Bremer Bamf-Affäre: Ein inszenierter Skandal

Am 20. April ist das Strafverfahren gegen die ehemalige Leiterin der Außenstelle Bremen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Damit ist der Skandal um angeblich massenhaft ausgestellte, positive Asylbescheide in sich zusammengebrochen. Er war zuvor gnadenlos benutzt worden, um die rassistischen und ausländerfeindlichen Parolen der AfD politisch umzusetzen.

Das Landgericht Bremen hat nun bekannt gegeben, dass sich alle Seiten auf die Einstellung des Verfahrens geeinigt haben und die Beschuldigte Ulrike B. nur die Auflage erhalten hat, 10.000 Euro zu zahlen.

Vor dem Landgericht war schon lange nicht mehr wegen angeblichen Asylbetrugs oder illegaler Einschleusung von Flüchtlingen verhandelt worden. Zuletzt ging es nur noch um wenige Fälle von Verstößen gegen das Dienstgeheimnis, Dokumentenfälschung und Vorteilsnahme, wobei der Vorwurf hier lautete, dass Ulrike B. zwei Hotelübernachtungen in Höhe von jeweils 65 Euro nicht selbst bezahlt habe. Mit der Einstellung des Verfahrens hat sich das Gericht die Peinlichkeit erspart, diese Petitessen strafrechtlich zu bewerten.

Die Bremer Bamf-Affäre war systematisch aufgebauscht worden, um die Axt an das Grundrecht auf Asyl zu legen. Als „liberal“ geltende Medien wie die Süddeutsche Zeitung, der Norddeutsche Rundfunk, die Zeit und der Spiegel beteiligten sich an der Kampagne wegen angeblich massenhaftem Asylbetrug. Mit der Skandalisierung völlig rechtmäßiger Asylbescheide wurden dann die Drangsalierung von Flüchtlingen in abgeschirmten „Ankerzentren“ und eine erbarmungslose Deportationspolitik gerechtfertigt.

Begonnen hatte die Bremer Bamf-Affäre am 20. April 2018, als die Staatsanwaltschaft Bremen in einer Pressemitteilung über Hausdurchsuchungen und Ermittlungen wegen des Verdachts „bandenmäßiger Verleitung zu missbräuchlicher Asylantragstellung“ informierte. Parallel dazu berichteten die Süddeutsche Zeitung, der Norddeutsche Rundfunk und Radio Bremen reißerisch über einen „weitreichenden Skandal“ bei der Bearbeitung von Asylanträgen in der Bamf-Außenstelle Bremen und warfen den Verdacht der Korruption und des Asylbetrugs in den Raum. Dabei war von 1200, an anderer Stelle gar von 2000 illegal ausgestellten positiven Asylbescheiden die Rede.

Das für seine Hetze gegen Ausländer berüchtigte Boulevardblatt Bild sprang rasch auf den fahrenden Zug auf und erklärte das Bamf kurzerhand zum „Bundesamt für Durchwinken“. Bild berichtete, eine „korrupte Bamf-Beamtin“, die Leiterin der Außenstelle Bremen, habe zusammen mit zwei Rechtsanwälten illegal Asylverfahren an sich gerissen und ganze Busladungen Flüchtlinge nach Bremen gekarrt.

Unterschlagen wurde dabei, dass es sich bei der angeblich „bandenmäßigen Asylerschleichung“ um jesidische Flüchtlinge aus dem Irak handelte, die wegen ihrer massiven Verfolgung durch den „Islamischen Staat“ (IS) einen Anspruch auf Asyl hatten, und dass die Busfahrten von den niedersächsischen Landkreisen angeordnet worden waren, weil die Außenstelle Bremen im Rahmen eines Erlasses des Bamf Amtshilfe für die überlasteten Regionalstellen in Niedersachsen leistete.

Pikanterweise wurde dieser Erlass der internen Revision des Bundesamtes vorenthalten, die 1317 Asylverfahren untersuchte. Sie meldete am 11. Mai 2018, die Bremer Außenstelle sei für 90 Prozent der Fälle gar nicht zuständig gewesen und der überwiegende Teil der untersuchten Asylverfahren habe zu rechtswidrigen Entscheidungen geführt.

Weiter behauptete die Innenrevision, es habe sich bei den Asylantragstellern teilweise um „auffällig gewordene Clan-Mitglieder“ gehandelt, was das Verhalten der Leiterin der Bremer Außenstelle in ein noch kriminelleres Licht rückte.

Durch diesen Bericht wurde Ulrike B. als schuldig vorverurteilt. Tatsächlich musste die Innere Revision den Bericht bald kleinlaut zurückziehen, da eine Überprüfung sämtlicher 18.315 positiven Asylbescheide der Bremer Außenstelle in den Jahren 2013 bis 2017 ergab, dass nur 165 oder 0,9 Prozent zu bemängeln waren.

Trotzdem stellte die Bremer Staatsanwaltschaft die größte Ermittlungsgruppe der Nachkriegszeit zusammen. An der 44-köpfigen „EG-Antrag“ wurden auch Beamte aus Niedersachsen, der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes und des Bamf beteiligt. Mehr als 16 Monate lang durchforstete die Ermittlungsgruppe Akten, hörte das Smartphone von Ulrike B. ab und ermittelte gegen Flüchtlinge.

Am Ende blieben 121 Fälle übrig, mit denen die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bremen Anklage erhob. Doch das Gericht bügelte die Staatsanwaltschaft im November 2020 ab und ließ die vorgebrachten angeblichen Asylrechtsverstöße nicht zur Verhandlung zu. Denn selbst bei diesen 121 Fällen wurde der Widerruf der Asylanerkennung durch das Bamf von den Verwaltungsgerichten größtenteils wieder einkassiert.

Mehr noch, die Staatsanwaltschaft in Bremen ermittelt nun gegen die eigene „EG-Antrag“ wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung. Ein anonymer Hinweisgeber, der selbst zur „EG-Antrag“ gehört hatte, meldete, dass bewusst einseitig ermittelt und entlastendes Material nicht berücksichtigt worden sei. In der Ermittlungsgruppe hatte sich zuvor Verzweiflung breit gemacht, da die Ermittlungsergebnisse nicht zu den erhobenen Vorwürfen passten und klar wurde, dass die Asylentscheidungen rechtlich nicht zu beanstanden waren.

Auf politischer Ebene entfaltete die sorgsame Inszenierung eines Asylskandals jedoch enorme Wirkung. Am 29. Mai 2018 entschuldigte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Bevölkerung – nicht für die offenkundig falschen Beschuldigungen und Vorverurteilungen, sondern für den „handfesten, schlimmen Skandal“ beim Bamf in Bremen. Seehofer verbot den Entscheidern in Bremen über Monate, Asylentscheidungen zu treffen. Sein Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) behauptete in der ARD-Talksow „Anne Will“ gar allen Ernstes, Bamf-Mitarbeiter hätten „hochkriminell und bandenmäßig“ gehandelt.

Seehofer und Mayer waren damals erst einen Monat im Amt, nachdem sich Union und SPD hinter verschlossenen Türen auf die erneute Bildung einer Großen Koalition geeinigt hatten, was die AfD zur Oppositionsführerin im Deutschen Bundestag machte.

Seehofer, der seit 2016 für eine massive Begrenzung des Flüchtlingszuzugs eintrat, sollte in der neuen Koalition dafür sorgen, dass die AfD-Forderung nach einer restriktiven Flüchtlingspolitik umgesetzt wurde. Die aufgebauschte Bremer Bamf-Affäre diente dabei, wie zuvor schon die Kölner Silvesternacht 2015, dazu, die Anteilnahme und Sympathie zu untergraben, die breite Bevölkerungsschichten für Flüchtlinge hegten.

Die widerwärtigen Hetzkampagnen halfen Seehofer, seinen im Juli 2018 vorgelegten „Masterplan Migration“ durchzusetzen. Zu den 63 Punkten des Plans gehört die Errichtung von Ankerzentren, in denen Flüchtlinge zusammengepfercht und Asylverfahren ohne ordentlichen Rechtsschutz im Schnellverfahren durchgepeitscht werden.

Außerdem entwickelte Seehofer eine brutale Abschiebepolitik. So wurden im Juli 2018 erstmals seit Jahren wieder abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan deportiert. „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden“, feixte Seehofer auf einer Pressekonferenz, während sich gleichzeitig ein Deportierter unmittelbar nach Ankunft des von der Bundesregierung gecharterten Flugzeugs in Kabul erhängte.

Im Juni 2019 verabschiedete der Bundestag das von Seehofer eingebrachte „Geordnete Rückkehr-Gesetz“, das die Gründe für eine Abschiebung massiv erweitert, selbst Bagatelldelikte als Abschiebegrund gelten lässt, die Möglichkeiten zur Anordnung von Abschiebehaft drastisch ausweitet und die Trennung von Abschiebehaft- und Strafhaftanstalten aussetzt, obwohl die getrennte Unterbringung 2014 vom Europäischen Gerichtshof vorgeschrieben worden war. Flüchtlinge werden damit Kriminellen gleichgesetzt.

Anfang März 2020 stellte sich Seehofer ausdrücklich hinter das brutale Vorgehen der griechischen Regierung, die an der türkisch-griechischen Grenze mit scharfer Munition gegen Flüchtlinge vorging. Zusammen mit seinen EU-Amtskollegen beschloss Seehofer ein Bündel von Maßnahmen, um die griechische Regierung bei der Abschottung der Grenzen zu unterstützen.

Auch dem Bamf verordnete Seehofer einen deutlich flüchtlingsfeindlicheren Kurs. Im Zuge der Bremer Affäre rollten am 15. Juni beim Bundesamt die Köpfe. Die parteilose Präsidentin Jutta Cordt und die gesamte oberste Führungsriege wurden geschasst. An die Stelle von Cordt trat am 21. Juni 2018 mit Hans-Eckhard Sommer ein Parteigänger Seehofers und Hardliner in der Flüchtlingspolitik. Unter Sommer wurde das Bamf rigoros auf Flüchtlingsabwehr getrimmt.

Die Anerkennungskriterien bei den Asylverfahren wurden geändert, um die Zahl positiver Entscheidungen zu senken. Mit der politisch gewollten Reduzierung der Schutzquote rechtfertigt Seehofer nun die weitere Abschottung der EU-Außengrenzen, da immer weniger schutzbedürftige Flüchtlinge nach Deutschland kämen.

Die Qualität der Asylentscheidungen hat sich weiter zu Ungunsten der Asylbewerber verschlechtert. Im letzten Jahr haben Verwaltungsgerichte in mehr als 20.000 Fällen Ablehnungsbescheide des Bamf einkassiert, weil den Flüchtlingen ein Schutzstatus rechtswidrig verweigert worden war. Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete Mitte April, dass bei Flüchtlingen aus Afghanistan sogar fast zwei Drittel der inhaltlich geprüften Ablehnungsbescheide von den Gerichten wieder aufgehoben werden.

Die inszenierte Bremer Bamf-Affäre hatte den Zweck, die flüchtlingsfeindliche Politik der AfD hoffähig zu machen. Die Hetze richtet sich dabei vordergründig gegen Flüchtlinge, Ziel sind aber die demokratischen Rechte der gesamten Arbeiterklasse. Die flüchtlingsfeindliche Politik der Bundesregierung dient als Hebel, um einen Polizeistaat gegen die wachsende Unzufriedenheit und Opposition der Bevölkerung aufzubauen.

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