Trotz Ausbreitung der Mutanten: Österreichs Regierung beendet Lockdown

Österreichs schwarz-grüne Regierung beendete am Montag den ohnehin sehr milden Lockdown. Damit werden Schulen und Handel vollständig geöffnet, obwohl die Infektions- und Todeszahlen weiterhin hoch sind und sich hochansteckende Virusmutationen im Land massiv vermehren.

Die Zahl der Neuinfektionen ist weiterhin hoch. Am Mittwoch wurden fast 1200 Fälle gemeldet, am Sonntag waren es über 1300. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt dauerhaft über 100 pro 100.000 Einwohner. 426.000 Menschen haben sich in dem 8,8 Millionen Einwohner zählenden Land bereits mit Covid-19 infiziert. 8079 Personen sind bis zum Mittwoch daran gestorben. Die Situation in den Kliniken ist trotz zuletzt gesunkener Zahlen weiter angespannt.

Die Politik von Kanzler Sebastian Kurz und seiner Koalition aus konservativer Volkspartei und Grünen kann nur als kriminell bezeichnet werden. Wie schon im letzten Frühjahr spielt die Wiener Regierung eine europäische Vorreiterrolle dabei, sämtliche Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie fallen zu lassen und die Durchseuchung der Bevölkerung mit allen katastrophalen Konsequenzen zu ermöglichen.

Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr letzten Jahres waren die Infektionszahlen und Todesfälle im April gesunken. Ab Mai hob dann die Regierung sämtliche relevanten Schutzmaßnahmen wieder auf, obwohl Wissenschaftler eindringlich davor warnten und die Erfahrungen aus anderen Ländern ihre Warnungen bestätigten.

Mit Verweis auf die Interessen der Wirtschaft beharrte die Regierung dann, selbst als die Infektionszahlen im September und Oktober wieder exponentiell anstiegen, darauf, dass das Land sich einen weiteren Lockdown nicht leisten könne. Betriebe und Schulen müssten uneingeschränkt geöffnet bleiben, und auch der Tourismus dürfe nicht beeinträchtigt werden.

Im Oktober sah sich die Regierung schließlich angesichts dramatischer Infektionszahlen und einer katastrophalen Lage in den Kliniken gezwungen, erneut Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus einzuleiten. Auch sie kamen viel zu spät und waren völlig unzureichend. Während Schulen und Geschäfte weitgehend geschlossen wurden, blieben Betriebe weiter offen.

Nun sind Schulen, Kindergärten, Handel und kulturelle Einrichtungen geöffnet, auch so genannte körpernahe Dienstleistungen, wie Frisör oder Massagen, sind erlaubt. In den ersten Tagen waren, wie vorausgesagt, die Innenstädte und die dortigen Geschäfte völlig überfüllt.

Die weiterhin geltenden Hygienemaßnahmen, die die Öffnungen begleiten, sind lediglich Augenwischerei, um die Bevölkerung in falscher Sicherheit zu wiegen. So kann die Pflicht zum Tragen von FFP-2 Masken und die Ausgabe von Gratis-Tests nicht annähernd die Kontaktbeschränkungen kompensieren. Dazu kommen die nun angebotenen Testmöglichkeiten viel zu spät.

Die jetzt beschlossenen Lockerungen sind der erste Schritt zur völligen Aufhebung jeglicher Maßnahmen. Die Öffnung von Gastronomie und Hotels wird bereits eifrig diskutiert und wird nicht lange auf sich warten lassen. Bereits vor Weihnachten konnten Skipisten in den Touristenhochburgen öffnen, obwohl im Wintersportort Ischgl im letzten Jahr das europäische Epizentrum der Ausbreitung des Covid-19-Erregers lag.

Besonders dramatisch ist die Situation im Bundesland Tirol. Dort tritt die so genannte südafrikanische Variante B.1.351 des Coronavirus gehäuft auf. Experten zufolge sind bislang rund 300 Fälle bekannt, die Hälfte davon dürfte derzeit aktiv sein. Bisherigen Erkenntnissen zufolge verläuft eine Erkrankung mit der südafrikanischen Variante des Virus häufig deutlich schwerer, und gleichzeitig soll die Resilienz gegenüber den Impfstoffen höher sein.

Die Regierung in Wien sprach für Tirol eine Reisewarnung aus. Fahrten von und nach Tirol sollen künftig nur mit negativem Test möglich sein. Da dies erst ab Freitag gelten wird und auch nur für zehn Tage, gehen Experten davon aus, dass sich die Verbreitung dadurch kaum verhindern lässt.

Das Ende der Schutzmaßnahmen unter diesen Bedingungen wurde von Medizinern und Wissenschaftlern heftig kritisiert. „Ein harter Lockdown ist aus medizinischer Sicht sinnvoll“, erklärte Richard Greil, einer der führenden Corona-Experten des Landes, im Interview mit SALZUBRG24.

Auch der Epidemiologe der Donau-Uni in Krems, Gerald Gartlehner, kritisierte, dass mit der Reaktion auf den Südafrika-Cluster in Tirol „einiges an Zeit vergeudet“ worden sei. Man wisse schon länger, „dass sich Tirol zum Hotspot der südafrikanischen Mutante entwickelt“. Die jetzigen Maßnahmen seien „nicht optimal“.

Gartlehner merkte an, dass Impfstoffe gegen die Mutante kaum wirken. „Alles deutet darauf hin, dass Astra Zeneca ganz wenig wirksam ist gegen die südafrikanische Variante. Wenn wir dem südafrikanischen Virus freien Lauf lassen, dann wird jene Impfung, die den größten Anteil in Österreich hat, nicht wirken.“ Andere Experten bestätigen dies.

Gartlehner lässt keinen Zweifel daran, was die verantwortungslose Politik der Regierung zur Folge haben wird. „Alle Modelle, die ich kenne, zeigen das gleiche Bild, nämlich einen starken Anstieg des Infektionsgeschehens aufgrund der Lockerungen und der britischen Mutation. Der einzige Unterschied ist, wann die Schwelle von 200 erreicht wird. Die Pessimistischen sagen, Ende Februar, die Optimistischen, in der zweiten Märzwoche.“

Laut Kurier teilt Andreas Bergthaler, Virologe an der Akademie der Wissenschaften, diese Ansicht. „Im Osten Österreichs mache die britische Mutation, die um einiges ansteckender ist, schon bis zu 40 Prozent der Infiziertenfälle aus. Aus epidemiologischer Sicht gebe es kein Argument für die derzeitigen Lockerungen“, so das Blatt.

Besonders in der Öffnung der Schulen zeigt sich die ganze Skrupellosigkeit der Regierung. Um die hochriskanten Präsenzunterricht zu rechtfertigen, wurde der sogenannte „Nasenbohrer-Test“, ein Antigen-Test, den die Schüler selbst vornehmen, eingeführt. Dabei ist der Test zum einen freiwillig, zum anderen offensichtlich unbrauchbar.

Gartlehner bemerkte, die Tatsache, dass beim ersten „Nasenbohrertest“ in den Schulen nur 56 Schüler positiv getestet wurden, deute auf Fehler hin, da der Anteil viel höher sein müsste. Entweder funktionierten die Tests nicht so gut, oder der von den Schülern selbst gemachte Abstrich.

Kurz und seine Regierung wissen sehr wohl, was ihre Politik bewirkt, und verfolgen sie sehr bewusst, obwohl sie zig weitere Menschenleben kosten wird.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erklärte Anfang des Monats, mit der Öffnung sollten „Perspektiven“ und „Sicherheit“ gegeben werden. Dabei gab er zu, dass vor zwei Monaten das Gesundheitssystem „an der Kippe“ gestanden habe. Gleichzeitig merkte er an, dass in den Kliniken noch immer hunderte Patienten mehr behandelt werden als zu normalen Zeiten.

Die brutale Politik der Öffnung im Interesse der Wirtschaft wird von einer breiten Allianz aller Parteien und Gewerkschaften unterstützt. ÖVP, Grüne, SPÖ und die rechtsliberalen Neos unterstützen den Schritt und folgen damit den Forderungen der rechtsextremen Freiheitlichen Partei, die ihrerseits nun noch weiter geht und die Aufhebung sämtlicher Schutzmaßnahmen selbst in Tirol fordert.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erklärte die Rückkehr zum Präsenzunterricht sei „richtig und notwendig“. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger erklärte im ORF: „Es wird genau das umgesetzt, was wir am Wochenende gefordert haben“.

Der Chef der Lehrergewerkschaft Paul Kimberger unterstützt die Schulöffnung ausdrücklich, auch wenn dies hunderte von Lehrern in Lebensgefahr bring. Die Alternative zum Präsenzunterricht sei aus seiner Sicht an ihre Grenzen gekommen, erklärte er im Interview mit der Deutschen Welle. „Die Erkenntnis der letzten Wochen und Monate ist, dass Distanzlernen den Präsenzunterricht nicht ersetzen kann.“

Dies zeigt, dass der Kampf gegen die rücksichtslose Politik der europäischen Regierungen eine unabhängige Perspektive erfordert. Notwendig ist der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees in Schulen und Betrieben, die sich international zusammenschließen und mit einer sozialistischen Perspektive gegen die kriminelle Politik der herrschenden Elite kämpfen.

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