Bund-Länder-Konferenz öffnet Schleusen für eine dritte Corona-Welle

Die jüngste Corona-Runde der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder hat die Schleusen für eine dritte Corona-Welle geöffnet. Schon in wenigen Tagen wird ein großer Teil der Schulen und Kitas in fast allen Bundesländern wieder aufgemacht. Dabei sind die neuen, hochansteckenden Virus-Mutationen schon stark auf dem Vormarsch, und weder Lehrer noch Erzieher sind geimpft.

Offiziell behaupten die Regierungspolitiker, sie hätten eine Verlängerung des aktuellen (halbherzigen) Lockdowns bis zum 7. März beschlossen. Bis dahin bleiben die Kontaktbeschränkungen bestehen, und auch dann sollen der Einzelhandel, die Museen und die Massage- und Sportstudios nur wieder öffnen, wenn die Sieben-Tages-Inzidenz 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner nicht übersteigt. Die Friseure dürfen schon ab dem 1. März wieder öffnen, wie es im offiziellen „Beschluss“ der Videokonferenz von Bund und Ländern vom 10. Februar heißt.

Die Politiker sind sich sehr wohl der Gefahren bewusst, die aktuell von den hochansteckenden Virus-Mutationen ausgehen. „Es ist die Zeitspanne zwischen jetzt und Mitte März, in der (…) die mutierten Viren die Oberhand über das bisherige Virus gewinnen können. Diese Zeitspanne ist existenziell“, sagte die Kanzlerin und promovierte Physikerin Angela Merkel (CDU) am Dienstagabend in der Pressekonferenz.

Dies erfordere „erhebliche zusätzliche Anstrengungen, um die Infektionszahlen wieder zu senken“, heißt es im offiziellen „Beschluss“. Dennoch behauptet dasselbe Schreiben: „Um Bildung und Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, haben Öffnungen im Betreuungs- und Bildungsbereich daher Priorität. Dieser Bereich soll daher als erster schrittweise wieder geöffnet werden“ [Hervorhebung im Original].

Seither können die Länder, die über Kitas und Schulen entscheiden, diese nicht schnell genug wieder öffnen. Dies trotz täglicher Infektionszahlen von 8500 im Durchschnitt der letzten Woche, trotz der Tatsache, dass bisher kein Lehrer oder Erzieher geimpft ist, und sie es noch lange nicht sein werden, und trotz der Erfahrungen aus England und Belgien. Dort haben sich die Virusmutation B.1.1.7 und die in Südafrika entdeckte Mutation B.1.351 gerade an den Schulen rasend schnell ausgebreitet.

Alle ernsthaften Wissenschaftler haben genau vor diesem Szenario gewarnt. Die Virologin des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums, Melanie Brinkmann, die in einem Spiegel-Interview die „No-Covid“-Strategie erläuterte, hatte zum Schluss Folgendes erklärt: „Wenn wir allerdings noch vier Wochen [mit wirklich strengen Maßnahmen] warten, geht es hier demnächst zu wie in London, dann gibt es eine Tausender-Inzidenz, und alle sind ganz erschrocken. Je später man anfängt, auf die Null zuzusteuern, desto mehr Tote haben wir, desto größer ist der wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Schaden. Und desto länger dauert es.“ Brinkmann sprach von „180.000 Menschen in Deutschland unter 60 Jahren, die das nächste Frühjahr nicht erleben würden. Auch Kinder würden sterben.“

Auch ihr Kollege, der Helmholtz-Virologe Michael Meyer-Herrmann, warnte vor einer verheerenden dritten Welle, falls die Politiker die Maßnahmen nicht deutlich verschärften. „Leider haben wir inzwischen zwei bis drei Pandemien“, so Meyer-Herrmann.

Dennoch haben gestern fast alle Landesregierungen erklärt, schon am 22. Februar ihre Schulen und Kitas wieder öffnen zu wollen. Das Bildungsministerium von Nordrhein-Westfalen informierte alle Schulleitungen in einer „SchulMail“, an diesem Tag sämtliche Abschlussklassen wieder in den Präsenzunterricht zurückzuholen. „Für die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen ist grundsätzlich eine Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts auch in voller Klassenstärke möglich“, heißt es dort. Gleichzeitig sollen auch die Grund- und Förderschulen den Präsenzunterricht wieder aufnehmen.

Noch extremer prescht die sächsische Landesregierung vor: Ausgerechnet das Bundesland, das relativ die höchsten aktuellen Infektionszahlen aufweist, öffnet schon am kommenden Montag, dem 15. Februar, wieder seine Schul- und Kita-Pforten. „Wir haben die Erwartung und Hoffnung, dass wir in den Landkreisen, die jetzt noch über 100 sind, in den nächsten zwei Wochen unter 100 kommen“, so die wenig plausible Erklärung von Kultusminister Christian Piwarz (CDU).

Zwar wird die Präsenzpflicht ausgesetzt, und Eltern sind nicht gezwungen, ihre Kinder in die Schulen zu schicken. Aber in den Klassen werden wieder Schulkinder aus zwanzig oder mehr Haushalten stundenlang zusammensitzen. Und dies in Sachsen, dem Bundesland im Dreiländer-Eck Polen–Tschechien–Deutschland, wo die britische Virusmutation wütet und sich extrem rasch ausbreitet.

Die Intensivstationen der Krankenhäuser sind seit Monaten überlastet. Prof. Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), warnte, dass die Lage auf den Intensivstationen trotz eines Rückgangs von Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen weiterhin ernst sei. „Wir haben immer noch keine durchschlagende Therapie. Insofern ist die Vermeidung der SarsCoV2-Infektion durch den Lockdown in Kombination mit der Impfung das medizinisch einzig Richtige.“

Die Seuche Covid-19 wurde genau vor einem Jahr zur Pandemie erklärt. Seither sind in Deutschland 63.000 Corona-Patienten verstorben. Mehr als 2,3 Millionen Menschen haben sich an Covid-19 angesteckt.

Viele Arbeiter gehen nur mit großer Sorge zur Arbeit. Wie das Handelsblatt am Mittwoch berichtete, befürchtete im Januar mehr als jeder dritte Arbeiter (35 Prozent), sich im Betrieb oder auf dem Weg dorthin anzustecken. An einer Umfrage des Portals Lohnspiegel.de hatten sich seit April mehr als 34.000 Beschäftigte beteiligt. Knapp 11.100 Datensätze wurden in der Zeit des zweiten Lockdowns seit dem 2. November 2020 erhoben.

Die größten Sorgen in dieser Zeit hatten – nicht verwunderlich! – die Beschäftigten in den Berufen des Erziehungsbereichs und des sozialen und medizinischen Gesundheitsdienstes. Von ihnen befürchtete deutlich über die Hälfte, sich zu infizieren. Dicht dahinter folgten Verkäufer und Altenpfleger mit fast 50 Prozent. Auch ein Drittel der Beschäftigten in der Produktion und Fertigung fürchtet ständig eine Ansteckung am Arbeitsplatz.

Trotz alledem haben die Regierungspolitiker anders entschieden. Stärker als die Stimmen der Vernunft war für sie der Druck der Wirtschaft. Alle Vertreter von Unternehmensverbänden fordern schon seit einem Jahr rasche Lockerungen auf Kosten der Arbeiterklasse. „Der Einzelhandel geht auf dem Zahnfleisch“, versuchte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die jüngsten Beschlüsse vom Mittwoch zu rechtfertigen.

Auch diese gehen vielen Lobbyisten noch nicht weit genug. „Viele Menschen haben mehr erwartet als einen frischen Haarschnitt,“ polemisierte FDP-Chef Christian Lindner im Namen der FDP, der Lobby der „Besserverdienenden“, im Bundestag. Lindner forderte die rasche Öffnung aller Betriebe. Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) kritisierte die jüngsten Beschlüsse als „Gipfel der Enttäuschungen für den Mittelstand“.

Was viele Arbeiter über die jüngsten Beschlüsse denken, das zeigt sich derzeit in den sozialen Medien. In der Facebook-Gruppe „Schule ohne Ansteckungsgefahr“ schrieb zum Beispiel Verena S.: „Also heißt es für viele Kinder und Lehrer demnächst wieder: Lüften und Beten, dass es trotz neuer Mutationen gut geht (…) Die versteckte Verbreitung durch asymptomatische Kinder hat uns doch die hohen Zahlen und den Lockdown erst eingebrockt. Nun fügen wir zu dieser Gleichung noch mindestens 3 gefährlichere Varianten als Variablen hinzu (…) Aus der Gleichung müssen wir aber auch das Lüften streichen. Oder wollen die bei Null bis minus 10 Grad alle 20 Minuten das Fenster für 5 Minuten aufreißen? Mal abgesehen davon, dass die Kinder und Lehrer sich den Allerwertesten abfrieren und dadurch kaum lernen können, bedeutet kalte Luft auch trockene Luft, was wiederum trockene Schleimhäute verursacht, die viel empfänglicher für Viren sein sollen. Ich ahne schon wie das ausgeht.“

Harald, ein Lehrer aus NRW, schrieb der WSWS: „Die jetzt besonders verbreitete Heuchelei, dass die ach so abgehängten Schüler unter dem Lockdown leiden und den ‚normalen‘ Präsenzunterricht benötigen, ist lächerlich und nicht nachzuvollziehen. Vor den verschiedenen, viel zu inkonsequenten Lockdowns hat sich doch auch kaum jemand aus den Medienkonzernen oder der herrschenden Politik ernsthaft und regelmäßig um die geringe Wirksamkeit des Präsenzunterrichts, die traurige IT-Infrastruktur der Schulen und der meisten Familien oder um das belastete Gefühlsleben der Schüler in den völlig überfüllten Klassenzimmern gekümmert. Was war denn objektiv so gut an dieser Art von ‚Normalität‘?“

Harald erklärt, was stattdessen nötig wäre: „Eine Betreuung der ‚sozial Abgehängten‘ ist jetzt notwendig, das ist klar, und das lässt sich mit Sicherheit finanzieren und organisieren: Schaut Euch die Konzerngewinne an, enteignet die Banken und Multis, stellt sie unter die Kontrolle der Beschäftigten aus der Industrie, der Verwaltung und den Schulen etc., bildet dazu Aktionskomitees und Arbeiterräte, vernetzt Euch dabei weltweit (…) setzt den Lockdown konsequent um, bis Eure Betriebe und Schulen sicher sind!“

Für diese Perspektive kämpft allein die Sozialistische Gleichheitspartei, die die Netzwerke der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze und für sichere Schulen aufbaut. Nur die Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse kann den Ausbruch einer dritten, noch verheerenderen Corona-Welle stoppen. Wie es im Aufruf des Netzwerks für sichere Arbeitsplätze heißt, stehen „Arbeiter überall vor denselben Problemen, die nur gemeinsam gelöst werden können. Deshalb organisieren wir uns unabhängig von Gewerkschaften und Bundestagsparteien und schließen uns mit Kollegen auf der ganzen Welt zusammen, um einen Generalstreik vorzubereiten.“

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