Europäische Politiker und Medien verharmlosen Putsch in den USA

Führende europäische Politiker und Leitartikler haben den faschistischen Putsch in den USA verurteilt. Sie reagieren mit einer Mischung aus Besorgnis und Nervosität auf die Erstürmung des US-Kongresses durch Anhänger von Präsident Donald Trump.

Im Mittelpunkt ihrer Bedenken steht dabei nicht die Sorge um die amerikanische Demokratie, sondern die Angst, dass deren fortgeschrittener Zerfall, der am 6. Januar so deutlich sichtbar wurde, die Opposition gegen ähnliche Entwicklungen in Europa stärken könnte, wo autoritäre und faschistische Tendenzen ebenfalls weit fortgeschritten sind.

In Deutschland breiten sich in Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten rechtsextreme Netzwerke aus, die von höchster Stelle gedeckt werden, und im Bundestag und den Länderparlamenten gibt die rechtsextreme AfD politisch den Ton an. In Frankreich ist Präsident Macron, der sich nur durch seine geschliffeneren Manieren von Trump unterscheidet, mit ungeheurer Brutalität gegen die Gelbwesten-Proteste vorgegangen und erlässt immer schärfere Zensur- und Sicherheitsgesetze. In Ungarn und Polen schalten autoritäre Regierungen Justiz und Medien gleich.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben diese Parallelen in ihren Kommentaren zu den Ereignissen in den USA angesprochen. Es „wäre selbstgerecht, jetzt allein mit dem Finger auf Amerika zu zeigen“, schrieb Maas in einem Gastbeitrag für den Spiegel. „Auch bei uns, in Hanau, Halle, auf den Stufen des Reichstags, haben wir erleben müssen, wie Hetze und aufrührerische Worte in hasserfüllte Taten umschlagen.“ Steinmeier verglich den Sturm auf das Kapitol ebenfalls mit den Vorfällen vom August in Berlin, wo rechte Corona-Leugner bei einer Demonstration die Stufen des Reichstags gestürmt hatten.

Fast alle europäischen Kommentare bemühen sich, das Ausmaß der Verschwörung in den USA herunterzuspielen. Während sie den abgewählten Präsidenten Trump und den von ihm aufgehetzten rechten Mob kritisieren, schweigen sie sich über den Beitrag des Staatsapparats und der Republikanischen Partei aus.

Ohne deren Rolle sind das Ausmaß der rechten Verschwörung und die Gefahren, die von ihr ausgehen, aber nicht zu verstehen. Die WSWS hat im Kommentar „Der faschistische Putsch vom 6. Januar“ nachgewiesen, welche zentrale Rolle die republikanische Mehrheit im Senat und Teile des Staatsapparats bei den Putschvorbereitungen spielten, und gewarnt, dass es wieder passieren wird, wenn der erste Anlauf sein Ziel nicht erreicht.

Die republikanischen Senatoren und Abgeordneten hatten sich wochenlang geweigert, das Wahlergebnis anzuerkennen, und so Trumps Lüge unterstützt, der Wahlsieg sei ihm gestohlen worden. Selbst nach dem Sturm auf das Kapitol stimmten noch 138 republikanische Abgeordnete gegen die Anerkennung des Wahlergebnisses in Pennsylvania und versuchten so, die Bestätigung von Bidens Wahlsieg zu verhindern. Ohne Unterstützung aus dem Sicherheitsapparat wäre es dem rechten Mob am Mittwoch nicht gelungen, ungehindert in eines der bestbewachten Gebäude der Welt einzudringen.

Diese Zusammenhänge blenden die europäischen Kommentare aus. Sie stellen die Ereignisse so dar, als wäre die amerikanische Demokratie bei bester Gesundheit und lediglich Trump und sein engstes Umfeld für die Putschpläne verantwortlich. Wie der gewählte Präsident Biden rufen sie zur Einheit mit den Republikanern, also den Putschisten, auf.

Sehr deutlich spricht dies die Neue Zürcher Zeitung in einem Kommentar aus, der die Überschrift trägt: „Der Kontrollverlust auf dem Capitol ist ein Warnzeichen, aber nicht der Untergang der amerikanischen Demokratie“. „Die Szenen vom Capitol sind ein Skandal“, schreibt das Sprachrohr der Schweizer Banken. „Doch sie reflektieren nicht primär den Zustand der USA, sondern den Zustand ihres Präsidenten.“

Ähnlich äußert sich La Repubblica: „Die amerikanische Demokratie hat bewiesen, noch Abwehrkräfte zu haben, um den autoritären Impulsen eines Präsidenten zu widerstehen,“ behauptet die italienische Tageszeitung.

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel argumentierten in diese Richtung. Macron, der sich bereits in der Nacht vom Mittwoch zu den Ereignissen äußerte, erklärte: „Was heute in Washington, DC passiert ist, ist nicht Amerika, definitiv nicht. Wir glauben an die Stärke unserer Demokratien. Wir glauben an die Stärke amerikanischer Demokratie.“

Merkel sagte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz, die Bilder aus den USA hätten sie „wütend und auch traurig gemacht“. Sie bedaure sehr, „dass Präsident Trump seine Niederlage seit November und auch gestern wieder nicht eingestanden hat“. Gezielt geschürte Zweifel am Wahlausgang hätten „die Atmosphäre dafür bereitet, dass die Ereignisse der Nacht möglich wurden“.

„Die Worte des gewählten Präsidenten Joe Biden“, fuhr Merkel fort, „machen mich aber ganz sicher: Diese Demokratie wird sich als viel stärker erweisen als die Angreifer und Randalierer. … Die Vereinigten Staaten von Amerika werden in weniger als zwei Wochen, so wie es sein muss, ein neues Kapitel ihrer Demokratie eröffnen.“

Biden hatte den Putschisten Trump in einer jämmerlichen Rede angefleht, sich in einer Fernsehansprache an das Volk zu wenden, und jedes Wort vermieden, dass von seinen eigenen Anhängern als Aufruf zur Mobilisierung hätte verstanden werden können. Er machte damit deutlich, dass er jede Bewegung von unten weit mehr fürchtet, als die faschistischen Putschpläne von Trump und seinen Anhängern. Letztlich vertreten Republikaner und Demokraten dieselben Interessen einer kleinen Schicht von Millionären und Milliardären.

Der sozialdemokratische deutsche Außenminister setzt ebenfalls auf Biden und die Versöhnung mit den Putschisten. „Jeder Republikaner mit einem Mindestmaß an Verantwortung sollte jetzt endlich Trump deutlich widersprechen,“ schreibt Heiko Maas im Spiegel. Bidens „Aufruf zu gegenseitigem Respekt und Versöhnung waren die wohltuenden Worte eines Präsidenten. Und die Bestätigung der Wahl von Joe Biden und Kamala Harris durch den US-Kongress war die beste, demokratische Antwort an diejenigen, die gestern in Washington Chaos und Unfrieden gesät haben.“

Der britische Premierminister Boris Johnson, dessen Brexit-Strategie auf eine enge Zusammenarbeit mit den USA unter Trump setzte, äußerte sich ähnlich, aber kürzer: „Unwürdige Szenen im US-Kongress. Die Vereinigten Staaten stehen für Demokratie auf der ganzen Welt, und es ist jetzt entscheidend, dass es eine friedliche und geordnete Machtübergabe gibt,” schrieb er auf Twitter.

Die Londoner Times beschwor ebenfalls die Stabilität der amerikanischen Demokratie. Richter hätten Trumps Anträge auf Aufhebung des Wahlergebnisses abgelehnt, und auch Beamte aus seiner eigenen Partei hätten seinem Druck widerstanden: „Diese Demokratie steht nicht vor dem Zusammenbruch,” folgert die Times.

Nur wenige Zeitungen veröffentlichten durchdachtere Kommentare. So wies die Warschauer Zeitung Rzeczpospolita auf die wirkliche Spaltung der amerikanischen Gesellschaft hin. „Solche Bilder kennen wir sonst nur aus afrikanischen Ländern, in denen die Staats- und Regierungschefs ihre demokratisch gewählten Nachfolger nicht anerkennen,“ kommentierte sie. „Dies war ein spektakulärer Ausbruch der Frustration, die in den USA seit Jahrzehnten wächst. Es findet eine gigantische Polarisierung der Gesellschaft statt, in der immer mehr Menschen nicht mehr über die Runden kommen, während nur wenige ihre Milliarden kaum noch zählen können. Die Pandemie hat dieses Drama verschärft.“

Und die Financial Times warnte, dass die Gefahr keineswegs vorüber ist. „Niemand sollte Überraschung vortäuschen,“ schrieb sie, Trump habe seine Pläne lange angekündigt. „Die drängendste Frage ist nun, was Herr Trump in den verbleibenden zwei Wochen seiner Amtszeit versuchen könnte. Hochrangige Militärs im Pentagon haben ausführlich darüber diskutiert, wie sie reagieren würden, wenn Herr Trump versuchen würde, das Kriegsrecht auszurufen und dabei das Aufstandsgesetz von 1807 anzuwenden. Einige im Umfeld von Herrn Trump, darunter Michael Flynn, sein ehemaliger nationaler Sicherheitsberater, haben ihn dazu gedrängt, sich darauf zu berufen.“

„Die Sorge darüber, was Herr Trump noch versuchen kann, ist nicht akademisch,“ fährt die Financial Times fort. „Trotz dessen, was am Mittwoch passiert ist, verfügt Herr Trump immer noch über die persönliche Loyalität vieler Menschen in Uniform. Ein Grund, warum der Mob so leicht in den Kongress eindringen konnte, besteht darin, dass viele der Polizisten auf dem Capitol Hill eindeutig mit ihnen sympathisierten.“ Auch führende Republikaner – „Ted Cruz, der texanische Senator, Josh Hawley, der Senator von Missouri, und mehr als 100 ihrer Kollegen in beiden Häusern“ – stünden weiterhin hinter Trump.

Die Arbeiterklasse wird andere Lehren aus dem Putsch in den USA ziehen als die bürgerlichen Kommentatoren und beginnen, gegen ein Gesellschaftssystem zu kämpfen, das nur noch Faschismus, Krieg, Armut und Corona-Tod zu bieten hat.

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