Nach den Szenen, die sich an der Grenze zwischen den USA und Mexiko abspielen, muss die US-Regierung niemals mehr der Welt einen Vortrag über „Menschenrechte“ halten - der bevorzugte Vorwand, um in andere Länder einzumarschieren und ganze Gesellschaften zu zerstören.
Die Zahl der von der US-Regierung inhaftierten Migrantenkinder ist diese Woche von 3.200 auf 4.200 gestiegen. Kinder berichten den Anwälten, dass sie nicht duschen dürfen und dass sie seit Tagen den Himmel nicht mehr gesehen haben. Gestern kündigte die Biden-Regierung an, dass sie die Kinder keineswegs wieder mit ihren Familien zusammenführen wird. Vielmehr will sie 3.000 Minderjährige in eine Kongresshalle in Dallas überführen, die sie euphemistisch als „Einwanderungsentlastungszentrum“ bezeichnet.
Die Ereignisse machen deutlich, dass die Demokratische Partei weit davon entfernt ist, einen Bruch mit Donald Trumps Politik zu repräsentieren. Sie setzt seine migrantenfeindliche Politik fort und spitzt sie noch zu. Die Sprecherin der Demokraten im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi nennt die Situation an der Grenze eine „humanitäre Krise“, ganz so als ob die Biden-Regierung und ihre eigene Partei nicht selbst in erster Linie dafür verantwortlich wären.
Die spärliche Medienaufmerksamkeit für die Angriffe auf Migranten konzentriert sich auf die Masseninhaftierung von unbegleiteten Minderjährigen und stellt die Frage als „Krise“ dar. Republikanische Mitglieder des Kongresses reisten am Montag an die Grenze und taten so als wären sie der Kinderschutzbund. Sie erklärten, dass die „barbarischen“ Bedingungen von Migrantenkindern, die zur US-Grenze reisen, „ihr Herz gebrochen haben“. Das soll aber nur bedeuten, dass die Kinder in ihren Herkunftsländern bleiben sollen.
Schlimm sind die Bedingungen, die die Biden-Regierung den Kindern und Jugendlichen aufzwingt, denen sie die Einreise ins Land erlaubt hat. Vielleicht noch schlimmer ist ihre Entscheidung, alle ankommenden erwachsenen Migranten und jene Kinder, die mit Verwandten einreisen, kurzerhand auszuweisen mit der Begründung, dass sie aufgrund des Coronavirus ein Gesundheitsrisiko darstellten.
In einem Offenen Brief an die Biden-Regierung Ende Januar erklärten zahlreiche medizinische Experten, dass solche „Title 42“-Ausweisungen keinem medizinischen Zweck dienen: „Einschränkungen für Asylsuchende und andere Migranten aufgrund des Einwanderungsstatus zu verhängen, ist diskriminierend und hat keine wissenschaftliche Grundlage als Maßnahme der öffentlichen Gesundheit.“ Title 42 schafft ein ordnungsgemäßes Verfahren ab, beendet das Recht, Asyl zu beantragen oder andere Recht geltend zu machen. Den Migranten wird das Recht verweigert, vor Ausweisung angehört zu werden. Siebzig Prozent der über 100.000 Menschen, die im Februar versuchten, die Grenze zu überqueren, darunter Tausende von Kindern, wurden auf diese Weise abgeschoben.
Diejenigen Einwanderer, die nach Title 42 abgeschoben werden, werden über die Grenze zurückgeschickt, nachdem die US-Behörden ihnen ihr Hab und Gut, einschließlich ihrer Schnürsenkel, abgenommen haben und sie über Brücken nach Mexiko humpeln lassen. Viele werden Hunderte Kilometer fortgeschafft von dem Ort, an dem sie die Grenze überquert haben, um an einem anderen Punkt entlang der Grenze abgeschoben zu werden. Tausende sind derzeit obdachlos oder werden entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko festgehalten, wo sich die Pandemie ungebremst ausbreitet.
In Mexiko werden die Einwanderer in staatlichen Einrichtungen festgehalten, die ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen so beschreibt: „Schlimmer als ein behelfsmäßiges Lager, man hat nicht einmal Zugang zu sauberem Wasser“. Die mexikanische Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador gab jüngst bekannt, dass sie 1.000 Kinder in solchen Einrichtungen inhaftiert hat und damit der Forderung der Biden-Regierung nach einem härteren Durchgreifen nachgekommen ist. Mexikanische Beamte haben zudem in den letzten Wochen eine Reihe von Massenrazzien im Auftrag der USA durchgeführt.
Das harte Durchgreifen hat zu zahlreichen Todesfällen geführt. Am Samstag fand in der guatemaltekischen Stadt Comitancillo ein Begräbnis für 11 Einwohner statt, die von Bandenmitgliedern ermordet wurden und deren Leichen in einem Auto verbrannten, als sie im Januar versuchten, über den mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas in die USA einzureisen. Die mexikanischen Behörden hatten das Verbrechen zunächst vertuschten. Anfang dieses Monats verunglückte ein mit Einwanderern beladenes Auto bei dem Versuch, in die USA einzureisen; 13 Einwanderer aus Mexiko und Mittelamerika kamen dabei um Leben.
Erwachsene Einwanderer und begleitete Kinder, die das „Glück“ haben, der Massenabschiebung zu entgehen und in die Vereinigten Staaten zu gelangen, werden in überfüllten Haftanstalten festgehalten, in denen sich Covid-19 wie ein Lauffeuer verbreitet. Zurzeit sind 420 Fälle in den Haftanstalten bekannt, gegenüber 370 am Ende der letzten Woche. Insgesamt 10.000 Häftlinge haben sich seit Beginn der Pandemie mit dem Virus infiziert.
Diejenigen, die aus den Haftanstalten entlassen werden können, werden von der Einwanderungsbehörde (Immigration and Customs Enforcement, ICE) und der Zoll- und Grenzschutzbehörde (Customs and Border Protection, CBP) in Städten auf der texanischen Seite der Grenze abgesetzt, wo sie sich ohne medizinische Versorgung und ohne Benachrichtigung medizinischer Behörden oder lokaler gemeinnütziger Organisationen selbst versorgen müssen.
Diese Realität entlarvt die Lüge, dass die Demokratische Partei ein „kleineres Übel“ darstellt, verglichen mit dem faschistischen Angriff der Trump-Regierung auf Einwanderer. Selbst unter Trumps „Stay-in-Mexico“-Politik durften Einwanderer zumindest noch auf dem Papier Asyl beantragen, im Gegensatz zu heute.
Die Biden-Regierung wird bald ihr neues Einwanderungsgesetz vorstellen, den US Citizenship Act. Bei der Vorstellung des Gesetzes werden Biden und die Demokraten bedeutungslose Plattitüden ausspucken, dass Amerika „eine Nation von Einwanderern“ ist. (Man könnte hinzufügen: trotz bester gegenteiliger Bemühungen.) Aber der Gesetzentwurf macht die Kriminalisierung von Einwanderern nicht rückgängig und wird den Weg für Millionen von Abschiebungen ebnen, die vor allem jene treffen, die derzeit in die Vereinigten Staaten kommen, sowie alle Menschen mit Vorstrafen.
Nach dem Gesetzesentwurf werden Migranten zudem kein Recht auf einen Anwalt haben, das Netzwerk von Einwanderungsgefängnissen wird bestehen bleiben, die Rechtsprechung in Migrationsfragen bleibt unter der Kontrolle der Heimatschutzbehörde (Department of Homeland Security, DHS), die Inhaftierung von Minderjährigen bleibt „legal“, die Grenze wird weiter militarisiert, Hunderte Millionen Dollar fließen in die Bewaffnung der zentralamerikanischen Polizei und der Todesschwadronen sowie in eine „öffentliche Informationskampagne“, um Bewohner Zentralamerikas vom Aufbruch zur US-Grenze abzuschrecken.
Die Arbeiter in den Vereinigten Staaten und Europa müssen zur Verteidigung ihrer Klassenbrüder und -schwestern in Mexiko, Mittel- und Südamerika schreiten und die fremdenfeindliche Propaganda der kapitalistischen Parteien und der Leitmedien zurückweisen.
Diejenigen, die ihr Leben riskieren, um in die USA und die EU einzureisen, sind Arbeiter, Kleinbauern und ruinierte Kleinhändler aus Ländern, deren natürliche Ressourcen geplündert wurden und deren Bevölkerung seit über einem Jahrhundert von mächtigen Konzernen und von imperialistisch gestützten Diktatoren ausgebeutet und unterdrückt wird.
Die Coronavirus-Pandemie hat in ganz Lateinamerika fast 800.000 Menschen getötet. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass 500 Millionen Menschen in die Armut abrutschen werden, während die Internationale Arbeitsorganisation vorhersagt, dass weltweit 1,6 Milliarden informelle Arbeitsplätze - darunter ein großer Teil in Lateinamerika - verloren gehen oder massive Lohnkürzungen erfahren werden. Der Gesamtbetrag der Einkommensverluste, die die internationale Arbeiterklasse im Jahr 2020 erlitten hat, beträgt 3,4 Billionen Dollar, was in etwa dem Betrag entspricht, den die reichsten Menschen der Welt gewonnen haben. Die Weltbank berichtet, dass 800 Millionen Familienangehörige von Einwanderern 110 Milliarden Dollar in Form von Überweisungen aus den USA und Europa für den Kauf von Lebensmitteln und andere notwendige Dinge verloren haben.
Die Arbeiter in den entwickelten wie in den unterentwickelten Ländern sehen sich mit Härten konfrontiert, die eine direkte Folge der Politik der herrschenden Klasse sind. Die globale Arbeiterklasse muss ihre enorme soziale Macht im Kampf gegen diese Zustände mobilisieren, indem sie sich über nationale Grenzen hinweg zusammenschließt. Aus diesem Grund ist die Verteidigung der demokratischen Rechte der eingewanderten Arbeiter ein strategischer Imperativ im Kampf für die sozialistische Revolution.