Biden kündigt US-Truppenabzug aus Afghanistan an

US-Präsident Joe Biden kündigte am Mittwochnachmittag den Abzug der restlichen US-Truppen aus Afghanistan an. Er soll am 1. Mai beginnen und bis zum 11. September 2021 abgeschlossen sein.

Die Wahl des endgültigen Rückzugsdatums sollte die seit langem verbreitete Lüge bekräftigen, der Einmarsch und die Besetzung Afghanistans sei eine Reaktion auf die Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001 gewesen. In Wirklichkeit war der Angriff auf Afghanistan schon viel früher vorbereitet worden und diente der Erfüllung langfristiger strategischer Ziele des US-Imperialismus.

Doch Bidens Fernsehansprache und die mediale Berichterstattung darüber konnten die Atmosphäre der Sinnlosigkeit und des Versagens nicht beseitigen, das den endgültigen Abzug umgibt – sofern er überhaupt stattfindet.

Berichten zufolge hat Biden die Plädoyers von Vertretern des Pentagon und der CIA zurückgewiesen, den Rückzug an „Bedingungen“ zu knüpfen – d.h. an ein Abkommen zwischen den aufständischen Taliban und dem US-Marionettenregime in Kabul. Ein Bericht erklärte, gestützt auf einen anonymen „hochrangigen Regierungsvertreter“, Biden halte eine derartige Herangehensweise für ein „Rezept für eine ewige Besetzung Afghanistans.“

Biden warnte die Taliban zwar, im Zeitraum des Abzugs keine Angriffe auf Soldaten der USA oder ihrer Nato-Verbündeten zu unternehmen, deutete aber an, dass er seine Entscheidung unter keinen Umständen ändern werde. Er ließ lediglich die Drohung offen, das US-Militär gegen jede mögliche terroristische Bedrohung der USA einzusetzen – eine Warnung, die sich im Wesentlichen gegen jedes Land der Welt richten könnte.

Offiziell befinden sich 2.500 US-Soldaten und weitere 6.500 Soldaten anderer Nato-Staaten in Afghanistan, doch laut Presseberichten könnte die tatsächliche Zahl von US-Soldaten bei 3.500 liegen. Dies umfasst jedoch nicht die tausenden sonstigen Amerikaner, die als CIA-Agenten, Söldner oder Fallschirmjäger der Special Forces im Land sind. Vermutlich werden sie ihre Tätigkeiten fortsetzen, solange Washington es für notwendig hält, das Regime in Kabul zu stützen, das keine andere Unterstützerbasis hat.

Die USA werden auch weiterhin ungehindert in Afghanistan Drohnenangriffe durchführen, wie sie es auch in großen Teilen Zentralasiens, dem Nahen Osten und ganz Nordafrika tun.

Die Reaktionen im Kongress auf Bidens Entscheidung waren gemischt, orientierten sich jedoch nicht an Parteizugehörigkeiten. Einige Demokraten begrüßten die Entscheidung, vor allem diejenigen aus dem Sanders-Warren-Flügel. Verhaltene Unterstützung gab es von den Abgeordneten, die dem Militär am nächsten standen, darunter der Vorsitzende des Militärausschusses des Repräsentantenhauses Adam Smith und der Vorsitzende des Außenpolitikausschusses des Senats Robert Menendez. Senatorin Jeanne Shaheen (New Hampshire) vom Außenpolitikausschuss erklärte, sie sei „sehr enttäuscht“ von der Entscheidung und bezeichnete es als wahrscheinlich, dass die Regierung in Kabul zusammenbrechen werde.

Die Republikaner zeigten ihre Uneinigkeit öffentlich. Die überzeugtesten Trump-Anhänger im Senat wie Ted Cruz und Josh Hawley begrüßten den Abzug, Minderheitsführer Mitch McConnell bezeichnete ihn am Dienstag als Kapitulation vor dem Terrorismus: „Es handelt sich um einen Rückzug gegenüber einem noch unbesiegten Feind, um eine Abdankung der amerikanischen Führungsstärke.“

Außenminister Antony Blinken informierte den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani am Dienstag über Bidens Entscheidung und kündigte den Plan auch gegenüber seinen Nato-Amtskollegen vor dem Treffen in Brüssel an, bei dem ähnliche Maßnahmen von Deutschland und anderen Ländern ratifiziert werden sollen, die Truppen in Afghanistan stationiert haben.

Für Ghani kommt diese Ankündigung einem politischen Todesurteil gleich. Er erklärte, er werde sich erst nach Bidens offizieller Erklärung zum Abzug der US-Truppen äußern.

Hohe Vertreter der Biden-Regierung erklärten in informellen Gesprächen mit der Presse, die USA müssten sich von kleineren Konflikten wie jenem in Afghanistan ab- und wichtigeren strategischen Gegnern wie Russland und China sowie Nordkorea und dem Iran zuwenden. Einer von ihnen erklärte gegenüber der Washington Post: „Afghanistan ist derzeit einfach nicht so wichtig wie diese anderen Bedrohungen.“

In seiner Fernsehansprache am Mittwoch verwies Biden auf die 2.300 US-Soldaten, die in Afghanistan getötet wurden, die zehntausenden Verwundeten und die zwei Billionen Dollar, die der Krieg in den letzten zwanzig Jahren gekostet hat. Er erwähnte jedoch mit keinem Wort die katastrophalen Folgen für die afghanische Bevölkerung und Gesellschaft. In den letzten zwei Jahrzehnten hat der US-Imperialismus viele Gesellschaften zerstört, u.a. im Irak, Syrien, Libyen, dem Jemen und in großen Teilen von Nordafrika.

Die US-Medien erwähnten auch fast mit keinem Wort, wie viele Menschen Opfer der US-Truppen wurden. Stattdessen wurden Krokodilstränen über die Brutalität der Taliban und die Wahrscheinlichkeit schwerer Rückschläge für Frauenrechte vergossen, sollte die fundamentalistisch-religiöse Gruppierung in Kabul wieder die Macht erringen.

Einer der zynischsten Versuche, Bidens Entscheidung als humanitär und sogar progressiv darzustellen, kam von David Sanger, dem auserwählten Empfänger von Leaks der CIA und des Pentagon bei der New York Times. Er schrieb, einer der Gründe für den Abzug sei, dass sich Biden „auf Änderungen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der USA im Inneren konzentrieren will“. Er fügte hinzu, Bidens Prioritäten seien „der Kampf gegen Armut und rassistische Verhältnisse und eine Erhöhung der Investitionen in Breitbandleitungen, Halbleiter, künstliche Intelligenz und 5G-Kommunikation – nicht jedoch der Einsatz des Militärs zur Stärkung der Regierung von Präsident Ashraf Ghani.“ Zuletzt erklärte er: „Letzten Endes hat sich das Argument durchgesetzt, dass die Zukunft von Kenosha wichtiger ist als die Verteidigung von Kabul.“

Die Ressourcen, die der US-Imperialismus bisher in Afghanistan verschwendet hat, werden jedoch nicht in den Wiederaufbau deindustrialisierter Städte im Mittleren Westen der USA fließen. Stattdessen werden sie gegen die Hauptziele Washingtons eingesetzt werden, gegen Russland und China.

Anthony Cordesman, einer der wichtigsten Analysten des US-Imperialismus von der Denkfabrik Center for Strategic and International Studies, veröffentlichte kurz vor Bidens formeller Ankündigung eine seiner typischen unverblümten und blutrünstigen Kolumnen, in der er die wahren strategischen Ziele Washingtons darlegte. Er wies darauf hin, dass die Taliban an Kraft gewinnen, während das Regime in Kabul „hoffnungslos zerstritten, korrupt und ineffizient“ sei.

Cordesman sprach sich nicht nur für den Rückzug der Truppen aus, sondern für die Einstellung sämtlicher militärischer und ziviler Hilfe: „Es wird eine Tragödie sein, aber es ist Zeit für das strategische Äquivalent zu einem Gnadentod.“

Afghanistan, fuhr er fort, werde vermutlich als US-amerikanische Niederlage angesehen werden, doch „der erste Vorzug besteht darin, die Last Afghanistans zu verlagern und sich auf extremistische Aktivitäten an den Grenzen zu China, Russland, Pakistan und dem Iran zu konzentrieren.“ Mit anderen Worten, die Folgen der amerikanischen Intervention in Afghanistan dürften jetzt zu einem Problem für dessen Nachbarstaaten werden, die allesamt Ziele des US-Imperialismus sind.

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