Am letzten Samstag ereignete sich ein außergewöhnlicher Vorfall, der die akute Gefahr eines globalen Kriegs verdeutlicht. Das Personal der Ramstein Air Base, des größten US-Militärkomplexes im Ausland, erhielt die beängstigende Anweisung, sich vor einem bevorstehenden Raketenangriff in Sicherheit zu bringen.
Die Ramstein Air Base ist das Herzstück der so genannten Kaiserslautern Military Community in Rheinland-Pfalz, die aus 54.000 Soldaten, zivilen Angestellten des Verteidigungsministeriums, zivilen Beschäftigten und ihren Familien besteht. Aus Sirenen ertönten Alarmsignale, und über das Lautsprechersystem „Giant Voice“ kam immer wieder der Satz: „Luftangriff, Luftangriff, in Deckung gehen, in Deckung gehen!“ Einige Personen erhielten auch Benachrichtigungen per Handy.
Auf der Facebook-Seite der Militärbasis hieß es zu dem Vorfall: „Heute wurde die Kommandostelle der Ramstein Air Base über ein Alarmmeldesystem von einem realen Raketenabschuss im europäischen Kriegsschauplatz informiert. Die Kommandostelle hielt sich an die korrekten Vorgaben und informierte das Personal der Kaiserslautern Military Community zeitnah und zutreffend. Der Raketenabschuss wurde anschließend als Teil einer Übung eingestuft, es bestand keine Gefahr für die KMC.“
Das US Air Force Europe–Army Africa Command erklärte in einer eigenen Stellungnahme: „Keine US-Flugzeuge oder Piloten wurden zu Alarmstarts mobilisiert. Der Raketenabschuss wurde als Teil einer regionalen Übung eingestuft, nur wenige Minuten später folgte das Kontrollzentrum wieder den üblichen Verfahren und schickte aktualisierte Meldungen.“
Das Pentagon hat sich öffentlich weder zum Charakter der „regionalen Übung“ geäußert noch erklärt, warum sie als drohender Raketenangriff auf seine größte Militärbasis im Ausland missverstanden wurde.
Die Medien zitierten anonyme Vertreter des US-Militärs, die den Angriff mit einer russischen Militärübung am Samstag in Verbindung brachten. Ein russisches Atom-U-Boot im Ochotskischen Meer vor der russischen Westpazifikküste hatte eine Salve von vier Interkontinentalraketen auf Ziele in der mehr als 8.000 Kilometer entfernten Region Archangelsk abgefeuert.
Russland hatte die übliche „Mitteilung an Piloten“ herausgegeben, das Gebiet zu meiden, und angezeigt, dass eine derartige Übung stattfindet. Der Abschuss der Raketen von dem U-Boot war Teil einer größeren viertägigen Übung, bei der u.a. eine Interkontinentalrakete von einem U-Boot in der Barentssee, eine weitere bodengestützte Interkontinentalrakete und mehrere Marschflugkörper von TU-160- und TU-95-Bombern auf Testziele in der Arktis abgefeuert wurden.
Es ist noch unbekannt, warum das US-Militär eine angekündigte Militärübung als ernst gemeinten Angriff eingestuft hat. Ebenso unbekannt ist, wie Raketen, die auf 2.400 Kilometer von Ramstein entfernte Ziele abgefeuert wurden, eine Gefahr für die Militärbasis darstellen sollten. Auch die Gegenmaßnahmen des US-Militärs auf einen scheinbar unmittelbar bevorstehenden Raketenangriff sind noch unbekannt. Das Pentagon erklärte zwar, es wurden keine Alarmstarts von Flugzeugen durchgeführt, erwähnte jedoch nichts über die Raketenbasen in den USA oder die patrouillierenden Atom-U-Boote, die als erste auf einen Atomwaffenangriff reagieren würden.
Mit anderen Worten, die wichtigste offene Frage ist, wie nahe dieser Vorfall die Welt an den Rand eines Atomkriegs gebracht hat.
Die Kommentare zu der Erklärung auf der Facebook-Seite der Ramstein Air Base reichten von Panik und Angst wegen der Sirenen und Lautsprecherwarnungen bis hin zu Galgenhumor und zahlreichen Beschwerden über den maroden Zustand des Alarmsystems des Stützpunkts.
Ein Pilot schrieb: „Ich rannte in [die Zentrale der Militärbasis] und rief den Leuten zu, sie sollten in Deckung gehen... Wenn man über den Lautsprecher hört ‚Das ist keine Übung‘, dann dreht sich einem der Magen um.“
Ein Anderer schrieb: „Mein Herz stand einen Moment lang still.“ Ein Dritter schrieb: „Nach dieser Warnung muss das Lager wahrscheinlich wieder Klopapier bestellen.“
Viele berichteten jedoch, sie hätten keine Warnung bekommen. In einigen Fällen waren die Lautsprecher auf der riesigen Basis nicht zu hören, in anderen erhielt das Personal falsche Anweisungen oder keine Mitteilungen per Handy.
In einem anderen Kommentar hieß es: „Wenn das ECHT gewesen wäre, dann wären bestenfalls viele verloren gewesen. Die Quartiere haben uns gesagt, es sei eine Übung, aber aus der Kommandostelle und den Lautsprechern kam die Aufforderung, uns sofort in Sicherheit zu bringen.“
Andere wiesen darauf hin, dass die Air Force und die Army unterschiedliche Benachrichtigungssysteme benutzen. Warnungen gehen zwar an die Ersteren, aber nicht an die Letzteren.
Ein Pilot erklärte: „Ist das Kommandopostensystem mit dem hawaiischen Alarmsystem verbunden? Ich dachte, das hätte ich hinter mir...“
Damit meinte er den Vorfall auf Hawaii am 13. Januar 2018. Damals schickte die Katastrophenschutzbehörde von Hawaii inmitten der immer heftigeren Kriegsdrohungen der Trump-Regierung gegen Nordkorea eine Warnung an die 1,5 Millionen Einwohner der Inseln, sie sollten „sofort Schutz suchen“, da der Einschlag einer Rakete unmittelbar bevorstehe. Die Nachricht wurde per Handy, Fernsehen und Radio übermittelt und enthielt den Zusatz: „Das ist keine Übung.“ Erst nach 38 Minuten – in denen die Bevölkerung eine nukleare Vernichtung fürchtete – wurde die Warnung zurückgenommen.
Genau wie der jüngste „Fehlalarm“ in Ramstein liegt auch der Vorfall in Hawaii weiterhin im Dunkeln. Die offizielle Erklärung lautet, er ging auf einen falschen Tastendruck eines Angestellten zurück.
Damals erklärte die World Socialist Web Site, der Vorfall könne nur im Kontext der extremen globalen Spannungen als „notwendiges Glied in der Kette von Vorbereitungen auf einen katastrophalen Krieg“ verstanden werden. Die WSWS warf die Frage auf, ob die Bevölkerung von Hawaii als „Versuchskaninchen“ benutzt und der Fehlalarm inszeniert wurde, um die Reaktionen Nordkoreas, Chinas und Russlands auf einen drohenden US-Raketenangriff auszuwerten. Solche Ereignisse würden zweifellos alle drei Staaten dazu zwingen, selbst Vorbereitungen auf einen bevorstehenden Krieg zu treffen, während „die amerikanischen Spionagesatelliten Daten liefern, die bei einem geplanten US-Überfall auf Nordkorea nützlich sein werden“.
Ob es sich bei dem Vorfall in Ramstein um einen solchen „Fehlalarm“ handelt, ist nicht bekannt. Allerdings ist bei beiden Ereignissen klar, dass der US-Imperialismus keine ernsthaften Pläne hat, um Militärangehörige oder Zivilisten vor der Gefahr eines Atomkriegs zu schützen. Der Tod von zahllosen Millionen Menschen ist Teil seiner Kriegspläne.
Der Vorfall in Ramstein ereignete sich vor dem Hintergrund von zwei wichtigen Erklärungen an die künftige Biden-Regierung zum Thema Atomkrieg.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die erste davon stammt von General Timothy Ray, dem Kommandanten des Air Force Global Strike Command. In seiner Eröffnungsrede zum 20. Jahressymposium zur nuklearen Triade und Abschreckung am 10. Dezember lobte Ray die Kapazitäten der Air Force zur Führung eines Atomkriegs: „Unsere Bomberbesatzungen sind heute besser vorbereitet als je zuvor in der Geschichte des Air Force Global Strike Command. Unsere Interkontinentalraketen waren absolut standhaft in diesem ganzen Unterfangen... Sie gerieten nie ins Schwanken. Ich könnte kaum zufriedener sein.“
Vor allem beharrte Ray in seiner Rede darauf, dass es keine Änderungen an den Plänen geben darf, das US-Atomarsenal für zwei Billionen Dollar zu modernisieren. Vor allem darf es keine Kürzungen bei den Bombern und Raketen der Air Force geben, die er als „sichtbare“ Abschreckung bezeichnete – wahrscheinlich im Gegensatz zu den U-Booten der Navy.
Ray erklärte: „Es ist wirklich wichtig, dass wir tatsächlich nicht zulassen, dass diese Fragen durch Ideologien oder einen politischen Wechsel zwischen Regierungen überschattet werden. ... Es ist nicht einfach eine Frage, ob man für oder gegen Atomwaffen ist. Es gibt in Wirklichkeit keine andere Option mehr.“
Das wichtigste außenpolitische US-Journal Foreign Affairs veröffentlichte am Dienstag einen Artikel mit dem Titel „Schlafwandelnd an den atomaren Abgrund“. Darin zogen der ehemalige Energieminister, Ernest Moniz, und der ehemalige Senator und langjährige Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, Sam Nunn, einen direkten Vergleich zwischen den aktuellen globalen Spannungen und der Situation vor dem Ersten Weltkrieg.
Sie warnten: „Vor einem Jahrhundert starben Millionen in vier Jahren Grabenkrieg. Heute könnten genauso viele innerhalb von Minuten getötet werden.“ Die künftige Biden-Regierung müsse sich mit „der ernüchternden Tatsache auseinandersetzen, dass das Potenzial für den Einsatz von Atomwaffen mehr Konflikte auf der Welt überschattet als je zuvor. Ein einziger Zwischenfall oder Fehler könnte das Armageddon auslösen.“
Der Großteil des Artikels ist ein Plädoyer für „Dialog und Diplomatie“, allem voran die Verlängerung des Vertrags zur Reduzierung strategischer Waffen (New START), des letzten noch verbliebenen Atomabkommens zwischen Washington und Moskau, das am 5. Februar auslaufen wird. Der Artikel argumentiert, das solle zu einer beidseitigen Verringerung der Atomarsenale führen.
Daneben fordern die Autoren eine Stärkung der störungssicheren Systeme, um einen „versehentlichen“ Angriff zu verhindern, und die Einführung einer verpflichtenden Beratung mit der Kongressführung vor Beginn eines Atomkriegs.
Zum Schluss heißt es: „Die Führer der Welt schlafwandeln wieder einmal auf den Abgrund zu – diesmal auf eine atomare Katastrophe. Sie müssen aufwachen, bevor es zu spät ist.“
Alle Anzeichen – von Bidens eigener Vergangenheit über die Zusammenstellung seines Kabinetts bis hin zum rechten Charakter der Kampagne gegen Trump, dem er zu große „Schwäche“ gegen Russland und China vorwirft – deuten darauf hin, dass die kommende Regierung nicht mit der von beiden Parteien unterstützten Politik massiver Militärausgaben brechen wird. Der letzte Haushaltsplan des Pentagon sah einen Etat von 741 Milliarden Dollar vor. Ebenso wenig wird es ein Abrücken von der Politik militaristischer Aggression im Nahen Osten, in Osteuropa und dem Südchinesischen Meer geben.
Wenn überhaupt, wird der US-Militär- und Geheimdienstapparat nach Bidens Amtsübernahme versuchen, verlorene Zeit wettzumachen. Das heißt, er wird sowohl die „Pivot to Asia“-Kriegsvorbereitungen gegen China als auch die Konfrontation mit Russland forcieren. Der Konflikt mit Russland hat sich durch den von den USA orchestrierten Putsch in der Ukraine unter der Obama-Regierung deutlich verschärft.
Die Gefahr eines Atomkriegs ist das unausweichliche Ergebnis des krisengeschüttelten kapitalistischen Systems. Die einzige Antwort darauf ist der unabhängige und international vereinte Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus.