Vorsitzende der US-Lehrergewerkschaft AFT fordert Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts an allen US-Schulen

Die Vorsitzende der Gewerkschaft American Federation of Teachers (AFT), Randi Weingarten, hielt am Donnerstagmorgen eine einstündige Rede, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einer vollständigen Wiederöffnung aller amerikanischen Schulen im Herbst stand. Daneben schürte sie Illusionen in die staatlichen Konjunkturprogramme der Biden-Regierung.

Die Rede verdeutlichte den korporatistischen Charakter der Gewerkschaftsbürokratie, die von Biden und den Demokraten immer enger in den Staatsapparat eingebunden wird, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Weingarten, die im Nationalkomitee der Demokraten (DNC) sitzt und ein Vorstandsgehalt von etwa 500.000 Dollar bezieht, verkörpert die Schicht von Gewerkschaftsbürokraten aus dem gehobenen Kleinbürgertum, die den Interessen der Arbeiter, die sie angeblich vertreten, durch und durch feindselig gegenüberstehen.

Die Vorsitzende der American Federation of Teachers, Randi Weingarten, bei einer Pressekonferenz am 8. September 2020 (AP Photo/Mark Lennihan)

Weingarten hielt ihre Rede am gleichen Tag, an dem die Seuchenschutzbehörde CDC neue Richtlinien festlegte, nach denen Geimpfte in geschlossenen Räumen keine Masken mehr tragen müssen. Gleichzeitig schaffen Bundesstaaten im ganzen Land alle Einschränkungen zur Eindämmung von Covid-19 in Schulen und Unternehmen ab. Ein praktizierender Arzt erklärte gegenüber der WSWS: „Die Aufhebung der Maskenpflicht wird den völligen Verzicht auf alle Maßnahmen zum Schutz der Menschen fördern. Die Hälfte der Bevölkerung und fast alle Kinder sind noch immer nicht geimpft. Täglich gibt es Hunderte Todesfälle und Zehntausende Neuinfektionen. Das ist eine gefährliche Entwicklung.“

Die Mainstreammedien und das politische Establishment haben die Aufhebung der Maskenpflicht zum Anlass genommen, die vollständige Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts zu fordern und die Lüge zu verbreiten, die Pandemie sei in Amerika weitgehend überstanden. Tatsächlich sind jedoch in den USA noch immer fast 40.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, und täglich sterben etwa 650. Zudem breiten sich weltweit infektiösere Varianten, die möglicherweise gegen den Impfstoff resistent sind, unkontrolliert aus.

Zweifellos wurde Weingartens Redemanuskript von Vertretern des Weißen Hauses abgesegnet, mit denen sie seit Bidens Amtseinführung am 20. Januar eng zusammenarbeitet. Bildungsminister Miguel Cardona erklärte letzte Woche in einem Interview mit MSNBC: „Ich erwarte, dass alle Schulen uneingeschränkt und für alle Schüler geöffnet werden.“

Weingarten äußerte sich ähnlich. Sie begann ihre Rede mit einem Ultimatum: „Es besteht kein Zweifel daran, dass die Schulen geöffnet werden müssen. Mit Präsenzunterricht und fünf Tage die Woche.“ Dies bekräftigte sie mehrfach: „Wir können und wir müssen im Herbst den Präsenzunterricht, Lernen und Unterstützung wieder aufnehmen und die Schulen offen halten. Vollständig und sicher, fünf Tage die Woche.“ Später fügte sie hinzu: „Angesichts der derzeitigen Umstände sollte nichts einer vollständigen und dauerhaften Öffnung unserer öffentlichen Schulen im Herbst im Weg stehen.“

Weingarten machte gleich zu Beginn ihrer Rede deutlich, was die zentrale Absicht dieser Kampagne ist: Eltern sollen zur Rückkehr an die Arbeit gezwungen werden, um die größtmöglichen Profite für die Finanzoligarchie zu erwirtschaften: „Die Eltern verlassen sich darauf, dass Schulen nicht nur ihre Kinder ausbilden, sondern auch, dass sie arbeiten gehen können – wie z. B. die drei Millionen Mütter, die während der Pandemie aus der Erwerbsbevölkerung ausgeschieden sind.“

Weingartens verbreitete das Ammenmärchen, die Schulöffnungen seien unter der Trump-Regierung chaotisch verlaufen, würden unter Biden jedoch harmonisch stattfinden. Gleichzeitig gab sie zu, dass die Gewerkschaften unter beiden Regierungen den Prozess begünstigt haben: „Die Trump-Regierung hat die Sicherheit politisiert und die Wissenschaft geschwächt. Deshalb waren wir von Ende April letzten Jahres bis zum 19. Januar 2021 damit beschäftigt, die Schulen in einem Klima von Chaos, Angst und Fehlinformationen öffnen zu wollen, während eine Welle der Pandemie die nächste jagte. Zum Glück hat die Biden-Regierung den Kurs geändert und bekämpft die Pandemie mit Wissenschaft, Wahrheit, Transparenz und, ja, auch mit Geld.“

Dieses Narrativ klammert die katastrophalen Folgen der Schulöffnungen für Lehrkräfte, Eltern, Schüler und die gesamte Gesellschaft ebenso aus wie den massiven Widerstand gegen die Forcierung der Schulöffnungen unter Biden.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Öffnung der Schulen direkt zu einer Zunahme der Infektionen und Todesfälle in den jeweiligen Kommunen führt. Laut einer jüngeren Studie hat die Öffnung der Schulen in Texas im letzten August in den ersten acht Wochen zu mindestens 43.000 zusätzlichen Infektionen und 800 Toten im gesamten Bundesstaat geführt. Education Week schrieb dazu: „Bis zum 10. Mai 2021 sind mindestens 937 aktive und ehemalige Lehrer und Schulpersonal an Covid-19 gestorben.“

Unter Trump weigerten sich die AFT und die National Education Association (NEA), irgendeine Art von Kampf gegen die Schulöffnungen zu organisieren. Ende Juli verabschiedete die AFT eine Resolution, die ausdrücklich nur „lokale oder bundesstaatliche Sicherheitsstreiks, nur von Fall zu Fall und nur als letzte Option“ genehmigte. Als im Herbst spontane Streiks ausbrachen, hielten beide Gewerkschaften sie isoliert und gaben ihnen keinerlei Unterstützung. Angesichts dieser Isolation gründeten mehr als 100.000 Lehrkräfte und Eltern im ganzen Land Facebook-Gruppen, um Proteste zu organisieren, die von AFT und NEA nicht einmal erwähnt wurden.

Angesichts des enormen Widerstands der Lehrkräfte sahen sich die meisten großen, von den Demokraten geführten Schulbezirke gezwungen, im Herbst vollständig beim Distanzunterricht zu bleiben. Nach Bidens Amtseinführung arbeiteten die Gewerkschaften und die Demokraten zusammen daran, dies rückgängig zu machen. Der erbittertste Kampf fand in Chicago statt, dem drittgrößten Schulbezirk der USA mit etwa 340.000 Schülern. Kurz nach dem Verrat der Chicago Teachers Union (CTU) erklärte Weingarten gegenüber der New York Times, sie telefoniere täglich bis zu 15 Stunden mit dem Weißen Haus, der CDC und den lokalen Gewerkschaftsfunktionären, um die vollständige Öffnung der Schulen zu koordinieren.

Sowohl unter Trump als auch unter Biden hat sich die Bundesregierung in krimineller Weise geweigert, Infektionen und Todesfälle durch Covid-19 im Zusammenhang mit Schulen zurückzuverfolgen. Allerdings haben die Gesundheitsbehörden vor Kurzem in aller Stille Schätzungen veröffentlicht, laut denen sich 26,7 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mit dem Virus infiziert haben, d. h. mehr als ein Drittel der gesamten US-Bevölkerung in dieser Altersgruppe. Die jüngsten Studien zeigen, dass etwa 10 bis 15 Prozent aller infizierten Minderjährigen „Long Covid“ entwickeln, sodass allein in den USA bis zu vier Millionen Kinder und Jugendliche davon betroffen sein könnten. Zweifellos passierte ein Großteil dieser Infektionen in den Schulen.

Anders als Weingarten es darstellt, hat die Biden-Regierung weiterhin die Wissenschaft im Interesse der Wirtschaftselite verzerrt. Biden selbst hat ganz offen über die Gefährdung von Kindern gelogen und einem Zweitklässler auf CNN erzählt: „Kinder bekommen nicht oft Covid. Das ist selten.“

Im Rest ihrer Rede bemühte sich Weingarten, Illusionen zu schüren, dass die Biden-Regierung das öffentliche Bildungswesen deutlich verbessern wird: „Wir können eine Renaissance in den öffentlichen Schulen Amerikas anstoßen, die das Leben der Jugendlichen und den Kurs unseres Landes ändern wird.“

Sie verlas eine lange Liste von weiteren Unterstützungsmaßnahmen für Schüler, Lehrer und Schulpersonal, die angeblich Teil des 125 Milliarden Dollar umfassenden Bildungspakets sind, das über den American Rescue Plan Act (ARPA) verteilt werden soll. Diese Liste ist in vielerlei Hinsicht eine Ergänzung zu Bidens Rede zur Lage der Nation vom 28. März, die die World Socialist Web Site als „Politik der goldenen Mitte – alles für alle“ charakterisiert hat.

In Wirklichkeit werden die Mittel des ARPA über zweieinhalb Jahre verteilt, d. h. im Durchschnitt nur 50 Milliarden Dollar pro Jahr oder 1.000 pro Schüler. Laut konservativen Schätzungen des Learning Policy Institute vom Juli 2020 werden die Bundesstaaten zwischen 200 und 300 Milliarden Dollar brauchen, um ihre Etats für den Unterricht bis zur zwölften Klasse zu stabilisieren und um auch nur einen Teil der zusätzlichen Kosten in den nächsten eineinhalb Jahren zahlen zu können.

Weingarten streute auch Rassen- und Identitätspolitik in ihre Rede mit ein. Diese ist Teil der zunehmend aggressiven Versuche der Lehrergewerkschaften, Demokraten und der Medien, die tieferen Ursachen der Krise des kapitalistischen Systems zu vertuschen. Weingarten erklärte: „Vor allem Rassenungerechtigkeit war eine ,Pandemie innerhalb der Pandemie‘.“ Sie forderte die verstärkte Einstellung von „farbigen Lehrkräften“. Die AFT und die NEA propagieren, das „1619 Project“ der New York Timesals Geschichtslehrplan für Schulen im ganzen Land zu benutzen. Die WSWS hat dieses Projekt als pure Geschichtsfälschung entlarvt.

Weingartens Versuche, Illusionen in die Biden-Regierung zu schüren und zu behaupten, die Pandemie sei fast vorbei, wird bei Lehrkräften, Eltern und Schülern auf keine große Resonanz stoßen. Sie haben das schlimmste Jahr der jüngeren Geschichte durchgemacht und sind dabei von den Gewerkschaften völlig im Stich gelassen worden.

Sehr viele Lehrkräfte und andere Arbeiter erkennen die Unterwürfigkeit der Gewerkschaften und der Demokraten gegenüber den Forderungen der Kapitalistenklasse nach einer Öffnung der Schulen und haben sich im vergangenen Jahr zunehmend radikalisiert. Die weitsichtigsten und militantesten haben in Städten und Bundesstaaten im ganzen Land und weltweit von den Gewerkschaften und beiden Parteien des Großkapitals unabhängige Netzwerke von Aktionskomitees gebildet. Darunter befinden sich Lehrkräfte und zahlreiche weitere Teile der Arbeiterklasse, u.a. Arbeiter der Autokonzerne, von Amazon und von Verkehrsbetrieben.

Michael Hull, ein Lehrer und Mitglied des Texas Educators Rank-and-File Safety Committee, erklärte zu Weingartens Rede: „Statt für besseren Distanzunterricht und Zahlungen an Arbeiterfamilien zu kämpfen, vertritt sie weiterhin die Back-to-Work- und Back-to-School-Narrative der Wall Street. Mit solchen Betrügern an der Spitze gibt es für Arbeiter keinen Weg vorwärts. Wir müssen unabhängig von Organisationen wie der AFT kämpfen, die faktisch in den etablierten Flügel der Demokraten integriert wurden, um als kontrollierte Opposition zu agieren.“

Um die Pandemie einzudämmen, müssen alle Schulen und nicht systemrelevanten Arbeitsstätten geschlossen werden und alle Arbeiter und ihre Familien ausreichend finanzielle Unterstützung erhalten. Die Mittel für allgemeine Tests, Kontaktverfolgung und die Isolierung aller infizierten Patienten müssen erhöht werden. Die Produktion und Verteilung der Impfstoff muss deutlich ausgeweitet und das Profitmotiv eliminiert werden, um die gesamte Weltbevölkerung sicher impfen zu können.

Für die Durchsetzung dieses Programms ist es von entscheidender Bedeutung, dass Arbeiter in allen Branchen Aktionskomitees gründen, um ihren Kampf über Bundesstaats- und Landesgrenzen hinweg zu koordinieren. Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) wurde zu eben diesem Zweck gegründet, und alle Lehrkräfte und Arbeiter, die für die Rettung von Menschenleben kämpfen wollen, sollten noch heute beitreten und ein Komitee an ihrer Schule oder ihrem Arbeitsplatz aufbauen.

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