland. Aufgabe dieser sogenannten Kenia-Koalition war es angeblich, ein „Bollwerk gegen rechts“ zu bilden, nachdem die AfD bei der Landtagswahl 2016 knapp ein Viertel der Stimmen gewonnen hatte.

Tatsächlich hat die Kenia-Koalition unter Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) die Politik der AfD weitgehend übernommen, immer neue Offerten an die Rechtsextremen gemacht und die sozialen Angriffe auf die Bevölkerung verschärft. So entspricht die derzeitige Corona-Politik weitgehend der AfD-Forderung nach einem sofortigen Ende des Lockdowns und gefährdet zusätzliche Menschenleben. Die Linke hat als loyale Opposition dafür gesorgt, dass die wachsende Opposition dagegen keinen unabhängigen Ausdruck fand.

Die AfD hat davon in doppelter Weise profitiert. Die Übernahme ihres Programms durch die Drei-Parteien-Koalition und die ständigen Vorstöße von CDU-Politikern, die lieber gleich mit der AfD koaliert hätten, haben sie politisch gestärkt. Und das Fehlen jeder ernsthaften Kampfperspektive und linken Opposition hat es den Rechtsextremen ermöglicht, die ohnmächtige Wut über die katastrophalen sozialen Verhältnisse teilweise auf ihre Mühlen zu lenken.

Obwohl die AfD im Bund aufgrund interner Querelen geschwächt und in Sachsen-Anhalt von Neonazis durchsetzt ist, erreicht sie in den derzeitigen Umfragen deutlich mehr als zwanzig Prozent und steht an zweiter Stelle hinter der CDU. Mitte Mai lag sie einmal sogar knapp vor der CDU.

SPD, Grüne, FDP und Linke erreichen in den Umfragen alle um die 10 Prozent. Für die Grünen und die FDP, die bei der letzten Wahl den Einzug in den Landtag knapp verfehlte, bedeutet dies einen Zuwachs, für die SPD einen leichten und für die Linke einen schweren Verlust. 2006 und 2011 hatten jeweils noch 24 Prozent für die Linkspartei gestimmt. 2016 waren es 16 Prozent.

Sachsen-Anhalt hat sich nie von dem Kahlschlag nach der Wiedervereinigung vor 31 Jahren erholt, der zehntausende industrielle Arbeitsplätze vernichtete. Die soziale Krise hat sich unter der Kenia-Koalition weiter verschärft. Hatten 2016 vor der letzten Wahl noch 47 Prozent der Bevölkerung die wirtschaftliche Lage als gut eingestuft, waren es im April dieses Jahres nur noch 33 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 7,5 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 5,9 Prozent. Die Corona-Pandemie hat die Krise weiter vertieft.

Zahlreiche, vor allem jüngere Einwohner sind abgewandert. Lebten 1990 noch 2,9 Millionen Menschen in Sachsen-Anhalt, sind es heute gerade noch 2,2 Millionen. Ihr Durchschnittsalter ist mit 48 Jahren das höchste aller Bundesländer. Bei der Bundestagswahl 2017 kamen auf einen 18- bis 29-jährigen Wahlberechtigten 2,4 über 70-jährige. Das Statistische Landesamt geht davon aus, dass die Einwohnerzahl bis 2030 um weitere 11 Prozent sinken wird.

Das Bundesland ist stark ländlich geprägt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Orten mit weniger als 20.000 Einwohnern. Bei der Wirtschaftsleistung bildet Sachsen-Anhalt gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern das bundesweite Schlusslicht. Mit 28.700 Euro pro Kopf liegt das Bruttoinlandsprodukt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 40.100 Euro. Entsprechen niedrig ist der Lebensstandard.

Was alle im Landtag vertretenen Parteien zusammenschweißt, ist die Angst vor einem sozialen Aufstand gegen diese unhaltbaren Zustände. Deshalb fördern und stärken sie die AfD. Die ständigen Beteuerungen von Ministerpräsident Haseloff, man werde auch nach dieser Wahl auf keinen Fall mit der AfD zusammenarbeiten, sind reine Lippenbekenntnisse. Haseloff weiß, dass ein offenes Bekenntnis zur verhassten AfD die CDU im Land und im Bund massiv Stimmen kosten würde. Einer Umfrage zufolge lehnen selbst 77 Prozent der CDU-Wähler eine Zusammenarbeit mit der AfD ab.

In Wirklichkeit hat die CDU-Landtagsfraktion bereits in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder Anläufe für eine Regierungszusammenarbeit mit der AfD unternommen. Bereits im August 2017 stimmten weite Teile der CDU-Fraktion gemeinsam mit der AfD dafür, eine Enquete-Kommission zur Untersuchung von Linksextremismus zu bilden.

Im Sommer 2019 verfassten die stellvertretenden CDU-Fraktionschefs Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer eine „Denkschrift“, die offen für eine Koalition mit der AfD plädierte. Die Wähler der beiden Parteien verfolgten ähnliche Ziele, hieß es darin. Es müsse „wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“ – eine unmissverständliche Anspielung auf den Nationalsozialismus. Heute sei in der Partei zu hören, „das Papier sei inhaltlich richtig und wichtig gewesen“, berichtet der Spiegel. Thomas und Zimmer kandidieren bei der Landtagswahl auf den Listenplätzen 3 und 4.

Vorreiter dieser Linie ist Holger Stahlknecht, seit 2011 Innenminister und seit 2018 CDU-Vorsitzender des Landes. Er ließ keine Gelegenheit aus, seine rechtsextremen Sympathien zur Schau zu stellen. So wollte er den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, eine Galionsfigur der extremen Rechten, zum Staatssekretär ernennen, und ruderte erst nach heftigen Protesten zurück.

Stahlknecht war auch dafür verantwortlich, dass die Synagoge in Halle völlig ungeschützt war, als der Rechtsterrorist Stephan Balliet dort 2019 ein Attentat verübte und nur eine starke Holztür ein Massaker verhinderte. Später klagte Stahlknecht vor Polizisten, dass sie wegen der Bewachung jüdischer Einrichtungen nicht anderswo eingesetzt werden könnten – was heftige Proteste jüdischer Organisationen auslöste.

Als bekannt wurde, dass Robert Möritz, Vorstandsmitglied des CDU-Kreisverbands Anhalt-Bitterfeld und Kommunalwahlkandidat der CDU, als Neonazi in rechtsterroristischen Kreisen aktiv gewesen war, nahm ihn Stahlknecht öffentlich in Schutz.

Im Frühjahr letzten Jahres protestierten 100 Flüchtlinge in Halberstadt mit einem Hungerstreik gegen ihre unmenschliche Behandlung durch Stahlknechts Innenministerium. In der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber waren rund 850 Personen eingesperrt und von Polizisten und Sicherheitsleuten bewacht worden, ohne dass sie sich gegen das Corona-Virus schützen konnten.

Erst als die CDU-Landtagsfraktion im Dezember letzten Jahres gemeinsam mit der AfD eine Erhöhung der jährlichen Rundfunkgebühr blockierte und Stahlknecht dies in einem Interview öffentlich verteidigte, gab ihm Haseloff den Laufpass, um die Koalition mit SPD und Grünen zu retten. Diese stimmten nun ihrerseits gegen die Gebührenerhöhung, um den Koalitionsfrieden zu bewahren. Die AfD hatte ihr Ziel trotz Stahlknechts Rücktritt erreicht.

Auch die Bundes-CDU steht – trotz anderweitiger Lippenbekenntnisse – bereit für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Das zeigt die strikte Weigerung ihres Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Armin Laschet, gegen den „AfD-Sympathisanten mit CDU-Parteibuch“ (Spiegel) Max Otte vorzugehen.

Der Ökonom und Fonds-Manager wurde am vergangenen Samstag zum Vorsitzenden der WerteUnion gewählt, einem Zusammenschluss von 4000 erzkonservativen CDU- und CSU-Mitgliedern, dem auch der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen angehört.

Otte hat aus seinen Sympathien für die AfD nie ein Geheimnis gemacht. Er leitete bis zum Januar drei Jahre lang das Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, hielt Vorträge vor der AfD-Bundestagsfraktion und organisiert jedes Jahr das Neue Hambacher Fest, auf dem sich Unions- und AfD-Abgeordnete treffen. Bereits 2017 hatte er öffentlich angekündigt, AfD zu wählen. Als 2019 der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Neonazi ermordet wurde, bestritt er den rechtsextremen Hintergrund der Tat. Selbst der damalige WerteUnion-Vorsitzende Alexander Mitsch hatte deshalb seinen Ausschluss gefordert.

Trotzdem antwortete Laschet auf die Frage nach einem möglichen Parteiausschlussverfahren gegen Otte, dies sei „für uns kein Thema, weil die WerteUnion kein Thema ist“. Mit anderen Worten: Laschet lässt die AfD-Sympathisanten in der Union gewähren, weil er selbst Interesse an einer starken AfD und einer möglichen Regierungszusammenarbeit mit ihr hat.

In Sachsen-Anhalt wird die AfD vom völkischen „Flügel“ dominiert, der sich inzwischen offiziell aufgelöst hat, aber politisch weiterhin den Ton angibt. Sie plakatiert „Unser Land – unsere Regeln“ und „Schluss mit dem Lockdown-Irrsinn“. Sie fordert das Ende von Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge und propagiert die Parolen der Corona-Leugner. Björn Höcke, der Frontmann des „Flügels“ aus dem benachbarten Thüringen, ist im Wahlkampf im Dauereinsatz. Trotz Corona führt die AfD Kundgebungen durch. Gegendemonstranten droht sie mit Gewalt.

Unter den Landtagskandidaten finden sich bekannte Neonazis. So identifizierte die Sendung „Fakt“ des MDR Mathias Knispel, der auf Listenplatz 25 kandidiert, als Teilnehmer einer Demonstration von 700 Rechtsextremen, die im November 2018 in Magdeburg u.a. Freiheit für die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck forderte.

Auf Listenplatz 26 kandidiert Maximilian Tischer, Ex-Soldat und enger Freund von Franco A., der gegenwärtig in Frankfurt wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor Gericht steht. Tischers Schwester ist A.s Partnerin und hat mit ihm ein gemeinsames Kind. Maximilian Tischer wurde vorübergehend selbst festgenommen, weil er A. bei der Vortäuschung seiner falschen Flüchtlingsidentität half und wie dieser in rechtsextremen Prepper-Gruppen aktiv war, die Todeslisten von politischen Gegnern für einen „Tag X“ führten. Er wurde trotzdem wieder freigelassen.

Seither arbeitet er für den AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte, der ihm Zugang zum Bundestag verschaffte, leitet den Landesfachausschuss der AfD zur Außen- und Sicherheitspolitik in Sachsen-Anhalt und sitzt im dortigen Landesvorstand der AfD-Jugend.

Grüne, SPD und Linkspartei sind uneingeschränkt mit dafür verantwortlich, dass sich diese rechte Verschwörung ungehindert entfalten kann. Die SPD hat zehn und die Grünen haben fünf Jahre lang gemeinsam mit der CDU regiert und der Öffentlichkeit vorgegaukelt, es handle sich um ein „Bollwerk gegen rechts“. Tatsächlich handelt es sich um ein rechtes Bollwerk gegen die Arbeiterklasse.

Auch die Linkspartei hätte mitgemacht, wenn sie gefragt worden wäre. Bereits ihre Vorgängerin PDS hatte in Sachsen-Anhalt ihre erste Regierungsbeteiligung geprobt. Im sogenannten „Magdeburger Modell“ unterstützte sie von 1994 bis 1998 eine SPD-Minderheitsregierung, unter der die offizielle Arbeitslosenquote auf 20 Prozent stieg. Ihr Führungsmitglied Sahra Wagenknecht vertritt in ihrem jüngsten Buch „Die Selbstgerechten“ politische Standpunkte, die sich kaum von jenen der AfD unterscheiden.

Im Landtag arbeiten bereits jetzt alle Parteien eng mit der AfD zusammen. So werden die Landtagsausschüsse für „Arbeit, Soziales und Integration“, „Inneres und Sport“ und „Landesentwicklung und Verkehr“ von Abgeordneten der AfD geführt. Ihre Stellvertreter kommen jeweils von den Grünen und der CDU. Den Ältestenrat bildet die Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU) zusammen mit den beiden Landtagsvizepräsidenten Wulf Gallert von der Linkspartei und Willi Mittelstädt von der AfD.

Dasselbe ist im benachbarten Thüringen der Fall. Dort führt die Linke eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung an, die von der CDU toleriert wird, und kooperiert selbst mit der AfD. Sie arbeitet in den Landtagsausschüssen mit den Faschisten zusammen und wählt sie in hohe Ämter. Im vergangenen Februar machte der „linke“ Ministerpräsident Bodo Ramelow den AfD-Mann Michael Kaufmann mit seiner Stimme zum Vizepräsidenten des Landtags.

Was für Sachsen-Anhalt gilt, gilt auch für die Bundestagswahl. Alle Parteien, die bereits im Bundestag sitzen, bereiten massive Angriffe auf die Arbeiterklasse und die Jugend vor – um die vierstelligen Milliardenbeträge wieder einzusparen, die in der Coronakrise an die Banken und Konzerne verschenkt wurden; um die massive Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren und neue Kriege vorzubereiten; um durch die Aufrüstung von Polizei und Geheimdienst sozialen Widerstand zu unterdrücken; und um die „Profite vor Leben“-Politik in der Pandemie fortzusetzen, die allein Deutschland fast 90.000 Tote gefordert hat.

Die AfD wird – unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt – in der nächsten Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen. Als Stichwortgeber, der die politische Linie vorgibt, wie es bereits jetzt der Fall ist, oder als Regierungsmitglied.

Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Mehrheit über die Profitinteressen der Reichen stellt, kann die Gefahr von rechts stoppen. Die Sozialistische Gleichheitspartei, die deutsche Sektion der Vierten Internationale, tritt als einzige Partei mit einem sozialistischen Programm zur Bundestagswahl an, um eine solche Bewegung aufzubauen.

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